Öl ins Feuer

Rede von Kathrin Hartmann, Journalistin und Autorin, auf der 726. Montagsdemo am 30.9.2024

Liebe Freundinnen und Freunde,

meine letzte Rede auf einer Demo hielt ich vor knapp drei Monaten in Sassnitz auf Rügen. Genauer: am Hafen Mukran. Hinter mir lag die Neptune, eines von zwei gigantisch großen Regasifizierungsschiffen, die heute am schwimmenden LNG-Terminal an der Küste der Ostseeinsel liegen. Ein Dreivierteljahr davor war ich das erste Mal in Sassnitz. Das Terminal war noch nicht gebaut, aber vom Stadthafen aus konnte man draußen im Meer das Schiff Seapeak Hispania sehen, beladen mit Flüssig­erdgas, das mit Shuttleschiffen nach Lubmin gebracht wurde.

Es war das Protestwochenende mit Ende Gelände und den Bürger*innen-Initiativen von Rügen, auf dem großen Platz hatten sich hunderte Menschen versammelt. Ein großer Demozug ging zum Hafen Mukran, wo Aktivist*innen das Gelände und Pipeline-Rohre besetzten. Es war ein wunderbares Wochenende voller Mut, Solidarität und Zuversicht. Getragen von der Hoffnung, das LNG-Irrsinnsprojekt vor Rügen und auch an den anderen Küsten, in Stade, Wilhelmshaven und Brunsbüttel noch stoppen zu können.

Die Faktenlage war ja klar: Schon längst hatten Studien belegt, dass Deutschland mit den LNG-Terminals fossile Überkapazitäten baut. Auch das Versprechen des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck, die LNG-Terminals seien nur eine „Brückentechnologie“ zur Wasserstoffwirtschaft, entpuppte sich schnell als grünes Wolkenkuckucksheim: Der Umbau für grünen Wasserstoff ist auf den Schiffen überhaupt nicht möglich und bei landseitigen Terminals aufwändiger und teurer als ein Neubau. Einmal ganz abgesehen davon, dass es grünen Wasserstoff quasi noch gar nicht gibt.

Doch die von Olaf Scholz immer wieder stolz betonte „Deutschlandgeschwindigkeit“, mit der diese LNG-Anlage gegen den Willen der Bürger*innen, gegen alle klimapolitische Vernunft und gegen den Schutz der Natur schließlich doch auf diese einzigartige Insel und mitten in ein Naturschutzgebiet gebaut wurde, hat die Demokratie überrollt. Mit dem LNG-Beschleunigungsgesetz wurde die Beteiligung von Bürger*innen und Zivilgesellschaft stark eingeschränkt. Nicht einmal eine Umweltverträglichkeitsprüfung war vorgeschrieben, obwohl eine 50 Kilometer lange Pipeline durch den streng geschützten Greifswalder Bodden gelegt werden musste. Dieses hochsensible und einzigartige Ökosystem wurde aufgebaggert, vier Schutzgebiete und das wichtigste Heringslaichgebiet der Ostsee waren davon betroffen. Wieviel Zerstörung damit angerichtet wurde, ist noch garnicht klar.

Im Juli vergangenen Jahres, wenige Wochen, bevor ich das erste Mal zum Protest gegen LNG nach Rügen gefahren bin, bin ich in die USA gereist, um für mein Buch „Öl ins Feuer“ zu recherchieren. Nach Texas und Louisiana an den Golf von Mexiko. Dort schlägt nicht nur das Herz der amerikanischen Öl- und Gasindustrie, die Golfküste ist auch ein Versuchslabor für Klimascheinlösungen wie Carbon Capture and Storage, die die Expansion der fossilen Industrie als „emissionsarm“ legitimieren sollen. Ich bin die sogenannte „Cancer Alley“ am Mississippi entlang gefahren, ja, richtig, das heißt übersetzt Krebsallee. Auf einer Strecke von 180 Kilometern reihen sich dort 200 Raffinerien und petrochemische Fabriken aneinander. Sie stehen auf ehemaligen Zuckerrohrplantagen, auf denen die Versklavten schufteten. Ihre Nachfahrinnen und Nachfahren, die noch immer dort leben, werden schwer krank vom Dreck und Gift, den diese Anlagen ausstoßen. Zwischen den Tanks, Pipelines und Fabrikanlagen liegen Friedhofe, als gehörten sie zur fossilen Infrastruktur und genau genommen tun sie das auch. Denn nirgendwo ist die Krebsrate höher als dort.

Ich habe gesehen, wie die Klimakrise, die von dieser Industrie mitverursacht wird, immer heftiger zuschlägt. Häufiger und schwerer wütende Hurrikans im Süden der USA haben Orte zermalmt und Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Die Feuchtgebiete, die der wichtigste Schutz gegen die Folgen der Stürme sind, sind bereits so beschädigt, dass sie nicht mehr vor Überschwemmungen schützen. Für die Expansion der fossilen Industrie werden weitere Flächen davon zerstört. Dort an der Golfküste liegen die sogenannten „Sacrifice Zones“, von Umweltrassismus und Verschmutzung gekennzeichnete „Opferzonen“ – Orte wie Port Arthur, Freeport und Lake Charles, wo People of Color und Arme direkt neben den Raffinerien und Fabriken leben, Zaun an Zaun. Genau dort stehen auch die LNG-Exportterminals, von denen das Frackinggas nach Deutschland geliefert wird.

Ich wurde also Zeugin davon, wie an diesen beiden Enden der Welt wertvolle und geschützte Natur genauso zerstört wird wie die Demokratie. All das, während der LNG- und Fracking-Boom der Gasindustrie mitten in der Klimakrise wachsende Profite beschert. An diesen Orten habe ich begriffen, was ich abstrakt schon lange weiß: dass die fossile Industrie ein autoritärer, menschverachtender und skrupelloser Machtkomplex ist, der ausschließlich wachsen und bestehen kann, weil er Leben, Lebensgrundlagen und Zukunft zerstört. Er lässt sich nicht einhegen und auch nicht verbessern. Genauso wenig wie der Kapitalismus, den diese fossile Industrie antreibt.

Nun soll dieser Kapitalismus grün werden. Aber auch dieser Grüne Kapitalismus ist nicht minder gewalttätig. Sein Hunger nach Rohstoffen und Energie ist riesig, und die Ressourcenausbeutung für die vermeintliche Dekarbonisierung richtet sogar noch schneller zusätzliche irreparable Schäden an. Es ist absurd: Im Namen der Weltrettung wird die Welt vollends zerstört.

Die LNG-Terminals in Deutschland, die mit Klima und Menschen zerstörendem Frackinggas aus den USA befüllt werden, wurden uns verkauft als unausweichliche Notwendigkeit, um nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine das russische Erdgas zu ersetzen. Tatsächlich, das belegt eine Studie, trugen die LNG-Terminals kaum etwas zur Gasversorgung im Krisenwinter bei. Sie sind, im besten Fall, Investitionsruinen. Teuer erkauft mit Schäden an Klima, Natur und Demokratie.

Die Gewalttätigkeit, mit der diese Anlagen durchgesetzt wurden, das Ignorieren aller Fakten, die gebrochenen Versprechen, die Verachtung von Demokratie und von Bürgerinnen und Bürgern: Das alles ähnelt nur allzu sehr dem, was an diesem Ort seit fast drei Jahrzehnten passiert. Und so stehe ich heute mit euch vor der größten Baustelle Deutschlands, vor dem nicht enden wollenden Desaster von Stuttgart 21. Und wie ihr bin ich bis heute fassungslos, was an diesem 14. Jahrestag des „Schwarzen Donnerstags“ geschehen ist. Ein Polizeieinsatz, bei dem Hunderte Menschen verletzt wurden, viele davon schwer.

Wir haben es heute schon gehört: Gewalt und Repression richten sich immer stärker gegen Aktivist*innen, Klimaschützer*innen werden kriminalisiert. Passend dazu wird der Klimagipfel 2024 nun zum dritten Mal in Folge in einem autoritären Staat abgehalten, in der Gas-Autokratie Aserbaidschan. Gleichzeitig wird Klimaschutz global abgewickelt, auch in Deutschland, trotz grüner Regierungsbeteiligung. Und trotzdem nun Gerichte die Bundesregierung dazu verdonnern, sich an ihre eigenen Gesetze zu halten – bis sie diese wieder ändert.

Eine Untersuchung von Krautreporter ergibt, dass dank neuer Polizeigesetze, die angeblich der Terrorbekämpfung dienen sollen, zehnmal mehr Klimaaktivist*innen in Gewahrsam genommen werden wie religiös motivierte Gefährder. Im September vor einem Jahr saßen während der Internationalen Automobilausstellung in München 30 Aktivist*innen in so genannter Präventivhaft, um Blockaden und Protest zu verhindern – ohne Gerichtsverfahren. Und ohne dass sie überhaupt etwas getan hätten. Es ist Teil davon, dass Europa und auch Deutschland immer mehr ins Autoritäre abgleiten. Die Gewalt, die der Klimakrise eingeschrieben ist, richtet sich nicht nur gegen die Natur, sondern immer auch gegen Menschen. All das, was ich beschrieben habe, ist Teil davon und es macht mir Angst.

Umso mehr bin ich dankbar, heute bei euch sein zu dürfen beim längsten Bürgerprotest, und zu sehen und zu spüren, was Mut, Beharrlichkeit, Entschlossenheit und Solidarität bedeutet. Wir brauchen all das mehr denn je. Und vor allem brauchen wir einander.

Vielen Dank, wir geben nicht auf!

Kathrin Hartmann, Journalistin und Buchautorin, hat als Redakteurin für Nachrichten und Politik bei der Frankfurter Rundschau und beim Neon Magazin gearbeitet. Sie hat unter anderem die Bücher „Ende der Märchenstunde“, „Wir müssen leider draußen bleiben“, „Aus kontrollierten Raubbau“ und die „Die grüne Lüge“ im Blessing Verlag veröffentlicht. Letzteres ist das Buch zum Dokumentarfilm „Die grüne Lüge“, an dem sie mit dem österreichischen Regisseur Werner Boote gearbeitet hat, und der 2018 in die Kinos kam. Hartmann arbeitet im Rechercheteam von Die Anstalt im ZDF und Mitternachtsspitzen im WDR. Ihr Buch „Öl ins Feuer“ erschein im Juli 2024 bei Rowohlt.

Am 25. November, nach der Montagsdemo um 19 Uhr, kommt sie zu einer Veranstaltung nach Stuttgart in den Württembergischen Kunstverein.

Rede von Kathrin Hartmann als pdf-Datei

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