Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder e.V., auf der 720. Montagsdemo am 19.8.2024
Wir Menschen können nur überleben, wenn wir zu atmen und zu essen haben. Wir leben von wenigen Kilometern Luft über uns und einigen Dezimeter Boden unter uns. Wir sind dabei, beides zugrunde zu richten. Hier auf den Fildern wird dies besonders deutlich. Und die Planer von Stuttgart 21 haben von Anbeginn an alles darangesetzt, dass sich die drei neuen Strecken: 1. vom Stuttgarter Bahnhof über den Fildertunnel, 2. die Neubaustrecke (NBS) von Ulm her und 3. die Gäubahn von Singen über den geplanten Pfaffensteigtunnel direkt am Flughafen treffen. Dort gibt es keine Wohnbevölkerung, nur den Flughafen mit seinem Umfeld, es geht also nur ums Fliegen. Die Macher sprechen von einer international einzigartigen Verkehrsdrehscheibe auf unseren fruchtbaren Feldern: Autobahn, Flughafen und Schnellbahn. Eigentlich erwarte ich nur noch, dass man die Filder demnächst schiffbar macht.
Und so hat der Flughafen bereits vor langer Zeit 359 Mio. Euro ohne jede Zweckbindung zu S21 beigesteuert (wörtliches Zitat damals: „Sonst wäre S21 nicht wirtschaftlich“). Dabei ging es dem Flughafen um mehr Fluggäste und sonst nichts. Ohne jede Untersuchung posaunte Herr Fundel damals heraus: „Das bringt uns 1,5 Mio. neue Fluggäste pro Jahr“.
Der Luftverkehr unterscheidet sich fundamental von allen anderen Sektoren, weil er extrem destruktive Prozesse auslöst in der fragilen Schicht unserer Atmosphäre, die für unser Klima von entscheidender Bedeutung ist. Die Welt wird im Moment erkennbar zugrunde gerichtet und wir tun alles, um dies mit Hilfe des Klimakillers Flugzeug zu beschleunigen. Und S21 soll dabei kräftig mithelfen.
Menschliches Leben ist in unserer Lufthülle, die nach oben immer dünner wird, ab ca. sechs Kilometern Höhe nicht mehr möglich. Sechs Kilometer entspricht einer Entfernung von hier bis nach Degerloch. Flugzeuge fliegen höher – bis zu zehn Kilometer hoch unter lebensfeindlichen Bedingungen. In diesen Schichten spielen sich die meisten Klima- und Wetterprozesse ab. Zwar produzieren Flugzeuge aktuell „nur“ knapp 3% des CO2, aber die Abgase sind ein Cocktail aus verschiedensten Stoffen: Stickoxide, Rußpartikel und Wasserdampf – diese erzeugen klimaschädliche Kondensstreifen – CO, HC, SO2, Feinstaub, Ultrafeinstaub usw.
Die Wissenschaft sagt: Die Klimawirksamkeit der Flugzeuge ist wegen dieser „Nicht-CO2-Emissionen“ etwa 3 bis 5 mal größer als die des CO2 allein, d.h. die Flugzeuge schädigen das Klima im Bereich von über 8%. Das heißt, das Fliegen zu fördern ist mehr als verwerflich, aber genau daran arbeiten Flughafen und Politik. Fluggesellschaften, die neue Ziele anbieten und noch mehr Passagiere herkarren, erhalten z.B. vom Flughafen starke Rabatte auf anfallende Gebühren.
Doch nun zu Verkehrsminister Wissing (FDP), der die Reihe der unfähigen CSU-Verkehrsminister ohne Bruch fortsetzt, und der kein Tempolimit will, da ihm dazu angeblich die Schilder fehlten, und der jetzt auch noch mehr Autos in die Innenstädte bringen will. Er sagte ganz locker am 7. Mai 2024 in den Stuttgarter Nachrichten: „In den kommenden 20 Jahren wird sich weltweit die Flugzeugflotte verdoppeln“. Und damit wird die Klimaschädigung weiter dramatisch zunehmen. Das ist schändlich!
Und dann immer weiter so, dann hieße dies in 40 Jahren wohl eine Vervierfachung. Dabei haben meine zwei wunderbaren Enkel im besten Fall noch 60 Lebensjahre vor sich! Wir bedrohen – allein durchs Fliegen – die Überlebensfähigkeit kommender Generationen. Und Wissing will darüber hinaus bis 2030 (d.h. in 6 Jahren) weitere 850 km Autobahnen und 2000 km Bundesstraßen bauen. Bei der Schiene will er allerdings sparen, nicht so bei S21. Verrückt, oder?
Doch nun zur Neubaustrecke (NBS) nach Ulm:
Um den Flughafenanschluss zu retten, sollte die neue Strecke nicht mehr über Plochingen, sondern über Wendlingen geführt werden. Vor allem, weil bei schweren Güterzügen an der Geislinger Steige eine Schub-Lok nötig war, wurde die Strecke von Ulm her vollständig neu geplant. Nur, diese neue NBS ist steiler und höher als die Filstalstrecke, und deswegen kann dort nie Güterverkehr stattfinden. Irre, oder? Der Güterverkehr wird also durch S21 klimaschädlich auf die Straße verlagert und die Züge von Ulm halten bis zum Flughafen nur einmal in Merklingen. In Wendlingen kreuzt die NBS die wichtige Verbindung von Tübingen nach Plochingen-Esslingen, aber nicht mal dort gibt es einen Halt. Verrückt oder?
Und allein für die S21-Trasse zwischen Wendlingen und dem Fildertunnelportal am Fasanenhof werden für die ICE-Trasse und die Erschließungswege und die Lärmschutzwälle über 100 Hektar allerwertvollster Filderboden für alle Ewigkeit zerstört. Boden, vor allem guter Boden ist für das Klima von entscheidender Bedeutung.
Und nun zur Gäubahn:
Die ersten Pläne zu S21 gingen davon aus, dass die Gäubahn, d.h. die Verbindung Zürich-Stuttgart bei Rohr auf die S-Bahntrasse durch Leinfelden-Echterdingen im Mischverkehr zum Flughafen einschwenkt. Das widersprach allen Bahngesetzen (zu enge Kurven, zu enge Tunnel usw.). Das EBA verwarf deshalb diese Pläne immer wieder.
Doch dann sprach Verkehrsminister Ramsauer (CSU) im Jahr 2010 eine Ausnahmegenehmigung aus, und man machte einfach hemmungslos so weiter. Man fragt sich, wie kann ein Minister einfach Gesetze außer Kraft setzen? Selbst Professor Heimerl, der Großvater von S21, sagte einst, dass wir uns mit der Mischverkehrsstrecke an unseren Kindern und Enkeln versündigen.
Es rumorte in den Fildergemeinden, und fast 10 Jahre später kam ein Herr Bilger (CDU), Staatssekretär im Verkehrsministerium, der den Flughafenanschluss retten wollte, mit einer neuen, gigantischen, noch blödsinnigeren Tunnelidee.
Zur Zeit wird die Gäubahn über Vaihingen auf der schönen Panoramastrecke in den Stuttgarter HBF geführt. Diesen Teil will Bilger nun aufgeben und von Böblingen bis zum Flughafen den längsten Eisenbahntunnel Deutschlands, den 11,5 km langen, doppelröhrigen Pfaffensteigtunnel bauen. Wahnsinn, oder?
Nach vielen Heimsuchungen (Flughafenerweiterung, Messebau, Abfertigungsgebäude, Stuttgart-21-Trasse, Bahnhof unter der Messe, ständigem Wachsen der Ortschaften usw.) kommt jetzt auch noch ein unsäglicher, unnötiger, unsinniger Pfaffensteigtunnel als angeblich bessere Alternative zur ebenso unsinnigen Führung der Gäubahnzüge auf S-Bahngleisen im Mischverkehr durch Filderorte, was man 20 Jahre lang vergeblich planfestzustellen versuchte! Jetzt soll´s ein neuer Tunnel richten! Was nur würde Prof. Heimerl dazu sagen?
Die Planungs- und Bauzeit des Tunnels beträgt über 15 Jahre, so Minister Hermann. So lang würde die Gäubahn in Vaihingen enden und die Direktverbindung Zürich-Stgt unterbinden.
Die Bahn argumentiert, man brauche den Pfaffensteigtunnel, weil nur dadurch der Deutschlandtakt in Stuttgart möglich würde. Aber, und das versteht jeder Grundschüler, in Stuttgart ist der Deutschlandtakt prinzipiell nicht umsetzbar. Auch der neue Tunnel würde niemals das Problem mit den lächerlich wenigen acht Gleisen im Tiefbahnhof lösen. Die Bahn selbst sagt, wenn man den Deutschlandtakt umsetzen wolle, dann gäbe es täglich bis zu hundert Doppelbelegungen an den Bahnsteigen.
Das ist übrigens neben dem sogenannten „Nahverkehrsdreieck“ der Offenbarungseid schlechthin, dass der Tiefbahnhof untauglich ist für die aktuelle und erst recht zukünftige Bahnnachfrage. Die Kosten für den Tunnel, so sagt die Bahn, lägen bei 970 Mio. Euro. Unser Fachmann Dr. Vieregg kommt dagegen auf 2,6 Milliarden Euro, und Vieregg lag bisher immer deutlich näher an der richtigen Antwort als die Bahn.
Die S21-Befürworter behaupten ja, dass nur durch den neuen Tunnel der Deutschlandtakt umsetzbar ist, weil sie dann die Kosten für den Tunnel auf den Bund abwälzen können. Dies ist aber dem Steuerzahler egal. Die Öffentlichkeit wird mit solch windigen Argumenten gezielt hinters Licht geführt. Wahnsinn!
Offensichtlich wollten die Macher, meist ältere Herren, das klimaschädliche Fliegen unterstützen, dabei wollen doch die allerwenigsten Gäubahnnutzer zum Flughafen. Warum halten die Gäubahnzüge nach Stuttgart nicht für die Wenigen, die zum Flieger wollen, in Vaihingen, wo diese bequem mit der S-Bahn direkt zum Terminal kämen. Mit dem Pfaffensteigtunnel kämen sie unter der Messe an, müssten dann mit dem Aufzug – wenn er denn funktionierte – 27 Meter hoch und ihr Gepäck 200 Meter zum Terminal schleppen. Also alles viel schlechter, und, wenn wir den Pfaffensteigtunnel nicht bauen würden, hätten wir über 2 Mrd. Euro – das sind 2000 Mio. Euro – gewonnen.
Die riesigen Betonmengen, die verbaut werden, sind klimaschädlich und die durch die Röhren rasenden Züge brauchen viel mehr Energie, um den Luftpfropf vor sich her zu schieben als bei einer Fahrt im Freien.
Und diese 11,5 km Tunnel müssen ja von irgendwo aus gebohrt werden, und da kommen die doch in ihrem Wahn auf ein gigantisches Loch genau hier in unseren fruchtbaren Böden. Und um diese riesige Baugrube herum, die allein über 25 Hektar beste Böden zerstört, bräuchte man eine noch riesigere Baustelleneinrichtungsfläche für Berge von Aushub und Schutt und Betonmischer und Berge von Stahlgittern, Containern, Straßen usw. Der Abraum muss über Jahre mit hunderttausenden von LKW´s abgefahren werden. Auf der Autobahn hier haben wir bereits alle Tage quälende LKW-Staus. Dann muss aber auch Material hergekarrt werden, u.a. Betonteile (Tübbinge) in zig tausend Tiefladern, und die muss man lagern, verarbeiten, einbauen usw.
Um sich die Menge des Aushubs vor Augen zu führen, denken wir uns den Tunnelinhalt der Doppelröhre als Wurst von 2 x 11,5 km = 23 km Länge und 11 Meter Durchmesser, also eine 11 Meter dicke Wurst von hier bis kurz vor Kirchheim/Teck. (Luftlinie 23 km). Das alles muss zwingend in mehreren Jahren aus unserer Baugrube heraus und, weil unbrauchbar, irgendwohin entsorgt werden. Wohin?
Bei all den Baufeldern sprechen sie von einem „vorübergehenden Eingriff“. Das ist zynisch. Neben vollständig zerstörten Bereichen werden Flächen ihre Fruchtbarkeit verlieren; das Grundwasser wird großflächig abgesenkt; der Klimawandel vorangetrieben usw. Guter, fruchtbarer Boden kümmert die, so scheint es, doch einen Dreck!
Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass entlang der Neubaustrecke nach Ulm bei einigen einstmals fruchtbaren Flächen „skandalöse Missstände beim Rückbau der Baustelleneinrichtungen herrschen“ (Bürocontainer, Betonmischanlage, riesige Häufen Baumaterial usw.). Das führte zu massiven Fruchtbarkeitseinbußen. Auf den Fildern ist da noch viel Schlimmeres zu erwarten. Das heißt, die Folgen der Bauarbeiten sind dramatischer als nur die Öffnungen in die Tunnel.
Gerade läuft das Planfeststellungsverfahren zum Pfaffensteigtunnel. Dort wird formuliert: „Es werden aus umweltfachlicher Sicht Ackerflächen temporär in Anspruch genommen, die weniger hochwertig und relativ leicht regenerierbar sind“. Das ist auf den Fildern völliger Unsinn. Dort haben wir die qualitativ höchstwertigen Lössböden überhaupt. Die Forderung muss heißen: Es darf kein Quadratmeter bester Ackerfläche mehr für nichtlandwirtschaftlich Nutzung verbraucht werden.
Nun, gebohrt werden soll mit zwei Herrenknecht Tunnelbohrmaschinen; die sind über 90 Meter lang, haben einen Durchmesser von knapp 11 Metern und ein Gewicht von über 1000 Tonnen. Der Wahnsinn pur!
Der Pfaffensteigtunnel ist ein extrem teures, bahnbetrieblich schädliches, brandgefährliches, beste Böden zerstörendes, klimapolitisch unverantwortliches Projekt. Es kann eigentlich nur darum gehen, den jetzigen Betrieb der Gäubahn über die Panoramastrecke zu erhalten.
Ich habe hier ausschließlich vom Umfeld der Filder, einem Teil von S21 gesprochen. Für das Projekt S21 insgesamt – Tiefschiefbahnhof, Rosensteinquartier, Güterverkehr, Nordzulauftunnel usw, usw, wird es um ein Vielfaches schlimmer, was Klima und Schädigung der Umwelt angeht.
Man fragt sich, sind die Beteiligten, meist studierte Herren, wirklich so unfähig, um diese Probleme zu erkennen, oder sind sie nur blöd? Vielleicht kommt es aber auch daher, dass die Herren sich dumm und dämlich verdienen? Die Bahnchefs, Flughafenchefs, Juristen, Berater, aber auch Herrenknechts werden, wenn man sie sofort freistellen würde, gewiss nie Hunger leiden müssen.
Ich fordere: Stoppt sofort alle S21-Bauarbeiten, baut einen S-Bahnringschluss über die Filder bis ins Neckartal, reduziert das Fliegen dramatisch, steigt um auf „Umstieg 21“ und bewahrt beste Böden zur Ernährungssicherung und für den Klimaschutz.
Bleibt gefälligst oben !
Und ein Letztes: Hier habe ich Infokärtchen zum Planfeststellungsverfahren Pfaffensteigtunnel. Erhebt Einspruch dagegen – Abgabefrist ist der 10.9.24.