Rede von Kathrin Hartmann, Journalistin und Autorin, auf der 516. Montagsdemo[1] am 15.6.2020

Hallo, ich bin Kathrin Hartmann.

Eigentlich bin ich Autorin in München. Aber heute möchte ich, kurz vor den Sommerferien, ein bisschen Mathe-Unterricht machen. Es gibt Algebra, es gibt Geometrie und es gibt – Autoindustrie. Und mit deren Grundrechenarten will ich mich heute beschäftigen.

Letzte Woche hat die GroKo ihr Konjunkturpaket verabschiedet: 130 Milliarden Euro. Das trifft überwiegend auf Begeisterung. Sowieso in der GroKo, aber auch in den Medien.

Klar: das „Wummspaket“ erweckt zum einen den Anschein, als könnte damit alles weitergehen wie vorher. Zum anderen sind viele erleichtert darüber, dass es wenigstens keine staatlichen Kaufprämien für Verbrenner geben wird. Dank der Bewegung für Klimagerechtigkeit erfüllt die Bundesregierung dieses Mal der Autoindustrie nicht so schamlos wie sonst alle Wünsche.

Aber auch wenn es offiziell keine Abwrackprämie gibt – de facto werden Verbrenner eben doch staatlich gefördert. Zum einen durch die Senkung der Mehrwertsteuer, die auch den Kauf von Autos ankurbeln soll. Zum anderen mit der erhöhten Kaufprämie für Hybrid-Fahrzeuge: das sind Autos, die mit Batterie UND Verbrenner fahren.

Auf dem Papier klingen Plug-In-Hybride wie wahre Öko-Autos. Zum Beispiel der SUV-Hybrid Q7. Den brachte Audi 2016 auf den Markt: 1,7 Liter Verbrauch, 46 Gramm CO2 pro Kilometer, Effizienzklasse A+, so steht das auf dem Papier. Mit der Realität hat das aber rein gar nichts zu tun: Tatsächlich verbraucht der Wagen zwischen 6,3 und 7,4 Liter auf 100 Kilometer. Denn je nach Ladezustand kann nur bis zu einem Drittel der Fahrten mit einem Plug-In-Hybrid rein elektrisch zurückgelegt werden. Dann schaltet sich der Verbrenner an. Entsprechend liegt der CO2-Ausstoß des Hybrid-Q7 nicht bei 46, sondern bei 195 Gramm pro Kilometer – viermal so hoch, wie vom Hersteller angegeben. Und mehr als doppelt so viel wie die CO2-Obergrenze der EU, die ab nächstem Jahr gilt.

Und hier kommen wir zur höheren Mathematik à la Audi, BMW, VW & Co.: Hybrid-Kolosse werden zum Öko-Fahrzeug schöngerechnet, indem der Verbrauch beider Antriebe zusammengerechnet wird – die angeblichen Null-Emissionen des E-Antriebs werden mit dem CO2-Ausstoß des Dieselantriebs verrechnet. Selbstverständlich fällt bei dieser Rechnung der CO2-Ausstoß bei der Batterieproduktion völlig unter den Tisch. Und auch der der fossilen Energie, mit der die Batterie geladen wird.

Jeder dritte PKW, der in Deutschland zugelassen wird, ist ein SUV. In den vergangenen zwölf Jahren haben sich die Zulassungen von SUVs und Geländewagen vervierfacht. Denn die Autoindustrie hat es in den letzten 20 Jahren immer wieder geschafft, dass die Abgas-Obergrenzen der EU nach oben korrigiert und ihre Einhaltung nach hinten verschoben wurden.

In all diesen Jahren haben die Autobauer – unter der schützenden Hand der Politik – immer größere, schwerere und schnellere CO2-Schleudern gebaut. Je voluminöser und teurer, desto größer die Gewinnmarge.

Das Fahrzeugkonzept SUV hat sich in Deutschland also genau in jenen Jahren etabliert, die für den Klimaschutz bedeutend gewesen wären. Bereits damals hätte die Autoindustrie längst die CO2-Grenze unterschreiten können, wenn sie denn kleinere, verbrauchsarme Autos produziert oder in alternative Antriebe investiert hätte. Stattdessen ist der CO2-Ausstoß im Verkehr überhaupt nicht gesunken und zeitweise sogar gestiegen.

SUVs und andere Spritschlucker wurden in Deutschland durch die sogenannten Effizienzklassen A+ bis G sogar noch bessergestellt. Das 2011 eingeführte CO2-Label für Neuwagen verrechnet dabei CO2-Ausstoß und Gewicht miteinander. Damit erscheinen schwere Fahrzeuge, also SUVs, Geländewagen, Vans und Mittelklasse-Pkw, umweltfreundlicher als kleine und sparsame Autos: Der Audi Q7 (180 Gramm CO2) bekam eine hellgrüne B-Kennzeichnung, der Smart mit halb so vielen Emissionen ein gelbes C. Die Deutsche Umwelthilfe stellte nach Akteneinsicht schließlich fest, dass die Autoindustrie selbst dieses Gesetz geschrieben hatte.

Nächstes Jahr soll das neue Klimaschutzziel der EU gelten. Dann dürfen Fahrzeugflotten nur noch 95 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen, sonst müssen Autobauer horrende Strafen zahlen.

Allerdings können die Konzerne Fahrzeuge in der Flotte, die weniger als 50 Gramm CO2 ausstoßen, zunächst noch auf die Flottenbilanz anrechnen. Rein rechnerisch kann auf diese Weise ein Elektroauto mehrere SUVs mit hohen CO2-Emissionen kompensieren. „Supercredits“ wird diese Möglichkeit genannt, und für sie hatten die Autolobbyisten besonders gekämpft. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihnen diesen weiteren Gefallen gerne erwiesen.

Vergangenes Jahr haben die Autokonzerne vollmundig ihre „Elektro-Strategie“ angekündigt. Doch dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein Rettungsprogramm für SUVs. Viele der neuen oder geplanten Elektrofahrzeuge, mit denen die Hersteller diese „Supercredits“ einheimsen, sind nämlich große Hybrid- und Elektro-SUVs und Geländewagen. Je größer und leistungsstärker die Autos, desto mehr Rohstoffe braucht aber ihre Produktion: eine E-SUV-Batterie bringt achthundert Kilo auf die Waage – so viel wie in den siebziger Jahren ein VW Polo.

Bereits 2015 ging die Hälfte der global nachgefragten Seltenen Erden in Magnete, die in Elektromotoren verbaut sind. Der erwartete Bedarf für Lithium und Kobalt, die in den Batterien verbaut werden, übersteigt die heute abgebauten Mengen um ein Vielfaches. Das würde bedeuten, dass für E-Autos neue Abbaugebiete erschlossen und Minen gebaut werden müssen – was meist mit Landkonflikten und Umweltzerstörung einhergeht.

Nur mit Tricks kann sich die Autoindustrie zum emissionsfreien Klimaschützer herunter rechnen, obwohl sie weiterhin SUVs herstellt. Und nichts anderes hat sie im Sinn. Zwar wollen alle Marken bis 2025 etwa 25 Prozent ihrer verkauften Pkw elektrifizieren. Doch setzen sie bei den verbleibenden 75 Prozent weiterhin auf SUVs mit Verbrennungsmotoren. Bis 2025 will etwa der Volkswagen-Konzern, dessen Autos für ein ganzes Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind, mehr als 30 SUVs und Geländewagen der Marke VW anbieten. Dann wäre jeder zweite Pkw von VW ein SUV. Vertriebschef Jürgen Stackmann sagte im Oktober 2018, man müsse weiter SUVs bauen, damit man mit den Einnahmen die Elektrostrategie finanzieren könne.

Weiter so wie bisher – dafür steht das „Wummsprogramm“. Dabei bräuchten wir den Wumms ganz woanders: beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, einer Bahn für alle, beim Umbau der Städte weg von den Auto- hin zu Fahrradstädten. All das ist möglich. Deswegen treffen wir uns hier. Und deswegen müssen wir weiterkämpfen!

Kathrin Hartmann ist freie Journalistin und Buchautorin in München. Mit dem österreichischen Regisseur Werner Boote wirkte sie am und im Dokumentarfilm „Die grüne Lüge“ mit und schrieb das gleichnamige Buch dazu. Gerade ist im Blessing-Verlag ihr neues Buch „Grüner wird’s nicht – warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen“ erschienen.

[1] ab 16.3.2020 wegen Corona-Pandemie jeweils Montags, 18 Uhr, online: https://www.parkschuetzer.de/videos/

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Eine Antwort zu Rede von Kathrin Hartmann, Journalistin und Autorin, auf der 516. Montagsdemo[1] am 15.6.2020

  1. Thomas Renkenberger sagt:

    Lesetipp für die nächste Diskussion mit sog. Grünen-Politikern:
    Kathrin Hartmann: Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell. Blessing, München 2018, 240 Seiten, 15 Euro

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