Rede von Dieter Reicherter, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., auf der 471. Montagsdemo am 8.7.2019
Liebe Freundinnen und Freunde,
als ich gebeten wurde, euch über Verschärfungen des Polizeigesetzes in unserem Musterländle zu informieren, fiel mir spontan der Begriff Schweinereien ein. Und da war der Gedankensprung zu Schweinen, die nach dem Willen der Großen Koalition auch weiterhin ohne Betäubung kastriert werden, und zu Küken, die nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geschreddert werden dürfen, nicht weit. Dass es sich dabei jeweils um männliche Wesen handelt, ist sicherlich ein Zufall.
Kein Zufall ist aber der in meinen Augen mangelnde Respekt von Politik und Justiz für alle Geschöpfe, seien es Tiere oder Menschen. Zwar werden vorläufig Menschen noch nicht geschreddert oder ohne Betäubung kastriert, aber besonders ernst nimmt man die Grundrechte der Menschen auch nicht. Und so sind wir beim Thema der erneuten Verschärfung des Polizeigesetzes.
Was da neu geplant ist und was 2017 schon alles verschärft wurde, kann ich nicht in fünf Minuten berichten. Dazu müsste ich ein Wochenendseminar halten. Erschreckend ist die immer mehr vorangetriebene Entwicklung, dass die Polizei arbeitet und ausgestattet ist wie das Militär. Die Grenzen verwischen.
Auf die Überwachung unserer Bewegung aufgrund des geheimen Rahmenbefehls des Innenministeriums muss ich hier nicht mehr eingehen. Wenn die Polizei und der Verfassungsschutz noch mehr angeblich legale Möglichkeiten dazu haben, kann das nur Angst machen.
Deshalb will ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass kommenden Samstag, den 13. Juli 2019, um 12 Uhr in Stuttgart in der Lautenschlagerstraße im Rahmen landesweiter Proteste eine Demonstration zum Thema stattfinden wird. Hoffentlich seid ihr alle dabei.
Dort sollen auch einzelne Punkte aus dem Schreckenskabinett des Innenministers Thomas Strobl vorgestellt werden. Gespannt bin ich auf eine offizielle Stellungnahme unseres Landesvaters Winfried Kretschmann. Der hat schon 2017, als das Polizeigesetz mit seiner Zustimmung wesentlich verschärft wurde, wörtlich geäußert, man sei an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen gegangen. Das bedeutet aber doch, dass die jetzt geplanten weiteren Verschärfungen über die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen hinausgehen! Jetzt hoffe ich nicht, dass Winfried Kretschmann im besten Schwäbisch erklären wird: „Was geht mich mein saudummes Geschwätz von früher an?“
Kurz eingehen möchte ich auf den Einsatz so genannter Staatstrojaner durch die Polizei. Dabei werden die Computer von verdächtigen Bürgern durch staatliche Schadstoffsoftware infiziert. Damit das gelingt, muss der Staat aber Sicherheitslücken der Computer-Software finden und ausnützen. Das hat zur Folge, dass unser Staat erkannte Sicherheitslücken nicht schließt, weil er sie braucht. Weil nicht nur die Polizei und der Verfassungsschutz, sondern auch böse Buben und Mädchen solche Sicherheitslücken ausnützen, nimmt unser Rechtsstaat in Kauf, dass dadurch schwerwiegende Straftaten ermöglicht werden.
Man kann das vergleichen mit Feuerwehrleuten, die einen Feuerteufel fangen wollen. Sie merken, dass er schon den Benzinkanister am Tiefbahnhof bereitgestellt hat und demnächst zuschlagen wird. Anstelle nun den Benzinkanister und damit die Gefahr zu beseitigen, installieren sie eine Kamera, um den Täter auf frischer Tat zu filmen. Leider hat das zur Folge, dass der Bahnhof abbrennt mitsamt der Kamera und den Aufzeichnungen.
Wer nun hofft, dass unsere Justiz Auswüchse der Verschärfungen verhindern wird, ist vielleicht zu optimistisch. Einige Maßnahmen werden gar nicht durch Richter, sondern direkt durch die Polizei angeordnet. Es kann sogar die nachträgliche Informierung von Betroffenen unterbleiben.
Leider muss ich auch daran erinnern, wozu eine fehlgeleitete Justiz in der Lage sein kann. Unter veränderten politischen Umständen kann sie schnell ihre Kontrollfunktion nicht mehr ausüben. Dazu empfehle ich euch allen einen Besuch der Dauerausstellung im Landgericht Stuttgart zur politischen Justiz im Nationalsozialismus.
Also müssen wir weiter aufmerksam und kritisch sein und für unsere bürgerlichen Freiheiten
oben bleiben!
Rede von Dieter Reicherter als pdf-Datei