Rede von Dr. Eisenhart v. Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21, auf der 401. Montagsdemo am 22.1.2018
Liebe Freundinnen und Freunde,
bei der letzten 400. Montagsdemo gab es ein überraschendes, begeisterndes Urerlebnis unserer Bürger- und Demokratiebewegung: Die große Bahnhofshalle bebte von der Kraft des Schwabenstreichs, der hier seinem Namen neue Ehre machte – plötzlich war der Bahnhof begeisternd anstiftend „unser Bahnhof“ – welch eine sympathisch zugreifende Gestaltungskraft für diese Bewegung. Lasst uns diese Kraft bewahren und weiter klug einsetzen.
Wir erleben längst den Wendepunkt von S21 – das sich zunehmend zerlegt – und wir arbeiten intensiv daran, dass die Deutsche Bahn und ihre S21-Projektpartner über die Brücken des Umstiegs gehen. Wenn aus den existentiellen Turbulenzen von Stuttgart 21 doch noch eine zukunftsweisende Lösung erwachsen soll, muss die andere Seite die Chance der Wende einsehen und sich auf Alternativszenarien zubewegen.
Wo aber stehen die Justiz und der Bahn-Aufsichtsrat, wenn dieses zur Aufsicht aufgeforderte Gremium am 26. Januar mit dem Vorstand über S21 berät?
Wir erinnern uns: Der Not gehorchend, um die Schranken des Rechts auch für den politisch gesteuerten Staatskonzern Deutsche Bahn AG sichtbar zu machen, hatten wir seit Mitte Februar 2017 Strafanzeige erstattet. Gemeinsam mit Dieter Reicherter ging es gegen die Untreue ehemaliger und amtierender Bahnchefs durch pflichtwidriges Verschleiern der Rechtsbrüche beim Weiterbau von S21. Im November 2017 hat die Staatsanwaltschaft dennoch das Verfahren eingestellt. Wir forderten nun Akteneinsicht, alarmierten den Behördenleiter der Staatsanwaltschaft und erhielten zum Jahresende die Akten mit Einblick in die 23-seitige Stellungnahme des Bahn-Anwalts Feigen, der in Wirtschaftsstrafsachen etliche Spitzenmanager vertritt. Wir haben nun die letzten Wochen eine Beschwerde gegen das Versagen der Staatsanwaltschaft erarbeitet, die auf 26 Seiten am Tag der 400. Montagsdemo nach Berlin ging. Nur einige Aspekte davon nenne ich:
- Die Berliner Staatsanwälte gewähren der Bahn und den Beschuldigten bisher einseitig Flankenschutz: Knapp ein Jahr lang führten sie keine eigenen Ermittlungen, keine Durchsuchungen und Beschlagnahmen aus, sondern warteten die Stellungnahme des Bahn-Anwalts Feigen ab. Dies und das pflichtwidrige Vorenthalten eines Teils der Akte haben wir scharf als untragbar rechtswidrig angegriffen.
- Die Bahn ist bezeichnend sofort nach Eingang unserer Strafanzeige durch ihren Anwalt bei der Staatsanwaltschaft aufgekreuzt. Sie will dem Zugriff der Justiz entgehen. Zwar hat Herr Kollege Feigen kein Mandat der Beschuldigten, behauptet aber, diese könnten sich gar nicht strafbar machen, denn es gebe das straffreie unternehmerische Ermessen, genannt business judgement rule. Nur liegt er damit schief, denn die Beschuldigten sind als Vorstände und Aufsichtsräte aktienrechtlich und strafrechtlich verpflichtet, sich angemessen zu informieren, gesetzliche Pflichten einzuhalten und eine sichere Schädigung der Gesellschaft, für die sie tätig sind, zu vermeiden.
- Hartmut Bäumer, früher Amtschef im Verkehrsministerium in Stuttgart, jetzt Vizechef von Transparency Deutschland, greift jüngst das jahrelange wissentliche „Verschweigen und Herunterreden von Fakten und Risiken“ bei S21 treffend an, er ist jetzt unser „Kronzeuge“. Gleiches gilt für den Staatssekretär im Bundesverkehrsressort Michael Odenwald, weil wir dokumentieren: 2013 gab es den gesetzwidrigen Übergriff von Merkel, Pofalla und Co. auf den Bahn-Aufsichtsrat für den Weiterbau von S21, obwohl das Verkehrsressort damals kostensparende Alternativszenarien zu S21 befürwortete. Schon damals unterstützte das Verkehrsressort den Anschluss der Neubaustrecke von Ulm-Wendlingen an den Kopfbahnhof in Stuttgart. Wenn die Neubaustrecke wegen der Zeitverzögerungen bei S21 nicht im Niemandsland enden soll, ist jetzt der zweigleisige Anschluss von Wendlingen über Plochingen an die Kopfbahnhofstrecke in Stuttgart unerlässlich. Das sollte für den Aufsichtsrat Rückenwind für den kostensparenden Umstieg schaffen.
- Staatsanwaltliche Ermittlungen und eine Anklage gegen die Beschuldigten wegen Untreue sind allerdings unaufschiebbar. Das wird noch an Folgendem erkennbar: Bahn-Anwalt Feigen erklärt nichts zu nachvollziehbaren Aus- und Umstiegskosten. Auch belastet der Anwalt seinen Auftraggeber indirekt, indem er zur drastischen Verkleinerung des Bahnhofs durch S21 schweigt. Und beim sechsfach regelwidrigen Gleis- und Bahnsteiggefälle werden wiederkehrende Wegrollvorgänge und Unfälle im Kölner Bahnhof bei weitaus geringerem Gefälle nicht geleugnet. Ferner verweist er wegen der zu erwartenden Schäden durch quellendes Anhydrit in über 15 km Tunnel auf eine Expertenkommission, die Büro Wittke bei den Tunnel-Bohrungen nur begleitet, die also den von Bahn-Gutachtern nachgewiesenen Anhydrit-Risiken nichts entgegenzusetzen hat. Wenn aber, zumal in solcher Summe, stark schädigende schwere Finanzierungs- und Funktionsmängel nicht zu bestreiten sind, muss das strafrechtliche Konsequenzen haben.
- Im Ergebnis muss unserer Beschwerde daher stattgegeben werden. Vollständig ist alles auf der Website de online abrufbar. Sollten Vorstand und Aufsichtsrat am 26. Januar dennoch die Wende zum Aus- und Umstieg von S21 versäumen und den Finanzrahmen von S21 nochmals erhöhen, würden sie sich unnötig sehr schaden. Warum?
- Die Strafverfolgung gegen die bisherigen Beschuldigten, soweit sie noch amtieren, würde wegen der durch PwC – das ist die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers – belegten Mehrkosten des Projekts im Vergleich zum Umstieg massiv erleichtert und der Kreis der Beschuldigten im Aufsichtsrat auf alle erweitert, die der Kostenerhöhung zustimmten. Sie werden sich nicht entlasten können durch die angeblich von PwC behaupteten sieben Milliarden Euro Ausstiegskosten. Das wäre nach dem renommierten Gutachter Dr. Vieregg unseriös und durch nichts zu belegen. Das PwC-Gutachten immer noch geheim zu halten, ist skandalös. Die Bundesregierung muss diese intransparente, unwürdige Trickserei endlich beenden.
- Ferner muss der Bahn-Aufsichtsrat den Vorstand schon gemäß dem Finanzierungsvertrag zu S21 beauftragen, mit den Projektpartnern via Sprechklausel wegen der jetzt eingestandenen Kostensprengung auf mindestens acht Milliarden Euro über kostensparende Alternativszenarien zu verhandeln. Ist nämlich klar, dass die Deutsche Bahn AG keine Mehrkosten des Projekts aus strafrechtlichen Gründen übernehmen darf und die Projektpartner sie nicht übernehmen wollen, dann fällt der Umstieg von S21 wie ein reifer Apfel vom Baum der Erkenntnis.
- Vor zwei Tagen hat das Aktionsbündnis den Appell an die Kanzlerin zum Stopp von S21 und das Update der Umstiegsbroschüre samt achtseitigem Einleger den Aufsichtsräten und dem Bahn-Vorstand übersandt. Da war eine geniale Arbeit der Fachgruppe für den Umstieg am Werk. Nachdrucke der Umstiegsbroschüre erhaltet Ihr an den Infoständen, den druckfrischen Einleger gibt es für einen Euro.
Die letzten Wochen und Tage zeigen einen enormen Kraftakt dieser einzigartigen Bewegung. Einsicht und Aufsicht sind gefragt. Zu wünschen ist, dass sich der Aufsichtsrat in vier Tagen in Berlin klug für Verhandlungen zum Umstieg von S21 entscheidet!
Dran bleiben, OBEN bleiben!
Die Hoffnung stirbt zuletzt auch wenn man sehr hartnäckig hofft…
Hier ist es jetzt, das real existierende juristische Nadelöhr für die Vorstände, die Bahn und die Staatsanwaltschaft. Deswegen finden die Treffen in aller Rasanz statt. Eisenhardt argumentiert hier völlig richtig auch über die Bedeutung des NICHT Ausgesprochenen. Das ergibt ein sehr sehr interessantes Bild. Auch wenn diese Fakten in Deutschland noch nicht so bekannt sind, so erkennt inzwischen jeder, dass S21 zu teuer, zu gefährlich und total unwirtschaftlich ist. Ohne die Alternativen für die Bahn, das Projekt jetzt radikal zu modifizieren sähe es wahrhaft düster aus. Aber sie sind ja vorhanden. Sie hat sie alle in der Hand. So kann die Bahn sich nun flexibel und vernünftig zeigen und sensationell Kosten sparen, (immer gut fürs Image), die neue Albtrasse nutzen, den Flughafen später mit einer neuen S Wendlingen – Böblingen und/oder der Ringbahn anbinden und ihre Aufsichtsräte vor persönlichem finanziellen Schaden und das Gesamtunternehmen vor weiteren Verlusten und dem Abgleiten in die Unwirtschaftlichkeit schützen. Selbst wenn sie, wie heute geschehen 20% weitere Mehrkosten zugibt – jetzt wird erst mal wieder auf Zeit gespielt und finanziell Druck auf alles gemacht, die bei 3 nicht weg vom Telefon sind -, nein ernsthaft: es knirscht juristisch so heftig, dass keiner der von der Bahn mit falschen Versprechungen getäuschten Projektpartner einen Grund hat, in den Bahnstrudel zu geraten sowie die eigenen Wähler/den eigenen Haushalt ein weiteres Mal sinnfrei zu schröpfen und das schädliche Bahn-Projekt mit neuen irrationalen Finanzspritzen in die noch höhere Unwirtschaftlichkeit zu hebeln. Es sei denn es gäbe jetzt den Umschwung auf das modifizierte Projekt.