Rede von Kathrin Hartmann, Journalistin und Autorin, auf der 734. Montagsdemo am 25.11.2024
Liebe Freundinnen und Freunde,
ich habe ein Déjà-vu. Und das liegt nicht allein daran, dass ich heute vor acht Montagen schon einmal hier vor euch gesprochen habe. Es liegt an der Klimakonferenz, die gerade im aserbaidschanischen Baku zu Ende gegangen ist. Es ist die dritte Klimakonferenz in Folge, die in einem autoritären Petrostaat abgehalten wurde, in dem das meiste Geld aus den Öl- und Gasquellen sprudelt und in dem Oppositionelle und Kritiker:innen verfolgt und weggesperrt werden. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev lobte Öl und Gas als „Geschenk Gottes“, und besser kann man die Verfasstheit des globalen Klimaschutzes eigentlich kaum in Worte fassen.
Vor knapp drei Wochen wurde in den USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Mit dem Slogan „Drill Baby, Drill“ hat der bekennende Öl-Fan für sich geworben und damit, noch mehr fossile Rohstoffe aus Naturschutzgebieten zu holen und die Förderung zu deregulieren. Nun hat Trump Chris Wright als Energieminister nominiert. Der ist Chef des Öl- und Frackinggas-Unternehmens Liberty Energy und leugnet die Klimakrise. Die Empörung über diese beängstigenden Ereignisse ist, zu Recht, riesig. Aber verlogen ist sie auch. Jedenfalls von politischer Seite.
Genau genommen war die Klimakonferenz in Dubai die bislang ehrlichste der Welt: zwar empörten sich die Medien lauthals darüber, dass ausgerechnet Sultan Ahmed Al Jaber, Industrieminister und Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc, die 28. Weltklimakonferenz eröffnete. Ein Öl-Manager! Eröffnet die Klimakonferenz! In Dubai! Ausgerechnet! Was für ein Widerspruch! Realsatire!
Aber machen wir uns nichts vor: Seit dem berühmten Umweltgipfel in Rio 1992, an dem beschlossen wurde, die Klimakrise abzuwenden, sind die Treibhausgasemissionen um 70 Prozent gestiegen. 2023, als ein Hitzerekord den nächsten jagt, sind die Emissionen aus Öl, Gas und Kohle mit 36,8 Milliarden auf einem historischen Höchststand. Viele der Länder, die bei den Verhandlungen in Dubai offiziell den Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle unterstützen, planen in Wahrheit fossile Industrieprojekte, die bis 2030 mehr als doppelt so viele fossile Brennstoffe produzieren werden, als mit dem 1,5-Grad-Ziel zu vereinbaren ist. Laut der Datenbank Global Oil and Gas Exit List (GOGEL) suchen oder erschließen 96 Prozent der 700 dort erfassten Förderunternehmen neue Öl- und Gasfelder. 2022 sind die Subventionen für fossile Brennstoffe weltweit auf einen Rekordwert von sieben Billionen US-Dollar gestiegen. Das ist mehr Geld, als weltweit in Bildung fließt. Angesichts dessen kommen klimaschützende Ölmonarchen beziehungsweise Gas-Autokraten als Projektionsfläche gerade recht.
Präsident Joe Biden, der sich den Anschein des Klimaschützers gibt und noch im Wahlkampf 2020 versprochen hat, keine Ölbohrungen auf Land zu erlauben, das dem Bund gehört, erteilt mehr Bohrgenehmigungen auf staatlichem Grund als sein ölbesessener Vorgänger und Nachfolger Donald Trump. Besonders umstritten: das Willow Projekt im Nordwesten Alaskas. Dort kann der Konzern ConocoPhillips mehr als dreißig Jahre Öl fördern. Dafür müssen mitten in Alaskas ursprünglicher Natur Bohrplattformen, Straßen, Pipelines und Flugplätze gebaut werden.
Nun wird befürchtet, dass Trump den Inflation Reduction Act abschaffen könnte. Joe Biden hat das 370 Milliarden Dollar schwere Hilfsprogramm 2022 aufgelegt. Es sollte Energie, Infrastruktur und die heimische Industrie durch Subventionen und Steuererleichterungen voranbringen und klimafreundlich machen. Was die wenigsten wissen: Bindens Programm geriet auch zum Förderprogramm für die fossile Industrie. Etwa die Hälfte des im Gesetz zur Reduzierung der Inflation vorgesehenen Budgets fließt in gefährliche Scheinlösungen wie Carbon Capture, also das Einfangen von CO2. Davon profitiert vor allem die Öl- und Gasindustrie, die mit solchen CCS-Projekten ihr fossiles Kerngeschäft durch Subventionen vergolden und außerdem grünwaschen kann.
CCS ist keine Technologie für den Klimaschutz, sondern zur Ölförderung. Von industriellen Prozessen abgespaltenes CO2 wird in den USA schon seit mehr als hundert Jahren dafür verwendet, um es in Erdölstollen zu pumpen und daraus mehr Öl zu gewinnen. Enhanced Oil Recovery nennt sich dieses Verfahren, mit dem die Öl-Ausbeute um 60 Prozent gesteigert werden kann. Dreiviertel der bereits bestehenden CCS-Projekte in den USA nutzen eingefangenes CO2 zur Erdölgewinnung. Die wichtigste Subvention für CCS ist ein Steuererlass namens 45Q (nach dem gleichlautenden Abschnitt im Steuergesetz). Unternehmen bekommen damit pro Tonne abgeschiedenem CO2 eine Steuergutschrift von 85 Dollar, wenn es anschließend gespeichert wird. Und 60 Dollar pro Tonne CO2, wenn das CO2 abgespalten und zur Enhanced Oil Recovery genutzt wird. Öl aus dieser Form der Gewinnung gilt dann als klimafreundlich – ein staatliches Ölförderprogramm im Namen des Klimaschutzes: Besser könnte es für Big Oil gar nicht laufen.
Und Deutschland? Die deutsche Bundesregierung hat, vorangetrieben auch vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck, ein LNG-Beschleunigungsgesetz verabschiedet, das es ermöglicht, Flüssig-
erdgas-Terminals ohne Umweltverträglichkeitsprüfung an deutsche Küsten zu knallen. Diese neue fossile Infrastruktur ist auf Jahrzehnte angelegt. Das Flüssigerdgas wird vor allem aus den USA importiert und wird dort mit Fracking gewonnen – der umwelt- und klimaschädlichsten Form der Energiegewinnung. Dabei ist importiertes Fracking-LNG noch klimaschädlicher als die Verbrennung von Kohle und Methan. Gerechtfertigt wurde der Ausbau mit Energiesicherheit nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. De facto hat importiertes LNG kaum zur Gasversorgung beigetragen. Fossiler Lock-in statt Klimaschutz.
Hinter dem Hype um LNG stecken von Anfang an geopolitische Interessen: Im Handelsstreit mit der EU drohte US-Präsident Donald Trump 2018 mit Strafzöllen für die europäische Stahl- und Autoindustrie. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schließt mit Trump einen Deal, der LNG-Exporte in großem Stil aus den USA nach Europa ermöglicht, wenn Trump auf Strafzölle verzichtet. Nach dem Trump-Juncker Deal steigen die LNG-Importe in die EU zwischen 2018 und 2022 um sagenhafte 2418 Prozent. Geschichte wiederholt sich – und so hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Donald Trump direkt nach der Wahl angeboten, mehr LNG aus USA nach Europa zu importieren. Es geht abermals darum, Handelskonflikte zu vermeiden, weil Trump wieder Strafzölle angekündigt hat. So wird weiter Öl ins Feuer gegossen.
In Dubai wurde das Abschlussdokument als „historisch“ gefeiert, weil sich die Weltgemeinschaft nach harten Verhandlungen auf den äußerst vage formulierten „Übergang weg von fossilen Energieträgern“ einigen kann. Tatsächlich gibt es dazu nichts Verbindliches, und die Abschlusserklärung ist voller Schlupflöcher und Scheinlösungen, die von fossilen Lobbygruppen seit Jahren propagiert werden. Hinter den dort erwähnten „emissionsarmen“ Technologien, die für diesen „Übergang“ beschleunigt entwickelt werden sollen, verbergen sich vor allem das Einfangen und Speichern oder das Nutzen von CO2.
Nun tritt Baku in Dubais Fußstapfen. Wieder ist es der Öl- und Gaslobby gelungen, alle notwendigen Beschleunigungen zum Ausstieg von Kohle, Öl und Gas zu blockieren. Gleichzeitig wurden die Länder des globalen Südens, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, aber am meisten unter ihr leiden, abermals über den Tisch gezogen. Auf gerade einmal 300 Milliarden Dollar Klimafinanzierung jährlich konnten sich die Länder des Nordens einigen. Das wird nie und nimmer ausreichen, gefordert waren 1,3 Billionen pro Jahr.
Doch als allererstes wurde in Baku hinter verschlossenen Türen ein weiterer übler Deal ausgehandelt: Regeln und Standards für den bilateralen Emissionshandel, dem Artikel 6 aus dem Paris-Abkommen. Damit können Staaten, anstatt ihren CO2-Ausstoß tatsächlich zu senken, Zertifikate kaufen und sich auf dem Papier klimaneutral rechnen. Sie stammen aus Waldschutz- oder Aufforstungsprojekten im globalen Süden, und mittlerweile ist es hinreichend belegt, dass diese Zertifikate reiner Bluff sind. Im besten Fall sind sie nur das, im wahrscheinlichsten verletzt der Bluff Menschenrechte, weil für Waldschutz- und Aufforstungsprojekte grüner Landraub stattfindet. Was also für den globalen Norden wieder ein Grund zu feiern ist, das ist für den globalen Süden fatal.
Hauptverhandlungsführer der COP 29 Yalchin Rafiyev sagte: „Dies wird ein bahnbrechendes Instrument sein, um Ressourcen in die Entwicklungsländer zu lenken und uns zu helfen, bei der Umsetzung unserer Klimapläne bis zu 250 Milliarden Dollar pro Jahr einzusparen“. Mit anderen Worten: Reiche Länder können sich damit weiter um die Klimafinanzierung drücken, wenn arme Länder Zertifikate verkaufen. Das bedeutet aber, dass diese Länder ihre Wälder nicht anrechnen dürfen, um eigene Klimaziele zu erreichen. Sie müssen nun selbst teure Zertifikate kaufen, fürchtet Joe Romm von der Universität Pennsylvania: „Die reicheren Länder zahlen, um ihre ursprünglichen Klimaziele abzuschwächen, während sie die Last auf die ärmeren Länder abwälzen, die ihre ursprünglichen Ziele erhöhen müssen“. Kohlenstoff-Kolonialismus also statt Klimagerechtigkeit. Und Öl ins Feuer statt Klimaschutz.
Wie genau dieser Ablasshandel mit Waldschutzzertifikaten läuft und was hinter dem LNG-Boom steckt: das lese ich im Anschluss im Kunstverein aus meinem Buch „Öl ins Feuer“ vor.
Kathrin Hartmann, Journalistin und Buchautorin, hat als Redakteurin für Nachrichten und Politik bei der Frankfurter Rundschau und beim Neon Magazin gearbeitet. Sie hat unter anderem die Bücher „Ende der Märchenstunde“, „Wir müssen leider draußen bleiben“, „Aus kontrollierten Raubbau“ und die „Die grüne Lüge“ im Blessing Verlag veröffentlicht. Letzteres ist das Buch zum Dokumentarfilm „Die grüne Lüge“, an dem sie mit dem österreichischen Regisseur Werner Boote gearbeitet hat und der 2018 in die Kinos kam. Hartmann arbeitet im Rechercheteam von Die Anstalt im ZDF und Mitternachtsspitzen im WDR. Ihr Buch „Öl ins Feuer“ erschein im Juli 2024 bei Rowohlt.