Rede von Dipl.-Phys. Wolfgang Kuebart, Ingenieure22, auf der 486. Montagsdemo am 21.10.2019
Ein provokanter Titel. Die einen werden ein Fragezeichen hinter den Titel setzen wollen, die anderen ein Ausrufezeichen. Für die Befürworter von Stuttgart 21 ist es geradezu ein Höllenfluch.
Bei meinen Recherchen zu diesem Thema bin ich auf Artikel gestoßen aus einer Zeit, als noch alle Möglichkeiten offen standen. In der Rückschau ist es geradezu entsetzlich zu lesen, wie haarklein alle Probleme, die wir heute nach und nach eröffnet bekommen, schon schwarz auf weiß nachzulesen waren. Damals wurden mit den Planfeststellungen 2005 und 2006 die Fehler in Gesetzeskraft verwandelt. In einem zweiten Dokument habe ich viele dieser Literaturstellen zusammengestellt von 2005 bis heute, man kann es sicher demnächst auf unserer Homepage ingenieure22.de bekommen.
Hier soll heute nur das derzeitige Ende des Dramas vorgestellt werden: Lasst uns beginnen mit der am 16. Juli 2019 anberaumten öffentlichen Sitzung des Ausschusses Stuttgart 21/Rosenstein im Stuttgarter Rathaus. Am Tag der Sitzung liest man den eigentlich in der Sitzung zu besprechenden Arbeitspunkt aus Sicht der Deutschen Bahn bereits in der Zeitung. Die Bahn will die Deutungshoheit über Stuttgart 21 behalten:
20190716_StZ_Bahn erteilt Kopfbahnhof eine Absage.pdf
Ausschuss Stuttgart 21/Rosenstein. TOP 1 Bahnknoten Stuttgart u. a. Antrag Nr. 220/2019 vom 21.06.2019 – mündliche Berichte durch die Deutsche Bahn, Verkehrsministerium BW und Verband Region Stuttgart
Erst am Tag drauf bekommen auch die Zeitungsleser einen Eindruck von den anderen aufeinander geprallten Ansichten im Ausschuss Stuttgart 21/Rosenstein:
20190717_StZ-S19_S21-Debatte über zusätzliche Station am Bahnhof
Typisch, dass Christoph Engelhardt in der Sitzung nicht sprechen durfte. Bahnvorstand Krenz dagegen las einen vorbereiteten Text vor, dessen Inhalt man schon vorher aus den Veröffentlichungen des gleichen Tages kannte und der in seiner Einfältigkeit so völlig am Problem vorbei flog, dass es fast schon peinlich war. Wer die Sitzung mit verfolgt hatte, witterte Morgenluft für unsere Vorstellungen, den Kopfbahnhof zu erhalten, sah die vorgelegte „Light-Lösung“ als Fuß in der Türe. Einer der bemerkenswertesten Sätze aus dem Verkehrsministerium: „Wir würden den Vorschlag nicht machen, wenn wir nicht glauben würden, dass wir ihn brauchen“.
Doch das genügt den Projektbefürwortern offenbar nicht, um auch nur einmal darüber nachzudenken, wie es mit der Zukunft des Verkehrs in dem Tiefbahnhöfle aussieht angesichts Klima- und Mobilitätswende, wenn schon unter heutigen Umständen die Leistungsreserve strittig ist, ganz abgesehen von den begleitenden Streitpunkten Brandschutz und Störanfälligkeit.
Minister Hermann äußerte sich auch in den folgenden Tagen mit einer Replik auf das Abwiegeln der Deutschen Bahn, die alle Probleme bestritt:
20190719_StZ-S01_Hermann-sieht-Engpässe-bei-S-Bahn
„[…] Hermann begründet seinen Vorstoß mit der Sorge, das Stuttgarter S-Bahn-System sei der politisch angestrebten Fahrgastzunahme nicht gewachsen. Der Bahn macht er indirekt den Vorwurf, dies bei ihrer Betrachtung der Leistungsfähigkeit von Stuttgart nicht mit zu bedenken. Die Bahn bezieht sich in ihren Äußerungen auf den Fernverkehr, für den sie zuständig ist. Sie redet nie über die S-Bahn. […]“
Für uns als große Enttäuschung liest man dann in derselben Zeitungsausgabe drei Tage nach der Sitzung im Rathaus eine deutliche Absage an den Erhalt des Kopfbahnhofs, was, wenn man das Vorfeld betrachtet, bis es zu dieser Sitzung kam, man zumindest nachvollziehen kann:
20190719_StZ-S18_Gleise oben kann man sich abschminken
Eine Arbeitsgruppe wurde gebildet zwischen Bahn, Verkehrsministerium und Stadt:
20190719_StZ-S18_Arbeitsgruppe soll rasch tagen: „Wir haben beschlossen, dass in der nächsten Sitzung des Verkehrsausschusses am 2. Oktober der Ministerialdirektor Lahl und der Abteilungsleiter Hickmann die Idee erklären sollen.“
Ob es nicht doch sinnvoll ist, den Kopfbahnhof zumindest in Teilen zu erhalten, wenn sich nun doch die Meinung durchsetzt, dass man nicht genügend für die Zukunft gerüstet ist? Selbst der eher dem Projekt nahestehende Journalist der Stuttgarter Zeitung Christian Milankovic stellt in seinem Kommentar zur Debatte fest: „Wo es einen Bedarf und Gleise gibt, bleiben diese an Ort und Stelle.“ Aber das ist ja nur eine vernünftige Ansicht, was ist an diesem Projekt jedoch vernünftig?
20190722_StZ-S01_Leitartikel: Riskantes-Spiel-am-Rosenstein
Unvereinbar sind die Positionen der Verkehrsexperten und der Städtebauer.
20190723_StZ-S17_Rosensteinquartier soll Modellviertel werden. Die Stadt hält unabhängig von der aktuellen Debatte über zusätzliche Gleise für S21 an ihren Planungen fest.
Da ist es erfrischend, wenn dieser Spagat auch einmal ausgesprochen wird. Doch das liest man nur in Medien, die nicht Mainstream sind:
20190724_kontext_Gaukelei-mit-Kapazitaeten.doc […]: „Gelegentlich ist es hilfreich, zunehmend verwirrende Konstellationen auf ihre Essenz reduziert zu betrachten. Also: In Stuttgart soll ein funktionierender Kopfbahnhof durch einen unterirdischen Durchgangsbahnhof ersetzt werden. Und weil sich irgendwann zeigt, dass der unterirdische offenbar nicht genug wird leisten können, soll er durch einen kleinen Kopfbahnhof ergänzt werden. Zu diesem Zweck soll nicht etwa ein Teil des alten Kopfbahnhofs an der bestehenden Stelle belassen, sondern die Gleise sollen erst einmal abgerissen und dann tiefer gelegt werden. Damit oben gebaut werden kann, was der Stadt Stuttgart sehr wichtig ist. […]“
Man konnte es schon 2005 und früher lesen. Die mangelnde Kapazität der Zulaufgleise müsste erweitert werden, der Mischverkehr auf den Gleisen nach Feuerbach und Zuffenhausen wie auch auf den Gleisen nach Norden müsste aufgehoben werden, wenn man an die Verdopplung der Fahrgastzahlen denkt. Weitere Vorschläge, die S-Bahn betreffend:
20190802_StZ-S21_ FDP: Neuen Tunnel für S-Bahn prüfen – Bau einer zweiten Stammstrecke
Noch in der Sommerpause wird weiter auf Minister Hermann gefeuert, dieses Mal aus den Reihen der SPD. Aber das ist man ja von Herrn Rivoir gewohnt, der ähnlich wie Frau Razavi gern an der Front agiert, weil er sich wie sie wenig um die Fakten kümmert. Möglich ist das aber nur, weil das Verkehrsministerium den Spagat versucht, einerseits das Projekt im Ist-Zustand gesund zu beten und nur den Zukunftsfall als Problem darzustellen:
20190905_StZ-S20_S21 SPD im Landtag geht Hermann an.pdf
Ein wirklich zentraler Artikel, der die ganze Problematik der Gäubahn umfassend beschreibt, findet sich in bahnreport:
20190901_bahnreport_Gäubahn und Panoramabahn könnte zum Super GAU werden.pdf: „Die Dramatik der Situation vor allem in den südlichen Regionen des Landes ist noch gar nicht richtig angekommen.“
Eine erste Zusammenfassung der Ausschussergebnisse wird vor dem Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik am 1.10. gegeben:
20191001_LHS_Sitzung Ausschuss-Stadtentwicklung und Technik. Beratungsunterlage 964/2019, Bau eines Haltepunktes auf der Panoramastrecke im Bereich des Nordbahnhofs: Gemeinsame Planung mit dem Verband Region Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg.
Hier erfahren wir gleich nach der Sitzung, was im Ausschuss besprochen wurde und wer wo steht:
20191001_stz-online_Erste Prämissen für den Schienenbau nach S 21
In den Printmedien dauert es etwas länger.
20191004_StZ-S23_Prämissen für den Schienenbau nach S 21: „[…] In zwei Sitzungen, das berichtete Andrea Klett-Eininger, Leiterin des persönlichen Referats von OB Fritz Kuhn (Grüne), vor dem Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik, habe sich die Gruppe bisher auf sechs Prämissen verständigen können. […] Von allen Mitgliedern akzeptiert wird laut Klett-Eininger die Aussage der Bahn, dass das auf 8,2 Milliarden Euro veranschlagte Projekt den geplanten Deutschlandtakt bewältigen könne. Dabei soll im Fernverkehr auf jeder Verbindung alle halbe Stunde ein Zug fahren. Alle Bestandteile von S 21 würden umgesetzt, die Führung der Gäubahn über den Flughafen gehöre dazu. Dazu gibt es massive Kritik aus Leinfelden-Echterdingen. Die Kommune befürchtete einen Engpass durch die Gäubahn und als Folge die Einstellung einer der beiden sie erreichenden S-Bahn-Linien. Für Stuttgart habe der Städtebau Vorrang, es dürfe keine neuen oberirdischen Gleisanlagen geben, auch nicht als Interim, darauf einigte sich die Arbeitsgruppe ebenfalls.
Bis auf die Linksfraktion und die Fraktion Puls befürworteten alle Vertreter im Ausschuss, auch die Grünen, am Dienstag diesen Zwischenstand. Die Arbeitsgruppe versuche zu suggerieren, dass die Fehler von S 21 durch spätere Ausbauten geheilt werden könnten, […] Das Funktionieren des Schienenverkehrs müsse Vorrang vor dem Städtebau haben, widersprach Debora Köngeter (Puls) einem der Ergebnisse der Arbeitsgruppe. […]
Eine Maßnahme hat der Ausschuss beschlossen: die mit dem Verband Region Stuttgart (VRS) abgestimmte Planung für den Bau eines Haltepunktes am Nordbahnhof. […]
Christoph Ozasek (Linke) drängt auf ein Betriebskonzept, das die Strecke bedient, sobald sie vom Kopfbahnhof abgehängt wird. […]
Bernhard Maier [spricht] von einem ‚groben Foul‘. Zumal die Bahn einen ergänzenden Kopfbahnhof nicht für nötig erachte, wie Thorsten Krenz von der Deutschen Bahn sagte. […]“
Das Chaos im Projekt ist so groß, dass es der Minister richten soll:
20191004_StZ-S23_Minister Scheuer soll bei S 21 durchgreifen. Das Bundes-Verkehrsministerium hat intern massive Termin- und Kostenrisiken zugegeben
Zum 10-Jährigen der Montagsdemos gibt es einen schönen Artikel von Konstantin Schwarz:
20191008_StZ-S17_Der Käs‘ ist noch nicht gegessen (Konstantin Schwarz) […]: „Für die Oben-bleiben-Fraktion der Gegner klingt die Kombilösung wie Hochverrat. ‚Da soll etwas ganz Schlechtes weniger schlecht gemacht werden, die Todesgefahr in den Tunnel bei einem Brand bleibt aber‘, diagnostiziert Eisenhart von Loeper, Anwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses. ‚Gleise und Gebäude sind noch da. Oben bleiben ist jederzeit möglich‘, sagt Rockenbauch. […]“
Wie sehr die Gäubahnstrecke abgehängt bleibt, liest man dann auch z. B. am 8.10. in der Stuttgarter Zeitung:
20191008_StZ-S07_Singen bleibt bis auf weiteres Endstation.pdf […]: „Kein Stundentakt […]. Gastl skeptisch zu ETCS: Nach dem gegenwärtigen Stand der Technik dürften die meisten deutschen Züge den neuen Tiefbahnhof gar nicht anfahren.“
Dann am 12.10. noch einmal ein obskurer lokaler Leitartikel von Jan Sellner, der freudig das Kommen des Durchgangsbahnhofs verkündet, egal, ob er funktioniere oder nicht. Das wird dann schon am Ende festgestellt werden. Den Projektkritikern bleibt der zweifelhafte Ruhm, das Projekt zumindest verbessert zu haben: Ob Aufwand und Nutzen im Verhältnis stehen und die Bahninfrastruktur damit zukunftssicher ist, muss sich erst noch zeigen:
20191012_StZ-S21_Lokaler-Leitartikel-Von Tunneln zu Brücken-10-Jahre Mo-Demo
Eigentlich hat man sich von einem Mini-Kopfbahnhof im Zentrum schon verabschiedet. Ab jetzt wird nämlich daran gearbeitet, den (Interims?)Bahnhof der Gäubahn an den Nordbahnhof zu verlegen, um den Städtebau nicht mehr zu stören. Dass man damit eine leistungsfähige Anbindung der Gäubahn an das Tiefbahnhöfle untergräbt, wird wohl unterschlagen werden, wenn nur überhaupt die Gäubahn im Tal noch einen Halt erhält. Eigentlich müssten jetzt die Menschen der Regionen südlich von Stuttgart auf die Barrikaden gehen, einschließlich derer, die noch immer die Gäubahn und die Panoramabahn als Teil einer Nord-Süd-Magistrale sehen. Denn der Mischverkehrsstreifen zwischen Flughafen und Rohrer Kurve und weiter ist einer Magistrale unwürdig. Seien wir gespannt, was der 14. November bringt:
20191021_StZ_Land regt Bahntunnel an.pdf – Fachgespräch im November. Ein Bahntunnel und ein 5. und 6. Gleis sollen als „Maßnahme zur Realisierung des Deutschland-Takts“ angemeldet werden.
Der Kopfbahnhof funktioniert bestimmt auch im Jahr 2050 und darüber hinaus. Mir fällt es zunehmend schwer, die in Beton gegossenen Fakten des Tiefbahnhöfles zu ignorieren, aber in der Gesamtsicht und für die Zukunft ist es auch heute noch sinnvoll, dass wir mit vielen Gleisen –
OBEN BLEIBEN!
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Zur genaueren Betrachtung der Mischverkehre und der Einflüsse auf die Fahrplangestaltung eines (Integralen Takt)fahrplans:
https://bit.ly/2WcqvEY
Recherchen sind sinnvoll, ob im Nachhinein oder im Vorhinein.
Besser ist halt schon im Vorhinein, so dass sich Recherche-Ergebnisse auch gestaltend in Anwendung bringen lassen https://www.parkschuetzer.de/statements/205614 Ab Min. 1:00 W. Kretschmann am 10.07.2010
„Der unterirdische Bahnhof und die Neubaustrecke, verschlingen wahrscheinlich zwischen 8 und 12 Milliarden. Dann kann man sich das Disaster für den ganzen Verkehr vorstellen, das damit eingeleitet wird. …“
Wolfgang Schuster in StN am 01.02.2010 https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.schuster-warnt-buergermeisterjob-ist-kein-parteiamt.97bd4ee8-95ab-4257-896a-13086ef687e8.html Schuster warnt: Bürgermeisterjob ist kein Parteiamt
Auszug:
„Schuster erinnerte auch daran, dass es sich um ein öffentliches Amt handle, nicht um ein Parteiamt. Es gelte auch den Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Der Gemeinderat habe nach öffentlicher Ausschreibung gemäß der fachlichen Qualifikation zu entscheiden.“
Wird sich daran gehalten „gemäß der fachlichen Qualifikation zu entscheiden.“? NEIN!
Solange es eine funktionierende AUFSICHT nicht gibt!!
Und Aktuell der „Kampf“ um die Nachfolge von Bürgermeister Martin Schairer!!!