Rede von Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder, auf der 393. Montagsdemo am 13.11.2017
Liebe Freunde,
Damals, als ich in Möhringen am Rande der Filder aufwuchs, war der Fasanenhof noch ein alleinstehender Hof. Die erste große Heimsuchung dieser herrlichen, fruchtbaren Filderebene war 1934 die Autobahn quer über die Filder, dann 1939 ein kleiner Flughafen, zunächst nur militärisch genutzt.
Und schließlich dies: Vor genau 50 Jahren, 1967, kam ein Planer namens Gerlach mit der Idee, die gesamte Filderebene durch einen interkontinentalen Großflughafen mit drei Startbahnen zu zerstören. Sogleich brach ein Sturm der Entrüstung los, 50 Bürger gründeten in Plieningen die „Schutzgemeinschaft gegen Großflughafen“, unter ihnen die großartige Liesel Hartenstein. Es folgten Demos, Podiumsdiskussionen, Pressearbeit, Vorträge, usw. usw.
Der Gerlachplan konnte 1969 endgültig begraben werden, aber viele Leute waren aufgewacht. Sie erkämpften für Stuttgart das erste Nachtflugverbot Deutschlands für düsenbetriebene Flugzeuge.
1976 stellten der Flughafen und die Landesregierung Pläne vor, die Startbahn um 1380 Meter nach Osten zu erweitern, sowie eine weiträumige Verlegung der Autobahn und die teilweise Abtragung der Weidacher Höhe – angeblich alles aus Sicherheitsgründen: Protestfahrten, Rundwanderungen um den Flughafen, 45 000 Prospekte in alle Haushalte…
Dezember 1979: turbulentes Flughafenhearing in der Rundsporthalle mit Lothar Späth und seiner Landtagsriege. Späth sinngemäß: „… und wenn dann ein Flugzeug euretwegen abstürzt, dann stehe ich als Verantwortlicher vor 100 Särgen…“
1981 zusätzlich Gründung eines Aktionskreises: Junge Leute wollten mehr Spontanaktionen. Sie gründeten die Filderschule, organisierten Vorträge, Theater, Protestaktionen. Zwei junge Männer luden z.B. einen Hänger Krautreste vor dem Haupteingang des Flughafens ab. Es gab raffinierte Straßenblockaden usw.
Bundesweites Aufsehen erregte die Aktion „LandArt gegen Landraub“, die wohl größte Freilichtausstellung von Skulpturen in Deutschland auf den Äckern von 12 Landwirten. Beteiligt waren ca. 30 Künstler und man erhoffte sich, dass Enteignungen dann schwieriger würden.
Es half nichts: 1982 Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens. Alle Städte und Gemeinden auf den Fildern, der Kreistag Esslingen und der Gemeinderat Stuttgart lehnten die Pläne ab.
1983: Es gab 41 509 Einsprüche (bundesweit einzigartig). Eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe war existenzgefährdet. Wir stellten gravierende Fehler in den Unterlagen fest, z.B. bis zu 60 m falsche Höhenangaben oder dreiste Fälschungen beim Fehlanflug von Osten. Wir forderten die Einführung des Mikrowellenlandesystems. Der Sicherheitsgutachter der Kommunen Urs Graf kam zu ganz anderen Ergebnissen als der Flughafen. Das Verfahren musste neu aufgerollt werden.
1986: Zweite Planauflage, erstaunlicherweise noch mehr Einsprüche, mehr als 42324.
1987: sechs Wochen heiße Erörterung in der Rundsporthalle Bernhausen und dann ein Planfeststellungsbeschluss. Wir zogen vor Gericht – und verloren.
Von 1991 bis 1996 Ausbau und Verlängerung der Bahn um 1380 Meter. 240 Hektar bester Filderboden wurden für alle Ewigkeit zerstört. Gut, die Weidacher Höhe wurde nicht abgetragen, die Bäume wurden nur „wuchshöhenbegrenzt“.
Was blieb ist Zorn und Resignation, aber: Bereits während des Flughafenausbaus begann die Diskussion um eine Großmesse neben dem Flughafen. Der Widerstandswille erwachte langsam wieder, dafür aber umso heftiger.
1994 kamen die ersten Pläne für Stuttgart 21 ans Tageslicht. Beides, Messe und S21 nahmen wir erst nicht ernst, schließlich hatte Späth versprochen, dass nach dem Flughafenausbau kein weiteres Großprojekt mehr auf die Filder käme. Teufel sagte zwar immer, er hielte sich an Versprechen, bei der Messe sah er es aber anders. Die Gemeinden und die Grundbesitzer waren entschieden gegen eine Großmesse und nach geltendem Recht durfte nicht enteignet werden.
Da griff die Landesregierung zu unglaublichen Mitteln. Sie beschloss ein Landesmessegesetz, in dem sie sich einfach zugestand, dass die Messe jetzt im öffentlichen Interesse sei und man deshalb enteignen und sofort bauen dürfe. Früher, in längst vergangenen Zeiten, kamen die Fürsten mit Feuer und Schwert, um sich Land zu rauben, heute machen sich die Herren ihre Hände nicht mehr schmutzig, sie rauben ganz „legal“!
Erneut brodelte in uns Zorn und Entrüstung, …wir schlossen eine Menschenkette von Echterdingen nach Plieningen, erstellten eine Fildercamphütte auf den Feldern, wo wir uns täglich trafen und fuhren – oder besser – unsere Bauern fuhren im Messeabwehrkampf 1989 mit sage und schreibe 64 Traktoren an den Stuttgarter Schlossplatz und pflanzten Kraut vor dem Neuen Schloss. Es half alles nichts. Nachdem dann bester Ackerboden bereits weggeschoben wurde, war ein weiteres gerichtliches Vorgehen für die Bauern sinnlos. Ergebnis: 200 ha Filder tot.
Und schon kam der nächste Schlag: Der Flughafen forderte mit Unterstützung Oettingers eine zweite Startbahn: Mit unvorstellbarem Energie- und Zeitaufwand organisierten wir Führungen, Aktionstage, Vorträge, Demonstrationen, Podiumsdiskussionen, Gespräche mit Presse und Gemeinden usw. und schließlich eine einzigartige Großdemo mit einem Sternmarsch von 15 000 Menschen zu zwei bedrohten Höfen. 45 Gemeinden und Bürgermeister unterstützten uns – auch finanziell – und so konnte die zweite Startbahn tatsächlich verhindert werden. Hier ein perfides Zitat von Georg Fundel, ehemaliger Flughafenchef in der heißen Phase: „In 20 Jahren haben sich die Leute an die zweite Startbahn gewöhnt, und wir könnten über eine dritte nachdenken.“
Trotz dieses Erfolges gehen uns die Themen nicht aus: Lärmproblematik, Klimaproblematik, Feinstaub, Ultrafeinstaub… Und Stuttgart 21 auf den Fildern: Die Trasse wurde 2002 beantragt. 2010: Ausnahmegenehmigung durch Minister Ramsauer, Filderdialog, … Wir forderten: Kein Mischverkehr, Gäubahnerhalt auf der Panoramastrecke nach Stuttgart, dort Anschluss nach den Plänen von Frank Distel. S‑Bahnringschluss ins Neckartal. Wir brachten uns ein in die Erörterung Planabschnitt 1.3, wir klagten gegen den Planfeststellungsbeschluss 1.3a, jetzt steht 1.3b an…
Dieser Tage wird von der Bahn öffentlich ein Bahnhof an der Durchlaufstrecke statt unter der Messe diskutiert – eine alte Forderung des VCD und mit Vorbehalt auch von uns. Es zeigt sich ein Problem, das die Bahn beim besten Willen nicht mehr schönreden kann: Auch der Filderabschnitt wird deutlich teurer, ist technisch so nicht in den Griff zu bekommen und wird deshalb viele Jahre länger dauern. Das war jedem Mensch, ja sogar jedem Mensch mit geringem Verstand schon lange klar. S21 ist an jeder Ecke Murks!
Allein unser Schwerpunktthema im letzten Jahr und am Jubiläumsabend ist: Landverbrauch und der hohe Wert des Filderbodens. Region und Gemeinden fordern Baumaßnahmen auf den Fildern, die dem Landverbrauch eines Großprojekt entsprechen. Das ist unverantwortlich! Fasanenhof ist überall!
Kommt zu unserer Jubiläumsveranstaltung am Freitag in der Filderhalle in Leinfelden um 19 Uhr, mit interessanten Reden und toller Musik!! Ich verteile gleich noch Flyer.
Die Filderscholle soll „oben bleiben“!