Rede von Hannes Rockenbauch, Fraktionsvorsitzender ‚Die FrAktion‘, auf der 618. Montagsdemo am 4.7.2022
Liebe Freundinnen und Freunde einer Klimabahn und des Kopfbahnhofs,
kein Klimafahrplan ohne Klimabahn! Kein Klimafahrplan ohne Gäubahn! So könnte das vorweggenommene Fazit meiner Rede heißen. Aber bevor ich zu meiner Rede komme, möchte ich Euch sagen: es ist einfach großartig: 618 mal Montagsdemos – und ihr seid immer noch da. Und das in Zeiten, in denen die Krise zum Dauerzustand wird. Erstmal diese Klimakrise, dann die Coronakrise und jetzt kommt noch so ein verdammter Krieg oben drauf. Und da ist es einfach wichtig, dass es Orte gibt, wo man sich treffen kann, wo man sich begegnen kann, wo man sich informieren, diskutieren und sich vielleicht auch mal streiten kann, aber wo man zusammen kommt. Denn nur so gelingt es, dass man zusammen bleibt, und deswegen finde ich es einfach großartig, 618 mal oben bleiben, hier, heute, toll!
Jetzt zum Klimafahrplan: Als Tom mich fragte, ob man zu diesem Klimafahrplan, der gerade im Gemeinderat gemacht wird, nicht auch mal was auf der Montagsdemo sagen müsste, dachte ich nur, „ja, dazu muss man sogar sehr viel sagen“. Das Thema Klima muss ich hier nicht erklären, das ist super relevant – durch Corona ein bisschen verdeckt – aber das Aartal hat uns gerade wieder daran erinnert. Aber auch, was in Italien gerade passiert, das muss man sich mal überlegen: In einer Situation, in der der Weizen eh schon knapp wird, liegt jetzt in Italien die Region, wo 80% aller Nahrungsmittel produziert werden, einfach trocken – ohne Wasser. Was das in Zukunft noch bedeutet bei der Knappheit dieser Nahrungsmittel und der Teuerung, die es da schon gibt, das möchte man sich nicht vorstellen.
Aber auch bei uns stand heute in der Stuttgarter Zeitung: „Waldbrandgefahr!“, und hier im Kessel wissen wir, was jedes Grad mehr bedeutet. Jedes Grad globale Erwärmung bedeutet in Stuttgart das doppelte, und wir leiden heute schon darunter. Ich muss Euch also über die Relevanz des Klima nichts erzählen.
Aber über diesen Klimafahrplan – und das ist dann schon ein bisschen absurd, denn dieser Klimafahrplan wird ja von McKinsey, einer internationalen Unternehmensberatungsagentur gemacht. Und man fragt sich dann schon, warum macht das nicht jemand, der davon Ahnung hat, z.B. jemand aus der Wissenschaft oder jemand, der tatsächlich Städte vor Ort strategisch berät, wie man mit der Klimaveränderung umgeht? Warum macht das eine Unternehmensberatungsagentur? Ich kann es Euch heute nicht erklären. Ich habe lange darüber nachgedacht, eine Erklärung ist mir nicht eingefallen. Viel wichtiger ist: Wie gehen wir jetzt mit dem Klimafahrplan, den McKinsey vorgelegt hat, um. Und dazu will ich heute was sagen.
Erstmal: Seit 2019 beantragt meine Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat schon den Klimanotstand mit dem Klimaziel 2030, seit 2019! Deshalb an Sie die Frage: Wer von Ihnen beobachtet die Kommunalpolitik? Wer weiß, was das städtische Klimaziel ist? Wann will Stuttgart offiziell klimaneutral sein? –nicht vergessen, wir hatten acht Jahre einen grünen Oberbürgermeister. Also wann soll Stuttgart klimaneutral sein?... 2050 will die Stadt klimaneutral sein – 2050! Zum Glück kommt jetzt McKinsey und macht einen Klimafahrplan und schlägt uns vor: 2035. Das machen wir und das rechnet sich! Das finde ich ja immer ein ganz wichtiges Argument bei uns Schwaben. Ansonsten müssten wir unseren Enkeln sagen: „Ja, das mit der Klimaneutralität haben wir nicht hingekriegt, das hat sich halt nicht gerechnet, haben wir halt den Planeten an die Wand gefahren“. Aber jetzt deutet sich an, dank dieses Klimafahrplans, dass der Gemeinderat am 27. Juli einen historischen Beschluss zur Klimaneutralität Stuttgarts fassen wird. Nicht 2030, wie wir 2019 beantragt haben, aber 2035. 2035 scheint in Stuttgart zumindest auf dem Papier möglich.
Dann schauen wir uns mal den Klimafahrplan genauer an: Man könnte ja denken, mit 2035 ist jetzt alles in Ordnung. Denn das erste, was wir im Klimafahrplan lernen, ist, die Stuttgarter und Stuttgarterinnen sind ganz besondere Menschen. Der deutsche Bundesbürger erzeugt 9,7 Tonnen CO2 pro Jahr. Wir schaffen es auf wundersame Weise, trotz Industrie, Flughafen und allem auf 6 Tonnen. 6 Tonnen ist der Durchschnitt, den die StuttgarterInnen pro Jahr erzeugen. Wir sind noch nicht einmal Durchschnitt, wir sind ganz sparsame Schwaben. Das habe ich auch erst gedacht, aber es liegt an der Systematik des Gutachtens. Die Aufgabe, wie viel wir einsparen müssen, wird schlicht und einfach falsch beschrieben, weil alles CO2, das vom Flughafen und von den Autobahnen kommt, die ein bisschen außerhalb von Stuttgart liegen, nicht eingerechnet ist.
Des weiteren ist unser gesamter Lebensmittelkonsum nicht drin, unser Konsum überhaupt und die Bauwirtschaft sind im Gutachten nicht enthalten, weil diese Güter von außerhalb Stuttgarts zu uns kommen. Also wenn wir hier in Stuttgart Zement verbauen, der woanders hergestellt wird, ist der Betonmischer zwar drin, aber nicht das Zementwerk, wo der Zement hergestellt wird. Und das ist bei Stuttgart 21 ja ziemlich viel CO2, wie wir wissen. Es liegt also an der Systematik dieses Gutachtens, dass es die historischen Aufgaben, die vor uns liegen, meiner Meinung nach zu sehr beschönigt. Und das kann nicht gut sein, denn wir brauchen jeden Nachdruck und nicht eine Haltung von „das schaffen wir schon irgendwie, wir sind ja schon sehr gut unterwegs“.
Konkret wird es erst, wenn konkrete Maßnahmen in so einem Fahrplan stehen. Dummerweise ist das einzig Konkrete im McKinsey-Gutachten genau die Maßnahme, von der die Verwaltung ein halbes Jahr vor Veröffentlichung des Klimafahrplans meinte, das bringt gar nichts, das dauert zu lange und ist völlig unsicher. Die konkreteste technische Maßnahme im Gutachten ist CO2-Abscheidung und ‑Speicherung. Also irgendwas wie „wir nehmen es aus der Luft raus und pumpen es mit Pipelines in die Nordsee.“ Also aus der Müllverbrennung ziehen wir es raus und dann in die Nordsee – ab damit. Eine völlig verrückte Maßnahme, aber das ist die konkreteste Maßnahme des Gutachtens.
Dieses Szenario ist vielleicht auch ein bisschen weit weg und für uns wenig greifbar. Aber dann nehmen wir jetzt den Verkehr. Beim Verkehr haben wir doch mit Stuttgart 21 etwas, bei dem wir seit Jahren klipp und klar sagen: „Ein jeglicher Prüfstein in jeder Klimapolitik muss der Umgang mit Stuttgart 21 sein“. Was sagt jetzt McKinsey in seiner Weisheit zu Stuttgart 21? Ich hab lange gesucht. Erst mal, naja, Verkehr macht gar nicht soviel aus, und 70% der Emissionen sparen wir dann ein durch Elektromobilität – dann braucht man am Ende auch keinen gescheiten Bahnhof, wenn die Elektromobilität alles macht. Selbst McKinsey schlägt noch vor, dass 25% CO2-Einsparung vor allem noch durch Verlagerung auf den ÖPNV entsteht, aber kein Wort zum ÖPNV-Ausbau! Auch nicht zum Rückbau, den wir hier in Stuttgart erleben. Weder zu Metropolexpresszügen, noch zur S-Bahn, noch zu all den zusätzlichen Kapazitäten, die wir hier im Nahverkehr bräuchten, in dem die Pendler täglich zu hunderttausenden unterwegs sind. Dazu gibt es kein einziges Wörtchen in diesem Klimafahrplan und schon gar nicht zu Stuttgart 21, oder dass sich da irgendwas in Zukunft verdoppeln muss im Schienenverkehr.
Ein Gutachten, dass es sich so leicht macht, könnte man jetzt schon zu den Akten legen. Aber es geht ja weiter: Was bedeutet es, wenn es sich ein Gutachten so leicht macht? Wenn man bei einem so ambitionierten Ziel „klimaneutral 2035“, so verfährt, wie eben geschildert beim Beispiel Verkehr? Letzten Dienstag redete man gezwungenermaßen im S21-Unterausschuss über die Gäubahn, weil rausgekommen ist, dass die Stadt Stuttgart zwei Jahre lang ein Rechtsgutachten verheimlicht hat, das klipp und klar sagt: „Liebe Leute, eigentlich könnt ihr die Gäubahn ja gar nicht stilllegen. Es gibt einen Erschließung- und Anschlusszwang, solange es kein förmliches Stilllegungsverfahren gibt, und das macht die Bahn nicht“. Zwei Jahre lang haben sie uns das Gutachten nicht mitgeteilt. Die Verwaltung hat nicht verstanden, was daran ein Skandal sei, wenn das Gutachten da nicht käme. Und das 2020 im Jahr der Oberbürgermeister-Wahl in Stuttgart, bei der ich als einziger Kandidat mit dem VCD unterwegs war und mir vor Ort angeschaut habe, dass man die Gäubahn technisch nicht abhängen muss. Und es war zu diesem Zeitpunkt der Stuttgarter Verwaltung nicht nur bekannt, dass es technisch nicht nötig wäre, die Gäubahn abzuhängen, sondern es war auch bekannt, dass es rechtlich auch gar nicht möglich wäre und ist. Aber das hielten die Stadtverwaltung und der Oberbürgermeister offensichtlich nicht für relevant. Es sei ja nur die Privatmeinung eines einzelnen Juristen. Dummerweise liegen inzwischen zwei weitere Gutachten auf dem Tisch, die eigentlich zum gleichen Schluss kommen. Das eine besagt, die Gäubahn müsste bis zum Nordhalt erhalten bleiben, die anderen beiden sagen, bis zum Hauptbahnhof. Die Stadtverwaltung stellte sich am Dienstag trotzdem hin und sagt: „Ja, Leute, wir verstehen gar nicht die Aufregung, wir haben da doch so ein Bundesverwaltungsgerichtsurteil, ihr erinnert euch? Stilllegungsverfahren Stuttgart Netz AG, das habt ihr doch alles schon mal verloren, das ist doch nichts Neues. Wir bleiben bei unserer Rechtsmeinung von damals“. Damals war es aber auch so, dass die Gäubahn für maximal sechs Monate abgehängt werden soll und nicht für 10 bis 15 Jahre, wie es sich jetzt andeutet. Das ist eine völlig veränderte Sachlage, auf die die Stadtverwaltung nicht reagiert.
Erstaunlicherweise, und dass will ich an dieser Stelle honorieren, hat die SPD mit einem Antrag reagiert, dass man jetzt prüfen müsse, ob es nicht wenigstens möglich und notwendig sei, zwei Gleise bis zum Kopfbahnhof führen zu lassen. Wenigstens so lange, bis der Nordhalt fertig und die Gäubahn angeschlossen ist. Dass man also zwei Gleise so baut, dass eben der Städtebau nicht tangiert wird.
Wir wissen, dass zwei Gleise niemals reichen, um einen wirklichen Klimabahnhof hinzubekommen. Wir wissen, dass es dafür ein Oben bleiben braucht. Aber dass sich die SPD jetzt bewegt, ist erstaunlich und verdient all unser Lob und unsere Unterstützung, da gerne mehr zu machen, mehr oben zu lassen und dauerhaft oben zu lassen. Und das meine ich gar nicht sarkastisch. Dem grünen Baubürgermeister ist schier die Kinnlage runtergefallen. Die einzige Erklärung, die er dafür hatte, war, sich zu fragen, ob der Sinneswandel der SPD damit zusammenhängt, dass ihr ehemaliger Fraktionsvorsitzende, dieser Tunnelvorsitzende, als Chefstratege plötzlich weg ist, und so die SPD auf die Idee kommt, darüber nachzudenken, Gleise oben zu lassen. Liebe SPD: Macht es doch gescheit, macht es gleich richtig, lasst einfach alles oben, dann haben wir auch einen echten Klimabahnhof.
Leider hat im Rat keiner über das Klima diskutiert. Dabei geht es ja nicht nur um ein Rechtsgutachten, sondern es geht darüber hinaus darum, ob uns die Verkehrswende gelingt oder nicht. Das war aber kein Thema und schon gar nicht bei dem Bürgermeister, der Umwelt, Klima und blöderweise auch Städtebau bei sich im Referat hat. Der hat nur – beinahe hätte ich gesagt mit Eurozeichen in den Augen – Städtebau im Sinn. Ganz klar war seine Formulierung: „Das wird es mit uns nicht geben, weil wir dort schon unser Rosensteinviertel geplant haben.“ Das muss man sich mal überlegen, wir riskieren heute einen funktionierenden Bahnknoten und die Verkehrswende in ganz Stuttgart für ein Wohnquartier. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, dieses Ausspielen von Städtebau gegen Klimaschutz, das darf sich die gesamte Klimabewegung nicht gefallen lassen.
Und hätten wir ein Gutachten, einen Klimafahrplan, der sagt: zu einem Klimafahrplan gehört auch eine funktionierende Infrastruktur. Da gehört auch rollendes Material dazu, da gehört auch Personal dazu, dann wüssten wir im Ausschuss Bescheid, dann könnte auch der Bürgermeister nicht davon reden, dass im städtischen Interesse an den Städtebau gedacht werden müsse und dass man nicht immer nur verkehrspolitisch denken dürfe. Deswegen ist dieser Klimafahrplan eher ein Blankoscheck für's Weitermachen wie bisher. Und das ist das Problem. Das Ziel 2035 ist gerade noch vertretbar, besser wäre 2030. Aber der Plan ist so gemacht, dass man eigentlich nichts ändern muss, dass man einfach weiter machen kann z.B. mit Stuttgart 21, am besten noch einen Autotunnel in Zuffenhausen obendrauf setzen, wie es die Mehrheit im Gemeinderat gerade plant, der jetzt schon laut Plan 400 Millionen kosten soll – für 600 Meter Tunnel. CDU, SPD, Freie Wähler, AFD, all diese Betonparteien wollen tatsächlich noch einmal einen Tunnel für Autos bauen, was problemlos geht mit diesem Klimafahrplan.
Deshalb lade ich Euch alle ein am 27. Juli in den Gemeinderat. Kommt in den Gemeinderat zur Klimadebatte. Wir können das Ziel teilen, wir können das Ziel unterstützen, aber wir brauchen die richtigen Maßnahmen. Wir müssen eben auch bei allen Projekten, die im Infrastrukturbereich stattfinden darauf achten, dass sie klimaverträglich sind. Sonst wird es mit der Verkehrs- und Klimawende hier in unserer Stadt nichts werden. Und deswegen heißt es für uns, liebe Freundinnen und Freunde, ganz klar: Wer beim Klima in Stuttgart nicht von Stuttgart 21 und oben bleiben redet, der meint es mit dem Klima nicht ernst.
Und deswegen müssen wir weiterhin konsequent für oben bleiben, für die Verkehrs- und Klimawende in unserer Stadt streiten und dieses Zeichen auch gerne mal wieder am 27. Juli im Gemeinderat aussenden: Liebe Tunnelparteien, Ihr werdet uns nicht los, wir Euch schon!“
OBEN BLEIBEN!