Die Zerstörung der Eisenbahn wird immer schlimmer

Rede von Dr.-Ing. Hans-Jörg Jäkel, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21, auf der 662. Montagsdemo am 12.6.2023

Wir leben in einer Welt, wo Gaspipelines und Wasserstaudämme rücksichtslos gesprengt werden, wo die zerstörerische Klimaerwärmung schneller als berechnet voranschreitet. Auch die Zerstörung der Eisenbahn wird immer schlimmer und belastet uns immer stärker.

Die Pünktlichkeit bei der Bahn hat in Deutschland mit 65% – bei immerhin sechs Minuten Toleranz, und ausgefallene Züge gar nicht erst mit gerechnet – einen neuen Tiefpunkt erreicht. Mit dem aktuellen Ansatz kompletter Streckensperrungen über mehrere Monate arbeitet man ja schon fast bewusst darauf hin, das so wichtige Vertrauen der Fahrgäste endgültig zu verspielen. Ich kenne leider so viele, die wieder vermehrt oder nur noch auf das Auto setzen.

Wir haben bei der Eisenbahn noch gelernt, dass die Kriterien für eine Entscheidung sein sollten: „Sicherheit, Pünktlichkeit, Wirtschaftlichkeit“ – in dieser Reihenfolge und mit einer deutlichen Abstufung. Die Sicherheitsaspekte müssen also immer im Vordergrund stehen. Aber dann kommen zunächst Pünktlichkeit bzw. Zuverlässigkeit und erst danach sollten wirtschaftliche Kriterien wirken. Ich möchte Euch mit einer langen Liste von Bahnprojekten verschonen, bei denen das „Pferd vom Schwanze aufgezäumt“ wurde und wird („Cash in the Täsch“).

Den Beteuerungen zum Ausbau des Schienenverkehrs als wichtigen Beitrag zum Klimaschutz kann ich keinen Glauben mehr schenken. Wenn dann noch so ganz nebenbei der für eine leistungsstarke Bahn so wichtige Deutschlandtakt von einem Zieltermin 2030 ganz ohne Begründung auf 2070 geschoben wird – also von noch 7 Jahren auf fast 50, dann schüttelt doch (fast) jeder nur noch mit dem Kopf. Na ja, ganz ohne Begründung wurde ja nicht verlängert. Wenn ich mich richtig erinnere, sollen zur Netzertüchtigung für den Deutschlandtakt etwa 95 Mrd. Euro vom Steuerzahler eingesetzt werden – das könnte man für einen überschaubaren Zeitraum eher schlecht vermitteln. Aber dieses Jonglieren mit schwer vorstellbaren Zahlen trägt auch mit dazu bei, die letzten Reste von Glaubwürdigkeit zu zerstören.

Dieses Spekulieren auf die Zukunft passt überhaupt nicht zu den aktuellen Fakten. In der sehr sehenswerten Sendung „heute-show spezial“ zum Thema Deutsche Bahn vom vergangenen Freitag wurde Verkehrsminister Wissing mit dem Fakt konfrontiert, dass 2022 nur 74 km Schiene, aber 10.000 km Straße gebaut wurden. Seine Antwort war – wen überrascht es – ein Spekulieren auf die Zukunft. 2022 – da wurde doch die Schnellfahrstrecke Wendlingen – Ulm in Betrieb genommen. Mit 60 km zweigleisiger Strecke wäre dies also fast der gesamte Neubau in Deutschland und nur 14 km irgendwo anders.

Nun möchte ich mich aber auf die Zerstörung der Eisenbahn durch Stuttgart 21 konzentrieren. Wenn mir – und sicher auch vielen anderen Eisenbahnern – vor dem März 2023 jemand erzählt hätte, dass wegen Kabelverlegearbeiten eine 4-gleisige Hauptstrecke für fast 3 Monate komplett gesperrt wird, dann hätten wir das als „Fake News“ abgetan. Aber so kann man sich heutzutage eben irren. Die Bahn – insbesondere die Projektgesellschaft S21 – kann offenbar den sprichwörtlichen Elefant im Porzellanladen spielen und die Eisenbahn fast beliebig zerstören. Und der Landesverkehrsminister Hermann sagt dazu in einem Interview, dass er diese auch noch extrem kurzfristig angekündigte Sperrung hätte verhindern können. Dann würden die anderen Projektpartner ihn aber schuldig dafür erklären, dass Stuttgart 21 nicht 2025 fertig gestellt wird. Wir wissen zwar, dass dies sowieso nicht passieren wird, aber der Verkehrsminister lässt sich erpressen, und statt sich mit der Stadt Stuttgart und der Region zusammenzutun und die Zerstörung zu verhindern, lässt er die Bahn gewähren. Er ist aber in der Verantwortung.

OB Nopper bedauert die Pendler, aber spekuliert auf die Zukunft und den Digitalen Knoten und lässt seine Verwaltung für die Streckensperrungen an Ersatzfahrplänen mitarbeiten – als hätten die nix Anderes zu tun. Und ganz schlimm wird es beim Verband Region Stuttgart, der eigentlich für die S-Bahn Stuttgart die Verantwortung trägt. Er nimmt eine ganze Reihe kurzfristiger Streckensperrungen für 2023 einfach so hin, wohl wissend, dass ja in den Sommerferien 2023, aber auch 2024 und 2025 Sperrungen der S-Bahn-Stammstrecke erfolgen.

Aber wenn man den Auftritten der Tunnelparteien im Verband Region Stuttgart genau zuhört, dann ist da schon viel Resignation, aber auch Unsinn zu hören. So hat Bernhard Maier für die Freien Wähler seine Positionierung damit eingeleitet, dass er früher stolz war, die Region bei Veranstaltungen zur S-Bahn zu vertreten. Jetzt werde man dabei – wenn es gut läuft – nur noch milde belächelt. Armin Serwani von der FDP hat früher im Stellwerk im Stuttgarter Hauptbahnhof gearbeitet. Wenn man ihn zu Problemen von S21 heute anspricht, dann antwortet er, dass er dies durchaus ähnlich sieht und sich deshalb dazu zurückhält. Seine Fraktionskollegin Heise plappert dann in ihrem Beitrag allerdings lustig drauf los, dass sie von Einigen gehört hätte, dass der Bus‑Ersatzverkehr eigentlich besser wäre als der Normalbetrieb der S-Bahn. So zerstören die verantwortlichen Politiker die Eisenbahn.

Auch bei der Gäubahn nach Singen nimmt die Streckenkomplettsperrung 2023 zerstörerische Formen an. Der SWR berichtet dazu: „Zwischen Stuttgart und Singen kommt es zu monatelangen Ausfällen. Die Reisenden müssen auf Ersatzbusse ausweichen“. Der Begleittext mit vielen verschiedenen Sperrungsphasen ist einfach nur fürchterlich und konterkariert den Ansatz eines Deutschlandtickets komplett. Gut erinnere ich mich dazu auch an einen Vortrag von Benedikt Waibel (ehemaliger Chef der SBB), der darüber sprach, wie aufwändig es ist, neue oder verlorene Fahrgäste zu gewinnen – im Vergleich zum Halten der Fahrgäste. Er setzte dafür einen Faktor 10 an und kann den Komplettsperrungsorgien der Deutschen Bahn nichts abgewinnen.

Mit diesen Gäubahnsperrungen bereitet man die Fahrgäste auf dieser Strecke wohl schon darauf vor, was mit/bzw. kurz vor der Inbetriebnahme von S21 passieren soll. Dann reden wir nicht mehr von mehreren Monaten, sondern von einer zweistelligen Anzahl von Jahren. Verantwortlich dafür ist das schlechte Projektmanagement der DB. Da braucht Baubürgermeister Pätzold sich über den Widerstand der Gäubahnanlieger überhaupt nicht zu wundern. Er hat es mit den anderen Projektpartnern im Lenkungskreis ja offenbar nicht für nötig erachtet, eine Lösung für die Anbindung der Gäubahn einzufordern. Dass dieses Thema immer brennender wird, ist ihm durchaus bewusst – aber er verdrängt es einfach und spekuliert auf die Zukunft. Das wird hoffentlich nicht aufgehen, denn die Deutsche Umwelthilfe hat ja nun gegen das Eisenbahn-Bundesamt geklagt. Die Frist von einem Monat für eine der Aufgabenstellung des EBA entsprechende Aktivität gegenüber der DB ist verstrichen und deshalb wurde Klage eingereicht. Aber dazu werden wir sicher bald genauere Informationen erhalten.

Weniger von der Öffentlichkeit beachtet ist auch der Abstellbahnhof in Untertürkheim ein Problem von S21, das die DB „aussitzen“ will. Jetzt werden dort zwar Gleise und Weichen verlegt, so dass evtl. 2025 eine Fertigstellung machbar ist. Aber was nutzt dies, wenn die Anbindung nicht gebaut wird? Im „großartigen Ringkonzept“ von S21 soll der Abstellbahnhof von beiden Seiten bedient werden können – vom Südosten über den Untertürkheimer Tunnel und von Bad Cannstatt aus mit zwei neuen Gleise auf einer Art Tunnelgebirge über dem landwärtigen Gleis der S1. Aber das, was die schwäbischen Eisenbahner vor 100 Jahren mit fünf kreuzungsfreien Zufahrtsgleisen zum Abstellbahnhof Rosenstein geschaffen haben, das bekommt man offenbar jetzt nicht mehr hin.

Es gibt eine bereits 2006 genehmigte Planung für diese nordwestliche Anbindung. Man hätte also längst bauen können – aber offenbar gibt es kein Interesse. Herr Leger hatte ja sogar mal verlauten lassen, dass man S21 auch ohne Abstellbahnhof in Betrieb nehmen könnte – mit einer Abstellung irgendwo in der Region. Erst im letzten Jahr haben Herr Krenz und Herr Pradel von der DB nun erklärt, dass bei der Inbetriebnahme von S21 zwischen Bad Cannstatt und dem Abstellbahnhof nur ein Gleis zur Verfügung stehen würde. Aber das ist nicht etwa ein Teil des geplanten Neubaus, sondern eine bestehende Verbindung, die an der Station Neckarpark die S-Bahn zwar unterquert, aber dann beide Gleise der stark befahrenen Güterumgehungsstrecke nach Kornwestheim niveaugleich kreuzt und dann auch noch beide Gleise der Zufahrt aus dem Untertürkheimer Tunnel. Nach diesen „Blutgrätschen“ erreicht man zwei (!) Wendegleise, um mit Kopf machen zur Abstellung zu gelangen. So entsteht ein extremer betrieblicher Engpass, bei dem auch ETCS nichts hilft.

Als Begründung für den „Nicht-Bau“ der schon lange planfestgestellten Verbindung führen die Bahnverantwortlichen die hohe Komplexität dieses Tunnelgebirges an oder schieben es mal wieder auf die spezielle Stuttgarter Eidechsenproblematik. Auch da wird von den Projektpartnern nix eingefordert, obwohl jedem Laien klar ist, welche Bedeutung die leistungsfähige Anbindung eines Abstellbahnhofs für den pünktlichen Bahnbetrieb hat. Schlafen denn die verantwortlichen Politiker? Vor einem Monat habe ich das EBA angeschrieben und auf diese Unterlassung der Bahn hingewiesen – unterstützt von der Klage der Umwelthilfe, die den engen zeitlichen Zusammenhang aller Planfeststellungsabschnitte des Projekts verdeutlicht hat. Aber wie üblich gibt es vom EBA keine Reaktion. Deshalb werde ich versuchen, die Thematik als Ergänzung bei der DUH unterzubringen.

Die schwäbischen Eisenbahner haben vor 100 Jahren den Abstellbahnhof schon 1919, also drei Jahre vor dem ersten Teil des Kopfbahnhofs in Betrieb genommen – komplett mit allen fünf Zufahrten durch das Tunnelgebirge. Er wurde nach der Fertigstellung auch für den Bahnhof an der Bolzstraße genutzt und hatte damit bei der Inbetriebnahme des Kopfbahnhofs bereits gut erprobte betriebliche Abläufe.

Als leidenschaftlicher Eisenbahner fällt es mir schwer, Euch diese Zerstörungen zu erläutern. Ich bin mir sicher, dass sie auch sehr viele aktive Bahnbeschäftigte bedrücken. Wenn bei den von Abellio durch die SWEG übernommenen Strecken dann Züge wegen Personalausfall nicht fahren können und die S-Bahn Stuttgart äußerst intensiv nach Mitarbeitern sucht, dann sehe ich einen klare Beziehung zum Zustand der Bahn. Das leistungsfähige Bahnbetriebswerk Rosenstein wurde ebenfalls zerstört und die Mitarbeiter dadurch sicher nicht motiviert.

Über Gäubahn und Abstellbahnhof kämpfen wir aber weiter dafür, dass für unseren Kopfbahnhof gilt: „Oben bleiben“! Und wenn das manchmal in den eigenen Emotionen nicht so ganz gelingt, dann hat unser Norbert Bongartz für das 100-jährige Bahnhofsjubiläum in seiner bewährten Sprechweise die Ergänzung geliefert: „Kopf hoch“!

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Eine Antwort zu Die Zerstörung der Eisenbahn wird immer schlimmer

  1. Alexander Abel sagt:

    Wer bitte sind „wir“ bzw „uns“?
    Die Zerstörung der Eisenbahn scheint 95% der auf (Auto-)mobilität bedachten Bevölkerung nicht zu „belasten“. 95% haben ja Eisenbahnmörder, nämlich S21-Parteien gewählt.-
    Die Pünktlichkeitsdefinition der „Oberleitung“ ist eine Frechheit sondersgleichen!
    In Japan liegt die Toleranzschwelle bei 30 Sekunden, und auf S-Bahn-Bündelstrecken ist schon das zu hoch gegriffen. –
    Der „oberste Leiter“ bekommt im Jahr 1,36Mio
    Teuros, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen – Cash-in-the-Täsch für Beine auf dem Schreibtisch!
    Das ist das Verständnis der S21-Politiker von
    „Wirtschaftlichkeit“.
    „Wirtschaftlich“ wäre, den gesamten DB-Tower leerzuräumen, indem man seine gesamte Belegschaft zum Jobcenter schickt.
    1€-„Arbeitsgelegenheit“ im Gleisbau! –
    Keine andere Bahnverwaltung sperrt Strecken zur Sanierung. Überall sonst in der Eisenbahnwelt wird unter „rollendem Rad“ und nachts gebaut.
    Aber für unsern höchsten Eisenbahngott ist Plasser&Theurer scheints ein chinesisches Fremdwort, oder diese Gleisbaumaschinen sind ihm nicht „wirtschaftlich“ genug.
    Der Wissing müsste den Lutz eigentlich fragen,
    wieviele der von seinen Vorgängern herausgerissenen Weichen (eine Verspätungsursache) er in den Jahren im Amt wieder eingebaut hat. –
    Komisch, 100Mrd für Kriegsvorbereitungen kann man dem Steuerzahler scheints vermitteln, 95Mrd
    für die Sanierung der Eisenbahn dagegen nicht.
    Das geht natürlich nicht, denn der Deutsche Michel steht lieber mit seinem SUV im Stau, als in einem fahrenden Zug zu sitzen.
    Was man auch nicht übersehen sollte, der Autobahnbau ist auch eine Kriegsvorbereitung, war er schon beim Hitler!
    Aber Herr Jaekel, sollte Ihnen entgangen sein,
    dass die Eisenbahnzerstörung eine jahrzehntelange Tradition hat?
    Ich besitze eine grosse Zahl an Kursbuchkarten,
    die älteste ist von 1959, die jüngste von 2022.
    Und von Jahr zu Jahr werden die weissen Flächen
    immer grösser, das Schienennetz immer lückenhafter.
    Beim Strassennetz verhält es sich genau umgekehrt, und die Flughafenflächen sind auch
    gewaltig gewuchert.
    Das ist traditionelle deutsche Verkehrspolitik,
    und er Deutsche Michel unterstützt die eifrig
    mit Kreuzchen.
    Gegen Dummheit und Boshaftigkeit ist halt kein Kraut gewachsen.
    Oh doch, die Methode „Albrecht Müller“.
    Die Revolution ist wirklich überfällig, nicht nur zur Rettung der Eisenbahn!

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