Ab in den Knast – Feuer bei der Bahn!

Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 597. Montagsdemo[1] am 24.1.2022

Liebe Freundinnen und Freunde,

bei der Bahn ist Feuer unter dem Dach. Da wagten es doch tatsächlich unsere Ingenieure22, den Geschäftsführer der DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH (PSU), Olaf Drescher, in den Knast einsperren zu lassen. Was für eine Schande! Schließlich arbeiten bei der Bahn nur ehrbare Kaufleute und keine Ganoven.

Dieses schwere Geschütz ist notwendig angesichts des bisherigen Verhaltens der PSU. Schon 2016 hatten die Ingenieure beantragt, Einsicht in Computersimulationen zur Evakuierung aus den S21-Tunneln zu bekommen. Die PSU hatte nämlich im Arbeitskreis Brandschutz den Vertretern des Regierungspräsidiums und der Stuttgarter Feuerwehr im Januar 2014 erzählt, sie habe Simulationen für die Evakuierung im Brandfall. Das war falsch, wie wir heute wissen. Aber die PSU behauptete es sieben Jahre lang. Und sie verweigerte die Einsichtnahme mit der Begründung, die Simulationen könnten sonst in die Hände von Terroristen geraten. Tatsächlich ist ja die Verbindung unserer Ingenieure zu Terroristen naheliegend.

Jedenfalls mussten die Ingenieure klagen. Der Rechtsstreit zog sich drei Jahre lang hin. Dann verpflichtete sich die PSU im Dezember 2019 beim Verwaltungsgerichtshof, endlich Einblick in die Simulationen zu gewähren. Leider zeigte die PSU aber anschließend nur einen Bericht über solche Simulationen. Das wäre so, wie wenn man einen Zeitungsbericht über einen Kinofilm lesen und behaupten würde, man kenne jetzt den Film. Anhand des Berichts konnten die Ingenieure nicht nachprüfen, auf welchen Ansätzen der von der PSU behauptete Nachweis beruhte. Denn die PSU versprach, sie könne im Brandfall 1757 Menschen in ca. 11 Minuten evakuieren.

Und nun folgte ein Hickhack. Zum Beispiel erklärte sich die Firma Gruner AG in der Schweiz, welche die Simulationen durchgeführt hatte, im Jahr 2020 ausdrücklich bereit, den Ingenieuren Einsicht in die Simulationen zu gewähren, wenn die PSU einverstanden sei. Leider erklärte Dr. Florian Bitzer, den wir noch aus der sogenannten Schlichtung kennen, keine Zustimmung. Also blieb nichts anderes übrig, als die Sache wieder auf den juristischen Weg zu bringen. Und da musste die Bahn Ende 2020 eingestehen, dass es gar keine Simulationen für den Brandfall gab, sondern nur Simulationen für ein Kaltereignis, wenn also ein Zug aus technischen Gründen liegen bleibt, ohne dass es brennt. Man sieht, Lügen haben nicht immer kurze Beine. Und kleinlaut fügte der Bahnanwalt noch hinzu, in der Mobilität eingeschränkte Personen seien dabei auch nicht berücksichtigt worden, also keine Alten, Familien mit kleinen Kindern, Körperbehinderte. Herzlose Bahn im Herzen Europas!

Wer nun gedacht hätte, dass der Anwalt der PSU erklären würde, sie solle jetzt wenigstens Einblick in diese Simulationen für Kaltereignisse gewähren, der wurde enttäuscht. Stur behauptete sie, der Vergleich sei durch die Einsicht in den Bericht erfüllt. Das tut sie immer noch, obwohl inzwischen der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach entschieden hat, dass sie die Simulationen zeigen müsse.

Was tut ein ertappter Sünder, wenn er sein Fehlverhalten nicht offenbaren will? Er sucht eine neue Ausrede. Und die bestand jetzt darin, die PSU habe die Simulationen überhaupt nicht und habe sie nie gehabt. Denn diese seien nur in der Schweiz bei Gruner. Tolle Geschichte, denn die PSU hatte drei Jahre lang im Rechtsstreit immer behauptet, sie wolle diese Simulationen wegen Terrorismusgefahr nicht zeigen. Nie berief sie sich darauf, sie habe die Unterlagen gar nicht. Folgerichtig entschied der Verwaltungsgerichtshof, wenn die PSU die Simulationen nicht selbst habe, müsse sie die eben bei Gruner beschaffen.

Nachdem diese Ausrede nichts gebracht hatte, kam der nächste Hammer. Denn die Bahn behauptete nun, die Firma Gruner AG habe die Simulationen auch nicht mehr. Seit 2014 bestehe keine Geschäftsverbindung mehr zu ihr. Das war die nächste Lüge, denn wir konnten nachweisen, dass Gruner noch 2016 einen weiteren Auftrag der PSU ausgeführt hatte. Unser Anwalt forderte nun die Gruner AG auf, die Simulationen für uns bereit zu halten. Und schon kam der nächste Narrenstreich: Gruner, die noch 2020 die Einsichtnahme angeboten hatte, teilte mit, sie hätte die Simulationen 2016 gelöscht und nehme an, dass sie keine Dateien mehr hätten. Ihr hört richtig, sie vermuten nur, dass sie nichts mehr haben, ordentlich nachgeprüft haben sie es offensichtlich nicht. Weil uns das nicht genügte, forderten wir erneut die PSU auf, endlich den Vergleich zu erfüllen oder zumindest die Löschung nachzuweisen. Darauf trat Stille ein.

Nun wurde es uns aber doch zu bunt. Die Ingenieure22 haben aus einem früheren Rechtsstreit mit der Bahn gelernt. Damals ging es um Einsicht in die sogenannte Azer-Liste über zahlreiche bauliche und finanzielle Risiken von Stuttgart 21, die die Bahn verheimlicht hatte. Auch damals wurde behauptet, die Liste gäbe es nicht. Unsere Ingenieure waren aber schlau und beantragten beim Verwaltungsgericht Berlin, den früheren Projektleiter Azer und Bahnvorstand Kefer als Zeugen dazu zu hören. Als die Herren ihre Ladung in der Tasche hatten, rückte die Bahn unmittelbar vor dem Gerichtstermin die Liste heraus.

Nach all den Erfahrungen mit ehrbaren Kaufleuten blieb jetzt nur der Weg der Zwangsvollstreckung gegen die PSU, um Einsicht in die Simulationen zu erzwingen. Das geht bis zur möglichen Konsequenz, dass die PSU die Simulationen nochmals herstellen lassen muss, wenn sie uns angelogen hat. Wir haben dafür zum Mittel der sogenannten Zwangshaft nach der Zivilprozessordnung gegriffen. Da wird vom Gericht angeordnet, dass ein Schuldner in den Knast muss, wenn er seine rechtliche Verpflichtung nicht erfüllt.

Bei kleinen Lichtern würde man nur ein Zwangsgeld beantragen. Das nützt aber natürlich hier gar nichts. Wir haben geschrieben: „Warum die Anordnung von Zwangshaft unverhältnismäßig sein sollte, erschließt sich dem Gläubiger nicht. Es geht um ein Milliardenprojekt. Die Schuldnerin will offensichtlich verschleiern, dass sie den Brandschutz und insbesondere die Evakuierung von Menschen im Brandfall in einem der Tunnel nicht beherrscht. Der Nachweis ihres Unvermögens anhand der angeblich verschwundenen Dateien könnte das gesamte Projekt zu Fall bringen. Angesichts dieser Umstände wäre ein Zwangsgeld völlig wirkungslos.“

Dass sie zur Verschleierung ihres Unvermögens für die Löschung gesorgt hätte, wollen wir ausdrücklich nicht behaupten. Warum sie den Brandschutz nicht beherrscht, ist ein weiteres Thema, das ich gerne bei nächster Gelegenheit beleuchten will.

Wer nun gedacht hat, jetzt zeige die PSU Einsicht, der hat sich getäuscht. Allen Ernstes wird jetzt wieder behauptet, durch Einsichtnahme in den Bericht sei der Vergleich erfüllt. Zum Glück habe ich gerade ein sehr interessantes Buch von Peter Modler „Mit Ignoranten sprechen“ gelesen. Er analysiert eine Präsidentschaftsdiskussion zwischen Donald Trump und Hillary Clinton und schreibt: „Argumentativ kann Trump Clinton das Wasser nicht reichen. Aber von Anfang an fällt auf, wie oft er Aussagen wiederholt. Jedes Mal, wenn ihm auf einen Vorwurf Clintons nichts einfällt, sagt er eben einfach noch mal dasselbe wie ein paar Minuten vorher.“ Das passt zu dem ausgelutschten Argument, der Vergleich sei erfüllt.

Uns geht es nicht darum, einen Menschen – in dem Fall Olaf Drescher – seiner Freiheit zu berauben. Es wäre ja ganz einfach, wenn er endlich für die Erfüllung des Vergleichs sorgen würde. Dann müsste er nicht hinter Gitter. Mir wurde zugetragen, dass man im Hause PSU den Antrag als „Überschreitung der Grenzen des guten Geschmacks“ sieht. Das ist total daneben, denn auch ein Staatsunternehmen muss sich rechtstreu verhalten. Erst recht dann, wenn es unter Korruptionsverdacht steht. Olaf Drescher befindet sich übrigens in prominenter Gesellschaft. Denn ein spektakulärer Zwangshaftantrag wurde außer gegen ihn bislang nur gegen den Ministerpräsidenten Kretschmann gestellt, als dieser Gerichtsurteile zur Luftreinhaltung nicht umsetzte. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Wie dem auch sei, für Olaf Drescher könnte ein Aufenthalt im Knast heilsam sein. Als ehemaliger Haftrichter, der direkt in Stammheim tätig war, kenne ich den Abschreckungseffekt. Die Knasterfahrung könnte ihm klarmachen, welches Risiko er und Andere eingehen. Denn wenn es wegen mangelhaften Brandschutzes später zu einer Katastrophe kommt, dann landen die Verantwortlichen nicht nur für ein paar Monate, sondern für viele Jahre im Kittchen.

Man muss es ganz drastisch sehen. Wenn ein brennender Zug in einer Tunnelröhre liegen bleibt, so können nach den Planungen für einen S-Bahn-artigen Verkehr zwei weitere vollbesetzte Züge hinter ihm in der Röhre sein, die dann bei der Fahrt bergab im giftigen Brandrauch anhalten müssen. Auch die Menschen aus diesen beiden anderen Zügen müssten in dem Fall aus der Röhre evakuiert werden. Das ist aber total unmöglich ist, weil Feuerwehr und Rettungskräfte vor Ausbreitung des tödlichen Rauchs gar nicht vor Ort sein können. Wir sprechen im schlimmsten Fall von mehr als 5.000 Menschen im Feuer. Da darf man bei der PSU jetzt schon mal Angst bekommen.

Übrigens könnte es sogar sein, dass Olaf Drescher hinter schwedischen Gardinen auch zum Nachdenken kommt, wie lange er seinen Job noch behält. Ich habe mir in den letzten Tagen die lange Liste der Projektverantwortlichen angeschaut, die alle verschwunden sind. Darunter auch der ehemalige Brandschutzbeauftragte Bieger, der im Arbeitskreis Brandschutz die Geschichte mit den Simulationen für den Brandfall erzählt hatte. Inzwischen ist er für die Bahntochter DB Engineering & Consulting in Qatar. Und diese Firma DB Engineering & Consulting stellt viele Sachverständige auf der Liste des Eisenbahn-Bundesamts. Aber das wäre schon wieder eine andere Geschichte.

Einmal mehr finde ich es bedauerlich, dass wir uns nicht am Schlossplatz treffen können. So bleibt mir nur der Wunsch:

Bleibt gesund und bleibt oben!

[1] ab 6.12.2021 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, wieder online:
https://www.parkschuetzer.de/videos/

Rede von Dieter Reicherter als pdf-Datei

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Eine Antwort zu Ab in den Knast – Feuer bei der Bahn!

  1. carmen guala sagt:

    Man kann es gar nicht glauben, wie man die Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des Projetks S21 belogen hat und noch immer belügt!!

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