Doppelhaushalt mit Sedierungseffekt: Verbesserungen, aber kein Kurswechsel in entscheidenden Fragen

Rede von Hannes Rockenbauch und Tom Adler, Die FrAKTION, auf der 494. Montagsdemo am 16.12.2019

Meine Damen und Herren, liebe Freund*innen,

Tom:

In dieser Woche gehen die Beratungen zum Haushalt unserer Stadt in die letzte Runde. Am Donnerstag wird der Stellenplan diskutiert und abgestimmt, und am Freitag wird abschließend entschieden, wofür etwa 3 Milliarden Euro 2020 und 2021 ausgegeben werden.

Darüber ist seit Oktober zwischen den Fraktionen verhandelt worden, leider hinter verschlossenen Türen. Unser Antrag, den Stadthaushalt von Anfang bis Schluss öffentlich zu verhandeln, hat nur unsere eigenen Stimmen bekommen. Die interessierten Bürger*innen blieben ausgesperrt, der OB und die Stadtratsmehrheit fühlen sich unbeobachtet einfach wohler.

Hannes:

Es hat sich auch dieses Jahr wieder bestätigt, was wir seit Jahren sagen: diese Stadt schwimmt dermaßen im Geld! In den letzten Jahren immer 200 Mio. über dem Plan. 2018 einen sagenhaften Überschuss von 500 Mio., und 2019 rechnet die Verwaltung mit einem Plus von mindestens 90 Mio. Euro. Die Stadt ist schuldenfrei! Davon Positionen: 200 Mio. Klima, 200 Mio. Oper, 200 Mio. Klinikum.

Klar, in einem Haushalt des Überflusses, da geht was und auch richtig gute Sachen! Mit diesem Haushalt wird etliches beschlossen, was wir als soziales und ökologisches Gewissen des Gemeinderats beantrag haben. Auf der Positiv-Seite unserer heutigen Bilanz vor der letzten Beratungswoche steht zum Beispiel:

  • Wir haben im Sozialbereich geschafft, vieles in den Haushalt zu bringen, was der OB-Haus­halts­entwurf gar nicht vorgesehen hatte. Wir waren sozusagen erfolgreiche Ausputzer für einen Sozialbürgermeister, der sich vom Acker gemacht und damit das Sozialamt und die vielen freien Träger und Einrichtungen ohne Unterstützung im Regen stehen lassen hat.
  • Wir konnten dabei auch den erfolgreichen Kampf ums Hotel Silber festigen.
  • Und Impulse geben, mit der Aufarbeitung der Stuttgarter Kolonialgeschichte anzufangen.
  • Auch Präventionsarbeit gegen die Rechtsentwicklung in der Gesellschaft wird nun verlässlich gestärkt. Noch nicht lang her, da war im Rathaus noch herrschende Meinung: Ja, Rechtsextremismus ist schon irgendwie ein Problem – aber doch nicht bei uns in Stuttgart!
  • Ähnlich stellt es sich beim Rad- und Fußverkehr dar, wo wir in den letzten Jahren und auch jetzt im Haushalt die ständigen Antreiber waren – unsere Opposition und die Bewegung auf der Straße wie Radentscheid und Platz-Da-Picknick gegen den bräsigen Kurs im Rathaus – voller Schiss vor den Autokonzernen – hat etwas in Bewegung gebracht!

Tom:

Hannes hat ja grad gezeigt, dass Stuttgart schuldenfrei ist, viel Geld auf der hohen Kante hat und auch noch jedes Jahr Haushaltüberschüsse ausweist. Wo kommen solche Überschüsse eigentlich her? Ganz einfach, die kommen zustande, weil vom Gemeinderat beschlossene Investitionen und Projekte wegen fehlendem städtischen Personal gar nicht umgesetzt werden können. Das beschlossene Geld bleibt einfach liegen! Seit vielen Jahren ist die Personalausstattung der Stadt und der Eigenbetriebe in die Magersüchtigkeit gespart worden, handlungsunfähige Ämter sind die Folge.

Eine bessere Personalausstattung bei der Stadt ist also auch eine Schlüsselfrage: Wenn in dieser Stadt eine bessere Wohnungs- und Mietenpolitik, eine Verkehrswende und das 1,5-Grad-Klimaziel erreicht werden soll, dann muss deutlich mehr Personal an Bord als bisher.

Und Stand heute sieht das so aus, als hätten wir da zusammen mit dem Gesamtpersonalrat die Föllsche Blockadewand durchbrochen und Stellenaufbau erreicht: über die vom OB ursprünglich eingeplanten Stellen hinaus wird es voraussichtlich 189 zusätzlich durchgesetzte geben! Dafür haben die Kolleg*innen vor dem Sitzungssaal auch lautstark demonstriert!

Viele beschlossene Stellen sind gut, aber die künftigen neuen Mitarbeiter wollen ja erst mal gewonnen werden: dazu muss die Stadt ein deutlich attraktiverer Arbeitgeber werden, der zum Beispiel eine Ballungsraumzulage zahlt wie die Stadt München, der zum Beispiel Personalwohnungen anbietet; und es braucht Arbeitsplätze, Betriebshöfe und Räume, die heute dank Ausverkaufspolitik der Stadt fehlen!

Das sind Erfolgsbedingungen, um neue Mitarbeiter zu kriegen, und hier bleibt die Mehrheit im Gemeinderat bisher weit hinter dem Notwendigen zurück! Darüber müssen wir weiter streiten, denn wir wollen hier nicht einfach über Erfolge reden, die wir nach 5 Jahren Oppositionsarbeit auch in den Haushaltsberatungen gehabt haben.

Liebe Freund*innen und Freunde, ihr kennt uns – wir reden auch darüber: was müsste denn mit dem vielen Geld gemacht werden, um dringend nötige Strukturveränderungen wenigstens einzuleiten?

Eine Strukturveränderung zum Beispiel, eine Weichenstellung in der Bodenpolitik, um die Mietenexplosion und Bodenspekulation auszubremsen, um zu verhindern, dass Stuttgart vollends eine Stadt wird, in der sich bald nur noch die Betuchten das Wohnen leisten können!

Hannes:

Oder eine Strukturveränderung, eine Weichenstellung, die Stuttgart wenigstens auf den Weg bringen würde, seinen Beitrag zu leisten, dass das 1,5-Grad-Ziel der Klimapolitik eingehalten werden kann! Und zwar in der knappen Zeit, die uns dafür überhaupt noch bleibt!

Zentraler Prüfstein, wie es die Fraktionen mit dem Klimaschutz halten, ist der Umgang mit unserem Antrag den Klimanotstand endlich auch in Stuttgart anzuerkennen und damit verbindlich das Ziel zu setzen, dass Stuttgart bis 2030 klimaneutral sein muss, und zu Erreichung diesen Zieles muss einfach alles unter Klimavorbehalt und auf den Prüfstand. Niemand außer der Puls-Fraktion wollte sich dieser Herausforderung stellen. Auch die Grünen folgen da blind der Devise des OBs, jetzt machen wir mal 2050 und geben 200 Mio. aus, dann sehen wir weiter – und überhaupt besser werden können wir ja immer.

Liebe Leute, was ist das denn für eine brutalst mögliche Realitätsverweigerung? Mich ärgert dieses Gezocke mit dem Leben von Millionen! Nein, besser wird man nicht zufällig, sondern nur, wenn man sich Ziele vornimmt und hart daran arbeitet. Ich kann mir diese Realitätsverweigerung nur damit erklären, dass sich dann die Mehrheiten ehrlich machen müssten. Dann müssten wir nicht nur über S21 reden, sondern über die ganze Frage, woher denn die letzten Jahre unser ganzer Wohlstand herkommt. Und ob das so weiter gehen kann mit dem ewigen Höher, Schneller, Weiter, Dicker und Fetter unserer ganzen Produktions- und Lebensweise. Dann würde man auch merken, dass die 200 Mio. Klimapaket sich nur nach viel anhören, aber ein dauerhafter Strukturwandel hin zur Klima­neu­trali­tät gelingt damit nicht.

Eine echte Verkehrswende ist nicht in Sicht. Natürlich, wenn am Freitag – wie schon in der 1. und 2. Lesung, ein 365-€-Ticket für Azubis, Schüler*innen, Meister- und Technikerschüler beschlossen wird, dann ist das zweifellos ein Fortschritt!

Überhaupt, dass wir im Gemeinderat endlich über Ticketpreisreduzierung reden, ist auch unser Erfolg! Genauso, dass wir jetzt endlich die SSB so finanzieren, dass ihre Infrastruktur wenigstens erhalten werden kann. Aber vom Nötigen, dem massiven Ausbau und einer drastischen Fahrpreisreduzierung bis hin zum Nulltarif, ist nichts zu spüren. Und das, obwohl Grüne und SPD mit dem 365-Euro-Ticket Kommunalwahlkampf gemacht hatten!

Wir hier sind uns einig, die Glaubwürdigkeit in Sachen Klima hängt am Umgang mit dem grassierenden Tunnelwahnsinn von S21. Tunnelwahnsinn gibt’s aber nicht nur bei S21, sondern geplant sind zusätzliche 105 Meter Straßentunnel am Gebhard-Müller-Platz, obwohl fünf internationale Planungsteams beim B14-Wettbwerb dargestellt haben, dass diese Unterführung überhaupt nicht gebraucht wird!

Uns ist wichtig, dass die Transformation zur klimaneutralen Stadt nicht nur ökologisch gelingt, sondern auch sozial. Und deswegen kämpft unsere Fraktion seit Jahren entschieden für das Menschenrecht auf Wohnen.

Tom:

Schauen wir uns doch noch mal an, was der Haushalt hier leistet: Bis heute werden Stuttgarter mit kleinen und mittleren Einkommen aus ihren Vierteln verdrängt, mit jedem Abriss und Neubauprojekt regelrecht aus der Stadt hinausgebaut. So wird Stuttgart künftig zu einer Stadt der Reichen gemacht!

Und die Stadtspitze und die Mehrheit im Stadtrat schauen bisher dabei zu! Wir fordern seit JAHREN und wir haben erneut beantragt, dass die Stadt dagegen selber aktiv wird – statt die Wohnungsversorgung Investoren zu überlassen! Denn die sind dafür genauso geeignet wie Graf Dracula für die Führung einer Blutbank!

Einen eigenen Wohnungs- und Bodenfonds braucht die Stadt, mit kommunalem Wohnungsbau auf eigenem städtischem Grund, damit die Mieten wirklich für alle dauerhaft leistbar bleiben. Dafür soll die Stadt 150 Millionen im Jahr einsetzen! Und wir wollen, dass beim Amt für Stadtplanung eine erst mal 3-köpfige Task Force Spekulationsbremse eingerichtet wird, die den Immobilienspekulanten die Werkzeuge zeigt. Da gibt es bis heute keinen Kurswechsel, stattdessen werden weiter im Eiltempo städtische Grundstücke verkauft!

Hannes:

Wer von Verkehrswende, Gesundheits- und Klimaschutz redet, darf auch nicht über Stuttgart 21 schweigen! Über diesen Umwelt- und Klimaskandal ersten Ranges, der 2 Millionen Tonnen CO2 allein durch den Bau in die Luft bläst, der die Stadtluft versaut und die notwendige Verkehrswende blockiert! Im Klimaschutzprogramm des OB kommt Stuttgart 21 aber erst gar nicht vor!

Alle unsre Anträge für Aus- und Umstieg sind im Rathaus bisher abgelehnt worden. Wir alle sehen aber gerade in diesen Tagen: die alten und neuen S21-Unterstützer haben allergrößte Legitimations-Probleme für ihr Murksprojekt. Die Strategie ist Wahnsinn, statt Tunnelwahn wollen wir Ausbau der Zuläufe und des gesamten Netzes. In der Not packen jetzt die alten und neuen Tunnelparteien immer noch eins drauf, natürlich außerhalb der S21-Finanzierung. Aber am Ende wird das Defizit vom geplanten Schmalspur-Durchlauferhitzer S21 doch nur noch offensichtlicher. Da hilft auch kein unterirdischer Mini-Kopfbahnhof des Verkehrsministers, sondern nur oben bleiben!

Denn auch wenn wir feststellen, dass es der beste Haushalt ist, den ich seit 15 Jahren erlebt habe, und dass er ohne uns anders aussehen würde, stellt sich nicht die Frage – wenn man das Raumschiff Rathaus verlässt – ob es kleine Verbesserungen gegenüber früheren Haushalten gibt, sondern die Frage: beinhaltet dieser Haushalt die nötigen strukturellen Veränderungen z.B. für Klimaneutralität, Wohnen und Verkehr?

Tom:

Gemessen mit diesem Maßstab ist die Antwort heute noch: nein! Für uns, liebe Freund*innen heißt das: wir müssen in den letzten Tagen dieser Haushaltsberatungen den Druck weiter erhöhen und dafür streiten, dass es nicht nur in Trippelschritten voran geht, dass Weichen für Klimaschutz, Verkehrswende und eine wirkungsvolle Mieterschutzpolitik gestellt werden!

Das haben wir vor den Haushaltsberatungen getan, das tun wir während den Haushaltsberatungen und das machen wir nach den Haushaltsberatungen weiter – und zwar zusammen mit euch, gemeinsam mit anderen Initiativen und Bewegungen, weil ohne den Druck auf der Straße gar nichts vorwärts geht!

Hannes und Tom: Oben bleiben!

Rede von Hannes Rockenbauch und Tom Adler als pdf-Datei

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