Rede von Dipl-Ing. Frank Distel, Schutzgemeinschaft Filder e.V. und Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der 729. Montagsdemo am 21.10.2024
Liebe Freunde und Mitstreiter!
Die Spatzen pfeifen es schon seit Jahren von allen Dächern – wir Gegner des miserabelsten Bahnprojekts deutscher Eisenbahngeschichte wussten das von Anfang an: Dieses schmalbrüstige und zudem gefährliche Tief-Schief-Bahnhöfchen taugt nicht einmal für den heutigen Fahrplan in befriedigender Betriebsqualität. Erst recht taugt dieser Haltepunkt keinesfalls für eine – über alle Parteien konsensuale – Verdoppelung der Bahnnachfrage.
Nur die S21-Protagonisten, Politiker in Bund, Land, Stadt, Region und die DB(akel) AG, wollen es wider besseres Wissen nicht wahrhaben, können ihren Irrtum einfach nicht offen zugeben, obwohl sie alle Pleiten und Pannen ihrer Fehlplanung längst kennen. Wie sagten doch einst die Bahnchefs Grube und Lutz? „Wenn wir damals alle Probleme gekannt hätten, wäre dieses Projekt nie begonnen worden.“ Sie haben es gewusst, liebe Zuhörer! Andernfalls sind sie für ihre Jobs disqualifiziert – was wohl auch zutrifft.
Die Bahn und der Landesverkehrsminister, auf den ich am Ende meines Beitrags noch zu sprechen komme, haben der Öffentlichkeit drei glasklare Offenbarungseide der Untauglichkeit geradezu auf dem Silbertablett serviert:
- Das Gutachten zu den erwarteten Personenströmen in dem unterdimensionierten Bahnhof. Danach ist die Tiefstation für Fahrgastströme von gerade mal 32 Zügen pro Stunde dimensioniert. Heute fahren im guten alten Kopfbahnhof 37 Züge pro Stunde!
- Um überhaupt noch zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist, plant man im neuen Bahnhof täglich über 100 – allseits bekannt-störanfällige – Doppelbelegungen der Bahnsteiggleise! Kein verantwortungsvoll agierender Planer käme auf den abstrusen Gedanken, einen neuen Hauptbahnhof mit Doppelbelegungen zu planen. Schon gar nicht bei den viel zu schmalen Bahnsteigen dieses Fehlprojekts.
- Die Schnapsidee des Verkehrsministeriums mit dem „Nahverkehrsdreieck“ – Ihr kennt das alles schon aus früheren Redebeiträgen. In buchstäblicher Hilflosigkeit gegenüber den realiter nicht mehr vorhandenen Lösungsmöglichkeiten – ich wiederhole, um zu retten, was längst nicht mehr zu retten ist – lässt man alle neu vom Land bestellten Regiozüge – das sind vor allem tägliche Pendlerzüge – in Feuerbach, Bad Cannstatt und Vaihingen starten und enden. Noch deutlicher kann man nicht mehr einräumen, dass der Tiefbahnhof nichts taugt! Wer auf einen solch absurden Gedanken kommt, muss offensichtlich den bahnbetrieblichen Verstand verloren haben. Will man im Verkehrsministerium nicht sehen, dass ein Hauptbahnhof vor allem davon lebt, dass sich alle Zugarten an einer Stelle treffen, für komfortable Umsteigevorgänge?
Also, drei glasklare Offenbarungseide, mit denen man – ohne rot zu werden – offen einräumt, dass der Tiefbahnhof zu klein ist.
Was nun, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer? Nun die Bahn und die immer noch blinden Pro-S21-Politiker haben es schon seit 10 und mehr Jahren bei jeder neuen Kostenexplosion versäumt, die Notbremsen zu ziehen und das einzig Richtige zu tun, einen der besten Hauptbahnhöfe in Deutschland für sehr viel weniger Geld zu sanieren und zu modernisieren. Jetzt stehen sie angesichts des Baufortschritts da, wie der vielzitierte Ochse vor der Apotheke und erfinden krampfhaft eine überteuerte Verschlimmbesserung nach der nächsten. Pfaffensteigtunnel, Nordzulauftunnel, P-Option… Als ob man immer noch Geld im Überfluss hätte. Statt innezuhalten, wirft man vergeudeten Milliarden für einen erwiesen schlechteren Bahnhof immer noch weiter gutes Geld hinterher!
Das Naheliegendste sehen sie nicht, nämlich, dass für einen ausreichend leistungsfähigen und vor allem zukunftstauglichen Hauptbahnhof jetzt kein Weg mehr am Erhalt oberirdischer Gleise vorbeiführt. Am allerbesten wäre der Erhalt des gesamten Kopfbahnhofs!
Weil Ihr das schon oft hier gehört habt, erspare ich Euch, welche Dutzende von unlösbaren Problemen dieser Fehlplanung mit einem Schlag gelöst wären. Stellvertretend für alle erwähne ich aus aktuellem Anlass den so dringenden, dauerhaften Erhalt der für die Stadt selbst, für die Anrainerstädte, den Bodensee und für die Schweizer Bahninteressen so bedeutsamen Gäubahn in ihrer heutigen Streckenführung bis zum Hauptbahnhof oben!
Als erster Schritt muss endlich ein runder Tisch der Projektpartner zur Neuaufstellung der Finanzierungsvereinbarung ins Leben gerufen werden – am besten zusammen mit dem Bund. Für weniger als die Hälfte der Kosten, allein des absurden Pfaffensteigtunnels, kann man die Panoramastrecke und den Kopfbahnhof sanieren und modernisieren – und zwar unter rollendem Rad, um Vollsperrungen zu vermeiden!
Diese, längst überfällige Weichenstellung, liebe Zuhörer, bedeutet aber – und damit bin ich bei der heutigen Überschrift – die Stadt Stuttgart muss endlich begreifen, dass ihr Städtebauprojekt größtenteils nicht wie geplant verwirklicht werden kann. Mal ganz abgesehen davon, dass auch die städtischen Planungsideen in sich selbst schwere Mängel haben. Dazu folgendes, was ich am 30.09.2024 beim Termin des Aktionsbündnisses mit Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper vortrug:
Wer es noch nicht getan hat, sollte mal einen Blick in den Rahmenplan der Stadt zu den drei Innenstadtquartieren auf den Gleisflächen werfen. Schaut Euch mal die Zahlen zu den geplanten Bauflächen an. Es lässt sich mit einfachen Mitteln aus städtebaulichen Erfahrungswerten über die Summen der für Wohnungsbau geplanten Bruttogeschossflächen mit ca. 20% Abzug die Summe der reinen Wohnflächen ermitteln.
Und jetzt haltet Euch bitte fest, denn ich bitte um Nachsicht für einige Zahlen:
Bei dem Mittelwert der Spanne geplanter Wohnungen zwischen 4.700 und 5.700 Einheiten, also bei angenommenen 5.200 Wohnungen, ergibt sich eine mittlere Wohnungsgröße von nur rund 68 m². Das wäre eine gute, akzeptable Zweizimmerwohnung, aber eine sehr kleine Dreizimmerwohnung. Sollte es zur geplanten maximalen Wohnungsanzahl von 5.700 Wohnungen kommen, dann reduziert sich die durchschnittliche Wohnungsgröße sogar auf knapp 62 m². Die Untergrenze des Rahmenplans von 4.700 Wohnungen ergäbe immerhin im Mittel 75 m². Dies aber um den Preis erheblicher Verteuerung der Wohnungen. Da ja tatsächlich in dieser Innenstadtlage mit Sicherheit auch zahlreiche größere Wohnungen und Penthäuser angeboten werden sollten, reduzieren sich die Flächen der Zwei- und Dreizimmer-Einheiten noch deutlich weiter nach unten, womöglich auf unter 60 m².
Bleiben wir mal als Rechenbeispiel bei den wahrscheinlichsten Mittelwerten und nehmen wir eine Wohnung mit der durchschnittlichen Wohnfläche von 68 m² für einen nicht subventionierten Marktpreis der Innenstadtlage von vorsichtig geschätzten 12.500.- Euro/m² Wohnfläche an. Ja, liebe Zuhörer, so hoch wird der Quadratmeterpreis der Wohnungen liegen – mindestens, wenn es nur reicht! Diese kleine Wohnung würde demnach 850.000.- Euro kosten – plus Kaufnebenkosten, also am Ende rund 910.000.- Euro. Wer, frage ich Euch, wäre so dämlich und würde eine solch‘ kleine Wohnung für einen derart astronomischen Kaufpreis erwerben? Ich behaupte, nicht mal die gut Betuchten; die werfen nämlich auch kein Geld zum Fenster raus!
Und für welche Personengruppen will die Stadt dort „bezahlbaren Wohnraum“ ermöglichen? Bekanntlich sind zahlreiche Kindergärten und Schulen in allen drei Quartieren geplant. Sollen also durchschnittlich 68 m² oder sicherlich noch deutlich kleiner und enger für Familien mit Kindern reichen? Das sind nämlich vor allem die Hauptbetroffenen der Wohnungsnot und daher die Klientel des bezahlbaren Wohnraums! Das Städtebauprojekt ist also trotz hoher Verdichtung mit überwiegend zu kleinen und viel zu teuren Wohnungen deutlich am Bedarf vorbeigeplant.
Hoffentlich eröffnen auch mal diese Erkenntnisse zum Städtebau auf den Gleisflächen eine Diskussion um dessen Sinnhaftigkeit in dieser Zone! Es steht nämlich die Frage der Vermarktbarkeit der Wohnungen der drei Quartiere auf der Tagesordnung. Entstehen hier – auch angesichts der Leerstände von Büroraum in der Stadt – womöglich sogar Bauruinen?
Wohlgemerkt, liebe Zuhörer, meine eben vorgetragenen Zahlen betreffen nur den Wohnungsbau. Dies alles ganz abgesehen davon, von wem und vor allem wie der vielberufene „bezahlbare Wohnraum“ subventioniert werden soll. Nach meiner Überzeugung entsteht dort niemals bezahlbarer Wohnraum! Die nackten Zahlen sprechen dagegen – und für marktübliche Kaufpreise sind vor allem die kleinen Wohnungen mit den teuren Kaufpreisen aus dem Lot.
Weiter, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, es muss endlich das verantwortungslose Zubauen der bedeutenden Frischluftschneise für das Gebiet der Neckarstraße bei der Stadt ins Blickfeld genommen werden – und zwar ohne Maulkorb für die Fachleute des städtischen Umweltamts! Durch die dichte Bebauung mit mittleren Gebäudehöhen von 21 Metern wird das Kaltluftentstehungsgebiet des heutigen Abstellbahnhofs vollständig zugebaut. Ferner werden die natürlichen, nächtlichen Kaltluftströme aus dem Rosensteinpark nahezu vollständig blockiert. Dadurch kommt der wichtige Luftaustausch mit dem am stärksten luftverschmutzten Stadtgebiet zum Erliegen. Auch insoweit ist Rosenstein eine kurzsichtige, stadtklimatisch nicht zu verantwortende Fehlplanung!
Zu guter Letzt steht über alledem bekanntlich die Kostenschätzung des Kämmerers für die Baufeldfreimachung, die Altlastenbeseitigung und die öffentliche Infrastruktur mit Gesamtkosten in Höhe von – vorläufig geschätzten – 1,6 Milliarden Euro im Raum. Das bedeutet, dass sich die Stadt finanziell sang- und klanglos an ihrem Städtebauprojekt verhebt. Ausweislich eigener Aussagen plant die Stadt Grundstückserlöse von rund 800 Millionen Euro. Es bleiben also erst mal ebenfalls rund 800 Millionen Kosten an der Stadt hängen. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu befürchten, dass sich am Ende noch weit ungünstigere Zahlen auf Soll- und Habenseite ergeben.
Damit, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, verbaut sich die Stadt Stuttgart auf Jahrzehnte hinaus ihre Zukunft, es sei denn, das Regierungspräsidium fällt der Stadt wegen bedrohlicher Überschuldung noch in den Arm! Es wäre dringend zu hoffen!
Last but not least zum Städtebau: woher weiß die Stadt eigentlich, ob sie in den Vierzigerjahren überhaupt noch diese Wohnungen in solch‘ extrem teurer Lage braucht? Mit großer Wahrscheinlichkeit reichen angesichts der sinkenden Einwohnerzahlen auch die beiden C-Areale nahe Pragfriedhof – also die „Maker-City“ – und andere, innerstädtische Gewerbebrachen, die für Wohnungsbau sinnvoller und kostengünstiger nach Bedarf aktiviert werden könnten.
Liebe Freunde, es wird nach alledem höchste Zeit, dass die städtebauliche Gigantomanie an falscher Stelle endlich durch schiere Vernunft abgelöst wird!
Zurück zu einem leistungsfähigen Hauptbahnhof: offensichtlich hat man bei der Stadt keinerlei Interesse an einem attraktiven und zuverlässigen Bahnverkehr als wichtige Standortfaktoren für Industrie, Gewerbe, Berufspendler und auch Touristen.
Zum Schluss, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ergreift mich erneut schiere Fassungslosigkeit! Endlich gehen durch die Klage der Deutschen Umwelthilfe zum erwähnten Erhalt der Gäubahn und vor allem durch den vor einem Jahr novellierten § 23 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes Türen weit auf, dass die oberirdischen Gleise gar nicht abgebaut werden dürfen, zumindest nicht für Wohnungsbau. Da meldet sich unser Landesverkehrsminister Winfried Hermann ohne Not zu Wort und verkündet einen Vertrauensbruch! Welchen Vertrauensbruch, frage ich? Ich würde mich gar nicht wundern, wenn die Haushaltsfachleute der Stadt – zuvorderst der Finanzbürgermeister und sein Kämmerer – insgeheim tief aufgeatmet haben, als sichtbar wurde, dass der extrem teure Städtebau Geschichte werden könnte und in der Stadt durch Rückabwicklung der Gleisflächen an die Bahn nebst entgangenen Zinsen sogar die Kassen klingeln könnten.
Anstatt die einmalige Chance zu nutzen, seine ureigenste Überzeugung gegen die Fehlplanung S21 endlich zum Durchbruch zu verhelfen, verbiegt sich Hermann unerträglich und stellt sich in einer Art Geschäftsführung ohne Auftrag hinter das zum Scheitern verurteilte Städtebauprojekt der Stadt. Zugleich verhindert er mit seiner Haltung die einzig verbliebene Chance, das Tiefbahnhöfchen via Erhalt oberirdischer Gleise zu einem attraktiven, leistungsfähigen Hauptbahnhof zu erweitern.
Das sind zwei verschossene Elfmeter nacheinander, Herr Minister Hermann!
Offen gesagt, ich verstehe diesen Mann nicht! Als Verkehrsminister will – und kann er – sowieso nicht mehr für eine weitere Legislatur antreten. Er hat daher nichts mehr zu verlieren und könnte endlich den Mund aufmachen im Sinne seiner wahren Überzeugung gegen diese fürchterliche Fehlplanung. Er muss sich doch morgens, wie jeder Mann, beim Rasieren im Spiegel anblicken. Kann er diesen Anblick angesichts der Aufgabe seiner eigenen Überzeugung ertragen? Ich könnte das nicht, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter!
Dasselbe gilt für seinen Ministerpräsidenten Kretschmann, der einst am Wahlabend 2011 auf Frage eines SWR-Journalisten, was nun aus Stuttgart 21 werde, wörtlich zu Protokoll gab: „Was soll aus Stuttgart 21 werden? Die Gegner sitzen jetzt in der Regierung“.
Die spätere Aussage des MP liegt noch nicht lange zurück. Ihr habt sie alle noch in den Ohren: „Die Gegner des Projekts hatten auf ganzer Linie Recht“. Folgerungen aus dieser richtigen Erkenntnis? NULL, liebe Freunde!
Mit diesem Beleg der Wendehalsigkeit der baden-württembergischen Landesregierung und dem Großteil der sie tragenden Partei der Grünen schließe ich mit Dank für Eure Aufmerksamkeit!
Oben bleiben!