Rede von Dr. Hermann Biehler, Vorsitzender des Rosenheimer Forums für Städtebau und Umweltfragen e.V., auf der 561. Montagsdemo[1] am 3.5.2021
Hallo in die Runde, ich grüße Sie aus Rosenheim,
es wäre schön, wieder mal in Stuttgart zu sein – nicht nur virtuell – denn dann könnte ich auch die Frauen und Männer persönlich begrüßen, die uns vor einem Jahr hier in Rosenheim bei einer Demonstration gegen eine neue Bahntrasse tatkräftig unterstützt haben. Ich kann Ihnen versichern, die sieben Schwaben und Schwäbinnen sind in der Region nicht vergessen.
Ich darf heute unsere Gedanken zu Güterverkehr, Klima und Bahninfrastruktur darlegen. Wir, das Rosenheimer Forum für Städtebau und Umweltfragen, befassen uns seit dreieinhalb Jahren mit dem Brenner-Nordzulauf. Die Bahn hat hier eine neue Bahntrasse vorgeschlagen, und dabei wurde uns immer wieder versprochen, dass es einen Nachweis für einen Bedarf gibt. Das ist allerdings bis heute nicht geschehen.
Zunächst wurde immer nur argumentiert: „Ja, wir wollen Güter auf die Schiene bringen, dazu brauchen wir eine neue Bahntrasse.“ Das klingt erst einmal einleuchtend. Aber auf den zweiten Blick ist das ein totaler Trugschluss. Das wäre so, als stünde man vor dem Kühlschrank, stellt fest: wir haben zu wenig Butter im Kühlschrank – wir brauchen einen zweiten Kühlschrank. An der Kapazität liegt es nicht, dass nicht mehr Güter auf die Schiene verlagert worden sind. Auf der Strecke gab es früher schon mehr Züge, als es heute und als es die letzten Jahre vor Corona der Fall war. Und die Strecke könnte mit einer neuen Signaltechnik die Kapazität noch um 25% steigern, nach Auskunft der Bahn.
Neuerdings gibt es eine andere Argumentation, die sagt: „Wir brauchen permanentes Wirtschaftswachstum, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft nicht zu gefährden.“ Auch das kann zunächst einleuchtend klingen, aber bei genauerem Hinschauen muss man auch das in Frage stellen. Und damit sind wir schon beim Thema: „Güterverkehr, Klimawandel und Bahninfrastruktur“.
Fakt ist: 30% der C02-Emissionen in der EU werden vom Verkehr erzeugt. Und Fakt ist auch, dass der Güterverkehr doppelt so schnell wächst, wie die Gesamtwirtschaft. Dass heißt, wenn man 1% Wirtschaftswachstum unterstellt, weil man das braucht, dann hat man jährlich 2% mehr Güterverkehr. Auf die Art errechnet bedeutet das – exponentielles Wachstum – in 40 Jahren haben wir doppelt so viel Güterverkehr wie heute. Oder um noch weiter zu gehen: Zum Ende des Jahrhunderts hätten unsere Enkel und Urenkel viermal so viel Güterverkehr zu verkraften, wie wir das heute haben. Es ist die Frage, ob wir uns das erlauben dürfen, ob wir uns das erlauben können.
Aber warum wächst denn der Güterverkehr so schnell? Güterverkehr fällt ja nicht vom Himmel. Er wird von uns, der Gesellschaft, erzeugt. Güterverkehr ist auch kein Gut an sich, bei dem es um so besser ist, je mehr man davon hat. Güterverkehr ist nur ein Mittel. Ein Mittel, um durch Arbeitsteilung und Spezialisierung die Produktivität in der Wirtschaft zu steigern. Güterverkehr verursacht Kosten. Und man muss abwägen, ob der Nutzen, der damit verbunden ist, wie z.B. die Steigerung an Produktivität, größer ist als die Kosten.
So selbstverständlich das ist, so problematisch ist es. Unternehmer machen das natürlich. Die kalkulieren mit ihren Kosten und mit ihren Nutzen oder Erträgen, die sie daraus ziehen. Anders ist es, wenn man die gesellschaftliche Perspektive einnimmt. Dann ergeben sich mindestens drei Problembereiche:
- das sind erstens die Kosten der Verkehrsinfrastruktur,
- zweitens der ganze Bereich der externen Kosten und
- drittens der internationale Handel, der falsche Preissignale setzt.
Ich will das kurz erläutern: Der Güterverkehr setzt ja eine umfangreiche und kostspielige Verkehrsinfrastruktur voraus. Straßen, Schienen, Wasserwege, Häfen, Flughäfen und so weiter werden normalerweise von der öffentlichen Hand, aus Steuermitteln gefördert oder vollständig bezahlt. Die Gebühren oder Entgelte, die dafür hereinkommen, decken in aller Regel bei weitem nicht diese Kosten. Unternehmen kalkulieren aber nur mit den Kosten, die ihnen aufgebürdet werden, das ist ja auch verständlich. Und so ergibt sich eine Differenz zwischen öffentlichen Kosten – gesamtgesellschaftlichen Kosten kann man sagen – und dem Nutzen, den die Unternehmen aus dem Transport ziehen können.
Das heißt, wir haben mehr Kosten als Nutzen und wir haben dadurch – weil es einen anderen Anschein gibt für die Unternehmer – einen Güterverkehr, der über das Maß hinaus Kosten erzeugt, als er Nutzen bringt.
Der zweite Problembereich sind die externen Kosten. Extern heißen die Kosten deshalb, weil sie nicht am Markt abgebildet werden und für die Marktteilnehmer keine Rolle spielen. Damit fließen diese Kosten auch nicht ins Kalkül der Unternehmer ein. Es geht dabei um Lärm, schlechte Luft, Flächen-, Landschafts-, Natur- und Ressourcenverbrauch, Klimawandel usw. Diese Kosten werden von Unternehmen jedenfalls nicht übernommen. Sie werden übertragen, abgewälzt, auf dritte.
Das kann z.B. sein, dass Menschen den Lärm einfach ertragen müssen, der mit einer neuen Autobahn oder Bahnlinie verbunden ist. Das kann auch bedeuten, dass künftige Generationen damit umgehen müssen, was wir ihnen an Naturschädigung und Umweltschäden hinterlassen, und was wir ihnen an Ressourcen übrig lassen.
Aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive ist es also so: Es gibt Kosten, die im Entscheidungsprozess, ob man Transport macht oder nicht, keine Rolle spielen. Auch dadurch werden die Kosten unterschätzt und es gibt zu viel Güterverkehr.
Der dritte Punkt ist der internationale Handel, oder besser gesagt, die falschen Preissignale, die vom internationalen Handel ausgehen. Für ein Unternehmen ist es natürlich sinnvoll, Preisunterschiede rund um den Globus zu nutzen so gut es geht, und somit seine Produktionsketten über den gesamten Globus zu verteilen. Oftmals hat es aber nur monetäre Effekte, die für die Unternehmen wichtig sind, aber die materiellen Effekte sind null oder sogar negativ.
Denn produziert wird ja mittlerweile in fast allen Ländern der Welt mit bester Technologie, mit dem Einsatz von Arbeitskräften – vielleicht mal arbeitsintensiver als bei uns, und mit Rohstoffen. Also die großen Unterschiede kommen nicht daher, dass die Technologievorsprünge in anderen Ländern größer wären – also Ausdruck von Spezialisierung, sondern, dass es andere preisliche Anreize gibt. Das sind niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, Subventionen, niedrige Steuern, niedrige Grundstückspreise, da kann man sich vieles noch dazu überlegen. Diese Vorteile sind monetärer Art, dahinter stehen aber keine materiellen Vorteile – materielle Vorteile wie weniger Ressourcenverbrauch, weniger Arbeit, bessere Arbeitsbedingungen.
Damit sind aber immer noch Transportkosten verbunden. Dieser Transport braucht Energie, verursacht Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung. Das ist real, während die Vorteile der Unternehmen nur monetärer Art sind. Und das kann sich auch mal ganz schnell ändern, wenn sich beispielsweise die Wechselkurse ändern. Da merkt man, dass dahinter Rechenoperationen stehen, aber keine materielle Basis.
Mit den drei Punkten zusammen genommen haben wir es also häufig damit zu tun, dass wir im Güterverkehr Kosten haben, die bei den Entscheidungen der Unternehmen überhaupt keine Rolle spielen. Dadurch werden die Kosten unterschätzt und dadurch gibt es zu viel Güterverkehr.
Wir haben es häufig mit Güterverkehr zu tun, dessen Kosten für die Gesellschaft höher sind als der Nutzen für die Gesellschaft. Und unter diesen Voraussetzungen muss ein weiterer Ausbau der Verkehrsinfrastruktur genau überlegt, genau überdacht werden – auch beim umweltverträglichsten Verkehrsträger Schiene. Es ist sorgfältig zu prüfen, ob ein Ausbau letztendlich nicht noch mehr überflüssigem und damit noch mehr schädlichem Güterverkehr Vorschub leistet.
Ich meine, wir müssen innehalten und reflektieren, was wir da eigentlich machen. Ob wir nicht in eine Sackgasse hineinlaufen. Sicher erscheint mir, die Jugend und künftige Generationen werden den Klimawandel nicht deshalb befürworten, weil der Teddybär oder das Smartphone aus China gerade weniger kosten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom letzten Donnerstag zwingt uns geradezu, den Weg der Klimaneutralität zu konkretisieren. Ich bezweifle, dass ein ungebremstes Wachstum des Güterverkehrs da noch zu akzeptieren ist.
Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass wir bis 2050 ausreichend grünen Strom und ausreichend grünen Wasserstoff zu akzeptablen Preisen haben, so dass das bisherige Wachstum des Güterverkehrs aufrecht erhalten werden kann, dass wir das zulassen können. Die Kosten für die neue Trasse zum Brenner werden heute auf sieben Milliarden Euro veranschlagt. Da sind wir fast bei Größenordnungen wie bei Stuttgart 21. Bei den sieben Milliarden Euro sind die Belastungen für die Region noch gar nicht mitberechnet. Die Ertüchtigung der bestehenden Bestandsstrecke mit einem sehr guten Lärmschutz würde nur einen Bruchteil dieser Kosten ausmachen.
Solange kein gesellschaftlicher Bedarf nachgewiesen wird und solange nicht nachgewiesen werden kann, dass der Nutzen für die Gesellschaft größer ist als die Kosten, die damit verbunden sind – die auch für spätere Generationen damit verbunden sind – so lange das nicht passiert ist, so lange darf es keine neue Bahntrasse geben, mit zwei Inn-Querungen und über 30 km Tunnel.
Über 30 km Tunnel – unter der Erde, dass heißt in dem Sinne, wie in Stuttgart auch, jetzt hier in Rosenheim und im Inntal: oben bleiben!
[1] ab 21.12.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, wieder online:
https://www.parkschuetzer.de/videos/
….Sie treffen genau ins Schwarze….Wachstum über alles. Doch leider haben viele Grüne nur Grün im Kopf und schalten bei (dem meist gebrauchten, ausgeleierten politischen Begriff der letzten Jahre) Nachhaltigkeit ab. Mit Nachhaltigkeit ist eben nicht der schnelle Reibach zu machen. -Energie in sämtlichen Variationen- mittels Subventionen bleibt für die gesamtgesellschaftliche Perspektive zukünftiger Generationen nur ein schädlicher Lastenbringer….ob Trassen, Tunnel oder in der Luft.