Und was sie auch treiben, wir werden oben bleiben! Das kann man gar nicht oft und laut genug sagen. Rosensteinpark - Juchtenkäfer-Schiete - Feinstaub- und Fahrverbot-Urteil in Leipzig ... wir sind hellwach. Bevor sich morgen das Karussell in Leipzig dreht, soll noch ein Rückblick auf eine Kundgebung vor genau einer Woche geworfen werden. Denn mit dem Bekenntnis "... und was sie auch treiben, wir werden oben bleiben", das immer wieder beim Demozug durch die Königstraße am letzten Mittwoch, 14. Februar 2018, erschallte, versicherten etwa 200 TeilnehmerInnen der Kundgebung „Sechs Jahre Landraub und Parkzerstörung“, dass sie willens sind, sich weiterhin gegen das Projekt Stuttgart 21 zu wehren.
Zuvor hatte es ab 17 Uhr Redebeiträge auf dem Schillerplatz gegeben. Den Auftakt machte der Rezitator Reiner Weigand mit der – dem Häuptling Seattle im Jahr 1854 zugeschriebenen – Rede über die ökologischen Folgen, die die Landnahme und die Herrschaft des Weißen Mannes mit sich brachten. Auch wenn die berührende Rede im Original wohl nicht so gehalten wurde, so hat sie sinngemäß doch ihren Ursprung in einer Zeit, die weit zurückliegt, die aber durch ihre Aktualität schockiert. Der „Weiße Mann“ kennt aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Forschungen und der daraus resultierenden Erkenntnisse die Folgen seines ökologischen Handelns. Und doch verhalten sich Wirtschaft und Politik nach wie vor so, als seien sie die Herren der Welt, nach dem Motto „macht euch die Erde untertan“. Reiner Weigands Worte trafen auf offene Ohren, und nicht wenige TeilnehmerInnen werden gedacht haben, ob nicht doch alles zu spät sei, um die Zerstörung der „Mutter Erde“, vor der Häuptling Seattle so eindringlich gewarnt hatte, noch aufzuhalten.
Der Zerstörungseifer, der sich gerade am Tag der Kundgebung wieder im Rosensteinpark zeigte, ist ungebrochen und unaufhaltsam.
Moderator Werner Ott verwies anschließend am Ort der Kundgebung auf den Dichter, der dem Platz den Namen gegeben hatte: Friedrich Schiller. „Schiller dreht dem Justizministerium den Rücken zu – Zufall oder steckt mehr dahinter?“, fragte Ott. Und weiter: „Schiller blickt nachdenklich herab, nicht geradeaus zum Alten Schloss als Ort des Feudalismus. Schiller ist ein Dichter der Freiheit und das könnte bedeuten, die Freiheit wird uns nicht geschenkt, die Freiheit muss immer erkämpft werden, auch wenn es lange dauert. Und als seine Erben nehmen wir diesen Kampf einfach auf.“ Das waren Worte mit hohem Anspruch. Immerhin haben die S21-Gegner ihren Kampf nun schon mehr als sieben Jahre durchgehalten.
Im Anschluss wurde es konkreter, es ging in der Rede von Petra Brixel um „Landraub und Parkzerstörung“, um Landvernichtung, Missbrauch von Ackerland und Versiegelung. Rede hier.
Moderator Ott kommentierte, dass es bei dieser Aufzählung von Absurditäten schwer sei dagegen zu halten. Bei den „tonnenschweren“ Anfechtungen seien Kreativität und Konstanz gleichermaßen gefordert. „Immer wieder durchatmen!“
Anschließend traten die Kopfbahnhofsingers mit dem Lied „Sag mir, wo die Bäume sind“, vor das Mikrofon. Mit der wohlbekannten Melodie, aber einem auf Stuttgart 21 zugeschnittenen Text stellten sie in sechs Strophen Fragen zu all der Zerstörung rund um den Bahnhof, mündend in die Kernfrage: Sag mir, wann das Ende ist von der Stadtzerstörung. Und ganz am Schluss: Dann wird man alles verstehn. Größte Zweifel sind jedoch angebracht, ob man „je verstehn" wird.
Einer der Protagonisten, die auch verstehen wollen und der durch seinen juristischen Sachverstand immerhin die Möglichkeit hat, manche Facette des mit „normalem“ Bürgerverstand nicht erfassbaren Projekts S21 zu durchdringen, ist der ehemalige Richter am Stuttgarter Landgericht und Buchautor Dieter Reicherter, der nicht nur als juristischer Fachmann in manche Tiefen des Projekts vorstößt, sondern der zudem noch versucht, der staunenden und juristisch nicht vorgebildeten Öffentlichkeit so manches zu erklären. Das gelang ihm auch an diesem Nachmittag unter Schillers Augen. Er begann seine Rede mit denWorten „Ich bin froh, dass ich vor dem Justizministerium reden kann; das hat auch symbolischen Wert, denn wenn das Justizministerium seinen rechtlichen Rat eingebracht hätte, hätte man vielleicht die Baumfällungen vor sechs Jahren verhindern können, denn es war damals nicht nötig.“ Er berichtete dann von einer Diskussion mit dem damaligen Innenminister Gall und der Vorgeschichte zu dem Polizeieinsatz im Mittleren Schlossgarten am 14. Februar 2012. Er berichtete, dass am 5. Dezember 2011 MP Kretschmann Mitglieder des Bürgertribunals 30.9. eingeladen habe und nur einen Tag vorher war der „Rahmenbefehl still und heimlich“ erlassen worden. Auch dies ein Beispiel nicht nur für die Instinktlosigkeit von Regierungsstellen, sondern auch dafür, dass jede Behörde macht, was sie will und wann sie es will. In diesem Rahmenbefehl – den es in etwas abgewandelter Form weiterhin gibt – ist geregelt, dass in der Widerstandsbewegung K21 alles beobachtet und ausgewertet wird. In den von Reicherter später durchgesehenen Akten zum Polizeieinsatz 14.2.2012 befinden sich neben den offiziellen Protokollen auch interessante Randbemerkungen, wie z.B. die der Staatsrätin Erler: „Wir sind an einem Austausch (Anm.: mit den Parkschützern) bereit, allerdings können wir viele Punkte nur aufnehmen, aber nicht irgendwelche Forderungen durchsetzen. Die Gegner reden über ihre Anliegen, wir über unsere. Wo man sich trefen kann, da trifft man sich.“ Reicherters Kommentar: „Also, jeder sagt, was ihm wichtig ist und ein Ergebnis gibt es nicht.“ Weiter aus den Akten Erler: „Interessant wäre eine Darstellung der Vorbereitung der Polizei, soweit dies möglich ist. Man könnte dann in Erfahrung bringen, welche Maßnahmen seitens des Widerstands ergriffen wurden."
Im Hinblick auf den Rosensteinpark zog Reicherter die Parallele, dass weder damals noch heute die Baumfällungen zu diesem Zeitpunkt nötig waren, da der Baufortschritt dies noch nicht erforderte. Er erinnerte auch daran, dass vor einigen Jahren im Rosensteinpark eine Dame aus dem Widerstand die „Todeskandidaten“ - d.h. die Bäume, die gefällt werden sollten - mit weißen Kreuzen markiert hatte. Sie hatte ein Verfahren wegen angeblicher gemeinschädlicher Sachbeschädigung bekommen. Als Begründung wurde im Strafbefehl angegeben, dass das Landschaftsbild gestört werde durch die Kreuze. Gut, dass Reicherter auch diesen Fall erwähnte, und wieder einmal war man sprachlos angesichts der Dreistigkeit von Justizbehörden und der Willfährigkeit von Beamten, die sich ihrer Lächerlichkeit nicht bewusst sind. So viel Selbstreflektion sollte eigentlich erwartet werden, dass ein Mensch erkennt, dass gefällte Bäume auch etwas mit einem Landschaftsbild zu tun haben (können). Aber andererseits: Ein Landschaftsbild ganz ohne Bäume ist ja gar keine Landschaft mehr und darum kann dieses nicht existierende Landschaftsbild auch nicht mehr gestört werden. (Klar?)
Am Schluss sprach Reicherter den Baustopp an, den die Projektträger jederzeit machen könnten, damals wie heute, aber dass dafür die politischen Voraussetzungen derzeit nicht gegeben sind. Er erwähnte die K21-Demo im Januar in Berlin vor der Aufsichtsratsitzung, das Umstiegskonzept und den Brief an die Partei der Grünen und zitierte aus deren Antwort . Er sprach dann noch über die Feinstaubbelastung durch die S21-Bauarbeiten, über den auch in Stuttgart geforderten Versuch eines kostenlosen Nahverkehrs und über die Situation der Kindertagesstätte Neckartor, wo nicht nur Kinder und ErzieherInnen dem Feinstaub gnadenlos ausgesetzt sind, sondern die auch noch einer Funkanlage mit einer weit höheren Abstrahlung als erlaubt ausgesetzt sind. Es schloss mit dem Appell, weiterhin einen sofortigen Baustopp zu fordern und für den Umstieg 21 zu werben.
Es folgte nun der Demozug, der zunächst über die Planie und am Neuen Schloss vorbeiführte, wo ein Stopp am Finanzministerium gemacht wurde. Hier erinnerte Reicherter daran, dass hinter diesen Mauern Ende Januar 2012 der Gestattungsvertrag unterschrieben wurde, der die Abholzung des Mittleren Schlossgartens einläutete. Ein Banner mit der Aufschrift „Viel zerstört – nichts gewonnen“ wurde entrollt.
Weiter ging es auf die Königstraße und mit Unterstützung der Trommler und von Capella und der wiederholten Bekräftigung „Und was sie auch treiben, wir werden oben bleiben!“ weiter bis zum Platz vor der Mahnwache. Hier war bereits das Mikrofon aufgebaut, so dass Parkschützer Bruno Baumann eindrucksvoll zu den Baumfällungen im Rosensteinpark und zu dem Einfluss von Konsumverhalten auf die Umweltzerstörung sprechen konne. Parkschützer Ernest schilderte am offenen Mikrofon noch einmal seine Eindrücke aus den Nacht der Parkräumung im Februar 2012.
Eine besondere Freude war es für viele Parkschützer, die trotz eisiger Kälte den Demozug mitgemacht hatten, dass sie am Ende Andrea von den Versorgern mit ihrem Angebot an heißen Getränken und Kuchen neben dem Mikrofon antrafen. Sie hatte sich vorgenommen, die Eindrücke der VersorgerInnen aus der Nacht des 14.2.2012 zu schildern, wozu es dann nicht mehr kam, weil um 19 Uhr die Veranstaltung beendet wurde. Wir wollen aber gerne ihren Text veröffentlichen, denn er wirft noch einmal ein Licht auf die Zustände in jener denkwürdigen und für viele auch traumatisierenden Nacht im Park. Hier ihr Text:
„Liebe Leut´, 14. Februar 2012 – diese denkwürdige Nacht ist jetzt einige Jahre her; vielen ist sie markant in Erinnerung geblieben. Wir möchten euch erzählen, wie wir diese Nacht aus Versorger-Sicht erlebt haben. Wir hatten beschlossen, in den Park zu gehen, erreichbar für alle, die sich dort einfinden. Zur Not hätten wir unsere ganze Ausstattung aufgegeben. Diese Entscheidung war die Konsequenz aus dem Polizeieinsatz kurz zuvor in der Schlossgartenstraße. Da hatten wir das nicht geschafft. Als Standort hatten wir uns am 14. Februar 2012 die Pilzbrunnen am Planetarium auserkoren. Wir waren gegen 15:00 mit all unserem Equipment vor Ort, d.h. im Pavillon mit Heißgetränken, Snacks und Süßigkeiten für die Nerven und im Brunnen haben wir Kartoffelsuppe ausgegeben, bis morgens ca. um 4:00. Herd: Marke Eigenbau; Stilles Örtchen: Marke Eigenbau; Antirutschmittel auf dem vereisten Boden: Marke Eigenbau, nämlich Katzenstreu. Für die Konstruktion und den Bau der Widerstands-Klos ein herzliches Dankeschön an Heiko von der Infooffensive und Armin von den Sanis für die Sitzgelegenheit! Die misstrauischen Blicke der Einsatzkräfte werden wir nie vergessen. Aber sie haben uns über die ganze Zeit in Ruhe gelassen. In den frühen Morgenstunden hatten wir die Gelegenheit, unsere Ausstattung nahezu komplett aus dem Park zu bringen. Es ist nichts Wichtiges verloren gegangen. Wir selber sind weiter im Park geblieben und sind gegen 7:00 von den Einsatzkräften auf den Leitnersteg geschoben worden. Tja, Ende ist bekannt.“
Die Kundgebung war von 17:00 bis 19:00 angemeldet und auch wenn sicher noch nicht alles zum 14. Februar 2012 gesagt war, so konnte doch auch nach sechs Jahren eindrucksvoll demonstriert werden, dass immerhin (lt. Stuttgarter Zeitung) 200 TeilnehmerInnen unterwegs waren, um laut und deutlich zu bekennen: „Und was sie auch treiben, wir werden oben bleiben.“
Am Ende: Ein Dank geht an alle, die geholfen haben, diese Kundgebung möglich zu machen: die Redner und Sänger, die Moderatoren, die Helfer für Licht, Technik und Podest, die Trommler, Capella und die Versorgerin. Und ein Dank an alle, die gekommen sind, diese Kundgebung mit ihrer Anwesenheit, mit Plakaten, Bannern, Lampions und Trillerpfeifen sichtbar und hörbar zu machen.
(Petra Brixel)
Unsere Gedanken (dick eingehüllt in Schal und mit Hustentee)gingen zurück in die Nacht von Dienstag, 14.2.2012 auf Mittwoch zu euch und den vielen lieben Mitkämpfern die sich in dieser Nacht im Schlosspark den 3000 Polizisten in den Weg stellten oder setzten. Danke an euch, die ihr 6 Jahre danach am 14.2.18 da wart und mit Schiller widerstanden seid. Oben bleiben!
Bascha und Swen
danke, seit gestern habe ich darauf gewartet! Stuggidaggi, Parkschützerin bis zuletzt und Noch-Baumpatin