Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 411. Montagsdemo am 9.4.2018
Liebe Mitstreiter,
die Bahn bejubelt die kürzlich erteilte Genehmigung zum Verschieben der Fluchttreppen an die Bahnsteigenden als großen Gewinn an Sicherheit und Ästhetik. Endlich darf sie die großen Kelchstützen betonieren, die das Schalendach der Tiefbahnsteighalle tragen sollen – darauf hatte sie seit bald zwei Jahren gewartet. Tatsächlich jedoch erweist sich der „S21-Tiefbahnhof“ durch das wiederholte Hin- und Herschieben der Fluchttreppen als nicht heilbare Fehlplanung!
2005 wurde der Tiefbahnhof ohne zusätzliche Fluchtwege genehmigt; alles sei sicher, hieß es. Als ich in der „Schlichtung“ 2010 öffentlich vorgetragen hatte, dass eine Flucht über die Treppen auf die verrauchten Quersteige lebensbedrohlich sei, war der Schlichter Heiner Geisler immerhin so beeindruckt, dass er sagte: „Wenn Heydemann recht hat, kann der Tiefbahnhof nicht gebaut werden.“ Da ist dann der Bahn-Vorstand Dr. Volker Kefer aufgestanden und hat bloß gesagt: „Heydemann hat nicht recht!“ – damit war mein Einwand vom Tisch!
Weil aber verrauchte Querstege als Fluchtwege nicht nutzbar sind, musste die DB umplanen und ließ sich 2014 als 6. Planänderung zusätzliche Nottreppenhäuser genehmigen, zwei auf jedem Bahnsteig, mit Ausstieg mittels Falltür auf das Dach der Bahnsteighalle – mitten hinein in den Rauch, der aus den Lichtaugen austritt. Das aber hatte die Branddirektion dann beanstandet, weil dadurch die Flüchtenden gefährdet würden. Außerdem hätte das zusätzliche Engstellen auf den Bahnsteigen ergeben.
Daraufhin hat die Bahn mit ihrer jetzt genehmigten 18. Planänderung die notwendigen Fluchtwege an die beiden Bahnsteigenden verlegt – mit überlangen Fluchtwegen und mancherlei Einschränkungen und Abstrichen. Dazu gehören u.a. verringerte Fluchtwegbreiten in den Kopfbauwerken und fragwürdige Falltür-Ausgänge ins Freie als Notlösung, weil „bauliche Zwangspunkte keine andere Lösung zuließen“, wie es im Genehmigungs-Bescheid heißt.
Die Gutachter bescheinigen der Bahn wiederum, dass diese Lösung nun noch besser sei als die vorhergehende. Doch in Wirklichkeit ist diese so untauglich wie die anderen, und man muss sich fragen, wie die Gutachter der Bahn denn zuvor die Sicherheit im Brand- und Katastrophenfall bescheinigen konnten.
Wie abenteuerlich und hilflos zugleich die Bahn diese zusätzlich erforderlichen Fluchtwege nach abermaliger Umplanung innerhalb der 18. Planänderung jetzt vorsieht, zeigen folgende Beispiele:
Die Nottreppen sind zu steil und zur Entfluchtung größerer Menschenmengen nicht geeignet. Die vorgesehene Breite der Stufen ist mit 27 bzw. 26 cm viel zu schmal. Die Länge eines handelsüblichen Schuhes Gr. 41/42 liegt bei 30 cm; ein erwachsener Normalbürger könnte auf einer solchen Treppe mit einer Stufenbreite von nur 26 oder 27 cm nicht voll auftreten; es besteht die Gefahr des Stolperns mit Abrutschen und Stürzen. Stürzt auch nur einer, reißt er alle andern mit sich! Solche Treppen mit zu schmalen Stufen sind unfallträchtig und kommen als Fluchttreppe, über die mehr als tausend Menschen flüchten sollen, nicht in Betracht! Die übliche Stufenbreite von Treppen beträgt 32 cm.
Größere Stufenbreiten ergeben längere Treppen, für die aber fehlt der Platz. Auf der Nordseite etwa müssten die Fluchttreppen demzufolge 35 x 6 cm = 2,10 m länger sein, wodurch der Fluchttunnel dort in die Heilbronner Straße hinein reichen würde, was nun aber gar nicht geht. Auch die neue Fluchttreppenplanung erweist sich wiederum als unausgegoren und fehlerhaft! Gleichwohl hat das EBA dies so genehmigt mit dem Hinweis „bauliche Zwangspunkte ließen keine andere Lösung zu“.
Die zunächst beantragten Fluchttunnel mit einer Ausstiegs-Rotunde auf dem Platz vor dem Nordausgang hätte das Anheben der Heilbronner Straße erfordert; das wurde verworfen. Stattdessen enden die Nottreppen von den nördlichen Bahnsteigenden nunmehr jeweils in einer bodenbündigen Ausstiegsklappe knapp vor der Heilbronner Straße – die Flüchtenden müssen dazu auf die Straße, die bei Brandalarm für den KFZ-Verkehr mittels Ampelschaltung selbsttätig gesperrt wird.
Noch verrückter ist das im Südkopf; dort soll die neue Fluchttreppe vom Bahnsteig 3 über eine Falltür in den darüber liegenden Ausgangstunnel vom Steg C zur Staatsgalerie führen. Die über diese Nottreppe Flüchtenden sollen sich also in die vom Steg C kommende Menschenmasse von rd. 8.000 Personen hineindrängeln, die hier ohnehin im Stau stehen, wie es die Räumungssimulation aufzeigt. Das ist aberwitzig! Und das dann über eine Falltür im Boden, die bei Brandalarm von selber aufspringen soll, begleitet von einer optisch-akustischen Warnmeldung, wie im Planänderungsantrag beschrieben.
Was aber ist mit den Menschen, die dann gerade auf dieser immerhin 15 m² großen Bodenklappe stehen – sollen die dabei herunter geschleudert und verletzt werden? Falltüren wie auf einer Burg im Mittelalter für den angeblich modernsten Bahnhof in ganz Europa! Besseres ist den S21-Planern nicht mehr eingefallen. Ob und wie das dann im Ernstfall nach längerer Stillstandszeit auch tatsächlich reibungslos abläuft, darf bezweifelt werden. Und bei jedem Fehlalarm gibt´s dann zusätzlich unnötigen Stau in der Heilbronner Straße gratis dazu! Was für eine irre Lösung!
Bei der Ermittlung der Räumzeiten aus der Tiefbahnsteighalle im Brandfall wurden nur Personen ohne Gepäck berücksichtigt; das sei internationaler Standard, heißt es dazu im Genehmigungsbescheid. Die Bahn hätte überzeugend dargelegt, dass im Brandfall die Reisenden über Lautsprecher aufgefordert würden, ihr Gepäck stehen zulassen. Das ist weltfremd – niemand wird seinen Koffer einfach so stehen lassen und damit aufgeben und schon gar nicht seinen Rucksack ablegen, nur damit die Menschen enger aneinander zusammengepfercht werden können! Damit aber sind die Räumzeiten fehlerhaft zu kurz ermittelt; von der behaupteten Sicherheit kann keine Rede sein. Nicht betrachtet wird, dass die vielen Gepäckstücke auf dem Bahnsteig, so diese denn tatsächlich zurückgelassen würden, dann die Fluchtwege verstopfen und dadurch die Selbstrettung behindern.
Die Forderungen der Behinderten-Verbände nach verbesserter Sicherheit für mobilitätseingeschränkte Personen hat das EBA zurückgewiesen und verweist dazu auf bestehende Rechtsnormen, die einzuhalten seien – mehr könne der Bahn nicht abverlangt werden. So sind in den Nottreppen-Vorräumen nur zwei bzw. drei Warteplätze für Rollstuhlfahrer vorgesehen, wo sie von Feuerwehrleuten abgeholt und in Sicherheit gebracht werden können. Das ist für den Ernstfall völlig unzureichend!
Die umfangreichen Bedenken der Branddirektion und des Regierungspräsidiums zur Entrauchung und Evakuierung verschiebt das Eisenbahn-Bundesamt jetzt kurzerhand auf die Ausführungsplanung und die Inbetriebnahme-Genehmigung mit der Begründung, die Machbarkeit sei ja grundsätzlich möglich. Damit wird die Entscheidung über den Brandschutz und die Genehmigungsfähigkeit erneut vertagt, und es wird zugelassen, dass die Bahn noch mehr Geld in den untauglichen S21-Tiefbahnhof verbaut. Dabei bleibt offen, ob und wie dieser später für viel weiteres Geld betriebstauglich hergerichtet werden kann. Es droht nach Fertigstellung ein jahrelanger Stillstand wie beim Berliner Großflughafen BER.
Stuttgart21 hat als Skandal-Bahnhof den Berliner Großflughafen BER längst überrundet. Die Genehmigung für den Tiefbahnhof war von Anfang an grob fehlerhaft und hätte so nie erteilt werden dürfen! Das jahrelange Hin- und Herschieben von Fluchtwegen aus der S21-Tiefbahnsteighalle beweist überdeutlich die Fehlplanung des ganzen S21-Vorhabens – die Bahn kann die Sicherheit der Reisenden im Brand- und Katastrophenfall nicht gewährleisten.
Alle diese Probleme gibt es bei unserem guten und bewährten oberirdischen Kopfbahnhof nicht.
Deshalb: Oben bleiben!