Rede von Andreas Schwab, Parkschützer, auf der 501. Montagsdemo am 17.2.2020
Liebe Freunde,
schon mehrfach wurde auf der Montagsdemo über den Dammbruch bei der Erzmine Corrego do Feijao bei der Kleinstadt Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien berichtet. Was hat diese eingetretene menschliche und ökologische Katastrophe mit S21 zu tun? Hierüber werde ich sprechen.
Vor etwas mehr als einem Jahr, am 25. Januar 2019, ergossen sich ohne Vorwarnung 11,7 Mio. Kubikmeter einer giftigen Schlammlawine mit bis zu 70 km/h auf das Gelände der Erzmine und die umliegenden Siedlungen. Mindestens 256 Menschen starben einen grausamen Erstickungstod in der sich über sie ergießenden Giftbrühe. Das Ökosystem des Flusses Paraopeba gilt als zerstört.
Der geborstene Damm war für die anfallenden giftigen Abfallsedimente der Erzmine immer wieder erhöht und aufgeschichtet worden. Im März wurde bekannt, dass der TÜV-Süd im September 2019, also 4 Monate vor der Katastrophe, gravierende Mängel und somit ein hohes Risiko in ihrem Gutachten zur Betriebstauglichkeit des Dammes auflistete, aber letztendlich dennoch die Standfestigkeit zertifizierte.
Und da sind wir bei S21. Wer könnte Hany Azer vergessen, der als Bauingenieur von 2008 bis 2011 die Gesamtleitung für S21 innehatte, und als profundester Kenner 121 Risiken von S21 auflistete – und sich dann aus dem Projekt verabschiedete. Die Einsicht in diese Liste musste von unseren Ingenieuren22 erfolgreich eingeklagt werden.
Die erzwungene Offenlegung der Risiken durch die DB sind heute so entscheidend wie vor 8 Jahren. Auch die heute Verantwortlichen bei der DB, der Genehmigungsbehörde Eisenbahnbundesamt und die S21 immer wieder reanimierenden politisch Verantwortlichen werden sich nicht wie in der deutschen Geschichte bekannt auf das Mantra „davon habe ich nichts gewusst“ selbst von ihrer persönlichen Verantwortung freisprechen können. Der zweite Bahnchef in Folge beteuerte, „mit heutigem Wissensstand würde S21 nicht gebaut werden“. Dumm nur, dass sowohl Grube als auch Lutz zu jeder Zeit den besten Wissensstand hatten und dies ihnen nachgewiesen werden kann.
Zurück nach Brasilien: Leitende Mitarbeiter des die Mine betreibenden Konzerns Vale und die wider besseres Wissen die Standfestigkeit des Dammes zertifizierenden Mitarbeiter des TÜV Süd, darunter ein Deutscher, sind inzwischen wegen Mordes angeklagt. Ich zitiere wörtlich den ermittelnden Staatsanwalt des Bundesstaates Minas Gerais: „Die Vertreter von Vale bestehen darauf, dass es sich um einen Unfall handelte, aber die Staatsanwaltschaft und die Polizei von Minas Gerais sind überzeugt, dass wir es mit einem vorsätzlichen Verbrechen zu tun haben.“
Resümee: verantwortliche Mitarbeiter von Vale und TÜV Süd wurden in Haft genommen, da ihnen nachgewiesen werden konnte, von der Instabilität des Dammes gewusst zu haben. Hier auf der Montagsdemo werden in Wort, Schrift und Bild die bekannten schwerwiegenden, potentiell todbringenden Risiken wie der nicht zu erbringende Brandschutz bei S21 dokumentiert, der Öffentlichkeit und den Verantwortlichen zur Kenntnis gebracht. In Brasilien wurde der Konzern Vale bereits im vorigen Jahr dazu verurteilt, für alle Schäden der Katastrophe aufzukommen, und es wurden umgerechnet zunächst 2,6 Mrd. Euro auf den Konten von Vale eingefroren. Geld und Entschädigungen für Hinterbliebene können das unendliche Leid nicht wiedergutmachen. Nun werden persönlich Verantwortliche wegen Mordes angeklagt und es wird ein Zeichen gesetzt, dass freiwillig handelnde oder unter Druck gesetzte Täter nicht ungestraft davonkommen und sich nicht mit Geldzahlungen freiwaschen können.
Wir setzen uns hier dafür ein, dass in Stuttgart eine Katastrophe mit Ansage – mit im Tiefhaltepunkt S21 im Brandfall elendiglich erstickender Reisender niemals möglich sein darf. S21 ist nicht reparierbar, es muss beendet und die erstellten Tunnel für eine innovative Versorgungslogistik für Waren und Güter genutzt werden!
Viele werden sich wundern, aus Brasilien, einem Land, das für Korruption, Ungleichheit, Gewalt und Macht seiner Eliten steht, von einer Justiz zu hören, die so scharf gegen die von Gier und Geld Getriebenen vorgeht. Es leidet unter einem faschistischen Präsidenten und die um ihn gescharten Militärs und Agrarlobbyisten, die staatliche und angeheuerte kriminelle Todesschwadrone in die jahrzehntelang vernachlässigten Armenviertel schickt, die dort ungestraft und ungebremst morden dürfen und sollen. Brasilien leidet unter Bolsonaro und seinen Schergen, aber es gibt einen deutlichen Unterschied zur Trump-USA, wo dieser mit seiner blind und fanatisch ergebenen Anhängerschaft Chancen hat durchzumarschieren. Die Gründe, dass in Brasilien ein Faschist ins mächtige Präsidentenamt gewählt werden konnte sind vielschichtig und sprengen den Rahmen unserer Kundgebung. Bolsonaro ist heute entzaubert, hat schlechteste Umfragewerte, und seine schreckliche Amtszeit wird mit großem Schaden vorübergehen.
Die Verzweiflung der geschundenen Brasilianer war enorm, aber Brasilien ist so bunt, vielfältig und in seiner Verfassung so fortschrittlich wie kaum ein anderes Land. In den kommenden Wochen werden 180 Mio. Brasilianer tanzen, lachen, die Politik verspotten und mit ihrem Carnaval das größte Volksfest der Welt feiern. Auch wir als Widerstandsbewegung haben gelernt, trotz aller Widrigkeit und Frust uns die Lebendigkeit und Humor nicht nehmen zu lassen.
In Brasilien und hier: Nao passaran! Sie werden nicht durchkommen!