Das Aktionsbündnis gegen S21 schreibt dem künftigen Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper: Darin wird auf die vielen gravierenden, von Herrn Nopper unterschätzten Probleme verwiesen, die mit Stuttgart 21 auf die Stadt zukommen werden. Außerdem werden drei konkrete Punkte aufgeführt, die der neue OB auch als Projektbefürworter aufgreifen könnte. Ein während des Wahlkampfs angebotenes Gespräch greift das Aktionsbündnis gern auf:
Sehr geehrter Herr Dr. Nopper,
auch wenn uns in der Stuttgart 21-Frage bisher Welten voneinander trennen, gratulieren wir Ihnen aufrichtig zu Ihrem Wahlerfolg! Insbesondere wünschen wir Ihnen, dass die Zuversicht und der Pragmatismus, die Ihnen zugeschrieben werden, sowie die zugesagte Gesprächsbereitschaft Ihnen helfen werden, wenn Ihre heile S21-Welt auf die Realitäten dieses Projekts stoßen wird.
Sie werden in den nächsten acht Jahren den Bürger*innen erklären müssen, dass der städtische Haushalt mit Milliarden Mehrkosten (über)belastet werden wird, wenn die Stadt für Ihre Mitverantwortung für die inzwischen mindestens 5 Milliarden Euro ungedeckter Projektkosten zur Kasse gebeten wird – teure sogenannte Ergänzungsprojekte noch nicht mitgerechnet.
Sie werden den Bürger*innen ein ums andere Mal erklären müssen, warum Fertigstellungstermine nicht gehalten werden können. Wenn Sie je in den zweifelhaften Genuss einer Eröffnung von S21 kommen wollten, sollten Sie schon jetzt eine weitere Amtszeit anstreben.
100 Jahre nach der Internationalen Bauausstellung von 1927, die Stuttgarts Ruf als Stadt der arichtektonischen Moderne weltweit begründet hatte, wollte Stuttgart 2027 ja eigentlich mit dem großen Umbau zu Stuttgart 21 glänzen. Nun wird 2027 der Torso eines planerisch gescheiterten Projekts zu besichtigen sein. Sie werden sich alle Mühe geben müssen, dass sich die Stadt mit Stuttgart 21 nicht international lächerlich macht.
Sie werden erklären müssen, dass die Neubaustrecke, die allein den beworbenen Fahrzeitgewinn brächte, auf Jahre nicht wie geplant in Betrieb genommen werden kann, weil S21 sich verspäten bzw. nie fertig bzw. genehmigt werden wird.
Sie werden mit der Enttäuschung vieler S21-Unterstützer umgehen müssen, wenn die Wohnraumschaffung im Rosensteinareal sich bis 2035, wie ja schon zugegeben, oder auf den Sankt-Nimmerleinstag verzögert, also keine Lösung für die aktuelle Wohnungsnot darstellt.
In diesen Zeiten vielleicht am Wichtigsten: Sie werden dafür verantwortlich gemacht werden, dass für Stuttgart in Ihrer Amtszeit die Klimaneutralität der Stadt in weite Ferne rücken wird, wo andere Städte, an denen sich Stuttgart so gerne misst, ihre Klimaneutralität schon für 2030 anstreben. Mit den unterirdischen S21-Ergänzungsvorhaben werden die CO2-intensiven Betonexzesse fortgesetzt. Mit Bodenversiegelungen wie im Rosensteinviertel und auf den Fildern, sowie den Verkehrsverlagerungen von der Schiene auf die Straße durch einen zu kleinen, extrem störanfälligen Bahnhof drohen weitere verlorene Jahre für den Klimaschutz.
Ihre Ambition, Brücken zu bauen und die Stadt zu versöhnen, ehrt Sie. Frieden schaffen, ohne die zugrunde liegenden Konflikte zu lösen, wird die Konflikte jedoch nur verschärfen.
Wir legen Ihnen drei konkrete Schritte im Spannungsfeld S21 nahe, die raus aus den Gräben führen können und vernünftigerweise weder Befürworter noch Gegner überfordern würden.
- Um die mittelfristigen Haushaltsrisiken für die Stadt abschätzen zu können, muss die Frage schnell geklärt werden, welcher der Projektpartner zu welchen Anteilen alle bisherigen und weiteren ungedeckten Milliardenkosten des Projekts tragen muss. Setzen Sie sich also für die Beendigung der durchsichtigen Verzögerungstaktik im Rechtsstreit der Projektpartnern um ihre jeweilige Kostenträgerschaft ein!
- Die Planung der Fildertrasse und damit der Anschluss der Panoramastrecke ist weiterhin ungeklärt und offen. Zentrale Planfeststellungen fehlen. Alle Beteiligten sind sich de facto einig, dass die bisherige Planung gescheitert ist. Es ist ein Gebot der Vernunft, unter diesen Bedingungen nicht einfach weiter zu bauen. Setzen Sie sich also für eine Denkpause bei Bau und Planung der Fildertrasse ein, bis eine bahntechnisch sinnvolle Lösung einschließlich Anbindung der Panoramabahn an den Hauptbahnhof gefunden ist.
- Über dem Gesamtprojekt schwebt das Damoklesschwert des bisher ausgeklammerten, u.E. nicht genehmigungsfähigen Brandschutzes in Tunneln und Tiefbahnhöfen (Haupt- und Flughafen-Bahnhof). Hier geht es jenseits von wirtschaftlichen und politischen Bewertungen von S21 um den gesellschaftlichen Grundkonsens und das Verfassungsrecht auf Schutz von Leib und Leben Vieler, das bei einer Inbetriebnahme von S21 ohne effektiven Brandschutz aufs Spiel gesetzt würde. Als Stuttgarter Oberbürgermeister lastet diese Verantwortung auf Ihnen. Die Ihnen untergeordnete Stuttgarter Feuerwehr wird nicht in der Lage sein, einen größeren Brand in einem der Tunnel zu beherrschen. Es ist nur ein Gebot der Vernunft, eine bahnunabhängige, von allen Seiten akzeptierbare Begutachtung des Brandschutzes von S21 zu beauftragen.
Zurecht sprechen Sie im Interview mit der Stuttgarter Zeitung vom 1. Dezember das schlechte Image der Stadt an. An ihm müsse gearbeitet werden. Aus der Werbewirtschaft ist bekannt, dass es schwer ist, ein schlechtes Produkt schön zu schreiben oder zu designen. Stuttgarts Makel ist Stuttgart 21, das bundesweit als Beispiel für das Festhalten an einer verfehlten Planung gilt, von dem viele Verantwortliche seit längerem sagen, dass man Stuttgart 21 – „wenn man das gewusst hätte“ – nie hätte bauen sollen.
Hier liegt auch die Erklärung, warum die von Ihnen als Vorbild angesprochene Stadt München ein so viel besseres Image als Stuttgart hat: Sowohl München als auch Frankfurt, wie viele andere Städte, haben Ende der 90-er Jahre die Strategie des damaligen Bahnchefs Dürr dankend abgelehnt, ihre repräsentativen, bestens funktionierenden Kopfbahnhöfe für fragwürdige Immobilienprojekte unter die Erde zu legen.
Noch so viele Werbemillionen können Stuttgart nicht „zum Leuchten bringen“, wie Sie sagten, solange Stuttgart 21 unbeirrt weiter gebaut wird.
Sehr geehrter Herr Dr. Nopper, Sie hatten bei einem Zufallstreffen an der Mahnwache während des Wahlkampfs einem Vertreter des Aktionsbündnisses bereits ein Gespräch angeboten; Telefonnummern wurden ausgetauscht.
Sie haben erklärt, „bereit und in der Lage zu sein, auch mit anderen Kräften zusammenarbeiten,“ und „sich in die Position der S21-Gegner reindenken“ (ebd.) zu können.
Wir würden uns freuen, wenn Ihr Gesprächsangebot bald konkrete Form annimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Norbert Bongartz, Dr. Eisenhart von Loeper, Martin Poguntke