Liebe Freundinnen und Freunde von Kopf und Basis,
es war eigentlich bekannt, der Oberrhein zwischen Frankfurt und Basel ist – seit dem Tertiär – ein riesiger Sandkasten, 300 km lang, 50 breit. Mitten darin neuerdings, eingeschlossen in Beton, eine verschüttete enorme Maschine. Poetisch tiefsinniges Bild: ein Bohrgerät, 18 Million teuer – für immer im Beton. Dabei wäre schon früh im Sandkasten zu lernen gewesen, wie riskant es ist, Sand zu untertunneln. In Köln ist beim Tunnelbau ein großes Stadtarchiv in den Sand zer-rutscht, es starben Menschen, versanken Papiere, auch von Heinrich Böll. Nun, nach dem Tunnel-Crash am Oberrhein als „Plan B“ – B, wie Beton. Aliens, wenn sie im Jahr 7412 dort, wo Rastatt mal war, auf Mordsbeton stoßen, die werden rätseln. Ein Heiligtum? Finden dann vom „Menschen“ in Massiv-Beton ein eisernes Ungeheuer: „Herrenknecht“!
Es gab mal einen sehr guten Bundespräsidenten, der kam aus dem Ruhrgebiet und empfahl, einmal im Leben müsse jeder in Rastatt gewesen sein, dort im Freiheits-Museum. Das dokumentiere frühe Kämpfe unserer Vorfahren für Demokratie und Menschenrechte. 1849 kam aber Preußens Militär aus Berlin mit den ersten Eisenbahnen und hat die Freiheitsbewegten zusammengeschossen. Gnadenlos exekutiert wurden die Anführer dieses Versuchs für Grundrechte. Einer nur konnte fliehen, durch den Rhein, hinüber nach Frankreich und in die USA, wurde da Innenminister, Carl Schurz. Rastatt hatte also schon viel früher Schwarze Donnerstage.
Und erlebt nun abermals Denkwürdiges: vor Rastatt, in Baden-Baden, werden täglich tausende Bahnfahrer geprüft, wie gut sie meterhohe Treppen bewältigen können mit Gepäck und Kind und Kegel, mit Rollkoffern und Kinderwagen. Von Freiburg aus war ich soeben noch mitten in diesem Getümmel. Das wirkte wie ein Test für das schwarze Loch im Inneren Stuttgarts. Das ja immer noch kommen soll, obwohl dagegen seit mehr als zehn Jahren mit besten Argumenten energisch und eindrucksvoll protestiert wird, woran ich mich beteiligen durfte, mit einer Rede im voll besetzten Großen Ratssaal der Landeshauptstadt, wo Verantwortliche des Debakels direkt vor mir saßen, Finanzminister, Stadtoberhaupt, denen ich es so deutlich wie möglich machen wollte, das skandalös verkorkste Verkehrs-Konzept der deutschen Bahn, dieses kommen sollende Hindernis für unser Miteinander in Europa. Ein „Airbus auf Schienen“? Hier unmöglich. Derzeit verdrückt sich Verkehrsminister Dobrindt, führt nun die Bayern in Berlin. Bayern hat bis heute das Grundgesetz nie unterschrieben. Das schützt halt nicht die Würde des Bayern, auch nicht die des Deutschen, nur die „des Menschen“.
Im Rathaus den Entscheidenden Entscheidendes zu sagen, half nichts, auch nicht als Direkt-Ansprache, ist aber alles nun nachlesbar, z.B. folgendes: „Auch Freiburg will Bahn-Fortschritte, aber doch erst mal und endlich für Europas viel wichtigere Bahnachse Nord-Süd, die von Hamburg, den Niederlanden, Ruhrgebiet, Köln und Frankfurt in die Schweiz geht und nach Italien, die Strecke, die am Oberrhein dringend auf vierspurigen Ausbau wartet, auf Anbindung an den Gotthard-Basistunnel. Stattdessen mühen sich da auf oft nur zwei Spuren 200 Güterzüge pro Tag, dazu Nahverkehr, Doppelstock-Interregios und ECs und ICEs – quälen sich da von sogenannter Signalstörung zu sogenannter Signalstörung.“
Wörtlich so hab ich im großen Ratssaal zu reden versucht, so deutlich wie möglich – ohne Reaktion. Nun aber abgedruckt in dem schönen Buch „Gegen Drachen“, auch das seit neun Monaten in Stuttgarts großen Zeitungen ohne Reaktion, da hilft auch kein „Literaturpreis der Landeshauptstadt“. Bei der Volksabstimmung über Stuttgarts wachsende Blamage hatten in meinem Freiburger Stadtviertel Vauban mehr 82 Prozent den Schiefbahnhof abgelehnt. Was half’s? Fürs knappe Ja sorgten die, die reingefallen waren auf ungenierte Lügen.
Half auch nichts, das kommende Desaster komisch zu schildern, mit Spott z.B. über Landesvater Oettinger, der in der Aula der Freiburger Uni zweitausend Studenten belehrte, Kopfbahnhöfe seien nur gut für eine Stadt wie Paris, denn Paris habe Richtung Westen nur noch Viehweiden und den Atlantik – so weit Brüssels Europa-Fachmann. Auffallend, wie oft leitende Bahnleute von einer großen Autofirma kamen, Dürr, Mehdorn, Grube – die türmten autogerechtes Unheil, sorgten nicht erst per Diesel für Unwucht und Schieflage, hatten gelernt, wie man die Bahnkonkurrenz ausschalten kann. Und da stehen sie nun kurz vorm Erfolg, hier in diesem wahrlich finsteren Loch.
Der Schwarze Donnerstag im Schlossgarten war ein Fanal, zeigte zum ersten Mal die kommenden Verrohungen – und zwar von oben her, noch nicht als anonym digitale Hetze, sondern Anonymität kam als Gas-Spray, schoss panzerstark aus Wasserkanonen, verletzte Frauen und Schüler und Alte, die Durchblick hatten auf die Verfahrenheit der Bahnpläne, verletzte klaren Blick auch konkret blutig, den Blick auf ein tatsächlich lebensgefährliches Unglück im Zentrum dieser Stadt, unterdessen berühmt als „Staubstadt Stuttgart“ – sieben Buchstaben „T“. Kritische Theologen malten die sieben „T“ wie Galgen und rückten im berühmten Jesus-Wort ein Wort an eine andere Stelle: „Herr vergib ihnen NICHT, denn sie WISSEN, was sie tun.“
Hier im Innersten der Stadt wuchert ein Monstrum, eines, das nie funktionieren wird, auch dann nicht, wenn das Eisenbahnbundesamt bereit sein sollte zu kriminellen Akten. Wenn dies Amt etwa genehmigen würde, was nie erlaubt sein kann, wenn in diesem Staat Leib und Leben noch was gelten – Leib und Leben gelten offensichtlich nichts in diesem sündhaft teuren Unikum, einem Tiefbahnhof als Schiefbahnhof. Wo 8 Gleise statt 16 nicht halbwegs leisten werden, was vor der Abstimmung vorgelogen worden war, mit Kostenlügen, Leistungslügen.
Da metastasiert sich im Herzen dieser Stadt Lebensgefahr, fataler Brandschutz mit hohen Treppen, zu engen, zu wenigen Lifts. Welch eine Glanztat, Deutschlands best funktionierenden Kopfbahnhof zu ruinieren! Der konnte bei Gefahr nach allen Richtungen sofort verlassen werden – demnächst sind bei Alarm sieben Höhenmeter zu überwinden werden, vor allem über Treppen. Kinderwagen voran?
Diese große, kluge Güter- und Handelsstadt leistet sich, dass zur Central Station kein Güterzug kann, weil er aus dem Loch gar nicht mehr hinauskäme und den im Nadelöhr stockenden Verkehr zusätzlich blockieren würde. Die steile Architektur ist einfach zu steil. Im Grunde ist sie zu meiden von allem, was rollt. Die nun allseits beliebten Rollkoffer dürfen da gar nicht erst rein, wer umklammert denn schon beim Warten auf den Zug unentwegt seinen Koffer? Zu verbieten sind im finsteren Loch auch Kinderwagen. Rollstühle sowieso. Nur gut Trainierte und konzentriert Wachsame haben da Zutritt. Freilich würden in dem Alptraumbahnhof auch Intercitys und Eurocitys und TGVs gern mal wegrollen wollen, wenn das Bremsen doch mal vergessen oder unvollständig geblieben sein sollte – anderswo alles schon passiert!
Ein schwarzes Loch, unfassbar absurd. Hart, jahrelang ansehen zu müssen, wie die, die man mal gewählt hatte, brav auslöffeln, was ihnen jahrzehntelang andere eingebrockt hatten. Dem Debakel widersteht nun aber wunderbares Glück. In dieser Stadt arbeitet eine unkaputtbare Opposition, hält Kopf und Kopfbahnhof hoch. Ingenieure, Unternehmer, Studenten, Selberdenker quer durch Stuttgarts Einwohnerschaft, sogar Theologen. Einzigartig mit hunderten Montags-Kundgebungen, einmalig auch und vor allem mit konstruktiver, mit realistisch konkreter Gegen-Arbeit, mit dem Projekt „Umstieg 21“, das den Kopfbahnhof und das Zentrum dieser Stadt retten wird! Bravo all den Standhaften rund um einen wie Klaus Gebhard. Bravo auch den „Parkschützern“, die allen Irrsinn dokumentieren, damit Spätere sich erkundigen können, wie denn nur eine so tüchtige und kluge Stadt dermaßen hat versagen können – ja, klug: Stuttgart war jetzt die Stadt mit den niedrigsten AfD-Prozenten. Dokumentiert wird da ein Lehrstück, vom Blenden und Betäuben mit immobiler Immobilien-Gier, von autoritär autistischer Auto-Denkweise, endend im Beton. Und nun auch mit staatsanwaltlicher Ermittlung wegen „schädigender Untreue durch den Weiterbau von S21“ – ja, gegen Korruption, auch gegen meine Lieblinge Kefer und Pofalla. Die reale Rohheit des Lehrstücks „S21“ übertrifft Brechts Stücke um Längen. Wer denn auch könnte je eine Figur wie Mappus erfinden und glauben.
Hier hatte schon kurz nach 1800 ein Dichter, der nur 24 Jahre alt wurde, prophetischen Durchblick: Wilhelm Hauff in „Das kalte Herz“, immer neu verkannt als Märchen. Das nimmt lange vor 1848, lange vor Marx vorweg, märchenhaft genau, was sich derzeit abspielt als kaltes Kapitalgewerbe: „Wo viel Geld ist, da sind die Menschen unredlich“, „Hauptgeschäft war, mit Geld zu handeln“. Hier nachlesbar! Zum Glück gibt’s hier – wie im „Kalten Herz“ – Gegenfiguren. Eisern und konsequent formulierend Eisenhart von Loeper, Dieter Reicherter, Peter Conradi und viele andere.
So einen traf ich auch in Fessenheim – vor dem AKW 18 km südwestlich von Freiburg – die Wolke braucht bei Südwest bis Freiburg nur eine halbe Stunde, bis Stuttgart einen halben Tag. In dem AKW-Dorf Fessenheim traf ich den jungen Laurent in seinem Laden für Photo-Voltaik – unter der Devise „Donnez des ailes à vos projets“ – gebt Euren Projekten Flügel!
Danke, Laurent! Und Danke und Bravo hier und jetzt: all den Unverdrossenen – Flügel!