Liebe Mitstreiterinnen, liebe Mitstreiter,
bevor ich eine Rede schreibe, denke ich über Inhalte nach. Über das, was dringlich ist. Was unbedingt gesagt werden muss. Mit ist es noch nie so schwer gefallen wie diesmal, gleich zur Sache zu kommen. Zum Protest gegen Stuttgart 21, der uns seit fast einem Jahrzehnt auf die Straße treibt.
Denn was derzeit in Deutschland und Europa passiert, ist so skandalös und schockierend, dass ich zunächst darüber sprechen will. Beim Schreiben stellten sich dann schnell Zusammenhänge her, denn das politische Groß-Klima hängt auch mit dem desaströsen Weiterbau von S21 zusammen. Das Prinzip S21 ist immer noch überall.
Liebe Leute, das Deutschland dieser Tage – ist das noch unser Land? Ist das noch das Europa, in dem wir leben möchten? In den letzten zwei Wochen starben mindestens 483 Menschen im Mittelmeer. Malta und Italien verbieten den Booten der Hilfsorganisationen, den Hafen zu verlassen. Deren Besatzungen müssen dem Sterben tatenlos zusehen. Man kann es nicht glauben: europäische Regierungen halten Seenotretter vom Retten ab!
Dabei wissen wir, dass Europa, dass Deutschland durch Waffenlieferungen, durch die Unterstützung repressiver Regime und durch eine ungerechte Handels- und Wirtschaftsordnung mit dazu beiträgt, dass Menschen ihre Länder verlassen müssen. Die Toten im Mittelmeer waren Menschen, die in Europa auf ein Leben in Sicherheit und Würde hofften, das von den EU-Innenministern aber nach zweierlei Maß gemessen wird. Für Menschen anderer Herkunft soll nicht gelten, was wir, was unsere Verfassungen unter Menschenwürde und Menschenrechten verstehen. In den letzten Jahren gerieten Zehntausende von Kindern, Frauen und Männern in Lebensgefahr oder ertranken im Mittelmeer, verdursteten in der Sahara, erstickten in Lastwägen oder verbluteten in NATO-Stacheldrähten, weil kein EU-Staat bereit war, sie legal einreisen zu lassen und sich ernsthaft mit ihren Fluchtgründen auseinanderzusetzen.
Und während die Tragödien an Europas Außengrenzen immer größer werden, schwadroniert in Deutschland ein nationalistischer und rechtspopulistischer Innenminister von „landestypischen Traditionen und Gebräuchen“, die angeblich gefährdet sind, und hetzt in einer Talkshow mit dem bösartigen Sprachbild „Asyltouristen“. So suggeriert er immer neue, angeblich akute Notlagen. Seehofer trägt auf dem Rücken von Menschen, die noch nicht einmal bei uns sind, seine ganz persönlichen, politischen Machtkämpfe aus. Aber zum Sterben an den EU-Grenzen schweigt er – die gesamte Regierung schweigt dazu.
Und dann reden sie von „Ankerzentren“. Ich kann das immer noch nicht glauben. Seehofer und Europa arbeiten daran, Geflüchteten den Zugang zu einem fairen Asylverfahren auf europäischem Territorium zu verwehren, indem sie in Elends- und Flüchtlingslagern ausharren sollen, bis über ihr Asylgesuch entschieden ist. In „Ankerzentren“ oder anderen Konstruktionen – als ob es nicht vor allem in Deutschland beim Reden über „Lager“ einer besonderen Verantwortung bedarf. Im Mittelmeerraum ist die Kollektivabschiebung von boat-people nach Afrika bereits Praxis. Diejenigen, die nicht ertrinken, landen in Lagern, in denen KZ-ähnliche Zustände herrschen. Geflüchtete, Menschen in Not, sollen also in KZ-ähnlichen Lagern auf ihre Abschiebung warten. Ideen aus Deutschland – im Jahr 2018.
Liebe Freundinnen und Freunde, das ist so unglaublich abstoßend, das ist so unfassbar unmenschlich, dass man nur noch laut schreien möchte. Diese Politik ist eine bösartige, dem puren Machterhalt verpflichtete, es ist eine menschenverachtende Politik. Und es ist auch die Politik unserer Regierung. Merkel, Seehofer, Söder, Dobrindt, Kurz, Orban, Salvini und wie sie alle heißen – sie machen eine zutiefst hässliche Politik. Ich wünsche mir, dass sie sofort zurücktreten, sich in Sammelzentren ihrer geistigen und emotionalen Leere in den nicht verdienten Ruhestand verkriechen – und dass sie strengstens verboten bekommen, je wieder Politik zu machen!
Dass das nicht passieren wird, ist natürlich klar. Machterhalt kommt vor Gewissen, Karriere vor Moral. Und diese Politik weiß inzwischen, wie sie sich an der Macht hält, es ist recht simpel: nur noch mit einem Thema arbeiten – mit der Angst vor dem Fremden.
Wer die Fakten kennt, weiß, dass es eine völlig irrationale Angst ist. Wahr ist, dass die Zahl derer, die in Deutschland Asyl beantragen, extrem gesunken ist, während die Zahl der Geflüchteten weltweit so hoch ist wie nie zuvor. Rund 64 Millionen Menschen waren laut UNHCR 2016 weltweit auf der Flucht. Die meisten von ihnen leben als Binnenvertriebene in ihrem Herkunftsland oder in Nachbarregionen. Nur knapp drei Prozent aller Geflüchteten kommen überhaupt in die EU!
Aber wenn selbst der Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo, eine Begrenzung von Zuwanderung fordert, um die Gesellschaft zu befrieden, dann kapiert man, wie viele den Rechten inzwischen auf den Leim gegangen sind. Denn mit Abschottungspolitik wird die Liberalität nicht gerettet. Im Gegenteil. Man riskiert sie damit, man setzt sie aufs Spiel. Der Rückgang der Geflüchtetenzahlen in den letzten beiden Jahren hat eben nicht dazu geführt, dass Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus weniger wurden. Ganz im Gegenteil, je mehr Politiker*innen und Journalist*innen bestätigen, dass Geflüchtete ein Problem an sich darstellen, desto mehr Fremdenfeinde fühlen sich in ihrem Hass bestätigt.
Liebe Freundinnen und Freunde, wenn eine Gesellschaft ihren Humanismus und ihre Liberalität ohne Gegenwehr an die Rechten verdealt, dann setzt sie sich selbst aufs Spiel. Die Ignoranz der tausenden, individuellen Schicksale von Geflüchteten ist eine Bankrotterklärung der reichen EU, die immer noch vorgibt, eine der Humanität verpflichtete Wertegemeinschaft zu sein. In ihrer Grundrechtcharta steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Warum aber ist dann die Würde derjenigen antastbar, die sich in existentieller Not an uns wenden? Die Geringschätzung von Menschenleben, die Inkaufnahme ihres Todes: ist das die politische und moralische Konstitution Europas im 21. Jahrhundert? Sind wir als europäischer Kontinent mit 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger wirklich nicht in der Lage, uns um zwei bis drei Millionen Geflüchtete zu kümmern? Wieviel Inhumanität wollen wir denn noch in Kauf nehmen, um die Humanität zu retten?
Migration ist und war schon immer Teil unserer Gesellschaft. Statt die Grenzen dicht zu machen, brauchen wir ein offenes Europa, solidarische Städte, und sichere Häfen. Denn wir haben keine Flüchtlingskrise, wir haben eine Krise der Moral. Eine Krise der Menschlichkeit. Wir haben eine Krise der Politik, wir haben eine europäische Krise der Verantwortungslosigkeit!
Und da ist sie, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die gedankliche Brücke zum Thema „Stuttgarter Großprojekt“. Die Verknüpfung ist die politische Kultur der Verantwortungslosigkeit. Verantwortungslosigkeit ist seit jeher ein Merkmal der Politik der Macher von S21. Sie scheren sich schon immer einen Dreck um die Belange der Allgemeinheit. Es wird nur von Jahr zu Jahr absurder, grotesker und surrealer. Einen neuen Höhepunkt des absurden Theaters um S21 gab es bei der Anhörung des Verkehrsausschusses zum Thema „Umstieg21“ in Berlin vor 2 Wochen, bei der ich persönlich anwesend war. In allen Beiträgen wiederholte sich die Widersprüchlichkeit der Argumentationen: einerseits werden alle möglichen Defizite und Mängel zugegeben, – bis hin zur völligen Infragestellung des gesamten Projekts – andererseits wird seine Weiterführung als alternativlos und zwangsläufig beschworen.
Diese Absurdität dominiert inzwischen den gesamten Diskurs über das Unglücksprojekt. Ob es die Grünen, SPDler oder die Verantwortlichen der Bahn sind: alle sind sich darüber einig, dass es wirtschaftlich ist, ein unwirtschaftliches Projekt weiterzuführen. Dass es vernünftig ist, ein unvernünftiges Vorhaben zu Ende zu bringen. Dass es logisch ist, unlogische und längst widerlegte Argumentationen gelten zu lassen.
Für Verkehrsminister Hermann ist klar, dass es kein Zurück mehr geben wird, obwohl er Stuttgart 21 als die „größte Fehlentscheidung der Eisenbahngeschichte“ bezeichnet. Matthias Gastel von den Grünen akzeptiert, dass 70 Prozent der Tunnel in Stuttgart bereits gebohrt sind, (verschweigt dabei aber, dass erst 30 Prozent der Projektsumme verbaut sind), obwohl er S21 für ein „hochgradig unwirtschaftliches und politisch fragwürdiges Projekt“ hält. Matthias Lieb vom VCD findet angesichts des Baufortschritts und der politischen Mehrheitsverhältnisse einen Baustopp nicht realistisch, obwohl er in seinem Statement alle Defizite von S21 benennt. Cem Özdemir labert von einem „point of no return“ und sagt gleichzeitig, dass die Kritiker bisher in fast allen Punkten recht hatten. „Ja, liebe Kritikerinnen und Kritiker, ihr habt ja alle so recht, aber wir bauen trotzdem weiter!“
Liebe Freundinnen und Freunde, im „Absurden Theater“ werden durch absurde Handlungen und wahllos verknüpfte Dialogreihen grotesk-komische, irreale Szenen erschaffen. Und genau das passiert hier gerade: Die S21-Befürworter haben das Argumentieren definitiv aufgegeben. In einer bizarren Mischung aus Verzweiflung, Mutlosigkeit, Dreistigkeit und Verantwortungslosigkeit schreitet das letzte Aufgebot der Vertreter des Absurden ans Werk. Und auch hier entsteht – wie in Europa: hässliche Politik.
Dass Politik hässlich sein kann, wissen die Stuttgarterinnen und Stuttgarter seit langem. Spätestens als die Grünen 2011, kaum an die Macht gelangt, ihre Kritik am Bau-und Immobilienprojekt in eine neoliberale, opportunistische Politik des Lobbyismus transformiert haben, wurde auch den Letzten klar, wie armselig, wie berechenbar und visionslos Politik sein kann. Grüne Politik steht im Ländle seither für eine Politik der Mut- und Verantwortungslosigkeit. Und dass sie nicht müde werden – bei jeder Gelegenheit und wider besseren Wissens – dieses blödsinnige Volksabstimmungsargument bezüglich einer Volksabstimmung, deren Abstimmungsgrundlagen alle restlos entfallen sind, immer wieder als Legitimation für den Weiterbau anzuführen – das ist so rasend dumm, so unprofessionell und so maximal denkfaul, dass das Ansehen der Demokratie im Ländle damit längst beschädigt wurde. Grüne Politik in Baden-Württemberg, auch du kannst verdammt hässlich sein!
Liebe Freundinnen und Freunde, in „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett fragt WLADIMIR: Was soll man da machen? ESTRAGON ergänzt: In unserer Zeit. WLADIMIR: Alles Theater. ESTRAGON: Absurdes Theater! WLADIMIR: Das ist nicht gesagt. ESTRAGON: Alles ist gesagt. WLADIMIR: Das ist nicht gesagt. ESTRAGON: Nichts ist gesagt. WLADIMIR: Was denn nun? Alles oder nichts? ESTRAGON: Egal. Wenn alles absurd ist, ist alles egal.
Wladimir und Estragon warten also auf Godot. Der niemals auftauchen wird. Wir hier warten auf die Vernunft, die scheinbar auch niemals zurückkommen wird. Entweder werden wir also ewig warten, wie Wladimir und Estragon, oder wir beenden das Theater des Absurden – und dann warten wir nicht mehr. Aber wie soll das gehen? Ganz einfach, mit Regietheater: Wir lassen Godot auftreten! Denn damit wäre der Plot des Irrealen dekonstruiert. Das Drama funktioniert nicht mehr, wenn Godot auftritt. Und Stuttgart 21 ist erledigt, wenn die Vernunft zurückkehrt. Das absurde Theater wäre zerstört.
Arbeiten wir also weiter an der Vernunft, mit Argumenten und Zahlen, mit Fakten und Beweisen. Wir sind jetzt nämlich wesentlich weiter als noch vor Jahren, als die vielen Schwachstellen des Projekts, die wir analysiert haben, keinerlei öffentliche Aufmerksamkeit gefunden haben. Der objektive Krisenzustand des Projekts ist unübersehbar, die Hilflosigkeit im Argumentieren der Gegenseite offensichtlich. Wir müssen also nur dranbleiben – konsequent, intelligent und gnadenlos vernünftig. Dann wird sich S21 in seine Einzelteile zerlegen, pulverisieren, es wird zu Staub zerfallen und einfach weggeblasen. Stuttgart 21 – die Vernunft wird dich besiegen, dein Ende ist nah!
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, der Höhepunkt aber bei der Anhörung war ein handfester Skandal. Weil es erstmals einen glaubwürdigen Zeugen dafür gibt, dass es das Ja für Stuttgart 21 allein durch eine Schmiergeldzahlung des Landes Baden-Württemberg in Höhe von einer Milliarde Euro gab. Leider ist dieser Kronzeuge ein altbekannter Rassist. Aber Zeugen kann man sich nicht aussuchen. Thilo Sarrazin, 2000/2001 Netzvorstand der Deutschen Bahn AG, sagte am 11. Juni 2018 als Sachverständiger im Verkehrsausschuss des Bundes: „Wir machten den Bau der unterschiedlichen Bahn-Infrastrukturprojekte nach der Rentabilitätsrangordnung. Wo gibt es den meisten Ertrag. Und ganz tief unten, da stand das Projekt Stuttgart 21. Es hätte nie in die Rentabilitätsrechnung eingehen können. Als ich dann doch den Auftrag bekam, die Rahmenvereinbarungen für Stuttgart 21 zu verhandeln, da hab ich gefragt: Herr Mehdorn, was ist ihr Motiv? Das ist doch völlig unrentabel! Ja, sagte er, aber das Motiv ist, dafür gewinnen wir den ganzen Nahverkehrsvertrag für Baden-Württemberg.“ Man wusste also im Bahnvorstand immer, dass Stuttgart 21 keine Kapazitätserweiterung darstellt. Mehr als 15 Jahre lang aber hatte die Bahn behauptet, man baue, um die Kapazität zu verdoppeln!
Der Zusammenhang zwischen einem überteuerten Nahverkehrsvertrag und Stuttgart 21 war immer bekannt. Und nun gibt es endlich einen Beweis! Die Strafanzeige gegen den Ex-Bahnchef Mehdorn „wegen des Tatverdachts der Untreue“ ist mehr als eine logische Konsequenz. Denn dass gelogen wird, wussten wir immer, und wir haben es häufig genug bewiesen. Dass aber, was die zentrale Rechtfertigung des Projekts betrifft, eine derart kriminelle Energie am Werk ist, dass mehr als zehn Jahre lang die Öffentlichkeit wissentlich in der zentralen Frage der Rentabilität belogen wird, das verschlägt einem dann doch den Atem. Wir fordern deshalb sofort einen neuen Untersuchungsausschuss im Stuttgarter Landtag über das Zustandekommen des S21-Projekts. Und einen sofortigen Baustopp dieser hochkorrupten und destruktiven Gelddruckmaschine!
Liebe Demonstrierende, Europa ist nicht wiederzuerkennen. In Italien ist ein Faschist, der Migranten „Menschenfleisch“ nennt, Innenminister. In Ungarn ist die Pressefreiheit nicht mehr existent. In Österreich wird gerade in allen Bereichen scharf nach rechts korrigiert. In Polen gibt es keine Gewaltenteilung mehr. Die EU nimmt die aktuelle Geflüchtetensituation einfach in Kauf, ohne zu handeln. In den USA regiert Trump.
Und auch unsere Gesellschaft kippt nach rechts. Wir können aber nicht darauf warten, dass es von allein wieder besser wird. Und deshalb wir müssen uns wehren. Uns der Menschenfeindlichkeit aktiv entgegenstellen. Und wir sollten es selbstbewusst, in dem Bewusstsein einer großen Masse tun. Denn wir sind nicht wenige. Es gibt überall in Europa ein stabiles Drittel sozialer, demokratisch und irgendwie links orientierter Menschen. Sie sind auf nationalem oder europäischem Niveau derzeit nicht mehrheitsfähig. Aber sie sind mehrheitsfähig in vielen, vielleicht den meisten Städten Europas.
Und diese Zivilgesellschaft ist heute gefordert, die Heuchelei, Gleichgültigkeit und Gewissenlosigkeit der Politik im Umgang mit Geflüchteten anzuklagen, uns mit aller Kraft für den Aufbau einer zivilen europäischen Seenotrettung einzusetzen, und dringend einen Diskurs über das Humanitätsverständnis Deutschlands und Europas über Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenwürde im 21. Jahrhundert zu initiieren.
Und das müssen wir wirklich selber angehen. Jede und jeder einzelne von uns. Denn ein Europa von Oben wird es nicht geben. Schaffen wir also ein Europa von Unten, das mit sicheren Häfen, sicheren Korridoren der Migration und sicheren Orten in den Städten beginnt, und in dem sich städtische Milieus und solidarische Orte zu Keimzellen eines anderen Europa entwickeln! Humanität beweist sich im Konkreten. Stellen wir uns rassistischer Stimmungsmache, wo wir können, entgegen! Und tun wir alles dafür, um das Sterben an unseren Grenzen zu verhindern!
In Berlin gehen heute mit der „Seebrücke“, einer internationalen Bewegung, getragen von verschiedenen Bündnissen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft, Tausende auf die Straße. Sie solidarisieren sich mit allen Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind. Und wir gehen hier auf die Straße, weil wir auch nicht darauf warten wollen, dass es von allein wieder besser wird. Dabei ist es nicht leicht, dranzubleiben. Denn wer täglich an den Betonmassen und gigantischen Kratern, den Röhrensystemen, an diesem Riesenloch vorbeiläuft, der kann müde werden, sich ohnmächtig fühlen. Aber die Bilder täuschen, denn es ist noch alles möglich!
Könnt ihr Euch an die Proler erinnern, die mit sexistischen „Oben-ohne“-Shirts durch unsere Demos gejoggt sind, selbstsicher und arrogant, die uns ausgelacht haben? Wo sind die jetzt alle? Diejenigen, die im privaten oder beruflichen Umfeld früher für S21 waren, sind fast alle verstummt, oder zumindest doch sehr kleinlaut geworden. Und das hat seine Gründe! Es ist mehr als offensichtlich, dass dieses Projekt außer Geldverschwendung und Bereicherung von einigen wenigen niemandem etwas bringt. Dass es angeschlagen und in der Defensive ist, da selbst seine Protagonisten es heftig kritisieren. Die Anhörung in Berlin war ein weiterer, wichtiger Erfolg für uns, und wir haben allen Grund, mit unsrer Kritik auf der Straße weiter zu machen, weiterhin Geduld aufzubringen und mit unserer Zähigkeit und Wut und Kompetenz an unseren Erfolg zu glauben! Denn wir werden diese Stadt den verantwortungslosen politischen Spielern und Spekulanten nicht überlassen! Wir werden die Stadt-, Park- und Bahnzerstörer nicht einfach so im Verborgenen weiterarbeiten lassen, wir werden jede einzelne ihrer Aktionen aufdecken und heftig kritisieren!
Wir werden all die Ungeheuerlichkeiten der letzten 10 Jahre nicht vergessen, sondern uns als kollektives Gedächtnis der Stadt weiterhin an alles erinnern! Wir werden nie akzeptieren, dass diese Stadt wie ein Konzern geführt wird, und weiterhin für eine lebenswerte Stadt für alle kämpfen! Wir werden uns nicht vereinzeln und verzetteln, sondern uns mit anderen Initiativen vernetzen, regionalen als auch deutschlandweit Aktiven! Wir werden es nicht bei Kritik belassen, sondern an lebbaren Alternativen arbeiten! Wir sind der wichtigste Bestandteil der politischen Kultur und des außerparlamentarischen Protests in Stuttgart, und wir werden erst dann Ruhe geben, wenn wir das Lügengebäude S21 zum Einsturz gebracht haben!
Liebe Freundinnen und Freunde – wir sind näher dran an unserem Ziel, als viele es glauben. Denn die Bahn hat nur noch ein einziges, ein winziges und unbedeutendes Argument zum Weiterbauen: die angeblich so hohen Ausstiegskosten von 7 Mrd. Euro. Dabei sind das nicht nachvollziehbare Phantasiezahlen, die nur den einen Zweck haben: das Nachdenken über dringend nötige Alternativen zu Stuttgart 21 zu beenden. Denn bislang steht fest: Stuttgart 21 ist weder fertig geplant, noch fertig genehmigt, noch fertig gebaut. Nicht einmal die Hälfte der geplanten Gesamtkosten ist bis jetzt verbaut oder vertraglich gebunden. Unter Abwägung der verkehrlichen, finanziellen, juristischen, wirtschaftlichen und ökologischen Argumente ist vollkommen klar, dass ein Aus- und Umstieg deutlich günstiger als ein Weiterbau ist. Das haben wir längst bewiesen. Und deshalb ist jetzt die Gegenseite dran: Wir verlangen eine transparente Ausstiegskosten-Rechnung! Die Bahn muss öffentlich zugänglich und nachprüfbar die tatsächlichen Ausstiegskosten darlegen. Und damit würde dann ihr letztes Argument platzen, und es gäbe nur noch eine Option: der machbare, notwendige und dringend gebotene Umstieg21!
Ich habe hier des Öfteren Bertolt Brecht zitiert. Sein berühmtes „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“ war uns schon mehrfach Antrieb und Motivation. Brecht hat aber auch für unsere Bauherren etwas parat: „Die Erfindungen für Menschen werden unterdrückt, die Erfindungen gegen sie gefördert.“ Und an unsere Freunde von Bahn geht: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“ Den Grünen sagt Brecht: „Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, man muss nicht die Macht ergreifen, um die notwendigen Veränderungen in und an der Gesellschaft vorzunehmen. Man muss sie nur irgendwann haben. Eine andere Welt wächst mit der Praxis sozialer Bewegungen, die sich innerhalb des Systems gegen die Mächte des Status Quo herausbilden. Und diese Kräfte werden irgendwann so stark sein, dass sie die Macht haben, diese Welt zum Besseren zu verändern. Deshalb gilt der letzte Satz von Bertolt Brecht uns, der sozialen Bewegung für ein besseres Leben in Stuttgart: „Kein Vormarsch ist so schwer, wie der zurück zur Vernunft.“
Wir müssen also mutig weitermarschieren. Trotz aller Widerstände fest an unseren Erfolg glauben. Dann werden wir auch ankommen! Und zwar ganz oben. Und werden dann auch für immer – Oben bleiben!
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Viele Grüße#Barbara