Bodenversiegelung in Stuttgart

Rede von Luigi Pantisano, Fraktionsgemeinschaft „Die FrAktion“, auf der 727. Montagsdemo am 7.10.2024

Liebe Freundinnen und Freunde,

es ist mir immer wieder eine Freude, bei der Montagsdemo dabei zu sein. Euer Einsatz und Eure Hartnäckigkeit ist mir ein Vorbild. Ich werde wie Ihr ebenfalls hartnäckig bleiben und nicht nachlassen beim Kampf für eine solidarische und klimagerechte Stadt.

Dieser Kampf und diese Hartnäckigkeit ist im Stuttgarter Gemeinderat und in der Stuttgarter Politik auch wichtig, denn die Stadtverwaltung und diejenigen, die in der Stadt entscheiden, haben wenig Interesse daran, etwas am Zustand der Stadt zu verbessern. In Sonntagsreden vielleicht, aber nicht, wenn es darum geht, konkrete Politik umzusetzen. Sei es beim Wohnen, beim Klimaschutz oder beim sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt.

Erst vergangene Woche hat ein Bericht der Stuttgarter Zeitung der Mehrheit des Gemeinderats die Hosen runtergezogen. Laut diesem Artikel versiegelte Stuttgart seit 2018 eine Fläche, so groß wie der Cityring – 1 Quadratkilometer Fläche!

Was heißt das? Ich erkläre es euch gerne bildlich: Täglich werden in Deutschland 52 Hektar Fläche für Straßen und Gebäude versiegelt. Das ist eine Fläche so groß wie 72 Fußballfelder. Das müsst ihr Euch auf der Zunge zergehen lassen: jeden Tag werden Wiesen, landwirtschaftliche Flächen – also Acker und Wälder – so groß wie 72 Fußballfelder in Deutschland gerodet und dann asphaltiert.

Auch in Stuttgart kommt Hektar um Hektar dazu, meist mit der Begründung, dass dringend Wohnraum gebraucht wird. 5,5 Hektar sollen bald alleine für ein neues Wohnquartier an der Böckinger Straße in Stuttgart-Rot versiegelt werden. Und es kommen immer wieder Flächen dazu, wie die Schwellenäcker in Stuttgart-Heumaden, eine landwirtschaftliche Fläche eines Demeter-Landwirts. Erst letzte Woche hat die Mehrheit des Gemeinderats die Versiegelung dieser Fläche beschlossen – entgegen der Empfehlungen der Stadtplanung.

Nun fragen sich bestimmt manche von Euch, wie das möglich ist, wo es doch im Stuttgarter Gemeinderat eine ökosoziale Mehrheit gibt? Tja, diese ökosoziale Mehrheit im Gemeinderat ist schon was Besonderes. Wir könnten als Linke und SÖS gemeinsam mit Grünen und SPD so viel Gutes in der Stadt erreichen, würden doch nur alle jeweils so handeln, wie sie es in ihren Programmen und Sonntagsreden auch jeweils ankündigen. Leider ist die Realität eine andere.

Bei der Frage der Flächenversiegelung steht die SPD lieber zusammen mit einem rechten Bündnis aus CDU, Freien Wählern, FDP und AfD, und betreibt mit diesen Parteien munter Klimazerstörung in der Stadt Stuttgart. Obwohl die Versiegelung von Flächen – wie auf den Schwellenäckern – in den letzten Jahren nur möglich war mit den Stimmen der faschistischen AfD, hatte die SPD keine Skrupel, diese Mehrheit immer wieder zu nutzen. Dieselbe SPD steht sonst aber gerne an der Seite von Fridays for Future und auf Demos gegen Rechts in dieser Stadt.

Sie schwenken dabei gerne ihre Fahnen, aber wenn es darum geht, Rückgrat zu beweisen, dann vergessen sie das alles wieder. Mittlerweile übernimmt die SPD ja auch in der Migrationsfrage eins zu eins die Politik der AfD. Es kotzt mich nur noch an!

Bezahlbare Wohnungen könnten in Stuttgart sofort entstehen – und das ganz ohne Versiegelung von hochwertigen Böden. Und nein, die Migrant*innen und Geflüchteten sind nicht Schuld an den hohen Mieten. Schluss mit diesen falschen Behauptungen!

Eine Möglichkeit für den Bau von rund 2.000 neuen Wohnungen besteht seit Jahren auf ehemaligen und nicht mehr gebrauchten Gleis- und Betriebsflächen des Hauptbahnhofs. Diese Flächen werden von der Bahn selbst durch die Baustelleneinrichtung für Stuttgart 21 blockiert. Ohne das Projekt Stuttgart 21 wären somit auf diesen Flächen schon heute die dringend benötigten Wohnungen für Stuttgarter:innen gebaut und bewohnt. Ginge es der SPD wirklich um bezahlbare Wohnungen, dann müssten sie für ein Ende des Wahnsinns Stuttgart 21 stimmen. Da zeigt sich dann halt doch, dass der SPD die Interessen der Immobilienmafia wichtiger sind als die Interessen der Stuttgarter Mieter:innen.

Und in Stuttgart gibt es viele weitere potenzielle Flächen für den Wohnungsbau, die bis heute ungenutzt sind. Die Stadt hat es jahrelang versäumt, den zum Verkauf stehenden Eiermann-Campus in Stuttgart-Vaihingen zu erwerben. Stattdessen wurde das Grundstück von einer privaten Immobilienfirma gekauft und mehrmals mit großen Profiten weiterverkauft. Der Spekulation mit dem Grundstück wurde damit Tür und Tor geöffnet, und nun blockiert die insolvente Adler Group jegliche weitere Entwicklung. Auf dieser Fläche könnten 1.400 Wohnungen längst im Bau sein. Unsere Fraktion fordert seit langem, diese Fläche von Seiten der Stadt zu erwerben.

Ein weiteres ungenutztes Areal ist das EnBW-Quartier in Stuttgart-Ost. Hier verhindert die EnBW die Schaffung von 800 Wohnungen, da es sich für sie nicht mehr rechnet, dort Wohnungen zu bauen. An die Stadt verkauft sie die Flächen aber auch nicht.

Und vor wenigen Wochen wurden die Zahlen des aktuellen Zensus vorgestellt. In der Stadt Stuttgart stehen über 11.000 Wohnungen leer. Diese Wohnungen gibt es schon, sie sind gebaut und könnten zum größten Teil bewohnt werden. Das heißt, dass gar nichts mehr neu gebaut werden müsste. Wir haben kein Problem mit fehlenden Wohnungen, sondern mit zu teuren Mieten.

Könnt Ihr Euch erinnern an die Hausbesetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße 4? Ich kann mich noch gut erinnern, denn zusammen mit Hannes und Tom wurde ich wegen Hausfriedensbruch zu mehreren tausend Euro Strafe verurteilt. Die Eigentümerin ließ die Wohnungen auch noch Jahre danach leer stehen und musste bis heute nicht einen einzigen Euro Strafe zahlen.

Die größte und gefährlichste Versiegelung für das städtische Klima steht uns in Stuttgart aber noch bevor. Trotz immer heißer werdender Sommer sollen die Gleisflächen des Kopfbahnhofs bebaut werden. Eine Fläche, die wichtig ist für den Hitzeausgleich im Stuttgarter Kessel. Auch hier ist die SPD eben nicht Teil des ökosozialen Lagers und maßgeblich mit dafür verantwortlich, das Klima zu zerstören.

Der Artikel zur Versiegelung basierte auf Recherchen des Correctiv-Netzwerks. Am selben Tag hat Correctiv noch einen weiteren Artikel veröffentlicht, in dem es um den Abriss und Neubau von Wohnungen geht. Ein Thema, mit dem wir in Stuttgart ebenfalls seit Jahren befasst sind. Wohnungen aus dem 1930er bis 1960er Jahren reißt man ab, damit auf derselben Fläche mehr Wohnungen entstehen. Der Abriss und Neubau verbraucht immens viel CO2. Gleichzeitig waren die Mieten in diesen Häusern meistens sehr gering. Durch den Abriss und Neubau verdoppeln sie sich dann.

Correctiv hat herausgefunden, dass vor allem die Unternehmen finanziell an diesem Abriss und Neubau verdienen. Diese neuen Wohnungen führen zu höherem Gewinn. Das Argument der höheren Dichte ist vorgeschoben. Bitteres Beispiel in Stuttgart ist der Abriss und Neubau der Keltersiedlung in Zuffenhausen. Wohnungen, die im Durchschnitt 6,90 Euro pro Quadratmeter gekostet haben, sollen nun 12,50 Euro kosten. Und das für öffentlich geförderte Wohnungen der SWSG.

Laut Zahlen des Umweltbundesamts vom Jahr 2020 werden in Deutschland jede Sekunde 7,3 Tonnen Bauabfälle auch wegen Abriss erzeugt.

Beim Abriss und Neubau verlieren sowohl die Mieter:innen als auch das Klima. Mieten werden teurer und tausende Tonnen Abfälle entstehen. Auch beim Abriss ist es wieder so, dass die SPD dabei eine wichtige Rolle spielt und für Mehrheiten im Gemeinderat sorgt. Leider machen dabei auch die Grünen mit, wenn dann beim Neubau das Energiekonzept stimmt, oder, nachdem alte Bäume abgeholzt wurden, ein bisschen Fassadenbegrünung entsteht.

Dabei sind die Einzigen, die an der täglichen Flächenversiegelung und am Abriss von Bestandsgebäuden verdienen, große Immobilienunternehmen, die Mafia und Spekulanten an der Börse. Und den größten Reibach erhoffen sich diese Leute mit der Bebauung des Gleisvorfelds in Stuttgart.

Liebe Freundinnen und Freunde, jetzt habe ich mich wieder an der SPD und den Grünen abgearbeitet. Ich weiß, dass es viele unter Euch gibt, die sich eine engere Zusammenarbeit der ökosozialen Parteien im Gemeinderat wünschen. Das verstehe ich.

Die Sorge vor der faschistischen AfD ist groß, und eine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien und Gruppierungen im Gemeinderat ist dabei umso wichtiger. Nur frage ich mich immer öfter, was eine solche Zusammenarbeit mit SPD und Grünen denn bringt, wenn doch mittlerweile beide Parteien immer mehr Themen der AfD übernehmen und umsetzen?!

Ich habe immer weniger Lust darauf, mit Parteien eine Zusammenarbeit zu suchen, die Migrant*innen wie mich für alles verantwortlich machen, was in diesem Land schief läuft. Dabei sind es doch CDU, FDP, SPD und Grüne, die in Bundes- und Landesregierung abwechselnd seit Jahrzehnten regieren und die Verantwortung tragen für die Misere in der Wohnungspolitik, bei der Bildung, für die marode Infrastruktur, bei der kaputten Bahn und bei Stuttgart 21.

Es braucht einen Bruch mit der bisherigen Politik, es ist an der Zeit, das laut und deutlich zu äußern, ob auf der Straße oder in den Parteien selbst. Es ist ein Zeichen, das mir Hoffnung macht, dass letzte Woche junge Menschen bei den Grünen die Reißleine gezogen haben und gesagt haben, dass sie beim Rechtsruck, beim Sozialabbau und der Klimazerstörung nicht mehr mitmachen – auch nicht mehr unter einem grünen Deckmantel. Sie sind ausgetreten. Ich hoffe darauf, dass sich bei der SPD ebenfalls mutige Genoss*innen finden, die sich der herrschenden Politik ihrer Partei widersetzen.

Und, liebe Freundinnen und Freunde, es braucht uns auf der Straße, um endlich wieder Druck aufzubauen gerade gegenüber der SPD und den Grünen, für eine solidarische Politik, für Klimagerechtigkeit und für eine lebendige und wehrhafte Demokratie.

Ich danke Euch von Herzen, dass Ihr weiter standhaft bleibt und Euch widersetzt. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Diese Beharrlichkeit brauchen wir auch beim Kampf gegen Rechtsex­tremismus und Faschismus. Eine Gefahr, die viele immer noch unterschätzen. Wenn ich mich hier aber umschaue, macht mir das Mut, dass wir dem Rechtsruck etwas entgegenstellen können!

Vielen Dank!

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