Rede von Bernd Riexinger, Mitglied des Deutschen Bundestages, auf der 605. Montagsdemo am 21.3.2022
Es freut mich sehr, hier bei Euch zu sein und an Eurer Seite gegen Stuttgart 21 zu kämpfen. Seit dieser Legislatur sitze ich für DIE LINKE im Verkehrsausschuss des Bundestags, und ich werde Euren Kampf im Bundestag unterstützen.
Heute findet die 605. Montagsdemo statt, und wir können mit erhobenen Kopf sagen, dass wir mit allen Kritikpunkten recht hatten. Stuttgart 21 ist ein Projekt zum Schienenrückbau, ein Projekt, an dem korrupte Immobilienhaie verdienen wollen, ein Projekt, das über 10 Milliarden Euro kostet, und ein Projekt, das niemals hätte gebaut werden dürfen. Hätte nur einer der Verantwortlichen auf einer der 600 Demonstrationen ernsthaft zugehört, dann hätte es nicht so weit kommen müssen.
Thema Korruption
In den letzten Monaten haben sich die Meldungen zu Stuttgart 21 überschlagen. Los ging es mit der Financial Times, die in einem Artikel von einem glaubhaften Korruptionsverdacht beim Projekt Stuttgart 21 berichtet hat. In einer Anfrage an die Bundesregierung haben wir eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe gefordert.
Der Vorwurf: bei der Vergabe von Auftragsleistungen beim Projekt Stuttgart 21 kam es zu Korruption. Dass dieser Vorwurf erst durch einen Bericht der Financial Times bekannt wurde, ist ein politischer Skandal. Die Deutsche Bahn ist zu 100% in öffentlicher Hand und hat auch entsprechend zu handeln und für volle Transparenz zu sorgen. Bei Stuttgart 21 handelt die Bahn nach dem Prinzip: verstecken, vertuschen, vergessen. Stuttgart 21 ist ein Fass ohne Boden. Die negativen Folgen für die Bahninfrastruktur werden uns noch viele Jahre begleiten.
Die neue Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die im Raum stehenden Vorwürfe von Seiten der Deutschen Bahn lückenlos aufgeklärt werden. Eine lückenlose Aufklärung und Transparenz bei den Ermittlungen rund um die schwerwiegenden Vorwürfe sind das Mindeste, was wir als Stuttgarterinnen und Stuttgarter erwarten dürfen. Die Bahn behauptet allerdings, dass an den Vorwürfen nichts dran ist.
Thema Kostensteigerungen
Erst hat es SPIEGEL ONLINE berichtet, seit letztem Freitag ist es Gewissheit: Stuttgart 21 ist laut einem Gutachten nochmals um eine Milliarde Euro teurer geworden. Es bestätigt sich jetzt, was wir als Bewegung gegen Stuttgart 21 seit Jahren sagen, dass es am Ende mehr als zehn Milliarden Euro kosten wird. Bei der Volksabstimmung zur Finanzierung von Stuttgart 21 hat man die Bevölkerung mit angeblichen Kosten von unter vier Milliarden belogen. Diese Abstimmung ist aus heutiger Sicht nichts mehr Wert und war ein großer Betrug.
Jetzt zeigt sich, dass an vielen Orten in Baden-Württemberg und bundesweit das dringend benötigte Geld für den Ausbau des Schienenverkehrs fehlt. Ob bei der Elektrifizierung, beim Ausbau von Strecken, beim Ausbau des ÖPNV in ländlichen Regionen und in Städten, überall fehlt es an finanziellen Mitteln, die beim Projekt Stuttgart 21 sinnlos vergraben werden. Und wer zahlt dieses Projekt am Ende?
Die Bundesregierung zuckt trotz dieser ganzen Meldungen nur mit den Schultern. Bei der Frage der Kostenübernahme zeigt die Bundesregierung, die Deutsche Bahn, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart mit dem Finger auf die jeweiligen anderen. Niemand will es gewesen sein. Eins ist aber schon lange klar, die Zeche zahlen am Ende die Steuerzahler:innen im gesamten Bundesgebiet.
Staatssekretär Theurer, der mit seiner FDP in Baden-Württemberg maßgeblich für dieses Projekt auch persönlich eine Verantwortung trägt, wäscht sich in einer Antwort auf eine Anfrage von mir an die Bundesregierung die Hände in Unschuld und erklärt, dass S21 ein „eigenwirtschaftliches Projekt“ der Deutschen Bahn sei. Dabei hat sich beispielsweise die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel immer vehement für das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 ausgesprochen. Die DB hingegen sagt bei der Frage der Finanzierung, dass sie die Mehrkosten nicht tragen will und wird, weil es sich bei S21 nicht um ein Infrastrukturprojekt, sondern um ein politisch gewolltes Projekt von Stadt und Land handelt.
Und der vorzeitige Rücktritt von Ronald Pofalla passt ins Bild! Dass er genau zum Zeitpunkt von verheerenden Zahlen im Jahreswirtschaftsbericht der DB zurücktritt, die vor allem auf Mehrkosten von Stuttgart 21 zurückgehen, ist typisch.
Die Öffentlichkeit wird in diesem schlechten Schauspiel seit Jahren hinters Licht geführt. Bei Stuttgart 21 wird auf allen politischen Ebenen seit Jahren verschleiert, getäuscht, gelogen und betrogen. Und die Grünen spielen seit Jahren in der Stadt Stuttgart, in der Landesregierung und nun auch in der Bundesregierung mit.
Kollege Gastel von den Grünen hat in den letzten Jahren immer gerne Kritik an Stuttgart 21 geäußert. Jetzt hätte er auf Seiten der Bundesregierung die Möglichkeit zu zeigen, dass es ihm ernst ist mit seiner Kritik. Davon ist nun nichts mehr zu hören und zu sehen. Aus Baden-Württemberg äußert der grüne Verkehrsminister Hermann immer wieder Kritik. Faktisch sind sie auf allen Ebenen verantwortlich für die Umsetzung dieses Projekts. Es ist ein Skandal, dass die grün-schwarze Landesregierung zu dieser unfassbaren Entwicklung schweigt.
Ministerpräsident Kretschmann und Verkehrsminister Hermann haben die Verantwortung gegenüber den Menschen in Stuttgart und Baden-Württemberg, bei der Bahn Transparenz einzufordern, und dass nicht noch mehr Geld und Ressourcen in diesem Projekt verbuddelt werden. Sie haben sich in den letzten Jahren mitschuldig gemacht.
Es ist an der Zeit, Stuttgart 21 zu stoppen und das Konzept Umstieg 21 zu planen und umsetzen. Dem Aufsichtsrat wurden jetzt auch erstmals nach Jahren Ausstiegskosten vorgelegt. Das kommt einem Offenbarungseid gleich – auch wenn bei den genannten Ausstiegskosten wieder nicht ehrlich gerechnet wird. Ein Großteil der Milliarden können rückabgewickelt werden. Die bisherigen Bauten können genutzt werden und der oberirdische Bahnhof erhalten werden. Es ist somit immer noch Zeit für einen Umstieg. Zeit, dass Bund, Land und Stadt zur Vernunft kommen und auf die Bewegung gegen Stuttgart 21 hören!
Thema Mobilitätswende
Die Prämissen für eine nachhaltige Verkehrswende sind klar. Städte und Kommunen der kurzen Wege, fahrradfreundlich, und der Rest wird mit einem gut ausgebauten ÖPNV erledigt. Das Umsteigen wird durch niedrige und perspektivisch kostenfreie Tickets attraktiv gemacht. Soviel kann ich heute schon sagen. Diese Art von Mobilitätswende wird es so mit der Ampel nicht geben!
Vor kurzem haben sich die Verkehrsminister der Länder zu einer Konferenz getroffen. Dabei wurde über die Finanzierungsmittel für den öffentlichen Nahverkehr diskutiert. Beschlossen wurde, dass die sogenannten Regionalisierungsmittel an die Bundesländer erhöht werden sollen – das reicht aber bei Weitem nicht aus für die anstehenden Herausforderungen einer echten Mobilitätswende. Und zur Tarifgestaltung im ÖPNV wurde nichts beschlossen. Wir LINKE fordern bundesweit die Einführung eines 365-Euro-Tickets als ersten Schritt auf dem Weg hin zu einem kostenlosen Nahverkehr. Das wäre eine Entlastung für die Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen und nicht ein Tankrabatt.
Die FDP und Ihr Verkehrsminister Wissing wollen eine Antriebswende und nicht eine Mobilitätswende. Verbrenner durch E-Autos auszutauschen wird nicht reichen zum Erreichen der Klimaziele. Die Finanzierung des ÖPNV reicht bei weitem nicht aus für die notwendige Verdopplung des Angebots. Der Ausbau der Kapazitäten und des Angebots im ÖPNV, die Bezahlung von Fachkräften und ein günstiger Nahverkehr sind unerlässlich für einen Umstieg der Menschen vom privaten Auto in den öffentlichen Nahverkehr.
Wir fordern jährlich zusätzlich 10 Milliarden Euro Investitionen in den Nahverkehr. Und was plant die Bundesregierung stattdessen im aktuellen Haushalt? Die Straße wird wieder mal finanziell besser bedacht als die Schiene. Das kommt einer Bankrotterklärung der Bundesregierung bei der nötigen sozialökologischen Verkehrswende gleich. Hier muss dringend nachgesteuert werden: Auch hier die Frage: Was machen die Grünen eigentlich in dieser Bundesregierung?!
Die Koalition muss sich langsam ehrlich machen, wie sie ihre Ziele zur Mobilitätswende, wie beispielsweise mehr Personen- und Güterschienenverkehr, realisieren will. Mit weniger Geld geht dies ganz bestimmt nicht. Mehr Geld für die Straße ist ebenso das falsche Signal. Auch wenn die Senkung des Verkehrsetats offensichtlich durch das Auslaufen von Sonderfinanzierung im Rahmen der Corona-Pandemie zusammenhängt, ist eine Kürzung das falsche Signal. Es braucht auch in der aktuellen Situation mehr Geld für ÖPNV und Bahn!
Schon nach wenigen Monaten der Ampelregierung wird klar, dass es eine starke LINKE braucht für eine echte Klima- und Mobilitätswende. Wir stehen an Eurer Seite gegen Stuttgart 21 und werden nicht nachgeben!