Unsere Wünsche sind Erinnerungen an die Zukunft. Ob Klima oder Demokratie: Ohne eine starke Zivilgesellschaft läuft nix!

Rede von Peter Grohmann, Kabarettist, Autor und AnStifter, auf der 581. Montagsdemo am 27.9.2021

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

wessen Stadt? Unsere Stadt! Und dabei bleibt's!

Der Sinn von Politik ist Freiheit, meint Hannah Arendt. Sie hat nie behauptet, dass es Sinn der Politik sei, Versprechen einzuhalten.

Walle, walle, Wählerwille!
Dass aus Spenden Stimmen werden wie im Himmel so auf Erden!

Der flächendeckenden Pflegemindestlohn in Höhe von 16,10 Euro treibt die Polinnen an die Betten, und nur bei der Rente gibt es ein Problem: Die Rente ist nicht sicher. Blüm hat geschwindelt. Aber er ist im Himmel und kann nicht mehr haftbar gemacht werden.

Noch bevor ich ins Detail gehe, verneigen wir uns alle in Ehrfurcht für einige Sekunden und nehmen Hüte und Kappen und Masken ab in trauriger Erinnerung an das, was die letzten schwarz-roten Regierungen nicht geleistet, nicht geschafft haben. Ich danke Ihnen! Weil die Liste gebrochenen Versprechen für die heutige Kundgebung zu lang werden würde, beschränke ich mich nur auf einige Punkte, die mir selbst am Herzen liegen.

Nein, nicht die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch, wie es der Genosse Peter Struck (SPD) bereits am 4. Dezember 2002 so originell formuliert hatte. Auch das mit dem „Hindu, kusch!“ hat ja nicht geklappt. Denn die Bundeswehr ist zurück, ausgezeichnet für außergewöhnlich tapfere Taten unter Einsatz von Leib und Leben, genauso wie beispielhafte Pflichterfüllung – aber wie immer unter Zurücklassung der jeweiligen Ortskräfte. Die Bundeswehr verteidigt das christliche Abendland samt aller Werte nebst dem militärisch-industriellen Komplex jetzt an Oder und Neiße und ganz in der Nähe von Zittau: im Wahlkreis von Omi Glimbzsch erhielt die AfD satte 36%, der Malermeister und AfD-Spitzenkandidat Tino Chrupalla kommt in seiner Heimatgemeinde Gablenz auf 51,7 Prozent der Erststimmen. Das lässt sich noch ausbauen. Der Wald steht schwarz und schweiget.

Will dich fassen – will dich halten / Und das alte Holz behende mit dem scharfen Beile spalten. / Herr und Meister! hör mich rufen! – ach, da kommt der Meister! Herr, die Not ist groß! / Die ich rief, die Geister – werd ich nun nicht los.

Die Geister – das sind die Sponsoren, die Geldgeber, die Großspender, die – legal, illegal, scheißegal – die die Parteien quasi kaufen und ihnen ihre Wahl aufzwingen, die sie pudern und pampern, sie stillen und stillhalten und trockenlegen.

Nehmen wir den deutschen Giftmischer Bayer-Monsanto, den Zaubermeister für intensive Landwirtschaft, den Entwickler, Hersteller, Verkäufer und Werbefuzzi aus Leverkusen, der mit zu viel Dünger, Monokulturen und Pestiziden mit dafür sorgt, dass die Artenvielfalt vor die Hunde geht, der mit verantwortlich ist, dass unsere Böden und unser Trinkwasser immer schlechter werden durch Gift und Galle. Und nur nebenbay: Das Unternehmen Bayer gehört auch zu den Geldgebern und Spendern der Klimaleugner um Donald Trump, und der wartet mit dem Dolch im Gewande auf die nächste Gelegenheit zur Machtergreifung.

Bienen und Schmetterlinge durften natürlich nicht wählen, genauso wenig wie 3 Millionen Jugendliche zwischen 17 und 18, die noch nicht ganz volljährig sind – nix da mit Wahlalter ab 16 Jahren, wir machen die Welt allein kaputt. Wir brauchen Euch, die Jungen, nur als Konsumenten, als VerbraucherInnen, Ihr könnt twittern statt wählen.

Nicht wählen dürfen natürlich auch nicht die mehr als 10 Millionen erwachsenen Menschen, die z.T. seit 20 Jahren hier leben und arbeiten – als Ärzte und Schwestern und Krankenpfleger, als Ingenieure, SchauspielerInnen – 16% der Menschen dürfen nicht wählen, weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Bienen und andere Bestäuber sterben milliardenfach durch Ackergifte. Dabei muss ein Drittel unserer Nahrung von Bienen, Schmetterlingen oder Fliegen bestäubt werden, um Früchte zu tragen. Aber kurz vor dem Weltuntergang hats die Große Koalition doch noch mal krachen lassen und ein neues Lobbyregister eingeführt. Jubel bei Scholz und Laschet, Merkel und Söder. Heiterkeit bei Spendern und Sponsoren: Denn eine echte Transparenz über Lobbyismus gibt es weiterhin nicht. Kontakte zwischen Lobbyakteuren und der Politik müssen auch weiterhin nicht offengelegt werden.

Und nun komm, du alter Besen! / Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
Bist schon lange Knecht gewesen: / Nun erfülle meinen Willen! Auf zwei Beinen stehe /
Oben sei ein Tropf / Eile nun und gehe in den Urnentopf!

Ich wiederhole mich: Wahlen werden nicht nur, aber vor allem durch die vielen Millionen gewonnen. Nein, halt, nicht Stimmen – Euro, Euro, Euro! Millionen Euro, die jedes Jahr an Parteien fließen, bleiben selbstverständlich anonym – obwohl das Grundgesetz die Offenlegung verlangt. Parteien und Geldgeber nutzen die Schlupflöcher im Gesetz. Gut gemacht, SPD, CDU und FDP: Niemand erfährt, wer wieviel gezahlt hat – und wofür. Den Rest könn' wir uns denken.

Neben der Bevorzugung durch illegale Spenden gab und gibt es die mediale Bevorzugung, die den Eindruck erwecken will, als gäbe es zu dieser Wahl nur drei Bewerber – Laschet, Scholz und Baerbock. Diese drei Glücksritter der Demokratie wurden so durch die Medien gejagt, durch Presse, Funk und Fernsehen, durchschwammen freiwillig alle sozialen Abwasserkanäle, quälten sich krampfhaft lächelnd durch Facebook und Twitter, Instagram und Telegram, durch alle Duelle, Trielle und Trallalas, Tag und Nacht, dass den Wählerinnern und Wählern Hören und Sehen verging. Eine Omnipräsenz, die es so bei keiner Wahl zuvor gab.

Zur zweiten Wahl, zeitlich deutlich abgekanzelt und in die Ecke gestellt, durfte dann die dritte Liga antreten: Linke und Freie Demokraten und AfD und als Extrawurst die CSU.

Kein Wort, nicht mal anstandshalber, von den weiteren Wahl-Bewerbern, von kleinen oder noch kleineren Parteien, Wählervereinigungen, Tier- oder Demokratiefreunden, von Klimaschützern, Ex-Kommunisten, Vaterlandsrettern... Und selten auch der Blick auf jene, die bereit sind, sich zwischen die Bäume und die Bagger zu stellen, zwischen Häuser und Bagger, die für atomwaffenfreie Zonen und gegen Militäreinsätze ins Feld ziehen, für Kinderrechte und Nichtangriffspakte und lebensfrohe, weltoffene Städte, für eine andere Welt, gerecht und solidarisch, fantasievoll und verpflichtet dem Motto des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ich fürchte, von diesem Motto sind wir weit entfernt.

Doch unsere Wünsche sind Erinnerungen an die Zukunft – ob Klima oder Demokratie: Ohne eine starke Zivilgesellschaft läuft nix

Gezielte Desinformation wird genutzt, um unsere Gesellschaft zu spalten, Hass zu schüren oder Geld zu verdienen. Das wurde von auch von Correctiv im Wahlkampf 2021 monatelang beobachtet. Das Ziel war immer, Feindbilder aufzubauen und das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben. Das wird sich auch nach dieser Wahl fortsetzen: Ängste schüren, Menschen verunsichern – oder umgekehrt, sie mit falschen Versprechungen in die Fallen des Wachstums zu locken. Ich glaube nicht, dass eine neue Bundesregierung den Klimawandel bewältigt, ohne radikal umzusteuern. Sie war ja nicht einmal in der Lage, den gesundheitsgefährdenden Zuckergehalt in Nahrungsmitteln für Kinder zu reduzieren.

Um einen Ausweg aus der Krise zu finden, genügt es auch nicht, wie Anhänger eines «grünen Wachstums» glauben, wenn wir statt der bisherigen «dreckigen» Güter einfach «saubere» kaufen. Das Beispiel der Elektromobilität zeigt dies sehr deutlich. Die Herstellung eines Elektroautos emittiert derzeit wesentlich mehr CO2 als die Produktion eines vergleichbaren konventionellen Autos, vor allem wegen der großen Batterien. Elektroautos verschlingen darüber hinaus große Mengen seltener Erden und anderer Mineralien, etwa Lithium, für deren Abbau ganze Landstriche verwüstet und enorme Süßwassermengen verbraucht werden. Schon jetzt bahnt sich etwa in den Anden aus diesem Grund eine ökologische und soziale Katastrophe an, und dies bei einer noch minimalen Produktion von E-Autos, so Gero Jenner. Statt einer bloßen Umstellung auf alternative Antriebe braucht es vollkommen andere Mobilitätskonzepte und eine massive Reduzierung des automobilen Verkehrs.

Für diejenigen, die ihr Geld dort anlegen, gleichen Unternehmen einer Maschine, die wie von selbst ständig mehr Geld auswirft. Was dieses Unternehmen zu diesem Zweck konkret tut, ob es Maschinengewehre oder Babysocken herstellt, ob es Wälder abholzt oder Ozeane nach den letzten Fischreserven durchpflügt, ist für die Aktionäre vollkommen gleichgültig. Sie müssen sich damit auch gar nicht näher beschäftigen, da sie für die Handlungen und Verbrechen dieser Unternehmen keinerlei Haftung übernehmen.

Es gibt nicht Menschen auf der einen und Umwelt oder Natur auf der anderen Seite. Die Menschen sind Teil der Natur. Sie können ohne Natur nicht überleben. Deshalb kann man auf einem begrenzten Planeten weder endlos wachsen noch mit der Natur Kompromisse eingehen. Der Schutz unserer Biosphäre muss beim Handeln stets Vorrang haben. Das Streben nach ständigem Wachstum hat zu ökologischer Zerstörung, sozialer Instabilität und einer globalen Gesundheitskrise geführt. Früher wollten immer alle wissen, was sie morgen oder übermorgen erwartet – heute haben die meisten Leute schon von der Gegenwart genug. Wahr bleibt, was der Franziskus sagte: Diese Wirtschaft tötet.

Doch entgegen anderslautenden Meldungen sagen wir: Nein, die Welt geht nicht unter, auch nicht nach dem 26.9. Immer noch haben alle Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Nutzen wir es! Und selbst Artikel 15 bleibt in Kraft: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Auch Artikel 21, wo‘s um die Willensbildung geht, bleibt eine Herausforderung: (1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Den Rest müssen wir machen. Und das ist sehr viel, braucht Ausdauer, Vielfalt und Eigensinn.

Dass es ungemütlich für die Welt geworden ist, haben vor allem die Herrschenden, die Mächtigen der Welt zu verantworten. Und es wird unbequem. Die Bedingungen, unter denen wir 2050 leben, sind in vielerlei Hinsicht bereits entschieden. Denn das Klimasystem reagiert träge. Noch träger haben in der Vergangenheit die Großen Koalitionen und die regierenden Parteien reagiert. Folgen wie Hungersnöte, die Zunahme bewaffneter Konflikte oder hunderte Millionen Klimaflüchtlinge sind keineswegs unrealistisch. Doch wie lebenswert die Zukunft unserer Kinder und EnkelInnen sein wird, darauf haben wir hier und heute Einfluss!

Ob es ungemütlich für die Herrschenden wird, das entscheiden wir.
Von einer Herrschaft der Angepassten lassen wir uns nicht aufhalten.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Matthaeus 7/15 sagt: „Sehet euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen! Inwendig aber sind sie reißende Wölfe. 16 An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? 17 Also ein jeglicher guter Baum bringet gute Früchte; aber ein fauler Baum bringet arge Früchte.“

Spätestens seit Beginn des neuen Jahrhunderts sind wir uns bewusst, dass wir im Begriff sind, die Erde für künftige Generationen nicht in ein Paradies, sondern in eine Hölle zu verwandeln, da wir sie mit bald zehn Milliarden Menschen rücksichtslos ausbeuten und vergiften. Unsere anfängliche Frage nach den Früchten, an dem wir unser Verständnis der Welt zu messen haben, erhält dadurch auf einmal eine Antwort, die weit hinausgeht über ein Fazit. Die Folgerung ist klar:

Zähne zeigen – oben bleiben.
Wir bleiben am Ball. Wir spielen mit. Wir bleiben oben.
Wir bringen die Verhältnisse zu Tanzen.
Wessen Stadt?
Wessen Welt?
Unsere Welt!

 

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