Rede von Michael Becker, Kernen 21, auf der 376. Montagsdemo am 10.7.2017
BER – das Stuttgart 21 der Lüfte
Liebe Freunde,
Stuttgart 21 und der Großflughafen Berlin Brandenburg, kurz BER, haben zwei große Gemeinsamkeiten. Sie sind für Ihre Aufgabe untauglich und sie werden von den politisch Verantwortlichen gegen die Ratio und einen gesellschaftlichen Nutzen durchgepeitscht.
Bundesweites Aufsehen erregte der BER durch seine Baumängel und die Verzögerung der Eröffnung, das ist peinlich und wirft ein schlechtes Bild auf den Industriestandort Deutschland. Der eigentliche Skandal aber sind die Methoden, mit denen Schönefeld gegen die anderen Standorte durchgesetzt wurde, und da sind wir wieder ganz nah bei Stuttgart 21.
Jedes Großprojekt beginnt mit einer Lüge, beim BER sind es sogar zwei, die Standort- und die Bedarfslüge, zur zweiten später mehr. 1994 – Berlin ist inzwischen avisierte Bundeshauptstadt geworden – wird in einem Raumordnungsverfahren ein Standort gesucht, um aus den bisherigen drei Berliner Flughäfen einen Zentralflughafen zu bilden. Dabei werden die beiden Standorte Sperenberg und Jüterbog-Ost als geeignet ausgewiesen. Der Standort Schönefeld-Süd scheidet wegen der Lärmbelästigung und der notwendigen Umsiedlung von Anwohnern aus. Schwups, das war´s, kein Großflughafen in Schönefeld.
Doch es kam anders, die Flughafen Berlin Schönefeld GmbH hatte vorab Grundstücke für das Baufeld Ost durch die Brandenburgische Landesentwicklungsgesellschaft kaufen lassen. Dieser Fehlgriff belastete die Bilanz bis zum Dezember 2002 mit 700 Mio. DM. Von da an gab es kein Halten mehr, Schönefeld sollte von nun an gegen alle Widrigkeiten durchgesetzt werden, und da gibt es einige:
- Dioxinbelastung und militärische Altlasten auf dem Gelände werden von den Behörden klein geredet.
- Überfluggebiete und Lärmkarten werden geschönt, die deutsche Flugsicherung, die die Mängel aufdeckt, wird angewiesen die Füße still zu halten.
- Bürgerbeteiligung unerwünscht, hier zitiere ich wörtlich aus der „Chronique Scandaleuse“, die die Bürgerinitiative BVBB e.V. zusammengestellt hat: „28. Dezember 2005: Die brandenburgische Planfeststellungsbehörde fordert die Naturschutzverbände auf, über den Jahreswechsel schnell die bislang vergessene Befreiung der Naturschutzverbände, die eine zwingende Voraussetzung für jegliche Bauvorhaben ist, zu erteilen. Die Mitte Januar 2006 übermittelte Stellungnahme der Naturschutzverbände lautete: die Befreiung kann wegen der absehbaren schweren Gefährdung von massenhaften geschützten Tierarten nicht erteilt werden. Kurzerhand erklärt die Landesregierung Brandenburg die fachliche Stellungnahme der Naturschutzverbände für nichtig und erteilt sich seinerseits die dringend benötigte Befreiung selbst.“
Auch hier sind wir wieder ganz nah bei Stuttgart 21.
Ich hatte mir ja ganz fest vorgenommen, mich in meiner Rede nicht im klein-klein der technischen Unzulänglichkeiten zu verlieren, aber die Bauausführung ist tatsächlich so dilettantisch, dass ich doch ein paar Deeplights der BERschen Baumängel erwähnen will: Rolltreppen wurden zu kurz berechnet und statt nun längere zu ordern, beginnen diese jetzt mit festen Steinstufen. Da sind wir jetzt aber auch ganz nah bei Schildbürga. Anwohnern fiel die ständige Festbeleuchtung des Flughafens weit vor Eröffnung auf, Grund: Mängel in der Ansteuerung der Lampen. Sage und schreibe 600 Brandschutzwände mussten im Nachhinein verändert werden.
Vor dem avisierten Eröffnungstermin, dem 2.6.2012 war klar, dass bis dahin die automatische Brandschutzsteuerung nicht funktionieren wird, deshalb wollte man sich zur Genehmigung des Brandschutzkonzeptes eine sogenannte Mensch-Maschine-Schnittstelle erlauben lassen, sprich: statt dass Sensoren die Brandschutzeinrichtungen steuern, hätten Menschen dann die entsprechenden Schalter von Hand betätigt. Ich sehe es vor mir, ein roter Feuerderwisch hüpft „es brennt, es brennt“ rufend durch die Schalterhallen und zwangsverpflichtete Mesner ziehen statt am Glockenzug die Brandschutzklappen auf. Deutschland, das Hightechland, Stuttgart 21 und der BER, die Vorzeigeprojekte der Kanzlerin!
Und nun zur Bedarfslüge: Braucht es diese Flughafenkapazitäten überhaupt? Zum Junggesellenabschied übers Wochenende nach Malle, Tagesshoppingtrips nach Mailand oder Manchester für 9,95 Euro, alles nur möglich dank Lohndumping und steuerfreiem Treibstoff.
Ich sage nein und fordere die Streichung aller Subventionen für die umweltschädlichste aller Mobilitätsformen und einen konsequenten Ausbau der Schieneninfrastruktur mit der Einführung eines Deutschlandtaktes, der Wiedereinführung europaweiter Nachtzugverbindungen und dem Stopp vermeintlich prestigeträchtiger Großprojekte wie S21 und dem BER.
Und das viele schöne Geld, das dafür schon verbraten und verschmiert wurde? Ist leider weg, doch nun gilt es, das Beste aus der Situation zu machen. Bei Stuttgart 21 haben wir das zukunftsweisende Konzept ‚Umstieg 21‘ erstellt und für die Berliner hätte ich auch eine Alternative anzubieten.
In dem Parkhaus setzen wir die ganzen SUVs mit Schummelsoftware fest. In dem Abschiebegefängnis parken wir die kriminellen Automobilmanager von Audi und Co. bis zu Ihrer Abschiebung nach Elba. Den Tower könnte Christo mit Plastikmüll aus der Ostsee verhüllen. Die Abfertigungshallen machen wir zur Geocaching Zone und lassen die Besucher die zehntausend Mängel suchen. Der Flughafen wäre belebt, die Gastronomiebetriebe hätten Kundschaft, die S-Bahn müsste nicht mehr leerfahren, um die Schimmelbildung an den Wänden zu verhindern, und wir alle könnten gemeinsam:
Oben Bleiben!