Bezahlbare und ökologische Mobilität für alle!

Rede von Annika Fuchs, Mobilitätsreferentin Robin Wood, auf der 724. Montagsdemo am 16.9.2024

Hallo Stuttgart! Danke für die nette Begrüßung!

Ich bin Annika Fuchs, Referentin für Mobilität bei ROBIN WOOD und freue mich, hier heute sprechen zu dürfen. Dies ist meine erste Stuttgart-21-Demo, und für mich ist das eine tolle Gelegenheit, mehr über die Geschichte von Stuttgart 21 zu lernen. Zum Beispiel, dass ROBIN WOOD die Proteste schon seit 2009 maßgeblich unterstützt hat, von der jahrelangen Besetzung der alten Bäume im Schlossgarten über spektakuläre Kletteraktionen. Und ich bin sehr beeindruckt davon, dass ihr alle auch heute noch hier auf der Straße seid!

Heute stehen wir hier gemeinsam für eine sozial gerechte und nachhaltige Mobilität der Zukunft. Wir alle wünschen uns eine Mobilitätswende, durch die Menschen und Güter klimaschonend transportiert werden können, und wir uns wieder die Frage stellen, welche Verkehre eigentlich nötig sind. Eine Gesellschaft, in der Rad- und Fußverkehre genauso zunehmen wie der ÖPNV und Schienenverkehr – und in der Autos nicht mehr die Städte dominieren, der Neubau von Autobahnen der Vergangenheit angehört und Flugzeuge immer häufiger am Boden bleiben.

Ein echtes Leuchtturmprojekt der letzten Jahre – und man muss sagen, Leuchttürme sind in der Verkehrspolitik schwer zu finden – war die Einführung des 9-Euro-Tickets. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist in dem Zeitraum um über 30% angestiegen, viele Menschen mit geringen Einkommen hatten plötzlich die Chance, mobil zu sein und Familienbesuche und Urlaube zu realisieren.  Auch der Ticketdschungel wurde erheblich vereinfacht. Außerdem hatten wir ein echtes Reallabor und haben gesehen: Die aktuelle Schieneninfrastruktur reicht nicht aus, um ein steigendes Fahrgastaufkommen zu stemmen – der Ausbau der Infrastruktur ist also dringend notwendig.

Doch dieses Projekt des sozial-ökologischen Tickets wird immer stärker angegriffen: Erst wurde daraus letztes Jahr das 49-Euro-Ticket, welches aktuell etwa 13 Millionen NutzerInnen in Deutschland vorweisen kann. PendlerInnen und Städter nutzen dieses Ticket ebenso wie Studierende.

Diesen Sommer haben die VerkehrsministerInnen der Länder dann verkündet, dass das Ticket ab dem kommenden Jahr noch einmal teurer wird. Am 23. September wird dies in einer Sonder-Konferenz der VerkehrsministerInnen wohl beschlossen. Damit gerät das Ticket weiter ins Wanken und verliert seinen ursprünglich sozialen Charakter mehr und mehr.

Der soziale Ansatz des ehemaligen 9-Euro-Tickets ist mittlerweile komplett ins Hintertreffen geraten. Das zeigt sich vor allem dort, wo Menschen keinen Zugang mehr zu dem Ticket haben: Mobilitätsarmut ist hier das Stichwort. Denn Mobilitätsarmut bezeichnet den Zustand, dass Menschen mit geringen Einkommen ihre Mobilitätsbedarfe, wie zum Beispiel Familienbesuche, nicht realisieren können. Ein Beispiel: Im Regelsatz des Bürgergelds sind 50 Euro für Mobilität vorgesehen. Wenn jemand also ein 49-Euro-Ticket besitzt, ist eine Fahrradreparatur einfach nicht mehr drin.

Eine Untersuchung zeigte, dass das 9-Euro-Ticket das Leben von Menschen verändert hat: Betroffene verdeutlichen, wie die Situation vor dem 9-Euro-Ticket war. Zitat: „Das Geld reicht vorne und hinten nicht, [... das] gebe ich lieber für Essen aus für mein Kind, anstatt mir davon eine Fahrkarte zu holen“ [1]. Durch das 9-Euro-Ticket hat sich diese Situation grundlegend geändert – so sagte später eine Befragte: „Endlich kann ich meine Enkelkinder öfter mal sehen“ [2]. Menschen verzichten ohne soziale Tickets auf wichtige Kontakte, auf gesellschaftliche Teilhabe, auf Mobilitätsbedarfe. Ich finde es wichtig zu sagen: Mobilität bedeutet Teilhabe! Und alle Menschen haben darauf ein Recht!

ROBIN WOOD macht sich deshalb für einen Kurswechsel in der Verkehrspolitik stark. Statt Ticketverteuerung fordern wir ein soziales Ticket für alle und einen Ausbau des ÖPNV!

Warum ist das so wichtig? Nach Ende des 9-Euro-Tickets wurden Sozialtickets zwar teilweise eingeführt, es herrscht aber ein reinster Flickenteppich. Wird das Ticket noch teurer, profitieren zwar weiterhin zum Beispiel PendlerInnen. Für viele Menschen ist das Ticket dann aber keine Option mehr. Ständige Preiserhöhungen verhindern zudem einen Umstieg von Menschen vom Auto auf die Bahn – denn ich kann mich – Stand jetzt – nicht darauf verlassen, dass das Ticket nicht in zwei Jahren abgeschafft wird oder ich plötzlich vor einer Kostenexplosion stehe. Dafür braucht es eine langfristige Finanzierungszusage.

Gerade jetzt muss das Vertrauen in die Schiene und in den ÖPNV gestärkt werden, denn der Nahverkehr steht, wie ihr wisst, vor weiteren Problemen: Es gibt erheblichen Personalmangel, sodass immer wieder Verbindungen ausfallen und zum Beispiel Buslinien gestrichen werden. Der Ausbau des ÖPNV kommt kaum voran, auch, weil verkehrspolitisch die falschen Prioritäten gesetzt werden: Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 und die zweite S-Bahnstammstrecke in München verschlingen Milliarden, teure Hochgeschwindigkeitsstrecken führen in die Irre.

Vor zwei Jahren wurde parallel zum 9-Euro-Ticket ein Tankrabatt eingeführt. Heute profitieren noch immer Millionen Gutverdienende, darunter zu 70% Männer, von Dienstwagenprivilegien. Das sind Anreize, die uns von der Mobilitätswende, die aus sozialen und ökologischen Aspekten dringend ansteht, weiter entfernen.

Deshalb fordern wir: Herr Wissing, setzen Sie auf öffentliche Verkehrsmittel! Wir wollen ein  kostengünstiges und klimaschonendes Deutschlandticket. Nur in Kombination mit gut ausgebauter Infrastruktur können Menschen das Auto stehen lassen. Daher braucht es Investitionen durch Bund und Länder und bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV! Um die Mobilitätswende zu schaffen, müssen wir endlich klimaschädliche Subventionen abzuschaffen!

Danke, dass ihr heute auf der Straße seid! Macht euch weiterhin stark für eine Mobilität für alle! Lasst uns gemeinsam dafür einstehen, dass die Mobilitätswende gelingt und dabei vor allem sozial gerecht gestaltet wird!

[1] Aberle et al (2022): Mobilitätsbezogene soziale Exklusion in Großstädten

[2] https://mobileinclusion.projects.tu-berlin.de/mi/material/

Rede von Annika Fuchs als pdf-Datei

 

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