Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 656. Montagsdemo am 17.4.2023
Liebe Freundinnen und Freunde,
einige von Euch haben sich darüber beklagt, dass in meinen letzten Reden keine Liedertitel mehr vorkamen. Das will ich heute gerne ändern und schlage gnadenlos zu mit gleich drei Schlagern von Greetje Kauffeld aus den Niederlanden. Entdeckt wurde sie 1961 bei einem Auftritt in der Stuttgarter Liederhalle mit Begleitung von Erwin Lehn.
Heutiges Thema ist mein Antrag auf Akteneinsicht beim Landratsamt Göppingen. Statt eines Termins zur Einsicht kam ein Ablehnungsbescheid mit der Post, worauf ich mit der Post meinen Widerspruch einreichte. Passend hatte Greetje Kauffeld schon 1964 gesungen: „Wir können uns nur Briefe schreiben.“ In dem Bescheid wurde einfach ein Schriftsatz des Bahnanwalts Dr. Krappel einkopiert. Zu Recht hieß das bei Greetje schon 1961: „Nur eine schlechte Kopie“. Leider hat Dr. Krappel auch noch geschummelt. Deshalb hat ihn Greetje mit Sicherheit nicht gemeint, als sie 1963 zusammen mit Paul Kuhn das Lied sang: „Jeden Tag, da lieb ich dich ein kleines bisschen mehr.“
Bestimmt versteht Ihr jetzt gar nichts. Deshalb will ich es Euch so erklären, wie es im Staatsministerium immer Stefan Mappus erklärt wurde. Nämlich mit dem Satz: „Worum geht es?“
Es geht um meinen Antrag auf Akteneinsicht nach dem Umweltverwaltungsgesetz beim Landratsamt Göppingen vom 12. November 2022. Der Antrag hat eine Vorgeschichte: In dem Fall waren es Zeitungsberichte der Journalistin Sylvia Gierlichs in der Wendlinger Zeitung/Nürtinger Zeitung im Oktober 2022. Darin berichtete die Journalistin sehr kritisch über eine Brandschutzübung im Tunnel der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Zu lesen war, dass die Übung nicht zur Zufriedenheit ausgefallen sei. Deshalb habe man die bereits vorbereitete optimistische Pressemitteilung gar nicht mehr bekannt gegeben. Unter anderem habe die Feuerwehr die nötige Ausrüstung von einer Baufirma ausleihen müssen. Sylvia Gierlichs hatte dazu erfolglos beim Landratsamt, dem Eisenbahn-Bundesamt und der verantwortlichen Bahntochter DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH nachgefragt.
Die Berichte lösten eine Diskussion bei uns aus und der Gedanke lag nahe, sich Einblick in die Unterlagen nicht nur zur missglückten Übung, sondern überhaupt in den Brand- und Katastrophenschutz auf der Neubaustrecke zu verschaffen. Denn es spricht viel dafür, dass dort die Sicherheit genauso lausig ist wie bei Stuttgart 21. Weil die besagte Übung mit Feuerwehren insbesondere aus dem Landkreis Göppingen unter der Leitung dessen Kreisbrandmeisters durchgeführt wurde und die Feuerwehren einen Maulkorb verpasst bekommen hatten, erschien es mir sinnvoll, beim Landratsamt einen Antrag zu stellen.
Dass ich gerne Anträge auf Akteneinsicht stelle und diese notfalls auch gerichtlich durchsetze, wisst Ihr. Übrigens konnte ich genau in dieser Zeit als Beistand beim Verwaltungsgerichtshof dem Vorsitzenden eines Obst- und Gartenbauvereines zur Durchsetzung von Auskunftsansprüchen gegen die Stadt Bruchsal verhelfen. Auch erreichten wir wenig später beim Umweltministerium mit entsprechendem Druck durch ein Interview im SWR-Fernsehen auch die Herausgabe von Dokumenten zu Rissen in den Röhren des AKW Neckarwestheim II.
Nun aber zurück zum Landratsamt Göppingen. Die Frist nach Antragseingang, um Einsicht in die begehrten Umweltinformationen zu gewähren, beträgt genau einen Monat. Umso verwunderlicher war es, dass das Landratsamt dreieinhalb Wochen ausruhte und mir dann einen Drohbrief schrieb. Die vielen Hinweise, warum ich besser nicht auf dem Antrag bestehen sollte, gipfelten in der Drohung, das könne teuer werden. Diese letzte Drohung war eine zu viel, weil nämlich nach einem Erlass des Umweltministeriums, der dem Landratsamt schon im März 2021 zugegangen war, überhaupt keine Gebühren verlangt werden dürfen. Umgehend wies ich das Landratsamt auf die Rechtslage hin und bestand auf meinem Antrag.
Immerhin nach gut einer Woche begann das Landratsamt endlich damit, verschiedene Betroffene anzuhören, u.a. die Feuerwehr, das Innenministerium, das Verkehrsministerium, das Eisenbahn-Bundesamt und auch die DB Netz AG. Dabei war das Landratsamt wieder schläfrig und setzte viel zu lange Fristen zur Stellungnahme. Inzwischen hatte es von seiner gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Frist zur Einsichtnahme auf zwei Monate zu verlängern. Doch auch das reichte dann nicht mehr, zumal ausgerechnet der eigene Kreisbrandmeister die ihm gesetzte Äußerungsfrist um drei Wochen überzog. Ich hoffe nur, dass er beim Löschen schneller ist.
Und jetzt kommt der erste Knüller: Die vollständigen Unterlagen, die mir verweigert werden, wurden Rechtsanwalt Dr. Krappel am 18.1.2023 zur Verfügung gestellt. Und der holte zum großen Schlag aus und schrieb eine Stellungnahme, warum eine Einsichtnahme durch mich nicht nur abzulehnen, sondern sogar höchst gefährlich sei. Das ging bis hin zur Beschreibung von Anschlagsgefahren auf die Bahn mit der Schlussfolgerung, dass meine Kenntnis die Anschlagsgefahr erhöhen würde. U.a. verwies er auf die Gefahren eines Kabel-Anschlages. Leider vergaß er zu erwähnen, dass die DB PSU gerade zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen tausende Kilometer solcher ungeschützter Kabel verlegen und dazu monatelang die Strecke sperren will.
Was aber besonders frech war: Ihr erinnert euch an die Klage der Ingenieure22 auf Einsichtnahme in die Simulationen zur Evakuierung aus den S21-Tunneln im Brandfall. Diese Klage war zu Unrecht vom Verwaltungsgericht Stuttgart abgewiesen worden. Wir hatten dagegen Berufung eingelegt und beim Verwaltungsgerichtshof Recht bekommen. Dort brauchte es gar kein Urteil mehr, sondern die DB PSU verpflichtete sich freiwillig, Einsicht in die Simulationen zu gewähren. Den Vergleich hat sie allerdings bis heute nicht erfüllt. Deshalb versuchen wir noch immer, den PSU-Vorstand Olaf Drescher in Zwangshaft nehmen zu lassen. Das Einsperren hätte er übrigens doppelt verdient, denn er ist der Verantwortliche für die Streckensperrungen ab kommenden Freitag. Bei der Gelegenheit herzlichen Dank an Alle, die unsere Demo am vergangenen Freitag unterstützt haben. Das war erst der Anfang, wir bleiben dran.
Jedenfalls zitierte Rechtsanwalt Dr. Krappel in seinem Schriftsatz ständig das Urteil des Verwaltungsgerichts zum Beweis dafür, dass Unterlagen zum Brandschutz keine Umweltinformationen enthielten. Dabei wusste er haargenau, dass diese Auffassung falsch war. Er hatte ja selbst beim Verwaltungsgerichtshof den Vergleich abgeschlossen. Nicht genug damit: Er hatte die Bahn auch in meinem Verfahren gegen das Staatsministerium vertreten, in welchem die Bahn beigeladen war. Er hatte an den Verhandlungen durch alle Instanzen persönlich teilgenommen und kannte haargenau die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs dazu, warum genau solche Unterlagen Umweltinformationen sind und deswegen ein Anspruch auf Einsichtnahme besteht.
Man könnte jetzt vermuten, das Landratsamt habe seine Pflicht, die Rechtslage selbst zu prüfen und selbstständig zu entscheiden, ernst genommen. Dann hätte es unschwer festgestellt, dass sich Rechtsanwalt Dr. Krappel ständig auf ein nicht rechtskräftig gewordenes Urteil bezog. Aber nein, das war wohl zu viel verlangt. Auf gut 15 Seiten wurde mein Antrag abgelehnt. Nicht weniger als 13 Seiten davon waren vom Schriftsatz des Anwalts wörtlich einkopiert. Das ging so weit, dass wie dort sogar im Plural von „den Anträgen“ geschrieben wurde, obwohl es nur um einen Antrag von mir ging. Deshalb bleibt mir mit Greetje Kauffeld: „Doch ich sag' heute ganz ungeniert: Es tut mir leid – an dir ist alles imitiert. Von all den Größen bist du, mon ami, leider nur eine schlechte Kopie.“
Dass geschummelt wurde, konnte ich nachträglich aufdecken, weil ich auf mein Recht bestanden hatte, in die Schriftstücke zu meinem Antrag Einsicht zu nehmen. Denn vorher waren mir die Stellungnahmen von Rechtsanwalt Dr. Krappel wie auch der übrigen Beteiligten nicht zugänglich gemacht worden. Und dabei stolperte ich gleich noch über ein Schreiben des Eisenbahn-Bundesamtes. Bekanntlich ist dieses dazu da, die Bahn zu beaufsichtigen. Dazu passt wunderbar seine Stellungnahme: „In jedem Fall sollte die Deutsche Bahn AG als Urheber und Verantwortliche zur Herausgabe der Unterlagen beteiligt werden. Ihre Auffassung ist aus meiner Sicht maßgebend“.
Kurzum: Bei all dem Unsinn standen mir die Haare zu Berge. Allerdings geht es nicht nur um Unsinn, sondern um eine ganze Serie von Rechtsfehlern. Diese habe ich in meiner Widerspruchsbegründung aufgelistet und bin auf den Vorwurf von nicht weniger als zehn Verfahrensverstößen gekommen, angefangen von der Nichteinhaltung der gesetzlichen Fristen über die Androhung von Gebühren, die gar nicht erhoben werden dürfen, bis hin zur Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Zur Begründung, warum mir nach Recht und Gesetz Einsicht in die Unterlagen gewährt werden muss, hatte ich es einfach. Denn ich konnte die wesentlichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes in meinem Verfahren gegen das Staatsministerium einfach einfügen. Das hätte sich das Landratsamt übrigens sparen können, weil ich ihm schon das komplette Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Verfügung gestellt hatte. Fast überflüssig zu erwähnen, dass in dem Ablehnungsbescheid mit keinem Wort darauf eingegangen wurde. Jetzt muss über meinen Widerspruch entschieden werden.
Viele von Euch habe ich beim Abschaltfest in Neckarwestheim getroffen. Dessen Anlass hat gezeigt, dass man einen sehr langen Atem braucht, aber letztendlich Erfolg haben kann. Den wünsche ich uns auch beim
Oben Bleiben!