Rede von Dr. Norbert Bongartz, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, auf der 474. Montagsdemo am 29.7.2019
Liebe angesichts der so vielen unerträglichen Falschheiten bei S21 mit-leidende und mit-zornige Freunde,
weil ich kein junger Hüpfer mehr bin, hab ich heute die Rolle eines Springers übernommen. Denn als letzte Woche ein Loch in der Besetzungsliste der ins Auge gefassten Hauptredner entstanden war, bin ich kurzfristig in dieses hinein gesprungen.
Damit bin ich schon beim Thema meines Vortrags angekommen: Bei den vielen Löchern, die den Weg von S21 säumen. Von denen gibt es sehr viele, die Stoff für weitere Reden abgeben könnten:
- Da ist erst einmal das riesige Baustellen-Loch hinter dem Bahnhofsturm;
- dazu kommt das nicht minder große Finanzloch, vor dem die Bahnmanager stehen;
- dann gibt es die vielen aufgerissenen Löcher in den Versprechungen der Bahn und ihrer Projektpartner;
- des Weiteren wird das Loch in der Terminplanung der Bauarbeiten von Jahr zu Jahr größer.
- Und: der grob gestrickte Fahrplan der DB für den geplanten Tiefbahnhof hat sich – allen Beteuerungen zum Trotz – als so fadenscheinig oder löcherig erwiesen, dass die Planer auf den Kopfbahnhof, auf die oberirdischen Gleise nicht verzichten können.
Von all diesen Löchern will ich heute nicht – oder kaum – reden.
Heute will ich von den noch nicht sichtbaren, aber geplanten und demnächst entstehenden neuen Löchern im dem Teil des Bonatzbaus sprechen, der bislang von den üblen Verstümmelungen des Hauptbahnhofs verschont war.
Es geht mir heute um die geplanten Löcher im Boden der Großen Querhalle und die in der Bahnhofsfassade über der langen Pfeilerhalle, der so genannten „Arkade“ beabsichtigten Löcher.
Mittig über jeder der Pfeileröffnungen der Arkadenfront befindet sich eine auf den ersten Blick verhältnismäßig kleine rechteckige Fensteröffnung 1,30m breit und 1,70m hoch, mit einem zweiflügeligen, in je zwei mal vier Felder horizontal sprossierten Fenster.
Die von Architekt Ingenhoven entworfenen Pläne der Deutschen Bahn sehen an dieser Stelle einen zweistöckigen, um mehrere Meter zurückversetzten Hotel-Aufbau vor, was zur Folge haben wird, dass man hinter diesen Fensteröffnungen in den Himmel sehen wird.
Wir kennen offene Fensterlöcher von Bildern kriegszerstörter Gebäude oder von Burgruinen. Die Hotelpläne werden folglich zu einer Teil-Ruinierung der bislang noch intakten historischen Bahnhofsfassade führen.
Was mich als ehemaligen Denkmalpfleger – oder konkreter: als ein ehemals mit der Rückendeckung eines Landesgesetzes mit der bestmöglichen Erhaltung baugeschichtlicher Dokumente beauftragten Konservator immer noch erbost: Diese nicht unwesentliche Beeinträchtigung der Bahnhofsfassade geschieht in der Sache ohne jede Notwendigkeit – sie ist völlig unnötig, wie ich mit dem Enkel von Paul Bonatz, Peter Dübbers festgestellt hatte.
Wir konnten nämlich der Bahn und der Stadt als Genehmigungsbehörde nachweisen, dass man diese Fenster problemlos weiter nutzen könnte, wenn man das untere der beiden Hotelgeschosse bis an die Fassade heranrückt. Dies habe sogar den Vorteil, im Hotel-Inneren mehr Platz, mehr Bewegungsraum vor den Hotelzimmern zu gewinnen. Eine entsprechende Auflage zugunsten der Denkmalpflege sei daher mehr als nur zumutbar – sie sei geradezu zwingend boten.
Doch: Architekt Ingenhoven ließ uns wissen: Ich will nicht. Der von uns angerufene Bau-bürgermeister Peter Pätzold versteckte sich feige hinter der Zustimmung des Landesamtes für Denkmalpflege, dem man zuvor weis gemacht hatte, die Hotelpläne seien bereits in einem früheren Planfeststellungsverfahren rechtlich abgesegnet worden... Und die Spitze des ebenfalls von uns angerufenen Regierungspräsidiums und das übergeordnete Ministerium hüllten sich in Schweigen...
So erlebten wir – Peter Dübbers und ich – einmal wieder, welche vermeidbaren „Kollateralschäden“ bei diesem landespolitisch abgesegneten unseligen Großprojekt ungerührt, ja billigend in Kauf genommen werden.
Was also künftig in der Bahnhofsfront erkennbar sein wird, ist eine weitere gestalterische „Duftmarke“ des eitlen und selbstgefälligen Architekten Christoph Ingenhoven.
Dies war nicht der letzte Streich – denn der nächste folgt sogleich:
In wenigen Tagen wird die Bahn die Große Querhalle sperren, um diese in den nächsten Jahren in eine neue Shopping-Mall umzubauen. Im Zuge der Bauarbeiten sollen im Boden der Halle große Aussparungen, zu Deutsch: große Löcher eingeschnitten werden, um Licht und Blickkontakte in das darunterliegende Stockwerk fallen zu lassen, wo künftig die „Haupt-Musik“ des Tiefbahnhofs gespielt werden soll.
Man mag diese Löcher getrost als weniger problematisch für die Querhalle empfinden, da diese nicht mehr die Handschrift von Paul Bonatz zeigt. Denn vor den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg hatte sie eine kräftig profilierte flache Holzbalken-Decke und ein offenes Backsteinmauerwerk. Bei ihrer Wiederherstellung nach dem Krieg wurden die Wände bis auf wenige Aussparungen hell überputzt und eine nach unten offene schlichte Dachkonstruktion aus Beton aufgesetzt.
Doch erscheint mir die neuerlich geplante Umbaumaßnahme unsinnig früh, solange es immer noch nicht sicher ist, ob der Tiefbahnhof jemals eine Betriebsgenehmigung erhalten kann – aufgrund seiner zu geringen Kapazität, seiner unverantwortlichen Schrägneigung, der ungenügenden Fluchtmöglichkeiten, der mangelhaften Rauchsicherheit und der enormen Feinstaubbelastung.
Stellen Sie sich vor, es heißt eines Tages: Wir haben uns mit S21 verkalkuliert und können aus den vielen, uns hier sattsam bekannten Gründen doch nicht auf den Kopfbahnhof verzichten – und dann, dann funktioniert der Plan B nicht mehr mit dem Umbau der Großen Querhalle...
Ich ziehe folgendes Fazit daraus:
Mir scheint, die Bahn hat sich hier einmal wieder selbst Scheuklappen angezogen, um alle für sie unbequemen Argumente nicht sehen zu müssen.
Ihr auf den Hacken steht – zunehmend halbherzig – die Landesregierung, die Flughafen-AG und die Stadtverwaltung, voran OB Kuhn, die wie Rumpelstilzchen auf den möglichst baldigen Abbau aller oberirdischen Gleise drängeln. Sie umklammern sich gegenseitig, mit einem Dolch in der Tasche, und wollen den einzig vernünftigen Ausweg für alle Beteiligten nicht sehen: Den UMSTIEG auf den Kopfbahnhof, ohne Wenn und Aber.
Ihnen rufe ich zu: Mit Euren Lügen fressen sich Löcher in Eure Seelen hinein! Unser Heilmittel dagegen heißt: Oben bleiben!