Freitag, 14.Juli 2017, 13:00 Uhr, Trauerhalle Pragfriedhof.
Zum Ankommen hört man ein Lied der Beatles im Hintergrund, Mac hat die Musik in jungen Jahren sehr gemocht. Die Menschen kommen mit Blumen in die Kapelle und legen sie um die Urne oder den Rahmen mit Bildern von Mac. Dann sind alle Plätze besetzt von einer kleinen Gruppe Angehöriger und einer großen Gruppe von Menschen - eingeladen zu Macs letzter Demo.
Starke Töne von Capella und Parkblech. Und ich spüre diesen ungeheuren Zusammenhalt unserer Bewegung, weiß nach den ersten Takten, dass alles gut wird und wir uns nach wie vor darauf verlassen können auf uns, auf diese Menschen, die zusammengefunden haben, um beharrlich für den Erhalt des Kopfbahnhofs zu demonstrieren und dafür, dass die Bürger*innen als der Souverän der Seele der Stadt endlich mündig werden.
Pfarrer Friedrich Gehring spricht nicht als Pfarrer der evangelischen Landeskirche im Talar, sondern als Freund in seiner Alltagskleidung. Mac ist ja aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem gibt Herr Gehring auch so unserem Zusammenkommen einen würdigen Rahmen. Peter Gruber, Bernhard Krause (er war 40 Jahre Macs Freund), Annelies Haag und ich erinnern an Begebenheiten und Aktionen mit Mac, an seine Persönlichkeit und wir versuchen, unsere Betroffenheit und das, was wir Mac wünschen, in Worte zu fassen. Und dazwischen ertönt immer wieder Musik. Wunderschön. Und Mac gefällt es, und besonders der Auszug aus der Halle: Er voran, ein langer bunter Zug mit Blumen, Buttons und entschlossenen Mitstreiter*innen hinterher. Die Urne wird in die Erde eingelassen. Mac bekommt einen wunderschönen Platz, sonnendurchflutet, von Bäumen umsäumt, ganz in der Nähe seines Bruders.
Nachdem Pfarrer Gehring gesprochen hat, hören wir die Stimme einer Sängerin und sind ganz ergriffen von ihrem Gesang. Danach nehmen wir zu den Klängen von Capella und Parkblech Abschied von Mac, geben ihm Blumen mit, Oben-Bleiben Aufkleber, Kastanien und was uns sonst noch ganz persönlich mit ihm verbindet. Die Erde, die wir auf ihn schütten, ist wie ein Versprechen: Wir werden uns wiedersehen und bis dahin werden wir weitermachen, im Sinne von Mac und all den anderen, die vor ihm gegangen sind.
Wessen Bahnhof? – Unser Bahnhof!
Wessen Stadt? – Unsere Stadt!
Wessen Zukunft? – Unsere Zukunft!
Wessen Macht? – Unsere Macht!
Leb wohl, Mac!
Susanne Bödecker
Rede von Peter Gruber:
Lieber Mac,
am Anfang, als wir uns kennen lernten, im ersten Protest-Winter der Zeltstadt im Mittleren Schlossgarten, war es meist dunkel um uns herum. Auch bei späteren Begegnungen war das so. Das lag nicht daran, dass niemand den Lichtschalter fand, oder daran, dass wir uns so hässlich fanden, dass wir uns lieber gegenseitig nicht sehen wollten. Es lag daran, dass es wirklich Nacht war. Nacht im Mittleren Schlossgarten, in der Kinderstube Stuttgarts. Einem Deiner Lieblingsorte an dem Du Dich viel aufgehalten hattest. Wir kamen ins Gespräch. Nicht nur wir zwei, da waren noch andere. Ideen, Schabernack, Irrsinniges, nicht Durchführbares waberte umher. Aber auch solches, das man einfach mal so machen konnte. Und dann reichten mitunter nur Blicke und etwas war in der Welt, das vorher nicht dort war. Ich muss vorsichtig sein, ich darf heute noch nicht alles laut sagen was war, sonst fällt einem von der Stuttgarter Schlapphut-Fraktion, oder so einem Bernhard Häussler-Nacheiferer womöglich ein, dass man da doch noch etwas mit einer Anklage verfolgen könnte. Dich können sie ja nun nicht mehr dran kriegen, aber jede und jeden von uns hier. Das würdest Du nicht wollen, das weiß ich. Ich muss also etwas ungenau bleiben in meinen Ausführungen. Es war also dunkel. Und es war kalt. Nicht nur uns beiden. - Aber dafür gab es durchaus Lösungen. Einmal, als die Lösung schon so gut wie am Ort des Problems war, klappte etwas zu und Dein Finger war drin.
Ich habe selten einen Menschen erlebt, so der gefasst seinen Unmut äußert, dabei auch durchaus präzise Ross und Reiter benennt, aber nicht verletzt oder beleidigt. Trotz allem berechtigten Ärger trotz Schmerzen. Da war Größe drin. Haltung. Und am Ende, es war irgendwo zwischen Mitternacht und Morgengrauen, aber näher an letzterem, war uns allen warm. Und es war nun auch hell.
Eine schöne und wichtige Erfahrung: Ein gemeinsamer solidarischer Einsatz für eine Sache hat ganz konkret Licht und Wärme in eine kalte Welt gebracht.Und sowas passierte dann immer mal wieder ... mal kam das Licht in den Park, mal was anderes. Etwas Buntes etwa, das zuvor in einer lausig kalten Februarnacht in einer ebenso kalten Garage entstand. Und immer war Freude dabei.
Wir fanden heraus, dass wir gemeinsame Bekannte haben aus unserem Leben vor dem Protest, und doch erst hier zusammen fanden. Und auch, dass der Obrigkeit nicht zu trauen, ihr aber gleichzeitig alles zuzutrauen ist. Auf diese Erfahrung hätten wir auch verzichten können. Dass wir es mit einem sogenannten "tiefen Staat" zu tun haben, auch wenn seine Hauptdarsteller oft wenig Tiefgang aufweisen. Ein Apparat, der selbst Befehlen einen Rahmen verleiht, oder Rahmen Befehle erteilt und sie so zu Rahmenbefehlen veredelt, um damit die harmlosesten Versammlungen wie Parkgebete oder gar Trauerfeiern zu observieren und auszuwerten, der fällt nicht, nein, der wirft sich selbst aus dem Rahmen. Einem solchen Treiben MUSS der Mensch kritisch und wach gegenüber stehen, so wie Du es auch getan hast.
Du bzw. Deine Tochter, ihr habt ein gutes Datum für diese Zusammenkunft gewählt, den 14. Juli. Ein Protestdatum mit Gewicht, fragt die Franzosen. Stürmen werden wir heute nichts, auch die Köpfe lassen wir auf den Hälsen, selbst wenn uns manchmal anders zu Mute sein mag. Wir brauchen die unwiderstehliche Gewalt der Solidarität, der "Zärtlichkeit der Völker" wie Ché Guevara sie nannte, für eine Umwälzung in Richtung einer liebevollen Welt. Hilf uns in Zukunft dabei von dort aus wo Du jetzt bist. Vielleicht schreibe ich irgendwann mal ein kleines Büchlein über diese Jahre ... Aber: Die besten Bücher schreibt das Leben, heißt es. In meinem Lebensbuch hast Du heute schon eine eigene schön gestaltete Seite, weil Du (soweit ich das beurteilen kann) ein schöner Mensch warst, nein: bist! Denn nur der ist tot, an den sich niemand erinnert. An Dich aber erinnere ich mich: Bei jeder Fahrt über die Schillerstraße, bei jedem Gang zur Mahnwache, bei jedem Pferdeapfel eines Polizeipferdes, in dem ein Stuttgart21-durchgestrichen-Aufkleber steckt.
Mach's gut Mac.
Rede von Susanne Bödecker:
In meiner Jacke ist ein Loch.
Im rechten Ärmel meiner grauen Lieblingsjacke befindet sich ein Brandmal, zwar gestopft, aber fühl- und sichtbar. Auf einer Montagsdemo vor 4 Jahren hat sich beim üblichen Begrüßungsritual zwischen Mac und mir - unsere Begrüßungen waren kurz und schmerzhaft, Umarmen, bis die Knochen krachten, damit war alles gesagt - die obligatorische Zigarette nicht mehr retten können und mich auf ihre Art begrüßt. Ich werde diese Jacke niemals wegtun. Wann es anfing? Ich habe es vergessen, Mac war einfach da in unserem bunten, kreativen, individuellen, hoffnungsvollen, in Stuttgart vorher nie dagewesenen Widerstand gegen das Verbrechen, einen guten, kundenfreundlichen Kopfbahnhof für Milliarden gegen einen gefährlichen, kundenfeindlichen Haltepunkt einzutauschen und dabei noch den Park und die halbe Stadt zu zerstören.
Mac war so ein Mensch, bei dem ich sehr schnell spürte, auf den ist Verlass. Von Anderen kennt man irgendwann die ganze Lebensgeschichte, verzeiht ihnen Fehler und Ungereimtheiten. Von Mac wusste ich nichts, außer dass er eine Enkelin hatte und wenn er sie erwähnte, strahlten seine Augen. Aber es war klar, wenn man etwas ausgemacht hatte, tauchte Mac plötzlich aus dem Nichts auf und war da. Konzentriert, aufmerksam, wachsam, konsequent, furchtlos und direkt. Mauscheleien oder Heuchelei waren ihm zuwider. Das, was besprochen wurde, war einzuhalten, da legte er großen Wert darauf. Unbequem war er, aber nicht in dem Sinne, dass man sagt: Mensch, lass mich doch in Ruhe! Sondern dass man sich an der Nase fasst und feststellt: Mac hat recht – wir haben doch einen Weg festgelegt und jetzt gehen wir den auch und zwar ohne dieses ständige Wenn und Aber!!!
Beschäftigt hat mich das Nachtleben, die Umkehrung der normalen Tagesabläufe, weil Mac früher immer nachts Taxi gefahren ist und diesen Rhythmus verinnerlicht hatte. Irgendwann fand ich es aber ungemein beruhigend, denn ich wusste, wenn wir schlafen gehen, ist einer wach und passt auf die Bäume und den Bahnhof auf. Eine ganz tiefe Freude und Wärme durchflutet mich, wenn ich daran denke, dass Mac stolz war, zu den Ratten zu gehören, selber eine Tunnelratte zu sein. Er, der doch sonst dieses ewige, sinnlose Gequatsche in Gremien mied. Die Kampagne gegen die Tunnelbohrmaschine, die kreative Methoden ersann, um dieses zerstörerische Monstrum nicht ungehindert zu ihrem Einsatzort am Fasanenhof gelangen zu lassen, die mit dem riesigen, selbstgebauten Tunnelbohrerrad Ausflüge in die Städte machte, die an der Wasserstraße liegen, auf der der Tunnelbohrer transportiert wurde, sie gefiel ihm und er war dabei, bei den Aktiven, die sich Ratten nannten.
Aufgeben war kein Thema für Mac, nicht bei Stuttgart 21 und nicht bei sich selbst.
Bei meinem 1. Besuch im Krankenhaus lud er uns zu einer Tasse Kaffee in die Krankenhaus Cafeteria ein. Sorgsam notierte er alles, was ihm im Krankenhaus widerfuhr und hatte es immer parat. Auch die Ärzte hatten es nicht leicht mit ihm und ich bewundere diese Standhaftigkeit, in so einer Ausnahmesituation, wo man sich an jeden Strohhalm klammert und nichts unprobiert lassen will, blieb Mac sich treu und verweigerte Anordnungen, deren Auswirkungen er nicht abschätzen konnte oder die ihm für sich nicht sinnvoll erschienen. Beim 2. Besuch bat er mich, ein Formular mit ihm auszufüllen und ich habe mich so geschämt, dass ich private Dinge von ihm erfuhr, obwohl ich doch seine Diskretion und seine Achtsamkeit, was den Datenschutz anging, so sehr schätzte. Ich wollte, dass er so bleiben konnte, dass ihn weder die Krankheit, noch unser profitorientiertes Gesundheitswesen zu beugen vermochte.
Ich konnte mich nicht verabschieden, bei meinem letzten Besuch im Krankenhaus war Mac gerade bei einer Anwendung. Ich hatte einen Termin danach, sollte bei einer Veranstaltung auf dem Podium sitzen. Ich bin gegangen, ohne ihn noch einmal wiederzusehen. Wäre ich so konsequent und gradlinig wie Mac, hätte ich die Prioritäten anders gesetzt. Möge mich das Loch in meiner Jacke daran erinnern, dass es Wichtigeres im Leben gibt, alsständig überall präsent zu sein und das Wesentliche zu vernachlässigen.
Es erfüllt mich mit Ehre, dich gekannt zu haben, danke Mac!!!
Ich wünsche mir, dass unser Ministerpräsident diese Reden liest.