Rede von Dipl.-Ing. Hans Heydemann, Ingenieure22, auf der 316. Montagsdemo am 4.4.2016
Luftnummer Stuttgart 21 – das Schwallbauwerk im Kernerviertel
Liebe K21-Freunde!
Die Bahn eiert weiterhin plan- und hilflos herum mit dem nicht genehmigungsfähigen Brandschutz bei Stuttgart 21 – dem doch angeblich bestgeplanten Projekt aller Zeiten! Mit faulen Tricks und Täuschungen versucht sie dennoch, eine Genehmigung hinzukriegen.
Vor einem Jahr hat die Bahn auf der Lenkungskreissitzung am 20.4.15 ihren Projekt- und Finanzierungspartnern Land BW und Stadt Stuttgart erklärt, beim EBA sei ein neuer Änderungsantrag gestellt – mittlerweile der 15. Dieser betrifft das Schwallbauwerk Süd am Fuße des Kernerviertels; man erwarte eine Genehmigung im September. Das war wohl von der Bahn etwas zu voreilig – die zugehörigen Pläne und der Erläuterungsbericht tragen das Datum 1.7.15 bzw. 30.7.15. Was ist das für eine Antragstellung, wenn wesentliche Unterlagen erst drei oder vier Monate später nachgeliefert werden? Doch die Bahn wirft bekanntlich dem EBA behördlichen Schwergang vor!
Aber worum geht es dabei überhaupt? Ein Schwallbauwerk ist vereinfacht gesagt ein riesiges Loch über den Tunneln, über das die Luftmasse, die ein fahrender Zug vor sich herschiebt, ins Freie entweichen kann und so ein zu starker Luftzug in der Tiefbahnsteighalle vermieden wird. Dafür ist sowohl auf der Nord- als auch auf der Südseite der Tiefbahnsteighalle je ein Schwallbauwerk vorgesehen. Der oberirdische Teil des Schwallbauwerkes ist als 16 m hoher hutzenförmiger Betonbunker geplant, das entspricht der Höhe eines 5stöckigen Hauses, potthässlich und mit einer Schallöffnungsfläche von 200 m².
Im unterirdischen Teil des Schwallbauwerkes Süd waren laut Planfeststellung 10 Kleinventilatoren vorgesehen, die zur Dauerlüftung der Tiefbahnsteighalle dienen sollten, um dort die durch Abwärme und Abriebstaub beim Bremsen verbrauchte Luft laufend zu erneuern. Anlagen zur Entrauchung der Tunnel waren im Schwallbauwerk bislang nicht geplant.
Die neue Entrauchungsplanung von HBI vom November 2014 sieht nun bei einem Brandereignis das Einblasen von 1.000 m³/s Luft wahlweise in die Tunnel oder die Tiefbahnsteighalle zum Abdrängen des Rauches vor. Dafür sollen jetzt 4 große Hochleistungsgebläse in der Zwischenebene des Schwallbauwerkes Süd aufgestellt werden anstelle der 10 kleineren Gebläse. Die planfestgestellte Dauerlüftung der Tiefbahnsteighalle soll entfallen; diese sei laut Bahn ohnehin nicht nötig.
Dass die Dauerlüftung der Tiefbahnsteighalle jetzt 11 Jahre nach Planfeststellung auf einmal unnötig sein soll, zeigt, wie stümperhaft und planlos die Bahn hier vorgeht. Aus lufthygienischen Gründen ist die dauernde Durchlüftung der Tiefbahnsteighalle unverzichtbar und deren ersatzloser Entfall nicht hinnehmbar! Jedoch war die vorgesehene Anordnung der Kleinventilatoren im Schwallbauwerk Süd mit der Schwallfunktion für die Tunnel nicht vereinbar: entweder es entweicht die von den Zügen mitgeschleppte Luft aus dem Tunnel über die Schwallöffnung ins Freie – oder es wird Zuluft in die Tunnel zur Durchlüftung der Tiefbahnsteighalle geblasen: beides gleichzeitig geht nicht! Die Luft würde von den Gebläsen über die Schwallöffnung nur im Kreis herumgeführt und nie in der Tiefbahnsteighalle ankommen. Das dürften inzwischen auch die Spezialisten der Bahn erkannt haben. Der Planungsfehler wird nun dadurch beseitigt, indem auf die Durchlüftung der Bahnsteighalle einfach verzichtet wird – so braucht man keinen Planungsfehler einzugestehen!
Doch mit den großen Entrauchungsanlagen haben sich die Planer der Bahn gleich wieder neue Planungsfehler einfallen lassen: Zum einen reicht der verfügbare Platz für den Einbau der großen Schalldämpfer nicht aus, zum andern fehlen die notwendigen großen Kanäle zur Luftführung. Es ist nicht hinreichend, nur ein großes Loch in der Tunneldecke vorzusehen, ohne die weitere Luftführung einmal zu den Saccar-do-Düsen, zum andern in die Tiefbahnsteighalle geklärt zu haben! Das wichtigste Sicherheitsziel des Brandschutzgutachtens, die gesicherte Einführung von 1,2 Mill. m³/h Zuluft auf der Südseite der Tiefbahnsteighalle zum Verdrängen des Rauches wird nicht erreicht! Der Brandschutz ist so nicht genehmigungsfähig.
Das Schwallbauwerk Süd wird darüber hinaus zur Verlärmung des Kernerviertels führen. Der Schallgutachter der Bahn, Ingenieurbüro Fritz, bereits wegen seiner falschen, viel zu niedrigen Baulärm-Prognosen aufgefallen, hat der Bahn bescheinigt, dass der aus den großen Schwallöffnungen austretende Schienenverkehrslärm im Tunnel keine weiteren Maßnahmen erfordern würde, um den nach der 16. BImSchV (Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) zulässigen Immissionsrichtwert nachts von 54 dB(A) vor den Fenstern der umliegenden Wohnhäuser einzuhalten. Die Schallberechnung des IB Fritz ist jedoch fehlerhaft; der zulässige Wert wird deutlich überschritten. Zudem ist nicht einzusehen, warum hier der wesentlich höhere Grenzwert nach der 16. BImSchV zugrunde gelegt wird – nach TA-Lärm dürfen nachts nur 40 dB(A) (Wohngebiet) bzw. 45 dB(A) (Mischgebiet) nicht überschritten werden! Es wird mit S21 also künftig deutlich lauter werden; das Ruhebedürfnis der Anwohner ist der Bahn gleichgültig.
Dies gilt erst recht beim allmonatlichen Probelauf der Hochleistungsgebläse, die einen Höllenlärm machen, vergleichbar einem startenden Düsenjäger. Der Gutachter Ingenieurbüro Fritz lässt dafür an den umliegenden Wohnhäusern zwischen 6 und 22 Uhr einen Schallpegel von 70 dB(A) zu und nimmt dafür unzulässigerweise eine Ausnahmeregelung der TA-Lärm für seltene Ereignisse in Anspruch! Für die große Austrittsöffnung des Schwallbauwerkes gibt er 97 dB(A) an; doch auch hier ist seine Schallberechnung grob fehlerhaft– es muss stattdessen mit bis zu 124 dB(A) an der Schwallöffnung, unmittelbar neben dem Fußweg der Willy-Brand-Straße, und mit bis zu 94 dB(A) an den angrenzenden Wohnhäusern gerechnet werden, beides unzumutbar! Ich rate allen im Kernerviertel davon Betroffenen dringend, jetzt unbedingt beim EBA Widerspruch einzulegen.
Weitere Mogeleien der Bahn beim Brandschutz ergeben sich auch aus dem Besprechungsprotokoll des AK Brandschutz vom 22.1.2014.
So wurde gemäß Punkt 10 die planfestgestellte Befahrbarkeit der Tunnel mit Straßenfahrzeugen in die Tiefbahnsteighalle aufgehoben; damit entfällt ersatzlos die seinerzeit zugesicherte Rettungsmöglichkeit mit Notarzt- und Krankenwagen unmittelbar am Bahnsteig, wie dies im bestehenden Stuttgarter Kopfbahnhof jederzeit möglich war. Diese nachträgliche Aufhebung der Zufahrtmöglichkeit für Straßenfahrzeuge in die Tiefbahnsteighalle steht dem Abwägungsprozess der Planfeststellung entgegen und stellt diese damit insgesamt in Frage.
Weiter heißt es dort unter Punkt 7 zum Vorschlag der Feuerwehr, bei einem UTA-Termin ein Brand-Szenario öffentlich zu erläutern, dass Herr Bieger (DB) dies ablehnt, weil „die Erläuterung von Katastrophen bzw. das Aufzeigen von Worst-Case-Szenarien in der Öffentlichkeit häufig für Unruhe sorgt.“
Und unter Punkt 5 zur vorliegenden Evakuierungs-Simulation eines Zuges im Tunnel erklärt Herr Bieger, „dass es für die Erstellung von Entfluchtungssimulationen keinerlei rechtliche Grundlage gibt, sondern es sich in diesem Einzelfall um eine freiwillige Maßnahme auf Wunsch des AK Brandschutz handele, und die auf keinen Fall diese Ergebnisse so veröffentlichen will.“
Warum scheut Bieger das Veröffentlichen der Ergebnisse? Doch ganz offensichtlich deshalb, weil diese belegen, was wir schon immer sagen: Die Menschen kommen nicht schnell genug aus dem Zug heraus und in die sichere andere Tunnelröhre hinein; die Fluchtwege im Tunnel sind zu lang und zu schmal. Im Brandfall wird der Tunnel zur Todesfalle!
Doch die Bahn nimmt bewusst billigend in Kauf, dass es bei einem schweren Brand im S21-Tunnel hunderte Tote und Verletzte geben wird – im Gegensatz zum bestehenden oberirdischen Kopfbahnhof, der keine solchen kilometerlangen Tunnels benötigt und deshalb auch keine derartigen Gefahren aufweist.
Deshalb: Oben bleiben!
Dass der S21 Bahnhof keine Lüftung durch Ventilatoren benötigt ist keine neue Erkenntnis der Bahnplaner. Das steht schon seit vielen Jahren auf der S21 Seite der Bahn.
Wenn das die Kritiker nicht gemerkt haben sollte man das nicht der Bahn zum Vorwurf machen. Es hilft wenn man auch mal die Infos der Bahn liest.
@ Hans: Bitte um die Quellenangabe – was steht genau und wo „auf der S21 Seite der Bahn“?
Und dann stellt sich die Frage: Ist die Lüftung durch Ventilatoren planfestgestellt oder nicht? Wenn sie geplant war und beantragt wurde, wird es dafür ja Gründe gegeben haben? Was hat zu deren Wegfall geführt?
Der – mit Verlaub – Dummschwätzer „Hans“ antwortet nicht. Der Ingenieure22-Ingenieur Hans Heydemann aber schon. Hier seine Erläuterungen:
>Hinweis zu den Planfeststellungsunterlagen PFA 1.1: im Erläuterungsbericht der DB Netze AG als Vorhabenträger v. 9.2.2004 Teil III heißt es im Abschn. 2.1.6 „Schwallbauwerk Süd“ auf S.47 unter II: „Regulierung der Luftströme, die infolge geothermischer und zuginduzierter Luftströmungen in den südlichen Tunnelstrecken auf das Bahnhofshallenklima einwirken.“
Weiter heißt es dort auf S. 49: „Im Winterhalbjahr hingegen sind die Volumenströme aus der Bahnhofshalle hinaus in den Fildertunnel unerwünscht, weil sie den Aufenthaltskomfort in der Bahnhofshalle beeinträchtigen. Diese Beeinträchtigung wird mit Hilfe der Ventilatoren im Schwallbauwerk Süd kompensiert. Zudem ist es mit den Ventilatoren möglich, unerwünschte zuginduzierte Strömungen abzupuffern.“
Die planfestgestellte Belüftung der Tiefbahnsteighalle ist also nicht bestreitbar. Der Verweis auf die S21-Internetseite der DB PSU, wonach eine solche Belüftung der Tiefbahnsteighalle angeblich als nicht erforderlich angegeben wird, ist erstens baurechtlich ohne jede Bedeutung – es gilt die Planfeststellung! Um diese zu ändern, hat die DB PSU ja auch den Planänderungsantrag als 15.PÄ eingereicht.
Zum andern belegt dieser Änderungsvorgang genau dieses Planungs-Durcheinander der Bahn: Zur Erlangung der Planfeststellung wurde ausdrücklich eine Durchlüftung der Tiefbahnsteighalle vorgesehen und lüftungstechnisch begründet. Jetzt im Zuge der Bauausführung versucht die Bahn nun verzweifelt, durch alle möglichen Abstriche die absehbare Steigerung der Baukosten etwas abzumildern und durch diese mit zahllosen Planungsänderungen planungsrechtlich absegnen zu lassen – dies zu Lasten der Betriebstauglichkeit des Gesamtvorhabens und damit zum Nachteil der Allgemeinheit. < Mehr bei http://www.ingenieure22.de/