Rede von Prof. Dr. Wolfgang Hesse, Ludwig-Maximilian-Universität München, auf der 445. Montagsdemo am 10.12.2018
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Oben-Bleiber, Aus- und Umstiegler, liebe Standhafte im Widerstand gegen Dummheit, Ignoranz und Profitgier,
vor 30 Jahren – im Jahr 1988 – gab es in unserem Nachbarland Schweiz eine Volksabstimmung, bei der die Bevölkerung vor die Wahl gestellt wurde, ob man für ca. 6 Mrd. Franken (damals ca. 4 Mrd. Euro entsprechend) eine Hochgeschwindigkeits-Rennstrecke quer durch das Land – von St. Gallen nach Genf – bauen oder für das gleiche Geld die Strecken und Bahnhöfe im ganzen Land so ertüchtigen sollte, dass für möglichst viele – im Idealfall: alle – Quell- und Zielbahnhöfe optimale Reisezeiten garantiert würden. Wie wir alle wissen, entschieden sich die Schweizer für das letztere: dem Integralen Taktfahrplan (kurz: ITF) war der Weg geebnet, d.h. dem Prinzip, die Züge an den Bahnknoten möglichst gleichzeitig ankommen und abfahren zu lassen, um damit optimale Umsteigezeiten zu erreichen und unnötiges Warten zu vermeiden.
In Deutschland war man zur gleichen Zeit mit dem Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken beschäftigt, dazu wurde die verhängnisvolle Bahnrückbau-Politik fortgesetzt, der seit 1960 bis heute mehr als 20 % des deutschen Schienennetzes zum Opfer gefallen sind. Auch die „Bahnreform“ von 1994 brachte keinen Systemwechsel hin zu einer Flächenbahn nach Schweizer Vorbild und auch keinen „Deutschland-Takt“, sondern neben endlosen Privatisierungs-Debatten, weiterem Streckenabbau (hauptsächlich auf ehemaligem DDR-Gebiet) und später mit der InterRegio-Vernichtung gab es ein paar neue Hochgeschwindigkeits-Projekte sowie unter dem damaligen Bahnchef Dürr die „21er- Bahnhofsprojekte“ in Frankfurt, Stuttgart und München – alles verkappte Immobilienprojekte, die die Bahn möglichst tief unter die teure innerstädtische Erde verbannen sollten. Ausgerechnet das widersinnigste, teuerste und gefährlichste dieser Projekte, Stuttgart 21 hat sich immer wieder wie Phönix aus der Asche gehoben und dabei immer weiter zum Dauer-Pleitegeier gemausert – dagegen protestieren wir hier heute zum 445. Mal! weiterlesen