OB-Wahl in Stuttgart: Eine Schlappe für den Papst

Peter Grohmanns Wettern der Woche

Früher war auf die Kirche und ihre Leute Verlass, vor allem, was die Politik anging: Kein Wahlsonntag ohne vorherigen Kirchenbesuch, keine Wahl ohne die Drohung von Fegefeuer und Hölle für jene, die das Kreuz an der falschen Stelle machen. Und heute? Aus der Traum, aus die Maus. Jahrhundertelang galt die Kirche als Steigbügelhalter der Mächtigen und Reichen, als Schutzheilige des Kapitals, die überall ihre Finger im Spiel hatte - bei den Katholischen mit dem Papst als Stellvertreter Gottes. Das kam mir schon im Kindergottesdienst als etwas zu hochgegriffen vor. Aber damals war ich noch nicht in der Lage, das Gegenteil zu beweisen. Heute kann ich es. Ich habe nämlich einen Lieblings-Heiligen-Vater, beobachte seinem Werdegang, weiß um seine Herkunft und Zukunft. "Da kannste aber auch nich jed's Woord auf die Goldwaache legen!", mahnt meine Omi Glimbzsch gern, wenn wir uns in der Adventszeit ans Studium der Heiligen Schriften machen, die päpstlichen Enzykliken hernehmen u.v.a.m. Da gefällt einem eben die eine mehr als die andere. Meine Lieblingsenzyklika ist die 275 Jahre alte Vix pervenit vom November 1745 - ein Aufschrei gegen den Wucher, der darin bestünde, für ein Darlehen mehr zurück zu verlangen, als man gegeben hat. Der Friedrich Merz würde sich im Grabe rumdrehen, politisch gesehen, wenn er das wüßte!
Mein neuer Held in Rom heute heisst Franziskus und ist radikaler als Hannes Rockenbauch in Ostheim. Denn Franzl (so Omi Glimbzsch!) hat nahezu unbemerkt von der Stuttgarter Zeitung und dem SWR im Oktober 2020 die Enzyklika Fratelli tutti unter die Völker der Erde bringen lassen. Da geht es nicht um Radwege und Stuttgart 21, nicht um Fußgängerzonen und Müllabfuhr, sondern um Brandschutz - Brandschutz vor Kapitalismus und Wucher, vor Krieg und Naturzerstörung. Erst beim genaueren Hinsehen fällt auf, was Franziskus will: Kommunismus. Das Kinder-lexikon definiert: Der Kommunismus ist eine Vorstellung davon, wie die Menschen in Zukunft leben werden. Der Papst setzt noch eins obendrauf: Es rettet uns kein höhr'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun - uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun. Denn der Kapitalismus, diese Wirtschaft, tötet, und führt zu Gewalt und Krieg. Das ist, wie auch die OB-Wahl in Stuttgart zeigt, nicht mehrheitsfähig. Die Grünen sind entfernter als die SPD von derlei progressiven Prophezeiungen, aber selbstredend täten auch die sogenannten Christdemokraten und unorganisierten Linken gut daran, bissel Fratelli tutti zu sich zu nehmen - wir sind ja alle Schwestern.

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