Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 530. Montagsdemo am 21.9.2020
Liebe Mitstreiter,
jetzt wird der Brandschutz für S21 vor Gericht verhandelt – der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hat die mündliche Verhandlung meiner Klage gegen das Eisenbahn-Bundesamt wegen der 18. Planänderung auf Mittwoch nächste Woche, den 30.9., angesetzt – ausgerechnet auf den 10. Jahrestag des „Schwarzen Donnerstags“. Die Klage wurde im April 2018 eingereicht – vor 2 ½ Jahren!
Immerhin wird der unzureichende S21-Brandschutz jetzt doch vor Gericht verhandelt – was das Eisenbahn-Bundesamt und die Bahn unbedingt verhindern wollten und deshalb beantragt hatten, die Klage gar nicht erst zuzulassen. Rechtsanwalt Schütz von der DB Projekt Stuttgart-Ulm schrieb dazu ans Gericht: „Der Kläger ist nicht i. S des §42 Abs.2 VwGO klagebefugt. Er ist quivis ex populo, der sich zum Wahrer eines Gemeinwohlbelanges aufschwingt.“
Noch krauser geht´s wohl nicht! Ich soll nicht klagebefugt sein, weil es um die öffentliche Sicherheit geht, von der ich sehr wohl betroffen bin – meine Klage stützt sich auf Grundgesetz Art. 2 „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Wer hätte hier überhaupt klagen dürfen? Eine Verbandsklage gibt es nicht; Umweltverbände können nur wegen Verstöße gegen Naturschutzbelange klagen: So hebelt man in unserem Rechtsstaat das Grundgesetz und die vielbeschworene Bürgerbeteiligung gleich wieder aus – Politik nach Gutsherrenart! Arroganz der Macht!
In meiner Klage beanstande ich zunächst die viel zu steilen Fluchttreppen an den Bahnsteigenden mit viel zu schmalen Stufen als ungeeignet und unzulässig. Man kann auf den nur 26 cm breiten Stufen nicht voll auftreten, sondern nur „trippeln“, was sehr unsicher ist, noch dazu in der Aufregung eines Fluchtgeschehens. Stolpert auch nur einer, reißt er alle anderen mit sich. Die Bahn hält damit ihr eigenes Regelwerk nicht ein; dieses fordert als Regelbreite für Treppenstufen bei Neubauten 31 – 33 cm und eine Stufenhöhe von 16 cm – hier sind aber 19 cm Stufenhöhe geplant. Bei Einhaltung des Regelwerkes würden die Fluchttreppen-Ausgänge mitten in der Heilbronner Straße liegen! Das geht natürlich nicht – und zeigt einmal mehr den ganzen S21-Planungsmurks.
Hinzu kommt, dass die Ausgänge der Fluchttreppen über sogenannte „Bodenklappen“ ins Freie führen – wie die Falltüren einer Burg im Mittelalter, ein Rückschritt um 500 Jahre beim angeblich „modernsten Bahnhof“ weltweit. Diese „Bodenklappen“ sind so groß und schwer, dass sie von den Flüchtenden von Hand nicht geöffnet werden können, wie es für Fluchtausgänge zwingend vorgeschrieben ist. Stattdessen sind diese Bodenklappen mit hydraulischen Öffnungsanlagen vorgesehen, die bei Brandalarm die Klappen öffnen sollen – eine mögliche Störquelle mehr. Keine Technik ist ausfallsicher; das stellt die Bahn selber immer wieder unter Beweis mit gesperrten Wagentüren, Toiletten, gestörten Klimaanlagen oder Weichen- und Signalstörungen, die jeden vierten Zug verspäten oder ganz ausfallen lassen. Im Versagensfall stecken die Flüchtenden unter der Bodenklappe fest und kommen da nicht raus. Auch die Branddirektion Stuttgart hat Bedenken gegen diese Bodenklappen-Lösung geäußert und fordert dazu weitere Nachweise.
Die Bahn verweist auf Leipzig, wo es eine solche Bodenklappe als Notausstieg aus einer unterirdischen Personenverkehrsanlage gäbe und irgendwo in der Schweiz ebenso – also sei das doch eine „erprobte Einrichtung“. Mit einer untauglichen Verlegenheitslösung anderswo kann aber eine gleichfalls untaugliche Notlösung hier nicht rechtfertigt werden!
Wie konnte das Eisenbahn-Bundesamt seinerzeit diese Planung der Bahn ohne geeignete Fluchtmöglichkeiten überhaupt genehmigen? Die Reisenden hätten die Tiefbahnsteighalle nur über die Treppen auf die verrauchenden Querstege verlassen können, wo sie allesamt im Rauch erstickt wären. Das haben wir in der Fakten-Schlichtung 2010 aufgezeigt. Daraufhin versuchte die Bahn zusätzliche Fluchtwege in das bereits entstehende Bauwerk einzufügen, eiert aber von einer untauglichen Lösung zur nächsten herum.
Auch mit diesen nachträglich hinzugefügten Fluchttreppen an den Bahnsteigenden ist bei einem schweren Brandereignis die rechtzeitige Räumung der Tiefbahnsteighalle nicht erreichbar; die Verrauchung wird die Flüchtenden überrollen, viele werden darin ersticken. Die im Brandschutzkonzept von BPK angegebenen Entfluchtungszeiten der Bahnsteighalle von nur wenigen Minuten sind fehlerhaft und unrealistisch kurz – unsere eigenen Simulationen ergeben sehr viel längere Fluchtzeiten.
Das Eisenbahn-Bundesamt wie auch die Branddirektion und das Referat Brand- und Katastrophenschutz des Regierungspräsidiums hingegen haben die Angaben von BPK unbesehen so hingenommen; wer wird schon die Aussagen eines Prof.Dr.Ing.Dr.hc Klingsch hinterfragen? Auch da zeigt sich wiederum die Arroganz der Macht.
Der Architekt Ingenhoven arbeitet seit Jahren mit Prof.Dr.Ing.Dr.hc Klingsch als Brandsachverständigen zusammen und hat ihn hier bei Stuttgart 21 mit hereingeholt. Klingsch ist dafür bekannt, geltende Brandschutz-Vorschriften auszuhebeln und Ausnahme-Genehmigungen bei den Baubehörden durchzusetzen – welcher Beamter wird es schon wagen, einem Prof.Dr.Ing.Dr.hc zu widersprechen?
So hat der Prof.Dr.Ing.Dr.hc Klingsch u.a. erreicht, dass bei dem – von Ingenhoven geplanten – Neubau der Konzernzentrale des Gerling-Konzerns in Hannover die Tiefgarage mit 18.000 m² Fläche ohne jegliche Brandschutz-Unterteilung genehmigt und auch auf die bauliche Abtrennung der Aufzugs-Vorräume verzichtet wurde. Durchgesetzt hat Klingsch weiterhin die Verlängerung der höchstzulässigen Fluchtweglänge von 30 m in den Bürobereichen auf 70 m mit einer läppischen „automatischen Brandmelde- und Alarmierungsanlage“ – die ohnehin vorzusehen war. Das ist auch das Strickmuster von Klingsch beim „Brandschutz“ des Vorhabens Stuttgart 21. Selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten vor Behörden-Vertretern ermöglicht jede gewünschte Aufweichung von Vorschriften und das Zulassen von Ausnahmeregelungen. Auch das ist Arroganz der Macht.
In meiner Klage habe ich aufgezeigt, dass mobilitätseingeschränkte Personen im Brandfall die Tiefbahnsteighalle nicht ohne fremde Hilfe verlassen können – die Aufzüge müssen bei Brandalarm sofort stillgesetzt werden. Für Rollstuhlfahrer sind lediglich zwei Warteplätze im „temporär sicheren Bereich“ im Fluchttreppen-Vorraum am nördlichen Bahnsteigende vorgesehen, am südlichen drei; viel zu wenig angesichts der über 4.000 Personen, die sich im Ernstfall von jedem Bahnsteig retten müssen.
Die Bahn will die Aufzüge im Brandfall weiterlaufen lassen „als ein Element des Selbstrettungskonzepts, insbesondere für mobilitätseingeschränkte Personen“. Dazu beruft sie sich auf die Richtlinie VDI 6017 „Aufzüge / Steuerungen für den Brandfall“. Darin aber heißt es: „Gemäß den Arbeitsschutzbestimmungen… dürfen Aufzüge mit Ausnahme von Feuerwehraufzügen… im Brandfall nicht benutzt werden.“ Von den in dieser Richtlinie angeführten Voraussetzungen für eine „Verlängerung der Betriebszeiten im Brandfall“, die die Bahn hier in Anspruch nehmen will, wird jedoch keine einzige erfüllt – das verschweigt die Bahn geflissentlich.
Die darin geforderte bauliche Abtrennung eines Aufzugs-Vorraumes in mindestens feuerhemmender Ausführung mit direktem Zugang zu einem „notwendigen“ Treppenraum (als Ausgang ins Freie) ist weder vorgesehen noch machbar. Die von Ingenhoven vorgesehenen gläsernen Panorama-Aufzüge können Feuer oder Rauch im Aufzugsschacht nicht abhalten – die oben offenen Aufzüge ziehen bei der Abwärtsfahrt wie ein Kolben Rauch mit, der sich beim Öffnen der Aufzugstür in der unteren Ebene ausbreitet. Allein schon dadurch ist ein Weiterbetreiben der Aufzüge – auch zur Evakuierung mobilitätseingeschränkte Personen – nicht möglich.
Der Rechtsanwalt der DB, Dr. Schütz hat in seiner Klageerwiderung an das Gericht angeführt: „Der Kläger gehört nicht zu diesem Personenkreis [mobilitätseingeschränkter Personen]. Zwar ist der Kläger bereits betagt, doch nimmt er ausweislich der im Internet einsehbaren Videoaufnahmen regelmäßig aktiv an öffentlichen Veranstaltungen gegen das Projekt Stuttgart 21 (z.B. an den sogenannten Montagsdemonstrationen) teil und hält dort auch Reden. Die Prüfung der Belange mobilitätseingeschränkter Personen kann er daher nicht verlangen.“ Diese Einlassung des Dr. Schütz ist ungeheuerlich und eine Missachtung der Menschenrechte gegenüber den behinderten Menschen in unserer Gesellschaft – auch hierin äußert sich die Arroganz der Macht!
Im übrigen: woher will RA Schütz wissen, ob nicht auch ich eines Tages auf einen Rollstuhl angewiesen sein könnte, bevor Stuttgart 21 fertig ist und in Betrieb geht – wenn überhaupt jemals. Andererseits zeigt dies, wie unser Protest hinter den Kulissen auch bei den S21-Machern und der Bahn sehr wohl aufmerksam wahrgenommen und verfolgt wird.
Die Arroganz der Macht ist nicht auf Stuttgart 21 beschränkt. In München will die Bahn gegen heftigen Widerstand der Bevölkerung eine zweite S-Bahn-Stammstrecke bauen – 47 m unter der Stadt. Eigentlich hätte der Bau längst beginnen sollen. Doch es gibt erstmal einen Baustopp, die Bahn muss neu planen, das Rettungskonzept wurde verworfen. Jetzt muss – anders als bei Stuttgart 21 – eine dritte Röhre als Rettungstunnel her. Das verzögert das Vorhaben um Jahre und erhöht die Baukosten um hunderte Millionen Euro.
Der Abgeordnete Runge der GRÜNEN im bayerischen Landtag hatte als Ausschuss-Vorsitzender eine Fachaufsichtsbeschwerde an den Bundes-Verkehrsminister Scheuer gerichtet und darin den unzureichenden Brandschutz bemäkelt. Im Gegensatz zu Stuttgart sind die Grünen in München nicht an der Regierung beteiligt – dort trauen sie sich noch ein bisschen Opposition. Auf diese Beschwerde hat Bundesverkehrsminister Scheuer antworten lassen, die Einlassungen seien haltlos und von Experten widerlegt; der zugrunde gelegte „Kofferbrand“ sei der schlimmste anzunehmende Fall und alle anderen Brände seien weniger kritisch. Ein Kofferbrand als schlimmster anzunehmender Fall – nicht zu fassen!
Als ob Bundesverkehrsminister Scheuer vom ICE-Brand vor zwei Jahren bei Montabaur noch nie etwas gehört hätte. Welche Arroganz der Macht!
Aus Pressemeldungen und Feuerwehrberichten ab 2000 habe ich insgesamt 284 Brandereignisse bei der Deutschen Bahn zusammengestellt, etliche davon mit Verletzten und Toten – sicherlich gibt es noch wesentlich mehr. Bei diesen 284 Brandereignissen war kein einziger Kofferbrand dabei. Drei dieser Vorkommnisse führt die Bahn auf mögliche Brandstiftung zurück; alle anderen 281 Fälle – 99 %! – haben technische Mängel oder Störungen im Technikbereich wie Trafobrände, heißgelaufene Bremsen, Kurzschlüsse an Stromabnehmern oder in Schaltanlagen, defekte Klimaanlagen und dergleichen als Ursache. Die angeblich „nicht brennbaren ICE-Züge“ sind gleich 30 mal mit einem Brandgeschehen dabei – die schwerwiegendsten waren die ICE-Brände 2001 in Offenbach und 2018 bei Montabaur.
Die Arroganz der Macht verharmlost das als belanglosen „Kofferbrand“ als „abdeckendes Brandereignis“.
Oben bleiben!