Rede von Hannes Rockenbauch, Stadtrat der Fraktionsgemeinschaft SÖS - LINKE - PLuS, auf der 473. Montagsdemo am 22.7.2019
Hallo Stuttgart-21-Widerstand seid ihr da, ja??? warum hör ich dann nichts? Ja, ich finde an Tagen wie diesen dürfen, nein müssen wir wieder lauter werden! Es sind diese Tage, die uns schon fast schmerzhaft klar machen, warum wir unermüdlichen Welt- und Stadtverbesserer nicht locker lassen dürfen, nicht leise sein dürfen, nicht einfach den Kopf in den Anhydrit stecken dürfen.
Es sind diese Tage, die klar machen, warum wir Montag für Montag demonstrieren müssen, warum wir Klage für Klage, Brief für Brief und Sitzung für Sitzung argumentieren müssen. Es sind die Tage, an denen uns die Wirklichkeit wieder mal Recht gibt. Weil die Kosten erneut explodieren, die Termine sich verschieben oder die Häuser Risse bekommen. Es sind die Tage, die belegen, dass wir auch mit der Leistungslüge von S21 Recht haben, aber kein Recht bekommen dürfen. Weil irgendjemand meint, der Käse sei gegessen oder die Katz sei den Baum nauf. Es sind aber auch Tage wie diese, Tage, die klar machen: unser Planet brennt!
Tage, an denen die streikenden SchülerInnen für Klimagerechtigkeit klar machen, dass nichts so bleiben darf wie es ist, wenn wir wollen, dass etwas bleiben soll, für das es sich lohnt zu leben.
Es sind aber auch die Tage, in denen die Politik voller Hektik versucht, ihr Gesicht zu wahren und ihr Versagen mit Aktionsplänen kaschiert. Auf einmal ist Geld da fürs Klima, aber nachdenken und umsteigen will niemand – besonders, wenn es um den Bahnhof in Stuttgart geht. Es sind Tage, an denn offensichtlich wird, dass die Tunnelparteien nichts verstanden haben und nichts verstehen wollen.
Von zwei dieser Tage soll ich euch konkreter berichten. Wenn es noch für irgendjemand eines Beweise bedarf, dass es bei S21 nur um ein Banken- und Immobilienprojekt geht, dann schaut euch einfach diese zwei Tage an – die Debatte im letzten S21-Ausschuss und die heute auf der Jurysitzung zum Rosensteinwettbewerb.
Wie absurd ist das denn, da wacht die Bundesregierung ein bisschen auf und stellt fest: upps, wenn wir das mit dem Klimawandel ernst nehmen, dann braucht es aber auch doppelt so viele Menschen die bahnfahren, dann braucht es mehr Kapazitäten und auch mehr Qualität im Bahnverkehr, aber in Stuttgart will man darüber lieber nicht reden. Denn dummerweise baut man da gerade so ein unterirdisches Bahnhöfle in Schräglage. Da geht halt nix mit Leistungsverdopplung und nix Deutschland-Takt.
Da kann Herr Krenz von der DB AG im S21-Ausschuss noch so lange Pressemitteilungen vorlesen, ihre Arroganz und Wirklichkeitsverleugnung machen klar, diese Zeilen müssen noch vor den Zeiten von Faktencheck und Stresstest geschrieben worden sein. Sonst kann ich mir das nicht erklären…
Man muss sich nur mal den Belegungsplan anschauen, den die Arbeitsgruppe SMA und Co. zum Zielfahrplan 2030 versucht hat, für dieses Bahnhöfle in der Spitzenstunde zu konstruieren. Kann man schon machen, ist aber Scheiße! Da ist nix, gar nix mit Taktfahrplan mehr, und Reserven gibt es auch keine! Weil Doppelbelegungen nicht mehr reichen, gibt es plötzlich Dreifachbelegungen, Fahrwegausschlüsse und unmenschliche Haltezeiten. Unsere Experten haben das wunderbar analysiert. Aber was nicht sein darf, kann nicht sein.
Denn alle Argumente sind egal, weil man vor 25 Jahren mal beschlossen hat, die Zukunft unterirdisch in meterdickem Beton zu zementieren, und das alles, damit oben die städtebauliche Jahrhundertchance realisiert werden kann!
Es sind Tage wie diese, in denen die Fehlplanung von Stuttgart 21 geradezu offensichtlich wird, und die inneren Widersprüche offen an Tageslicht treten.
Ich finde, genau das sind die Tage, die wir ausnutzen müssen, an denen wir lauter werden müssen, an denen wir uns aber auch wie Wasser unseren Weg durch jede Ritze diese Projektes suchen müssen, um es von innen zu zersetzen.
Und genau das ist der Grund, warum ich die Initiative von Winnie Hermann über neue Gleise bis zum Hauptbahnhof erst einmal begrüße. Natürlich ist sein Vorschlag reichlich absurd, ich meine ein unterirdischer Minikopfbahnhof, was das an Geld, Beton und Energie kostet, und soll das dann der leistungsfähige Bahnknoten für das nächste Jahrhundert sein? Trotzdem ist doch die Prämisse dieses Vorschlags dramatisch: S21 kann es nicht und deswegen braucht es mehr Gleise bis zum Hauptbahnhof. Leistungsergänzungen im Zulauf kann man machen, aber dann wird es noch enger im Tiefbahnhof…
Das ist das, was wir immer schon sagen, aber uns hört man nicht, mehr noch unseren Experten verwehrt man sogar das Sprechen im Ausschuss. Übrigens auch die Grünen-Vertreter haben Matthias Lieb, VCD, und Christoph Engelhardt nicht reden lassen wollen. Tja, und dann hat halt das Verkehrsministerium im S21-Ausschuss den staunenden StadträtInnen wunderbar nachgewiesen, dass S21 zu klein ist. Ich finde das super. So kommt S21 noch mehr in Schieflage.
Dem heutigen Leitartikel von Herrn Milankovic sieht man doch schon die schlaflosen Nächte an, die dieser Vorstoß bei ihm offensichtlich auslöst. So teilt er ganz großzügig mit uns seine Angst, dass, wenn man sich auf Hermanns Diskussion nur einließe, am Ende doch oben bleiben würde. Weil, was soll das mit dem unterirdisch, die Gleise sind doch heute schon alle da und noch lange nicht entwidmet.
Dass diese Konsequenzen für die neuen und alten Tunnelparteien offensichtlich so schmerzhaft sind, dass sie mit Verdrängung reagieren, hat man heute wieder im Rosenstein-Preisgericht gesehen. Nichts, kein Wort über das Freihalten von Trassen für die Bahn, aber ganz viel Geblubber über klimaneutrales Bauen.
Liebe Leute, diesen Wettbewerb kann man gelassen heute schon als von der Realität überholt bezeichnen. Ein erneuter Rohrkrepierer aus der Tunnelblickriege. Grund zur Gelassenheit ja, aber andererseits muss ich ehrlich sagen: Mich macht so eine Politik wütend! Denn es geht hier in Stuttgart nicht einfach um eine Abwägung zwischen städtebaulichen Notwendigkeiten und bahntechnischem Nice-to-have, wie Alexander Kotz von der CDU und Martin Körner von der SPD uns weismachen wollen. Es geht darum, dass diese Herren, die sich gerade für die OB-Wahlen in Stuttgart nächstes Jahr warm laufen – gemeinsam mit unserem grünen OB – zulassen, dass wir die Verkehrswende in Stuttgart voll gegen die Wand fahren: Die CDU denkt, alles wird gut, wenn man im Zulauf dazubaut, die SPD schließt sich an und meint außerdem, man müsse als Land nur mehr Doppelstockzüge bestellen, dann klappt das schon mit der Verdopplung.
Klingt witzig, ist aber kein Spaß, denn alle Experten machen klar: den Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel können wir nur gewinnen, wenn wir endlich den Umstieg auf die Bahn organisieren – und zwar schnell.
Besonders bemerkenswert finde ich in diesem Spiel die Rolle der grünen Stadtspitze: Pätzold macht auf Bob den Baumeister: wir haben in Stuttgarter gerade eine Wohnungsdebatte und wir wollen jetzt endlich bauen. Und unser OB Kuhn ist da kein bisschen besser. Diesen Wandel zum Projektbeschleuniger finde ich besonders krass. Ich weiß nicht, ob ihr euch noch erinnert, ich habe es nicht vergessen, denn ich saß damals mit ihm im OB-Wahlkampf auf der Bühne, und da hat er uns und all seinen Wählern versprochen, mit ihm würde es Städtebau erst nach einem ausführlichen Testbetrieb des Tiefbahnhofes geben, man müsse sich also keine Sorgen machen, es würde nix verbaut. Ich habe ihn jetzt dreimal öffentlich gefragt, wie er zu seinem Wahlversprechen stünde, dreimal kam keine Antwort. Aber wer ihn heute erlebt hat, wie er die Juryentscheidung zum Rosensteinwettbewerb verteidigt, der hat die Antwort: Was interessiert mich mein Geschwätz von vor der Wahl?
Aber Wut allein reicht nicht. Lasst uns in den nächsten Tagen und Wochen klug überlegen, in welche Ritzen, Kerben und Widersprüche wir noch eindringen können. Lasst uns über Umstieg reden, aber auch Kombimodelle prüfen.
Lasst uns vor allem selber als Teil einer großen Umweltbewegung zur Rettung unseres Planeten begreifen, lasst uns solidarisch sein mit allen, die sich gerade in dieser Stadt für ein anderes Stuttgart einsetzen. Lasst uns gemeinsam den Kessel zum Kochen bringen, bevor es das Klima tut.
Lasst uns nicht vergessen, dass die Regierenden in naher Zeit alle wiedergewählt werden wollen. Lasst uns nicht vergessen, was wir bis jetzt in diesem Land schon verändert haben und deswegen mit voller Überzeugung sagen: Liebe Tunnelparteien, denkt daran, ihr werdet uns nicht los, wie euch schon! Denn wir kommen wieder! Wir bleiben oben!