Rede von Dr. Werner Sauerborn, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der 736. Montagsdemo am 9.12.2024
Liebe Freundinnen und Freunde,
„wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.“ In diesem Sinne will ich Euch berichten über die Sachverständigenanhörung des Verkehrsausschusses des Bundestags zum Thema AEG § 23 am letzten Dienstag. Dazu hatte mich die Gruppe Die LINKE, bzw. Bernd Riexinger als deren Obmann im Ausschuss, als Sachverständigen zu Stuttgart 21 benannt.
Ihr wisst, es geht um eine Neufassung des Gesetzes, das die Entwidmung des Kopfbahnhofs samt Gäubahnanschluss und Abstellbahnhof verunmöglichen würde – dass die Bahn die Flächen, die sie dringend brauchen wird, dann zu einer Brache verkommen ließe, ist natürlich unlogisch und dümmlicher Populismus. Der Kopfbahnhof würde bleiben.
Konkreter Anlass der Anhörung war ein Antrag der CDU-CSU-Fraktion, die die Reform wieder komplett rückgängig machen will – ein Ergebnis aufwändiger Lobbyarbeit, bei dem die Stuttgarter Tunnelparteien den Städtetag und den hiesigen Mieterverein einzuspannen wussten. Der Ablauf solcher Anhörungen ist streng reglementiert. Alle Sachverständige können vorab ein Statement einbringen und haben 2 x 8 Minuten Redezeit. Beides haben wir so gut wir konnten genutzt.
Ihr müsst Euch vorstellen: von Berlin aus ist Stuttgart weit. Und über die Medien erreicht wenig die Hauptstadt, und wenn, dann oft einseitige Berichterstattung wie von den beiden Stuttgarter Print-Platzhirschen. Mein und unser erstes Ziel war also, Fakten zu liefern. Das kam dann ziemlich komprimiert rüber. Ich hatte aber den Eindruck, dass viele Ausschussmitglieder überrascht waren und gut zugehört haben.
Angekommen sein dürfte z.B., dass es bei der Diskussion ums AEG gar nicht generell um Stuttgart 21 geht, sondern allein um das dahintersteckende Stuttgarter Immobilienprojekt, für das die ganze Republik bluten soll. Angekommen sein dürfte auch, dass Wohnungen frühestens in den 40er Jahren zu erwarten sind, und dass es plausible klimapolitische Bedenken gibt. Und sicher sind auch unsere Argumente aufgenommen worden, dass die Kapazität des Kopfbahnhofs unverzichtbar ist und auf keinen Fall durch den unterdimensionierten Tiefbahnhof ersetzt werden kann. Da die meisten wohl davon ausgegangen sind, dass es allenfalls eine Frage der Zeit sein würde, dass S21 in Betrieb geht, dürfte sie überrascht haben, dass es daran massive und gut begründete Zweifel gibt – Stichwort Brandschutz und Überflutungsrisiko.
Schon im Konflikt um die Gäubahn hat sich gezeigt – ihr habt die Rede von Andreas Frankenhauser am letzten Montag gehört – dass es bemerkenswerte Verschiebungen und Risse bei den bisher Befürwortenden gibt. Das war auch im Streit um die Freigabe der weiteren ETCS-Mittel im Lenkungskreis am Freitag zu beobachten. Auch in Berlin ging es um den Konflikt: hier Stuttgart 21 – dort bundesweite Interessen. Solche Interessen-Differenzierungen waren auch bei der Anhörung in Berlin zu beobachten.
So haben die Grünen nicht ihren Parteifreund Peter Pätzold als Sachverständigen benannt, sondern den renommierten Eisenbahnrechtler Prof. Urs Kramer, der auch uns oft gut beraten hat. Der Stuttgarter grüne Baubürgermeister Peter Pätzold war aber dennoch als Sachverständiger dabei – warum? Weil ihn die CDU/CSU-Fraktion nominiert hatte und er deren Rückschritt-Antrag vertrat, der von Kramer und allen Verkehrs- und Umweltorganisationen vehement abgelehnt wurde.
Bemerkenswert auch der Auftritt von Matthias Gastel, der ja eher als Meister der Grätsche bekannt ist: Eindeutig sein Plädoyer gegen den Pfaffensteigtunnel und für den direkten Gäubahnanschluss, für den man dann eben einen Teil der geplanten Bebauung opfern müsse. Auch die Landesgrünen haben ja auf ihrem Landesparteitag am Wochenende zumindest in der Gäubahnfrage die Vasallentreue gegenüber der Stuttgart-21-Politik der grün geführten Landesregierung aufgegeben: „Die Grünen Baden-Württemberg lehnen die für 2026 geplante Abhängung der Gäubahn vom Stuttgarter Hauptbahnhof ab“!
Die SPD machte im Verkehrsausschuss eine fity-fifty-Benennung. Es war wohl eher die Bundes-SPD, die mit dem Vorstand der Bentheimer Eisenbahnen einen vehementen Verteidiger der jetzigen AEG-Fassung zu Wort kommen ließ. Dann musste wohl noch eine Konzession an die Stuttgarter S21-Genossen sein – und die hieß Rolf Gassmann, Vorsitzender des Stuttgarter Mietervereins. Wieder einmal gerierte sich Gassmann als braver SPD-Parteisoldat und meinte, mit der Rosensteinbebauung Mieterinteressen zu vertreten.
Juristische Feinkost bot dagegen Prof. Urs Kramer. Sachlich und ohne jede Polemik nahm er den CDU/CSU-Antrag auseinander, warnte dringend ihn anzunehmen und konterkarierte damit die Argumentation von Pätzold und der S21er-Riege. Kramer hatte ja schon 2013 ein Gutachten für die Grün-Rote Landesregierung erstellt, in dem er warnt, die Gleisflächen seien nicht so einfach zu entwidmen. Das war natürlich auch Pätzold bekannt, den ich passenderweise vor dem Ausschuss mit folgender Aussage auf unserer Samstagsdemo im Januar 2013 konfrontieren konnte: „Einem Entwidmungsverfahren würde vermutlich nicht stattgegeben ... d.h. das, was sich die Befürworter ausmalen, man würde hier die blühenden Landschaften bekommen, würde nicht stattfinden, sondern weiterhin hätte man die Gleisflächen für Eisenbahnverkehr.“
Dass Pätzold und Winne Hermann, der das Kramer-Gutachten als Verkehrsminister damals in Auftrag gegeben hatte, sich nun als Betrogene inszenieren und empört von Vertrauensbruch reden, ist gelinde gesagt scheinheilig. Man will davon ablenken, dass die Katze im Sack gekauft wurde. Das erinnert an den Schaden, den Andi Scheuer verursacht hat, als er unter Ignorierung der rechtlichen Risiken die Autobahnmautpläne weiterführte. Auch das konnte ich im Ausschuss ansprechen.
Süffisant dann die Frage des FDP-Vertreters, ob die Stadt denn nicht mitbekommen habe, dass die Flächen gewidmet sind, ob es da ein Kommunikationsproblem gegeben habe, und – besonders schön – ob der Kaufpreis für die Flächen vielleicht niedriger war, weil sie eben mit dem Nachteil einer Widmung für den Bahnverkehr behaftet waren.
Kramer machte aber auch deutlich, dass es bei der jetzigen verschärften Entwidmungsregelung durchaus ein Abwägungsgebot gäbe. Allerdings müsse dann das überragende öffentliche Interesse am Bahnverkehr überboten werden. Und – anders als jetzt – müsse dies in einem nachvollziehbaren Tatsachenvortrag begründet sein. Das dürfte bei S21 kaum gelingen. Eben, weil es dieses Abwägungserfordernis gebe, hält Kramer den Gang der Stadt vors Bundesverfassungsgericht von vornherein für aussichtslos.
Wie geht’s jetzt weiter?
Wir hatten ja befürchtet, dass die Tunnelparteien in einem kurzen Prozess den neuen Paragraf 23 AEG wieder abräumen würden. Dem war überhaupt nicht so. Die Mehrheit der Parteien und der Sachverständigen schien die jetzige erschwerte Entwidmungsregelung erhalten zu wollen – wir natürlich auch. Denn sie ist ganz unabhängig von Stuttgart 21 ein wichtiger Meilenstein für die Verkehrswende. Sie beschränkt ganz massiv die jahrzehntelange Entwidmerei, die ja immer der juristische Modus ist, über den Schienen, Weichen und Gleisanschlüsse abgeräumt wurden. Es gehe hier um das Allgemeine Eisenbahngesetz und nicht um eine Lex Stuttgart 21, wurde meist betont. Es dürfe das gute Gesetz nicht an dem Streit um S21 scheitern. Das Thema Stuttgart 21 war aber allgegenwärtig in den zwei Stunden, was zeigt, dass allen klar ist, dass es bei dem Antrag der CDU/CSU um nichts anderes als um eine Lex S21 ging.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass es weiter Versuche geben wird, ein Hintertürchen für S21 offen zu halten. Das wird aber eine Quadratur des Kreises, weil ja gerade Stuttgart 21 die Sinnhaftigkeit der jetzigen Regelung belegt.
Ein Votum könnte der Ausschuss in seiner nächsten Sitzung abgeben. Regulär wäre die am 18. Dezember. Klar dürfte aber auch jetzt schon sein, dass der CDU/CSU-Antrag mit Pauken und Trompeten durchgefallen ist, so dass uns das Thema und damit die große darin liegende Chance noch bis in die nächste Legislaturperiode erhalten bleiben wird.
Für uns vor Ort heißt das: wir fordern die Stadt auf, die Planungen und die Werbung für das Rosensteinquartier einzustellen, und die personellen und finanziellen Ressourcen in die vielen Bereiche umzuleiten, wo es wirklich Brachen, nämlich in der Daseinsversorgung, gibt.
Ich glaube also, unsere Beteiligung an der Anhörung hat wirklich was gebracht. Vielen Dank allen, die mich mit Hinweisen und Argumenten unterstützt haben, auch wenn ich nicht alles aus Zeit- und Platzgründen aufnehmen konnte.
Und noch etwas: Wir sind als Aktionsbündnis parteiunabhängig und als Bewegung allgemein ja auch. Aber diese Sache zeigt, wie wichtig es ist, in den Parlamenten eine Partei zu haben, die unseren Argumenten Gehör verschafft. Das ist im Gemeinderat die Linksfraktion, also SÖS und Linke, im Landtag fehlt sie uns schmerzlich, und im Bundestag war es jetzt die Gruppe Die LINKE, die mich eingeladen hat. Der Gedanke einer Vertretung in den Parlamenten sollte bei allen unseren Wahlentscheidungen ein Kriterium sein.
Die Aussichten, dass wir OBEN BLEIBEN, stehen gut.