Nach der Wahl: Wir müssen weitermachen

Rede von Joe Bauer, Stadtflaneur, Autor und Journalist, auf der 746. Montagsdemo am 24.2.2025

Liebe Stuttgarter Protest-Gemeinde,

im Auftrag einer großen christdemokratischen Führerfigur grüße ich heute hier auf dem Schlossplatz alle grünen und linken Spinner, die noch demonstrieren. Reagiert auf diese Worte unseres designierten Kanzlers bitte, bitte nicht mit Empörung: Wer keinerlei Charisma hat und rhetorisch nur den Steinbruch-Sound beherrscht, der äfft halt in seiner geistigen Not Donald Trump nach. Und bedient mit seiner Art Wortschatz das Niveau, das einem großen Teil seiner Gefolgschaft entspricht. Und damit gut.

Heute, an diesem denkwürdigen 24. Februar 2025 gehe ich mal mit gutem Gewissen davon aus, dass die meisten von euch die Wahlen gestern nicht nur am Fernseher verfolgt, sondern aktiv an dieser Veranstaltung teilgenommen haben. Was dabei herausgekommen ist, kann ich natürlich nicht euch anlasten. Vielmehr bin ich voller Hoffnung, dass ihr das Richtige getan habt, um vielleicht doch noch zu retten, was womöglich nicht mehr zu retten ist. Die Partei mit ihren Rechtsextremen hat ihren Stimmenanteil verdoppelt – das ist eine zwar erwartbare, aber äußerst bedrohliche Nachricht.

Das allgemeine Wahlrecht ist eine demokratische Errungenschaft. Mit den Wahlversprechen allerdings haben speziell die Gegnerinnen und Gegner von Stuttgart 21 in den vergangenen Jahrzehnten nicht die besten Erfahrungen gemacht. Auf der anderen Seite ist der große, lang anhaltende Protest gegen ein widersinniges Immobilienprojekt, das in erster Linie Profitinteressen dient, eine wichtige Erfahrung: Es gibt eine starke demokratische Kraft im außerparlamentarischen Raum. Nutzen wir sie – auch weiterhin!

Gerade Stuttgart 21 erzählt uns so ziemlich alles über die demokratische Praxis in diesem Land. Ich will hier gewiss nicht die alten Geschichten aufrollen, etwa die Volksabstimmung, die diesen Namen nie verdient hatte. Diese Abstimmung wurde mit allen denkbaren Mitteln und Tricks manipuliert. Wie gesagt: eine alte Geschichte. Doch diese politische Machtwillkür ging und geht munter weiter. Erst neulich hat Werner Sauerborn in seiner Rundmail ein ganz alltägliches Beispiel des undemokratischen Umgangs mit den Menschen beschrieben: „Eilanträge ignorieren, täuschen, tricksen... in S21-typischer Manier setzt sich die Stadt über alles hinweg und hat inzwischen mit der Fällung von 134 Bäumen auf dem Areal neben den Wagenhallen begonnen.“

Stuttgart 21 ist nur ein Beispiel für große politische Ungerechtigkeiten auf Kosten von Menschen und Umwelt. Es sind aber solche politische Machenschaften gegen demokratische Gesetze und Regeln, die Missmut, Zorn und Wut in der Bevölkerung hervorbringen. Nicht alle reagieren mit der dummen Trotzigkeit, eine rechtsextreme Partei zu wählen. Aber soziale Ungerechtigkeiten schaffen einen erheblichen Teil des Nährbodens für den Erfolg der Rechten, der Völkischen, der Nazis. Selbstverständlich liegt es an uns, nicht die falschen Schlüsse und Konsequenzen aus einer falschen Politik der Herrschenden zu ziehen.

Von einigen werden die Rechtsextremen nicht unbedingt aus voller nationalistischer und rassistischer Überzeugung gewählt. Manchmal reichen existenzielle Ängste und privater Ärger, um gegen die da oben zu stimmen – ohne Rücksicht darauf, dass die andern, die Rechten, noch eine viele miesere Politik machen. Hauptsache, die Regierenden bekommen ihren Denkzettel.

Falsch wäre es dennoch, die inzwischen weit verbreiteten rassistischen und demokratiefeindlichen Gesinnungen als Protesthaltung zu rechtfertigen. Wir leben in einem gesellschaftlichen Klima, in dem sich Nationalismus und Rassismus ausgebreitet haben.

Allerdings müssen wir verstehen, wie faschistisch geprägtes Verhalten zustande kommt. Daran ist nicht allein die fehlende Bildung schuld – nachweislich gibt es auch genügend gut Gebildete, die diese Partei mit ihren Rechtsextremen unterstützen. Es sind durchaus soziale Ungerechtigkeiten, die für den bedrohlichen Rechtsruck in unserer Gesellschaft und in vielen anderen Ländern der Welt mitverantwortlich sind. Und über diese Missstände wird zu wenig geredet, dagegen wird zu wenig protestiert.

Eingeladen wurde ich für die heutige Montagsdemo auch, um auf die nächste Kundgebung unseres Netzwerks Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie aufmerksam zu machen. Sie findet am kommenden Samstag, 1. März, hier auf dem Schlossplatz statt. Beginn ist um 13 Uhr. Wir haben ein starkes Programm aus einem wirklich breiten politischen Spektrum – und dazu gibt es Musik, Tanz und Kabarett. Wir wollen signalisieren: Unser politischer Einsatz muss auch nach der Wahl weitergehen!

Unsere Initiative haben wir als kleines Team im Sommer 2023 gegründet, seitdem mehrere Kundgebungen organisiert, die Aktionen anderer Initiativen unterstützt und regelmäßig Saal-Veranstaltungen und Workshops auf die Beine gestellt.

Immer wieder taucht die Frage auf: Was sollen denn Aktionen gegen rechts bringen? Ich muss das mit einer Gegenfrage beantworten: Was passiert eigentlich, wenn wir nichts tun? Sollen wir die Rechtsextremen ungehindert schalten und walten lassen? Jede Aktion gegen rechts schafft einen Ort der Begegnung, einen Treffpunkt. Wir zeigen damit Menschen, die sich vor der aktuellen Entwicklung fürchten: Ihr seid nicht allein. Wir können und müssen uns zusammentun. Das ist beim Blick auf unsere Geschichte bitter nötig.

Regelmäßig weisen wir in unserem Netzwerk darauf hin: Um dem Vormarsch der Rechtsextremen etwas entgegenzusetzen, müssen wie raus aus den üblichen Blasen. Wir müssen ideologische Scheuklappen ablegen und demokratische Kräfte über die Grenzen von Parteien und Organisationen hinweg bündeln. Wir müssen kleinkarierte Streitereien vermeiden, die deutsche Vereinsmeierei vergessen. Wir müssen mit Aktionen Räume für Dialoge und Zusammenarbeit öffnen. Menschen, die sich für demokratische Errungenschaften und Freiheiten einsetzen, haben ganz sicher alle Tassen im Schrank – jedenfalls mehr, als das wortwörtlich ein schwarzer Wüterich namens Friedrich für sich und seine Anhängerschaft in Anspruch nimmt.

Wie gesagt, für unsere Initiative ist es wichtig, uns mit dem sozialen Nährboden für den Rechtsruck auseinanderzusetzen. Die Folgen der herrschenden Politik für die Menschen zu benennen, auf die Verhältnisse und Zustände bei uns hinzuweisen.

Deshalb noch einmal: Wir brauchen mehr Gerechtigkeit! Eine menschengerechte Wohnungspolitik, bessere Bezahlung in vielen Bereichen – und man kann es nicht oft genug sagen: Wir brauchen endlich Umverteilung – von oben nach unten, nicht umgekehrt. Der Monsterreichtum zahlreicher Milliardäre ist eine Gefahr für jede Demokratie – das sagen inzwischen sogar einige Reiche. Deshalb das Motto unserer Initiative Gemeinsam gegen rechts mit dem Zusatz: Für eine bessere Demokratie.

Es ist ein Irrtum, man könne den faschistischen Vormarsch allein mit einem Nein zu einer rechtsextremen Partei stoppen. Und es ist zu eng gedacht, Demos nur unter dem Motto auszurufen: Wir sind die Brandmauer. Es brennt in vielen Teilen unserer Gesellschaft, viele kämpfen mit existenziellen Problemen. Und genau damit müssen wir die herrschenden Parteien jetzt konfrontieren.

Und wir müssen solidarisch sein: Wenn Kolleginnen und Kollegen mit Verdi um bessere Bedingungen im öffentlichen Dienst kämpfen, dann ist das auch unsere Sache. Wir dürfen nicht sagen: Scheiß Streik, meine Bahn fährt nicht. Wir müssen sagen: Der Kampf für bessere Lebensbedingungen ist eine Kampf für die bessere Demokratie. Und damit auch ein Kampf gegen rechts.

Oft wird gefragt, was gegen rechts für uns bedeutet. Mit dem Begriff rechts ist die extreme Rechte gemeint. Deren Gesinnung hat allerdings längst auch die sogenannte Mitte erreicht. Der braune Sumpf reicht also weit über eine Partei hinaus.

Nach einer aktuellen Umfrage des SWR sind fast 50 Prozent der Bevölkerung in Baden-Württemberg dafür, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Diese Partei, so sagt man immer wieder fahrlässig, sei nur in Teilen rechtsextrem. Aber man muss doch wissen: Ein Kübel Dreck im Pool vergiftet nicht nur einen Teil des Wassers, sondern den ganzen Pool.

Die Propaganda der Rechtsextremen und ihrer Vasallen hat es geschafft, die Migration zum alles beherrschenden Wahlthema aufzubauschen. Doch selbst wenn wir der Meinung sind, dass es eine andere Migrationspolitik als bisher braucht, so muss doch klar sein: Abschiebungen werden nicht den Einsturz kaputter Brücken verhindern. Noch mehr Grenzkontrollen werden keine maroden Schulhäuser reparieren. Und das brandgefährliche Sündenbock-Denken wird nicht die steigenden Lebensmittelpreise stoppen. Was erschwerend hinzukommt: Von den Fluchtursachen spricht in der offiziellen Politik kein Mensch mehr.

Kurzum: Den Rechtsstaat verteidigt man nicht mit einer Politik, die den Rechtsstaat und die Menschenrechte missachtet.

Und damit komme ich zum Schluss: Seht diesen Schlossplatz weiterhin als einen demokratischen Ort der Begegnung. Weitere Aktionen müssen folgen. Nicht nur gegen Stuttgart 21. Geht auf die Straße. Vor alle auch jetzt, nach der Wahl. Es gibt viel zu tun – für die Sache der Gerechtigkeit.

Vielen Dank.

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