Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 475. Montagsdemo am 5.8.2019
Liebe Mitstreiter,
vor drei Wochen, am 16.Juli, hat der Konzernbevollmächtigte der DB, Herr Krenz, vor dem S21-Ausschuss des Stuttgarter Gemeinderates den künftigen Tiefbahnhof „Stuttgart 21“ als Hochleistungsbahnhof angepriesen, der Voraussetzung für den geplanten Deutschlandtakt und die vorgesehene Verdoppelung des Fahrgastaufkommens bis 2030 sein werde.
Zuvor hatte die DB sich schriftlich über eine Sendung des SWR zur unzureichenden Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs beschwert, weil der SWR sich nicht mit der DB AG abgestimmt hätte, und wirft dem SWR „einseitige, hochselektive und teils schlicht falsche Behauptungen“ vor.
Jedoch tischt die DB AG ihrerseits der Öffentlichkeit unhaltbare Behauptungen zur Leistung und Zukunftsfähigkeit von Stuttgart 21 auf: Mit der Aussage „Insgesamt mehr als 70 Ankünfte und Abfahrten sind mehr als der heutige Kopfbahnhof je geleistet hat“ versucht man den 8-gleisigen S21-Tiefbahnhof gegenüber dem bestehenden 16-gleisigen Kopfbahnhof als überlegen hinzustellen. 70 Ankünfte und Abfahrten sind jedoch nur 35 abgefertigte Züge je Stunde – was für eine Vernebelung! Das ist nicht mehr, sondern weniger als der Kopfbahnhof leisten kann und geleistet hat. Dem Fahrplan 1970 zufolge wurden 46 Züge je Stunde im Kopfbahnhof abgefertigt – nach der neuen Rechenweise der DB wären das 92 Ankünfte und Abfahrten, erheblich mehr als 70.
Tatsächlich könnten im heutigen Kopfbahnhof 50 Züge je Stunde abgefertigt werden, dies mit guter Betriebsqualität, wie 2011 durch Untersuchung des Münchner Verkehrsbüros Vieregg & Rössler nachgewiesen und vom Nahverkehrs-Verband BW bestätigt. Hingegen ist der S21-Tiefbahnhof nur für 32 Züge je Stunde ausgelegt. Im Gutachten des Prof. Heimerl von 1997 heißt es wörtlich: „… kann der Bahnhof nur 32,8 Züge / Stunde leisten.“ Diese „absolute Leistungsgrenze von Stuttgart 21 mit 32,8 Zügen“ hat auch der Gutachter Schwanhäußer bestätigt. Wie erklärt die DB AG jetzt diesen wundersamen Leistungszuwachs? Die 49 Züge des Stresstest beruhen auf mehr als 40 Regelverstößen und sind im realen Betrieb nicht fahrbar.
Der Personenstromanalyse für Stuttgart-21-Hbf liegt gar nur die von der DB vorgegebene Anzahl von 29 Zügen je Stunde zugrunde. Für die daraus abgeleiteten Personenströme sind die Verkehrs- und Fluchtwege bemessen. Allein schon daraus folgt, dass der S21-Tiefbahnhof die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen gar nicht wird bewältigen können – im Gegensatz zu dem nach dem Umstieg-21-Konzept modernisierten 17-gleisigen Kopfbahnhof, und das für nur einen geringen Bruchteil der S21-Baukosten.
Das Brandschutzkonzept für den S21-Tiefbahnhof sieht nur Evakuierungsmöglichkeiten für die Fahrgäste aus je einem vollbesetzten Doppelstockzug an jeder Bahnsteigkante vor. Zwei Züge hintereinander, unabdingbar zum Erreichen größerer Abfertigungsleistungen, scheiden damit aus. Die Betriebsgenehmigung für Stuttgart 21 darf nach geltendem Regelwerk keine Doppelbelegungen zulassen. Auch aus Brandschutzgründen kann der künftige Tiefbahnhof keinen Mehrverkehr aufnehmen; die angestrebte Verdoppelung der Fahrgastzahlen ist folglich nicht erreichbar.
Weiter hebt die DB hervor, dass die Regional-Linien durchgebunden werden und preist dies als „Schaffung zahlreicher umsteigefreier Verbindungen und kürzerer Reisezeiten“. Dies ist auch im heutigen Kopfbahnhof ohne weiteres möglich, mangels Bedarf bislang aber nur auf einige wenige Linien beschränkt; der Fernverkehr mit ICE, TGV und IC/EC ist ohnehin zumeist „durchgebunden“. Fraglich bleibt, wie damit die Fahrgastzahlen wesentlich erhöht und der geforderte Deutschland-Takt sichergestellt werden kann. Nur sehr wenige Reisende wollen z.B. von Osterburken oder Mannheim gerade nach Tübingen fahren; die meisten wollen, sofern sie nicht schon vorher aussteigen, nach Stuttgart, und der Rest will in andere Richtungen, wozu sie in Stuttgart gute Umsteigemöglichkeiten brauchen, die der 8-gleisige Tiefbahnhof aber nicht hergibt.
Durchgebundene Züge sind nicht die Lösung, sondern dadurch bedingt, dass die Züge wegen der unzulässigen Bahnsteiggleisneigung von 15‰ im S21-Tiefbahnhof nicht wenden können und folglich in Fahrtrichtung ausfahren müssen, ob nun ein Bedarf dafür besteht oder nicht.
Nicht weniger „einseitig, hochselektiv und teils schlicht falsch“, wie die DB dies dem SWR in dessen kritischer Berichterstattung über S21 vorwirft, ist allerdings auch die am 16.7.2019 im S21-Ausschuß gezeigte Auswahl der durch das „Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ermöglichten kürzeren Reisezeiten im Deutschland-Takt“. Die angeführten Verbindungen vergleichen einseitig die Reisezeiten zum bzw. über den Flughafen Stuttgart mit denen der Bestandsstrecke und erwecken den Eindruck erheblicher Reisezeitersparnisse durch Stuttgart 21, was aber insgesamt gar nicht der Fall ist, sondern eine irreführende Schönfärberei. Die vorgebliche Reisezeitverkürzung Stuttgart–Ulm entsteht ausschließlich durch die Neubaustrecke, nicht aber durch S21 mit Führung über den Flughafen. Die gleiche Fahrzeit ergibt sich auch bei einer Streckenführung ab Wendlingen durch das Neckartal anstatt über den Flughafen, wie im Konzept „Umstieg 21“ vorgeschlagen, so dass S21 hier keinen Vorteil bringt.
Erst recht fragwürdig sind die angegebenen Reisezeit-Unterschiede bei Fahrten zum Flughafen. Das von der DB angeführte Beispiel „Vaihingen (Enz) – Stuttgart-Flughafen mit 24 Min. gegenüber 1:00 Std heute“ erweckt den Eindruck, Stuttgart 21 werde mehr als doppelt so schnell wie der bestehend Kopfbahnhof. Durch Stuttgart 21 ändert sich die Fahrzeit bis Stuttgart Hbf überhaupt nicht; diese beträgt 17 Minuten mit dem ICE (der nur zweimal am Tag in Vaihingen/Enz hält!) und 19 Min. für den IRE. Für die Weiterfahrt zum Flughafen rechnet die DB 7 Minuten Fahrzeit; die Haltezeit im Hbf mit mindestens 2 Minuten unterschlägt sie. Anstatt 24 Minuten ergeben sich 26 Minuten für eine ICE-Verbindung nur zweimal täglich. Mit dem IRE würde die Gesamtfahrzeit zum Flughafen 28 Minuten betragen anstatt 24 Minuten.
Der künftige Flughafen-Bahnhof „Station NBS“ ist etwa 300 m vom Abfertigungsgebäude entfernt; dafür sind ab Bahnsteig in 27 m Tiefe 10 Minuten Fußweg zu berücksichtigen, insgesamt also 38 Minuten. Dem gegenüber sieht das Konzept „Umstieg 21“ eine „Express-S-Bahn“ auf der Panorama-Bahnstrecke vor mit nur einem einzigen Zwischenhalt in Stuttgart-Vaihingen, die die Strecke zum Flughafen in nur 15 Minuten zurücklegen würde. Die verbleibende Zeitersparnis von 6 Minuten bei Stuttgart 21 wäre damit unerheblich.
Zum Flughafen Stuttgart will nur ein sehr kleiner Anteil der Fahrgäste. Zudem sollen der Deutschland-Takt und die angestrebte Fahrgast-Verdoppelung auf der Schiene den Flugreiseverkehr verringern – weshalb da so einseitig mögliche Reisezeit-Verkürzungen zum Flughafen herausstellen? Für die überwiegende Anzahl der Verbindungen und die weitaus meisten Reisenden ergibt Stuttgart 21 überhaupt keinen Vorteil. Dennoch werden dafür an die 10 Mrd. € öffentlicher Gelder „versenkt“.
Geradezu abenteuerlich ist die Behauptung, Stuttgart 21 ermögliche „einen S-Bahn-ähnlichen Hochleistungsbetrieb“, bei dem „auf jedem Bahnsteiggleis alle fünf Minuten ein Zug fahren“ könne. Das ist bahntechnisch gar nicht möglich; 5 Minuten werden allein für das Ein- und Wiederausfahren mit Abfertigung und 1 Minute Pufferzeit benötigt – für das Aus- und Einsteigen der Fahrgäste verbliebe damit keine Zeit. Schon geringste Verspätungen machen eine derart dichte Zugfolge unmöglich. Hinzu kommt, dass im S21-Tiefbahnhof wegen der zu hohen Gleisneigung sowie der Doppelbelegung die Einfahrt bis auf Schrittgeschwindigkeit herabgesetzt werden muss. Daran wird auch die Einführung von ETCS und Digitalisierung nichts ändern.
Unhaltbar ist auch die Behauptung „auf jedem der acht Streckengleise kann im Schnitt alle zwei Minuten ein Zug fahren“. Das Brandschutzkonzept für den S21-Tiefbahnhof gibt vor, dass ein im Tunnel in Brand geratener Zug notfalls mittels Notbremsüberbrückung in den Tiefbahnhof einfahren soll, weil dort die Rettungs- und Brandbekämpfungsmöglichkeiten besser sind als im Tunnel. Dies setzt jedoch voraus, dass stets die gesamte Fahrstrecke einschließlich Bahnsteiggleis tatsächlich frei ist und sich kein weiterer Zug davor befindet. Damit ist die angestrebte Verdoppelung des Fahrgast-Aufkommens im Tiefbahnhof Stuttgart 21 unmöglich.
Wenn später die S21-Tunnel saniert und jeweils dafür ein Jahr lang gesperrt werden müssen wie jetzt der Tunnel zwischen Vaihingen/Enz und Bruchsal, gibt es keine schnellen Ausweichstrecken. Stuttgart wird dann für Jahre vom Bahnverkehr weitgehend abgehängt.
Stuttgart 21 ist weder ausreichend leistungsfähig noch zukunftsfähig!
Deshalb oben bleiben!
Ach und die 50 Züge von Rössler sind nur unter spezifischen nicht realistischen Bedingungen fahrbar. das sollte man noch anmerken.
1. Stuttgart 21 war von Beginn an als Rückbau der Leistungsfähigkeit ausgelegt worden, was aber über viele Jahre systematisch verschleiert worden war. Jüngere Simulationen, die eine Leistungssteigerung nachweisen sollten, wie etwa der Stresstest, waren mit stark leistungserhöhenden Fehlern behaftet, die inzwischen faktisch eingestanden und von unabhängigen Autoritäten auf dem Gebiet bestätigt wurden. Das Projekt schafft einen Engpass auf einer Europäischen Magistrale, ihm fehlt die Planrechtfertigung. Zuletzt haben sowohl der VGH wie der Gutachter der Stadt zum 4. Bürgerbegehren die S21-Kapazität von 32 Zügen pro Stunde und damit den Rückbau ausdrücklich bestätigt.
2. Die Deutsche Bahn AG will den geplanten Tiefbahnhof »Stuttgart 21« (S21) mit der Behauptung schmackhaft machen, er leiste 30% mehr als der bestehende Kopfbahnhof. Dabei geht sie von einer maximalen Kapazität des Kopfbahnhofs von 37 Zügen pro Stunde aus und legt noch nicht einmal die noch höhere Zahl der nach heutigem Fahrplan in der Hauptverkehrszeit tatsächlich gefahrenen Züge zugrunde.
3.In der Spitzenstunde schafft der Kopfbahnhof 56 Züge, und das überdies sofort. Mit einem minimalen Aufwand. Mit einer problemlos machbaren Optimierung der Zugabläufe. Und hat überdies noch freie Fahrtrassen zum Abfangen von Verspätungen.
4. ..Behauptung der Bahn, mit dem Tunnelbahnhof Stuttgart 21 sei eine
Leistungssteigerung gegenüber dem bestehenden Bahnhof von 30% zu realisieren. Die
Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs als Grundlage dieser Rechnung ist jedoch unbekannt.
Nach Meinung von Experten liegt die tatsächliche Leistungsfähigkeit dieses bestehenden
Bahnhofs weit über den im sogenannten ‚Stresstest‘ der Bahn jetzt angestrebten 49 Zügen in
der Spitzenstunde. Erst wenn die Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofes ebenfalls festgestellt
ist, ist ein objektiver Leistungsvergleich zwischen Bestand und geplantem Neubau möglich.
„1968/69 leistete der Kopfbahnhof bis zu 51 Züge in der Spitzenstunde – ohne dabei an seine
Leistungsgrenze zu stoßen“, sagt Alexander Käck nach der sorgfältigen Auswertung alter
Fahrpläne. „Das war vor der Inbetriebnahme der S-Bahn. Aber nach Expertenmeinung liegt
auch die aktuelle Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofes bei deutlich über 50 Zügen in der
Spitzenstunde. Der sogenannte ‚Stresstest‘ der Bahn weist also mit 49 Zügen für S21 statt
der geforderten 30 Prozent Mehrleistung nur die tatsächlich vom Kopfbahnhof über Jahre
erbrachte Leistung nach – und das nur mit Hängen und Würgen.
etc. etc. etc….
Das ist bewiesen: Die DB AG lügt bei jeder passenden Gelegenheit: Das fängt mit der doppelten Leistungsfähigkeit an, geht über die Sollbruchstelle von 4,5 Milliarden Euro, die diversen Kostenerhöhungen bis zu den „finalen“ Kosten von 8,2 Mrd. € (obwohl selbst der eigene Architekt Ingenhoven ebenso mit 10 Mrd. € rechnet wie der Bundesrechnuungshof), und jetzt die nächste Lüge vom Hochleistungsbahnhof. Unsere Politiker sind so dumm, dass sie das glauben. Es handelt sich um „beratungsresistente Faktenignoranten“. Ihr Festhalten am S21-Desaster kann ich mir nur noch durch Korruption erklären.