Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 712. Montagsdemo am 24.6.2024
Werte Mitstreiter für den Erhalt des Kopfbahnhofes,
kürzlich hat Christoph Engelhardt von dieser Bühne verkündet: „Stuttgart 21 ist tot! Kein Brandschutz in den Tunneln“. Ich möchte das noch ergänzen: Ginge alles nach Recht und Regel zu, dürfte Stuttgart 21 wegen des unzureichenden Brandschutzes nicht in Betrieb gehen – es ist unzulässig, ein Bauwerk zu errichten, ohne ausreichende Schutzvorkehrungen dafür zu treffen, dass Menschen nicht zu Schaden kommen können. Damit wäre Stuttgart 21 tot – eigentlich.
Doch Totgesagte leben bekanntlich länger – so auch Stuttgart 21. Wie oft haben wir schon den Untergang dieses Irrsinnsvorhabens erwartet – und sind immer wieder enttäuscht worden. So im März 2011, als die GRÜNEN, bis dahin erkläre S21-Gegner, mit unseren Stimmen bei der Landtagswahl erstmals stärkste politische Kraft wurden und seither den Ministerpräsidenten, den Verkehrsminister und auch den Umwelt-Minister stellen. 30.000 haben damals auf dem Schloßplatz voreilig die Aufgabe des Vorhabens Stuttgart 21 bejubelt, das damals noch gar nicht richtig begonnen war. Doch was ist daraus geworden? Kaum an der Macht, mauserten sich die GRÜNEN flugs von S21-Gegnern erst zu kritischen Begleitern und schließlich zu Förderern des Vorhabens. So geht Politik!
Nein, weder die Politik noch die Bahn können das Scheitern von Stuttgart 21 zulassen – zu viel Ansehensverlust steht auf dem Spiel, nach 12 Mrd. Euro Baukosten, 7 Jahren Bauzeitverzögerungen und Erfindung immer weiterer Ergänzungsprojekte. Da ist der Brandschutz doch nur eine Nebensächlichkeit. Die Verantwortlichkeit dafür wird wie ein Schwarzer Peter nur im Kreis herumgeschoben; so kann sich später jeder herausreden, er hatte damit nichts zu tun.
Verkehrsminister Winne Hermann von den GRÜNEN gab sich kürzlich auf der Pressekonferenz im Anschluss an die letzte Sitzung des Lenkungskreises empört über die Nachfrage zum Brandschutz: „Die Bahn baut keine Tunnel, um Leute darin zu verbrennen. Die Fragen nach dem Brandschutz gehen mir langsam auf den Zeiger!“ Er beruft sich auf die Zusicherung der Bahn, es würden alle gesetzlichen Vorschriften wie auch die Technischen Spezifikationen (TSI) eingehalten.
Damit macht er deutlich, dass er – als maßgebender Vertreter des Landes im S21-Lenkungskreis – und seine Behörde sich mit dem Brandschutz gar nicht befassen will. Für ihn ist das Eisenbahn-Bundesamt dafür zuständig; ein Mitwirken an der Prüfung und Genehmigung des Brandschutzes sieht er nicht als seine Aufgabe.
Die Bahn wiederum beruft sich darauf, das Eisenbahn-Bundesamt habe ja alles sorgsam geprüft und freigegeben. Doch das Eisenbahn-Bundesamt prüft gar nichts, genehmigt nur auf der Grundlage von Gutachten und Stellungnahmen, die von der Bahn vorgelegt werden. Ist darin bescheinigt, die gesetzlichen Vorschriften und Richtlinien seien eingehalten, bekommt die Bahn die Freigabe. Diese Gutachten und Stellungnahmen werden aber von der Bahn bei willfährigen Sachverständigen beauftragt und von ihr bezahlt. Diese Sachverständigen ihrerseits bescheinigen der Bahn genau das, was ihnen vorgegeben wurde, wobei sie listig im Kleingedruckten verklausuliert die Geltung ihrer Aussagen so eingrenzen, dass sie später rechtlich nicht belangt werden können. So schließt sich der Kreis der Verantwortungslosigkeit: das ganze Stuttgart-21-Vorhaben ist nur auf Lug und Betrug gegründet!
Ein Musterbeispiel hierfür ist das Brandschutzkonzept (BSK) als Genehmigungs-Grundlage für die Tiefbahnsteighalle, erstellt von der Brandschutz-Planung Klingsch (BPK) im Auftrag des Star-Architekten Ingenhoven. Offensichtlich wollte der damit zeigen, dass seine Planung auch den Brandschutz-Anforderungen genügt. Doch dieses Brandschutzkonzept ist mit vielerlei Mängeln und Fehlern behaftet.
Sogar das Eisenbahn-Bundesamt selber hatte zunächst Bedenken zu diesem Brandschutzkonzept geäußert; mit E-Mail vom 15.5.2014 bemängelte das EBA „die fehlende Aussage des Prüfers, ob das BSK für die Planfeststellung geeignet ist. Es müssten noch belastbare Aussagen zur Selbst- und Fremdrettung erfolgen.“
Gutachter und Sachverständige hingegen, die den Vorgaben und Erwartungen des Auftraggebers nicht entsprechen, werden rausgeschmissen oder zur Abänderung ihrer Aussagen gezwungen, wie die Beispiele GRUNER AG und Dr. Portz zeigen, im Einzelnen nachzulesen in der Stellungnahme des Aktionsbündnisses vom Mai 2023 „Warum Stuttgart 21 am Brandschutz scheitern muss“.
Die GRUNER AG/Basel, damals als Brandschutz-Sachverständiger eingeschaltet, hatte mit Schreiben von 20.9.2012 an die DB PSU erhebliche Kritik an dem von BPK Klingsch vorgelegten Brandschutzkonzept geäußert und festgestellt, es gäbe derzeit kein genehmigungsfähiges Brandschutzkonzept! Unter anderem wurde beanstandet:
- Vollständige Verrauchung der gesamten Bahnsteighalle vor Abschluss der Selbstrettung; Einmischen von Rauchgasen in die Gehschicht hinein.
- Es werde toleriert, dass flüchtende Personen kontaminierte Luft atmen.
- Die Fluchtweglängen überschreiten die nach baurechtlichen Vorschriften und der Versammlungsstätten-VO höchstzulässige Länge von 35 Meter um ein Mehrfaches.
- Die Evakuierungszeiten sind viel zu lang. Die Personendichten an den Staustellen vor den Treppen sind äußerst kritisch; die Stauzeiten dauern viel zu lange.
Doch anstatt diese Kritik aufzugreifen und umzusetzen, wurde die GRUNER AG offensichtlich von der weiteren Mitarbeit entbunden.
Die DB PSU behauptete später, jene Stellungnahme der GRUNER AG vom 20.9.2012 beziehe sich auf einen veralteten Planungsstand, weshalb es sich erübrige, darauf einzugehen – eine haltlose Falschbehauptung, wurde doch die Planung der Tiefbahnhaltestelle nie geändert.
Portz als ein vom EBA anerkannter unabhängiger Sachverständiger wurde von der DB AG mit der „Gegenprüfung“ des Brandschutzkonzeptes von BPK beauftragt. Diese „Prüfung“ war jedoch keineswegs „unabhängig“, sondern wesentlich vom Vorhabenträger DB PSU beeinflusst, wie sich aus dem Vergleich der als „vertraulicher Entwurf“ gekennzeichneten Fassung der „Brandschutztechnischen Stellungnahme“ von 2014 mit dessen Endfassung von 2016 ableiten lässt.
Der Prüfer Dr. Portz hatte in seiner Entwurfs-Erstfassung zu einer Vielzahl von Sachverhalten zunächst vom BSK abweichende Auffassungen geäußert, u.a.:
- Flucht- und Rettungswege in der Tiefbahnsteighalle viel zu lang
- ungeklärte Selbstrettungsmöglichkeiten für Mobilitätseingeschränkte
- die ungeklärte Benutzbarkeit der Aufzüge im Brandfall zur Selbstrettung Gehbehinderter
- sowie die Angaben der aerodynamischen Öffnungsflächen der Rauchabzugsklappen in den „Lichtaugen“ als fehlerhaft beanstandet und vieles mehr.
Vor allem widersprach er der Festlegung im Brandschutzkonzept, der Tiefbahnhof sei kein Gebäude, sondern ein ungeregelter Sonderbau, für den die strengen Brandschutz-Vorschriften der Landesbauordnung und der Versammlungsstätten-VO nicht gelten würden, sondern die EBO (Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung). Die EBO enthält aber gar keine Brandschutz-Vorschriften!
Damit hätte die Bahn die Genehmigung nie durchbekommen; also musste der Prüfbericht angepasst werden. Dazu wurden in der Folge mit Dr. Portz insgesamt drei „Besprechungsrunden“ am 29.4. sowie am 13.6. und schließlich am 23.7.2014 jeweils mit Vertretern der DB PSU sowie BPK, des Architekten und des EBA geführt, die dritte und letzte Besprechung am 23.7.14 zusätzlich mit Beteiligung der Rechtsanwälte Dr. Schütz und Herrn Kirchberg, wie aus der Teilnehmerliste hervorgeht.
Wozu die Rechtsanwälte? Was haben die mit dem Brandschutz zu tun? Offensichtlich sollte dem widerborstigen Prüfer Dr. Portz nahegebracht werden, seine abweichenden Auffassungen aufzugeben und das Brandschutzkonzept von BPK Klingsch endlich abzusegnen.
Die Branddirektion Stuttgart wie auch das Regierungspräsidium Stuttgart, Abt. Brand- und Katastrophenschutz – als Träger öffentlicher Belange eingebunden in das Genehmigungsverfahren – wurden hingegen nicht beteiligt. Warum wohl?
Der Prüfbericht wurde daraufhin von Dr. Portz „überarbeitet“. Die „Endfassung“ des Prüfberichtes vom 16.9.2016, Grundlage für die Genehmigung, enthält keine abweichende Auffassung mehr zum Brandschutzkonzept von BPK, obschon sich am Sachverhalt nichts geändert hat. Welch schändliches Spiel der DB PSU!
Für die S21-Tunnel gibt es weder ein Rettungs- noch ein Brandschutz-Konzept; der von der „Tunnelrichtlinie“ ausdrücklich geforderte Nachweis, die Sicherheit aller Personen zu gewährlisten, fehlt nach wie vor. DB und EBA verweisen darauf, die gesetzlichen Anforderungen gemäß „Tunnelrichtlinie“ sowie der TSI würden vollumfänglich eingehalten. Darüber hinausgehende Gefahren seien von den Betroffenen als Restrisiko hinzunehmen!
Stattdessen begnügten sich DB und EBA mit der „Entwurfs- und Genehmigungs-Planung der Entrauchungs-Anlagen“ von HBI Haerter Beratende Ingenieure/Bern von 2014. Diese ist Bestandteil der Planfeststellung für die S21-Tunnel. Darin sind Anforderungen an die Entrauchung der Tunnel festgelegt, die kaum oder gar nicht einzuhalten sind und auch keinen wirksamen Schutz im Brandfall bieten – im Gegenteil verschlimmern diese das Brandgeschehen nur noch. Die eingeblasene Luft entfacht das Feuer zusätzlich und verwirbelt die Rauchschicht bis in den Gehbereich hinein, wodurch auch die bis dahin Überlebenden umkommen werden. Zudem erreicht die eingeblasene Luft den Brandort erst zeitverzögert, weil zunächst die Luftströmung im Tunnel aufgebaut werden muss.
Nun ist festgelegt, vor der Inbetriebnahme des S21- Tiefbahnhofes die Wirksamkeit aller Brandschutzmaßnahmen durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen. Das müsste dann das Aus für Stuttgart 21 werden. Doch das wird es – leider – nicht!
Geprüft wird allein, ob die gesetzlichen Vorgaben nach „Tunnelrichtlinie“ und TSI sowie die Auflagen und Festlegungen der Planfeststellung eingehalten sind – die Verrauchung und die Selbstrettung im Brandfall gehören nicht zum Prüfumfang!
Der mit der Prüfung beauftragte Sachverständige wird vielmehr genauestens prüfen, ob die nach Tunnelrichtlinie alle 25 Meter vorgeschrieben grünen Fluchtschilder mit Angabe zum nächstgelegenen Rettungsstollen vorhanden sind – obwohl diese nutzlos und irreführend sind, wenn der Brandherd in dieser Richtung liegt und man in die Gegenrichtung fliehen muss.
Er wird weiter den vorgeschriebenen durchgehenden Handlauf entlang des Fluchtweges prüfen und auch nachmessen, ob er in der richtigen Höhe angebracht ist, und auch prüfen, ob die Notbeleuchtung im Tunnel den Vorgaben entspricht. Er wird sicherlich auch stichprobenhaft die Fluchtweg-Breite überprüfen und vielleicht sogar, ob deren bereichsweise Einschränkung durch „bautechnische Einbauten“ dem Regelwerk entspricht. Das wird er alles grün abhaken können.
Ob die nach Tunnelrichtlinie und Planfeststellung höchstzulässigen Abstände von 500 Metern zwischen den Rettungsstollen eingehalten sind, wird er den Bauplänen entnehmen. Und ob die Schleusentüren die geforderte Rauchdichtigkeit aufweisen, wird er sich durch Vorlage der Hersteller-Zertifikate nachweisen lassen – alles grüne Haken im Prüfbericht!
Auch den „Prüfbericht“ der Rauchabzugsöffnungen in den Lichtaugen der Tiefbahnsteighalle, ausgestellt vom IFI Institut für Industrie-Aerodynamik/Aachen wird er als Zulassungs-Nachweis anerkennen. Dazu muss man wissen, dass das IFI seit 1998 in die Brandschutz-Planung der S21-Tiefbahnsteighalle mit den Lichtaugen als Sonderlösung zur Entrauchung eingebunden war. Dazu hat das IFI 2018 einen Modellversuch im Maßstab 1 : 10 durchgeführt – in der Größe einer Puppenstube – und die Messwerte dann hochgerechnet auf die tatschliche Größe – das Ergebnis ist also mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Zudem entspricht diese Sonderlösung in mehrfacher Hinsicht nicht den Vorschriften der DIN EN 1202-2 für Rauchabzugseinrichtungen. Im übrigen ist es nicht zulässig, dass der Entwickler einer „Sonderlösung“ sich selber dafür die „Bauaufsichtliche Zulassung“ erteilt; dies muss immer durch eine andere anerkannte Prüfstelle erfolgen.
Schwieriger wird es beim Prüfen der Entrauchungsanlagen. Ob die vorgegebenen Luftströme an den dafür festgelegten 22 Messpunkten in den Tunneln und in der Tiefbahnsteighalle beim Betrieb der Entrauchungsgebläse alle erreicht werden, bleibt zumindest zweifelhaft – fraglich bleibt, wie der Prüfer dann mit den Ergebnissen umgehen wird, die den Anforderungen nicht entsprechen.
Die Forderung des Brandschutzkonzeptes – bei einem Brand im Tiefbahnhof müssen beiderseits jeweils 1,2 Mio. m³ Luft je Stunde aus den Tunneln in die Bahnsteighalle eingeblasen werden – ist nicht einhaltbar, die in die Tunnel gerichteten Schubdüsen im Schwallbauwerk SÜD können nicht in die Tiefbahnsteighalle blasen! Spätestens an diesem Punkt wäre das Aus für Stuttgart 21 erreicht – sofern der Prüfer ehrlich ist. Das aber wird er sich wohl kaum trauen und versuchen, sich irgendwie daran vorbei zu mogeln.
Die wirklich entscheidende Frage aber, ob im Brandfall die Selbstrettung gelingen kann, wird er erst gar nicht angehen, denn das gehört nicht zu seinem Prüfumfang. Er wird weder eine Evakuierungs- noch eine Verrauchungs-Simulation erstellen; die gesetzlichen Vorschriften fordern das auch nicht vom Vorhabenträger.
Die „Evakuierungs-Simulation“, die die GRUNER AG 2014 im Auftrag der DB PSU erstellt hatte, hat aber niemand zu Gesicht bekommen, nicht mal die DB PSU selber. 2016 wurde diese bereits gelöscht, wie unlängst vor Gericht festgestellt. Der damalige Brandschutz-Beauftragte der DB AG, Klaus-Jürgen Bieger, hatte 2014 die Branddirektion Stuttgart sowie das Regierungspräsidium Stuttgart getäuscht mit seiner „Folie 11“ zur „Evakuierung eines Zuges im Tunnel“ und der Behauptung, dies sei durch Simulation von GRUNER bestätigt worden – die Simulation wurde erst ein halbes Jahr später erstellt. Bieger hat das Unternehmen 2018 verlassen und sich so der Verantwortung für die von ihm angerichtete Brandschutz-Mogelei entzogen.
Stuttgart 21 ist der größte technisch-wissenschaftliche Betrug aller Zeiten!
All´ diese Probleme hat der Kopfbahnhof nicht, deshalb muss er erhalten bleiben!