Rede von Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), auf der 707. Montagsdemo am 13.5.2024
Liebe Freunde des Stuttgarter Kopfbahnhofs,
es ist erst acht Wochen her, dass ich am 18. März zur 700sten Montagsdemo gegen Stuttgart 21 sprechen durfte. Meine Hauptbotschaft war: der Widerstand gegen Stuttgart 21 ist für mich ein Musterbeispiel für die Wichtigkeit des bürgerschaftlichen Engagements! Ihr klärt auf, entlarvt falsche Versprechungen und manipulierte Berechnungen.
Woche für Woche setzt ihr euch in mustergültiger Weise ein. Für die Menschen – für die Umwelt – und für eine ehrliche Verkehrswende: Weg vom Auto und hin zu einer lebendigen Bürgerbahn!
Gerade die 700ste Montagsdemo fand eine lebhafte Beachtung. In Fernseh- und Hörfunkbeiträgen – in überregionalen Zeitungen – sogar in der Stuttgarter Presse. Aber auch im Stuttgarter Gemeinderat, im Bahnvorstand und an diesem Donnerstag sogar vor dem höchsten Berliner Verwaltungsgericht bei unserer Klimaklage gegen eine im Klimaschutz durch die Porsche-Partei FDP gesteuerte Bundesregierung.
Und es haben sich in den vergangenen acht Wochen wesentliche Rahmenbedingungen geändert:
- Die Bahn muss nach der fulminanten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart die Mehrkosten von S21 von über 7 Mrd. Euro übernehmen.
- Gleichzeitig streicht Porsche-Finanzminister Lindner den Bahn-Sanierungsetat zusammen. Statt 90 Mrd. € steht nicht einmal ein Drittel zur Verfügung.
- Der Pfaffensteigtunnel steht nicht auf der Liste der finanzierten Bahninfrastrukturprojekte – und wird auch nicht aufgenommen.
- Das Thema Brandschutz ist im Bahnvorstand das Alptraumthema überhaupt – hier ein herzliches Dankeschön an Christoph Engelhardt für seine Aufklärungsarbeit!
- Unsere Klage als Deutsche Umwelthilfe gegen das Eisenbahn-Bundesamt und die Deutsche Bahn AG vor dem VG Stuttgart auf Einhaltung von Recht und Gesetz und Umsetzung des Planfeststellungsbeschlusses hat nun noch mehr Relevanz.
Aus diesem Grund gehe ich nun fest davon aus, dass unsere DUH-Strategie zur Erhaltung einer unterbrechungsfreien Gäubahn-Anbindung an den Stuttgarter Kopfbahnhof und Erhaltung desselben als Ergänzung eines nur eingeschränkt – wenn überhaupt – nutzbaren Tiefbahnhofes aufgeht.
Wie komme ich zu dieser Bewertung?
Nach der 700sten Montagsdemo wurde laut Wortprotokoll im Stuttgarter Gemeinderat aufgeregt über die von mir öffentlich gemachten Gespräche mit dem Bahnvorstand gesprochen. Lustig fand ich die angebliche Aussage der Bahn an die Stadt, es gebe keine Gespräche mit der gegen die Bahn klagende Deutsche Umwelthilfe.
Doch – es gibt sie: Am 4. Oktober unter anderem mit dem Bahnvorstandsvorsitzenden Dr. Lutz und dem für S21 und alle übrigen Baumaßnahmen zuständigen Vorstandsmitglied Huber. Und vor vier Wochen am 16. April erneut – wieder mit dem Vorstandsvorsitzenden Herrn Dr. Lutz und Dr. Tobias Heinemann – Beauftragter der „gemeinwohlorientierten Schieneninfrastruktur“.
Ich gebe ja zu, dass das Thema Gäubahn, Pfaffensteigtunnel und Erhalt des Kopfbahnhofs keine ihrer Lieblingsthemen sind. Und dass die Bahn alle Möglichkeiten versuchte, nicht darüber sprechen zu müssen. Das kenne ich seit über 20 Jahren, dass der Bahnvorstand in unseren Gesprächen mit uns Umweltverbänden am liebsten über Schutzgebiete redet, über die Einbindung unkritischer VorständInnen in Bahnberatungsgremien, und dass die NGOs sich für mehr Geld für die Bahn einsetzen.
Genauso lang müssen die Bahnvorstände Mehdorn, Grube und Dr. Lutz aber hinnehmen, dass wir als DUH uns nicht mit Geld, schönen Ämtern bei der InfraGO oder blumigen Versprechungen abspeisen lassen.
- Die Deutsche Umwelthilfe kämpft für eine Bürgerbahn. So wie es die Schweiz vormacht. Und so, wie es die ÖBB in Riesenschritten der SBB nachmacht.
- Die DUH setzt sich in den Bahn-Vorstandsgesprächen dafür ein, dass sich die Bahn endlich ehrlich macht und eingesteht, dass ein leistungsfähiger Bahnknoten Stuttgart nicht ohne den Erhalt des Kopfbahnhofs funktioniert.
- Und die DUH wechselt nicht nur schöne Worte, sondert sie klagt auch, wenn es notwendig ist – als einziger Umweltverband bei den Spitzengesprächen übrigens – wenn sich die Bahn gegen Recht und Gesetz stellt. So auch im Falle der geplanten Kappung der Gäubahn vom Stuttgarter Bahnkreuz.
Nun konkret zu den Inhalten meiner Gespräche mit dem Bahnvorstand: Ich werde nicht alle Details erzählen, aber wenn die Deutsche Bahn denkt, sie könne die Tatsache einfach leugnen, dann muss ich doch ein wenig über die Themen und unsere konkret mit dem Vorstand besprochenen Forderungen sprechen. Ich glaube, damit breche ich keine Vertraulichkeit im Detail.
Im Oktober-Gespräch war das Thema S21 das mit Abstand intensivste Thema. Es ging nicht nur um unterschiedliche Rechtsauffassungen unseres Klageerfolges, sondern um die Bedeutung der Gäubahn für die Deutsche Bahn AG. Und diese ist ganz offensichtlich nahe Null!
Ich habe die Herren Dr. Lutz und Herrn Huber auf die Unzumutbarkeit des Umstiegs in Vaihingen für Reisende aus dem Süden Europas, der Schweiz oder vom Bodensee angesprochen. Vorstand Huber entgegnete mir mit entwaffnender Offenheit: „Herr Resch, woher wollen Sie denn wissen, ob die Reisenden denn überhaupt weiterfahren wollen, vielleicht wollen sie ja nur nach Vaihingen.“
Ich antwortete ihm: „Da haben Sie wahrscheinlich sogar recht. Nach fünfzehn Jahren Unterbrechung des Direktanschlusses dieser europäischen Magistrale werden die wenigen verbliebenen Reisenden sicher nur noch nach Vaihingen fahren. Und dann wird die Wirtschaftlichkeitsberechnung auch ergeben, dass sich der Pfaffensteigtunnel einfach nicht rentiert.“
Der Vorstand der Deutschen Bahn will ganz offensichtlich den jetzt schon zu kleinen Tiefbahnhof von soviel Bahnverkehr wie möglich entlasten. Das kommt aber für die DUH nicht in Frage. Die Magistrale Stockholm – Kopenhagen – Hamburg – Stuttgart – Zürich – Mailand – Rom steht für uns nicht zur Disposition.
Wie bereits seit vielen Jahren habe ich die Bahn aufgefordert, den Kopfbahnhof zusätzlich zum Tiefbahnhof zu erhalten. Anfang diesen Jahres erfreute ich mich dann die Nachricht, dass die Bahn tatsächlich so vorgehen will: Wenige Züge sollen im Tiefbahnhof verkehren, der Fahrplan bleibt auf den Kopfbahnhof ausgerichtet.
In meinem letzten Gespräch mit dem Bahnvorstand ging es mir um die konkrete Umsetzung. Wir brauchen nun eine schnelle Umplanung besserer Rolltreppen und Aufzüge zwischen Kopfbahnhof und Tiefbahnhof. Wir haben auch vertiefende Gespräche vereinbart, die sich allerdings derzeit schwierig gestalten, da offensichtlich Stadt und Land partout nicht wollen, dass es Arbeitsgespräche mit der Deutschen Umwelthilfe gibt.
Ich finde das schon bemerkenswert: Wenn Stadt und Land gegen die Bahn klagen, dann hat das keine Auswirkung auf die Gesprächsbereitschaft. Wenn aber ein Umweltverband für einen leistungsfähigen Bahnhof und für die Einhaltung von Recht und Gesetz klagt, dann ist dies ein Grund, jegliche Gespräche auf Arbeitsebene abzulehnen. Absurderweise sind damit weiterhin die Gespräche auf Vorstandsebene nicht betroffen. Aktuell wird das Herbstgespräch mit dem Bahnvorstand vorbereitet.
Die Zeit ist unser Freund!
Die knappen Mittel machen nicht nur den Pfaffensteigtunnel unmöglich, sondern führen zu weiteren Verzögerungen im Netzausbau. Damit kann der Tiefbahnhof – unabhängig vom eigentlich unlösbaren Brandschutzproblem – noch weniger Verkehre bewältigen. Die angekündigte „Übergangsregelung“ – Kopf- plus Tiefbahnhof – wird daher zu einer Dauerlösung. Warum? Es soll ja nicht beim Status quo des Bahnverkehrs bleiben. Bis 2030 sollen die Personenkilometer verdoppelt werden – so der Klimaschutzplan der Bundesregierung.
Womit wir bei den Klimaklagen der Deutschen Umwelthilfe ankommen. An diesem Donnerstag verhandelt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg unter Vorsitz von Frau Holle unsere aktuell wichtigste Klimaklage.
Es geht vor allem um die Verkehrspolitik. Um das Versagen von ROT, GRÜN und GELB, die Verkehrswende rückwärts zu stoppen.
Und ich bin zuversichtlich, dass wir erneut gewinnen. Wenn dann wirklich Bundesrat und Bundespräsident das Klimaschutzgesetz entkernen, machen sie deutlich, was sie wirklich wollen: Eine Verkehrswende zurück zum Auto, zur Fortsetzung der Verbrenner-Orgien. Für ein einzigartiges Schaufahren gegen den Klimaschutz. Aber mit Mercedes-Stern und Porsche-Design.
Wir setzen auf die Menschen. Auf euren Widerstand. Auf die beiden neuen Gäubahn-Komitees „Wir wollen nach Stuttgart“ und „Wir wollen an den Bodensee“, die in den vergangenen Wochen in Stuttgart und Rottweil im Beisein des ehemaligen Schweizer Bahnchefs Weibel gegründet wurden.
Wir setzen auf die Unterstützung der betroffenen Gemeinderäte und Oberbürgermeister der Städte entlang der Gäubahn, auf die Landkreise, Wirtschaftsbetriebe, die Universitäten wie Konstanz und –soweit sie das offiziell tun können – von Schweizer Kantonen, der Schweizer Regierung und der SBB.
Was für ein Versagen der Landes- wie Bundespolitik! Was für eine Kapitulation einer grün-schwarzen Regierung und ihrer Landtagsfraktionen vor den Stuttgarter Immobilienspekulanten!
Ich erwarte von meinem Ministerpräsidenten Kretschmann, vom Verkehrsminister Hermann und zumindest von der zahlenmäßig großen und nur gebückt auftretenden grünen Landtagsfraktion eine politische Gestaltung unserer Zukunft und kein feiges Wegducken. Und ganz konkret die Arbeit an Alternativplänen für den Fall, dass wir uns mit unserer Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart durchsetzen.
Es reicht im Übrigen nicht, die Gäubahn nur am Hauptbahnhof zu belassen. Diese wichtige Strecke muss schnellstmöglich wieder auf Vor-Weltkriegs-Standard durchgehend zweigleisig ausgebaut werden. Aktuell droht Bahnfirmen Kurzarbeit und sie bauen Kapazitäten ab, weil beispielsweise die Bahn keine Streckenelektrifizierung mehr beauftragt.
Bereits vor 15 Jahren zu Baubeginn haben wir gegen Bahn und EBA geklagt. Damals gab es noch eine schwarze Landesregierung. Ministerpräsident Mappus und Umweltministerin Gönner unterstützten unsere Klage auf saubere Luft ebenso wenig wie ihre Nachfolger Kretschmann und Hermann. Und wir gewannen vor Gericht. Auf der Baustelle durften nur Maschinen und Fahrzeuge mit Partikelfiltern eingesetzt werden. Auch damals hatte mir Bahnchef Grube prophezeit, wir würden verlieren.
Ich wiederhole meine Forderung an Bahnchef Lutz, Oberbürgermeister Nopper, Verkehrsminister Hermann: Nehmt endlich den Kopf aus dem Sand und arbeitet an einem leistungsfähigen Bahnknoten Stuttgart, der auch 2040 und 2050 den steigenden Bahnverkehr bewältigen kann. Wir brauchen schnell den Start der Planung für breite Treppen und Rolltreppen sowie Aufzüge zwischen Kopf- und Tiefbahnhof, um weitere Schikanen für die in Stuttgart bahnfahrenden Menschen zu vermeiden.
Wir sind nicht ohnmächtig! Wenn wir gemeinsam Druck machen, können wir die Bürgerbahn vor den Spekulanten in Stuttgart und anderswo retten!
Unsere Arbeit kostet Geld. An alle, die es sich finanziell leisten können: Unterstützt mit Spenden den Widerstand gegen Stuttgart 21, und nur wer dann noch was übrig hat, unterstützt bitte unsere DUH-Klage für den Kopfbahnhof und die Gäubahn mit der Übernahme einer Gäubahn-Patenschaft.
Toll dass ihr heute mit dabei seid. Meine Botschaft heute lautet: Wir werden OBEN BLEIBEN – wenn wir alle gemeinsam DRUCK MACHEN! Nur dann werden wir es schaffen!
Ich danke euch!