Tom Adler und Hannes Rockenbauch, Fraktionsvorsitzende der Fraktionsgemeinschaft SÖS, LINKE, PluS, im Dialog auf der 464. Montagsdemo am 13.5.2019
Hannes: Einen wunderschönen guten Abend,
und eigentlich wollte ich schon viel früher hier stehen, ich habe immer zu Tom gesagt: wir müssen doch jetzt unbedingt dafür sorgen, dass diese Kommunalwahl wieder so richtig unter dem Motto „Stuttgart 21 abwählen“ steht, und hab dann mitgekriegt, dass das Demoteam eigentlich überparteilich sein und auch keinen Wahlkampf machen wollte, und jetzt stehen wir doch hier. Wie kommt’s…?
Tom: Na ja – das kommt so: das Demoteam wollte eigentlich unsre Kundgebungen möglichst frei von Wahlkampf halten – was für die Reden ja gelungen ist, insgesamt aber weniger, hier auf dem Platz wird ja seit vielen Wochen Wahlkampf gemacht.
Und deshalb hat das Demoteam entschieden, dass es dann eigentlich nicht richtig ist, wenn grad die beiden, die im Rathaus seit über 10 Jahren am engagiertesten gegen das Projekt arbeiten und die Argumente der Protestbewegung vertreten, hier gar nicht zu Wort kommen – und deshalb wurden wir für heute doch noch eingeladen.
Dass wir beide, wenn auch mit zwei verschiedenen Listen, wieder in den Stadtrat wollen, hat auch den Grund: wir wollen beide im Rathaus weiter gegen Stuttgart 21, für den Umstieg und für die Protestbewegung arbeiten, weil dieses Projekt nicht nur die größte Fehlentscheidung der Bahngeschichte ist, sondern auch das größte Bau-Verbrechen ist, das dieser Stadt angetan wird!
Dass wir heute vor euch stehen, dafür gibt es seit der Gemeinderatssitzung letzten Donnerstag auch noch einen ganz aktuellen und unerfreulichen Grund. Es gab einen Antrag der Grünen, den 5G-Mobilfunkstandard vorerst aus den Verträgen der Stadt mit Telekom und Region auszuklammern. Die Abstimmung endete mit einem Schlamassel für die Kritiker*innen der 5G-Technologie, mit einem Patt, der Antrag war damit abgelehnt – auch weil der Oberbürgermeister dem Antrag seiner eigenen grünen Fraktion nicht zugestimmt hat.
Aber, liebe Leute, im Glashaus wirft sichs nicht so gut mit Steinen. Nicht nur die Stimme vom OB und einem SPD-Stadtrat hat gefehlt, sondern z.B. auch meine eigene, weil ich und der SPD-Mann für eine Anhörung des Mietervereins und der Mieterinitiativen als Aufsichtsräte der SWSG vor dieser Abstimmung das Rathaus verlassen haben. Der Aufsichtsrat, das sind die vom Gemeinderat delegierten Mitglieder der Fraktionen.
Auch wenn zum Zeitpunkt, als ich weggegangen bin, niemand von uns gewusst hatte, dass die SPD plötzlich dem Grünen-Antrag zustimmen würde – Hannes saß neben mir und wusste auch nichts davon – das Ergebnis ist trotzdem ein abgelehnter Antrag, der Unterstützung verdient gehabt hätte, und das ist großer Mist. Und ich bin als G5-Gegner selber sehr unglücklich damit und wäre selbstverständlich geblieben, hätten wir nur den geringsten Hinweis gehabt, dass es auf jede Stimme ankommen könnte. Hatten wir aber nicht!
Hannes: Ich finde, wir dürfen den eigentlichen politischen Skandal bei der Sache nicht vergessen. Alle Fraktionen außer unserer, also auch die Grünen, haben am Ende dem Telekom-Deal zugestimmt, statt – wie wir es gefordert hatten – die Glasfaserinfrastruktur als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge selber aufzubauen und zu betreiben. Damit ist die zentrale Zukunftsinfrastruktur der digitalen Teilhabe und die Entwicklung hin zu einer smarten, digitalen, vollvernetzten Stadt in privater Hand und wird vom Primat der Wirtschaftlichkeit her bestimmt und nicht vom Allgemeinwohl mit einem ökologischen und sozialen Auftrag. Besonders das angebliche Geschenk der Telekom, Stuttgart zur Modellregion in Sachen 5G machen zu wollen, wird sich noch als hoch problematisch herausstellen.
Tom: Deshalb haben wir, die 5G und den Telekom-Deal insgesamt nicht wollen, heute einen weiteren und weitergehenderen Antrag eingebracht als den der Grünen von vergangener Woche.
Hannes: Konkret geht es darum, durch ein Mobilfunkvorsorgekonzept das Vorsorgeprinzip einzuführen:
- Wir wollen eine wissenschaftliche und öffentliche Begleitung des gesamten Prozesses.
- Wir wollen aus Vorsorgegründen Schutzzonen für besonders sensible Personen: Junge, Alte, Kranke…
- Wir wollen, dass die Stadt alles tut, dass es am Ende ein 5G Netz gibt und nicht drei oder vier. Das vermeidet nämlich Strahlung und Energie und Ressourcen.
- Außerdem wollen wir Konzepte wir Indoor-Outdoor-Trennung und Small Cells statt Makrostandorte, um zur Minimierung der Strahlenbelastung beitragen.
Tom: Im Unterschied zu den Tunnelparteien sind wir also willig und in der Lage zu lernen, wir sind fähig und willig zur Selbstkorrektur, anders als die Tunnelparteien! Die halten nach wie vor am gescheiterten, desaströsen Projekt Tunnelbahnhof fest, koste es was es wolle, selbst wenn es Menschenleben sind wie beim mangelhaften Brandschutz!
Und sie täuschen samt und sonders die Öffentlichkeit weiter, indem sie horrend teure zusätzliche Maßnahmen wie das Masse-Feder-System (5,2 Mio.), Ausbauten an den Gleiszuläufen oder auch die Wendlinger Kurve als zusätzliche Leistungssteigerungen verkaufen, wo sie doch tatsächlich nur Nachbesserungen sind, die in weiter Ferne das Desaster S21 geringfügig abmildern, und also nichts anderes sind als weitere verdeckte Subventionen aus öffentlichem Geld für ein katastrophal geplantes Projekt, das am Ende scheitern und nur Banken, Baulöwen und Beratern Geld in die Kassen gespült haben wird – während der Taktknoten Stuttgart für immer verstümmelt bleibt!
Wenn die alten und neuen Tunnelparteien mit den Realitäten von Stuttgart 21 und unserer Kritik konfrontiert werden, sind die Reaktionen ja inzwischen sowieso nur noch skurril und irrational: Alexander Kotz (CDU) sagt im S21-Ausschuß nach dem Wassereinbruch in Obertürkheim, der das Zeug hat, zu einem Sargnagel für S21 zu werden, wo immer noch täglich 2,5 Mio. Liter Wasser in die Baustelle fließen: „Ich will das gar nicht so genau wissen, Hauptsache ihr baut schnell weiter!“
Oder der möchte-gern Herausforderer von OB Kuhn von der SPD, Martin Körner, erklärt, dass die Kostensteigerungen ihn nicht interessieren. Auch wenn S21 über 10 Mrd. € kostet, will er, dass weitergemacht wird, Hauptsache irgendwann wird das Gleisvorfeld abgeräumt und bebaut – da ist er schon fast auf dem Niveau vom „Billionen-Conz“ von der FDP.
Hannes: Und das zeigt natürlich auch eins: das gesamte Lügengebäude um S21 ist so baufällig geworden, dass das einzige verbliebene Argument noch Wohnungsbau in weiter Ferne, vielleicht in den 30er Jahren, im Rosensteinviertel ist – der Wohnungsbau ist sowas wie das letzte Aufgebot im Kampf für S21!
Wie doll es die neuen und alten Tunnelparteien im Rathaus treiben, hat der Wettbewerb um das Rosensteinviertel gezeigt. Fakt ist, dass Stuttgart 21 ein Schienenrückbauprojekt ist, und Fakt ist, dass man mit diesem S21 die Ziele der Bundesregierung nach einem Deutschlandtakt und die Ziele der DB AG nach Verdopplung der Bahnverkehrs nicht erreichen kann. Das geht nur, wenn wir oben bleiben. Und trotzdem tun alle so, als ob die Gleisflächen schon obsolet sein und kurz vor der Bebauung stünden.
Zur astreinen Tunnelpartei mutiert sind ja inzwischen leider auch die Grünen: ihr Baubürgermeister will sogar definitiv ausschließen, dass die Gäubahnstrecke an oberirdische Rest-Gleise des Hauptbahnhofs angeschlossen wird, auch um den S-Bahnverkehr abzupuffern. Ihr Oberbürgermeister will die Überbauung der oberirdischen Gleisanlagen, anders als in seinem Wahlkampf versprochen, nicht erst nach einem Testbetrieb des Tiefbahnhofs freigeben. Sondern er lässt zu, dass, falls Murks 21 nicht funktioniert, bereits alles schon verplant ist.
Vielleicht gerade weil das zukünftige Rosensteinviertel das einzige Vorzeigbare des Tunnelswahnsinns bleibt, halten die S21-Macher so verzweifelt an dieser Illusion fest. Das Schlimmste für mich ist, dass sie dabei völlig vergessen, die Probleme der bereits vorhandenen Stadt jetzt und hier zu lösen. Heute haben wir Verkehrskollaps, Klimakriese und Wohnungsnot zu lösen, und da hilft eben nur Umstieg 21 auf die Schnelle.
Tom: Ja, die neue Prag aus dem Konzept Umstieg 21 könnte auf dem C-Areal recht schnell Baugrund auf heute schon versiegelter Fläche verfügbar machen, um Wohnraum für über 1000 Haushalte zu schaffen. WENN Stuttgart 21 endlich beendet würde! Für über 1000 Haushalte könnte die Stadt, auf eigenem Grund, bezahlbaren Wohnraum selber bauen – ohne dass die für die Wärmeabstrahlung so wichtigen Gleisfeldvorfeldflächen abgebaut und zubetoniert werden müssten. Für das Stadtklima und die Reduzierung von CO2- Emissionen ist Umstieg 21 ein wichtiger und wirksamer Schritt!
Die herrschende Baupolitik, die auf Abriss und Neubau statt auf Instandhaltung und Erhalt von Bauten setzt, weil damit mehr Rendite gemacht wird, ist an sich schon eine Klimasünde, mit der aufgeräumt werden muss – denn für die Gebäude, die abgebrochen werden, wurden ja schon beim Bauen Energie und Rohstoffe verbraucht!
Ganz davon abgesehen, dass das exzessive, profitgetriebene Bauen nicht nur klimaschädlich ist, sondern auch nichts gegen die Mietenexplosion hilft! Das sieht man in München, in Frankfurt, in Berlin, wo gebaut wird wie bekloppt, und die Mieten trotzdem wie in Stuttgart weiter steigen – wo die Kessellage das Bebauen grüner Ränder unbedingt verbietet!
Gegen die Mietenexplosion hilft eben nur ein Dreiklang aus kommunalem Wohnungsbau auf eigenen Grundstücken, einer Stadtpolitik gegen die Bodenpreisspekulation statt den Spekulanten wie bisher den roten Teppich auszurollen, und ein rigoroses Vorgehen gegen Leerstand und Zweckentfremdung!
Hannes: Anders als die Tunnelparteien CDU und SPD behaupten, ist Ökologie und Soziales eben kein Widerspruch. Und deswegen sollten wir in unserem Bericht aus dem Tollhaus Rathaus noch den für mich größten politischen Skandal der letzten Wochen ansprechen. Wir ihr alle wisst, hat unsere Fraktion erfolgreich beantragt, die Schüler*innen von ‚Fridays For Future‘ zu einer Generaldebatte ‚Klima‘ einzuladen. So kam es, dass vor etwa einem Monat die Fraktionen eifrig bemüht waren, sich als Klimaschützer zu präsentieren. Das Fazit unseres OBs war, wir tun viel und tun mehr und haben eigentlich alles im Griff, weil wir ja den Masterplan 2050 haben.
Die CDU meinte man solle nicht für den Klimaschutz demonstrieren, sondern ihn installieren, und dann würde der technische Fortschritt es schon richten. Und der SPD ging alles zu langsam und man müsse jetzt endlich mal wie Erwachsene mit der EnBW reden und dann das Kohlekraftwerk Altbach kaufen und zu einem Gaskraftwerk umbauen.
Da wir den konkreten Antrag auf Ausrufung des Klimanotstandes gestellt hatten, haben die Grünen noch schnell vor der Sitzung einen Antrag gestellt, der Gemeinderat wolle doch das Klimaabkommen von Kattowitz bestätigen. Kann man gerne machen, hilft aber auch nicht viel. Im April wären wir noch die erste deutsche Stadt gewesen, die den Klimanotstand ausgerufen hätte, leider durften wir unseren Antrag nicht abstimmen lassen, wir mussten jetzt einen Monat darum kämpfen, dass unser Antrag überhaupt zur Abstimmung kam.
Und dann kam es letzten Mittwoch zu einem skandalösen Trauerspiel, nach einer über einstündigen Debatte mit dem OB haben alle Fraktionen per Geschäftsordnungstrick dafür gesorgt, dass der ganze Top 30a vertragt wurde.
Was für eine Blamage, kann ich nur sagen! Die Stuttgarter haben den Klimanotstand einfach mal vertagt. Ich finde das unglaublich und kann mir das Ganze nur so erklären, dass man unbedingt vermeiden wollte, dass der Notstandsantrag das Scheitern unserer Klimabemühungen offensichtlich gemacht hätte. Denn, anders als unser Masterplan 100% Klimaschutz, hat er nicht das Zieldatum 2050, sondern 2036 gehabt. Außerdem wären dann alle Beschlusse des Gemeinderats unter Klimavorbehalt gestellt worden – alle Beschlüsse. Überlegt mal, was dann alles auf den Prüfstand müsste.
Tom: Wie in Konstanz muss ab jetzt auch in Stuttgart jede Maßnahme, jeder Bau, jede eingesetzte Technik zuallererst darauf geprüft werden, ob sie helfen, das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen oder ob sie klimaschädlich sind – dafür werden wir vor dem 26. 5. weiter zusammen im Rathaus und mit Ihnen Druck machen: alles muss auf den Klima-Prüfstand, der Digitalisierungshype und die Smart City und 5G, und zuallererst der Klima-Skandal Stuttgart 21!
Wir jedenfalls werden auch im nächsten Stadtrat zusammen dazu beitragen, Druck zu machen, gemeinsam mit euch Stuttgart-21-Gegnern, zusammen mit den ‚Fridays for Future‘ und der wachsenden Klimaschutzbewegung!
Hannes und Tom: Oben Bleiben!