Die Vorgeschichte: Verurteilung am Amtsgericht
Der im Folgenden beschriebene Prozess des Angeklagten D. am Landgericht bestand aus drei Tatvorgängen im Zusammenhang mit K21-Demos im Jahr 2014, über die nacheinander verhandelt wurde. Zwei der Tatvorwürfe waren Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB, der dritte war der Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung. Alle drei Tatvorwürfe hatten zu einem Strafbefehl von 55 Tagessätzen je 40 Euro geführt, wogegen D. Einspruch eingelegt hatte, so dass sein Fall im Juli 2015 am Amtsgericht verhandelt worden war. Damals sprach die Richterin eine Gesamtstrafe von 50 Tagessätzen je 40 Euro aus.
Doch D. hatte in der Verhandlung am Amtsgericht nicht den Eindruck bekommen, dass die Richterin Interesse an einer detaillierten Aufklärung der drei Vorgänge gehabt hätte. So erklärte der Angeklagte auch zu Beginn der Verhandlung am Landgericht, warum er überhaupt in die Berufung gegangen sei: „Es wurde am Amtsgericht sehr schnell verhandelt. Wir hörten Zeugen und sahen Videos an. Da zeigten sich Diskrepanzen zwischen dem Strafbefehl und dem, was wirklich passiert war. Ich empfand das Urteil losgelöst von der Verhandlung, ich fühlte mich nicht ernst genommen. Ich hatte erhofft, dass die Richterin eine Begründung für ihr Urteil abgibt, das geschah aber nicht. Sie sagte einfach, dass die Vorwürfe in der Verhandlung bewiesen wurden, ohne auf Details einzugehen.“
Er wollte in die Berufung gegen das Amtsgericht-Urteil gehen mit der Hoffnung, dass der Richter am Landgericht genauer hinschaut. „Unabhängig davon, zu welchem Ergebnis man kommt“, betonte der Angeklagte. Nun war er am 22. Januar 2016 zur Berufungsverhandlung mit seinem Rechtsbeistand Jänicke erschienen.
In diesem Prozess ging es zwar um drei unterschiedliche Tatvorwürfe, die nacheinander verhandelt wurden, doch soll im Folgenden nur über die Verhandlung des ersten Tatvorwurfes (§ 113 StGB) berichtet werden. (Der Bericht über die beiden anderen Tatvorwürfe wird zu einem späteren Zeitpunkt auf BAA erscheinen.)
113 StGB: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – was ist das?
Im Strafgesetzbuch heißt es hierzu: „(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Wie in diesem Paragrafen steht, muss beim Widerstand „Gewalt“ im Spiel sein. Der Gewaltbegriff wird jedoch – von Polizisten und Justiz - sehr weit ausgelegt. Zum Widerstand-Leisten gehört eine aktive Tätigkeit, die es dem Vollstreckungsbeamten schwer oder unmöglich machen soll, seinen Auftrag zu erfüllen. Doch muss dieser Widerstand nicht unbedingt auf den ersten Blick gewalttätig erscheinen, sondern kann auch subtiler sein, wie z.B. das Losreißen bei einer Maßnahme oder das Sich-Dagegen-Stemmen („sich schwer machen“). In den K21-Prozessen nach der Parkräumung hat man gelernt, dass auch das Anketten als gewalttätiger, aktiver Widerstand angesehen wird, da es die Arbeit der Vollstreckungsbeamten erschwert hat. Nur der aktive Widerstand wird mit dem § 113 StGB geahndet. Der passive Widerstand – Sitzblockade oder das Nicht-Befolgen einer polizeilichen Anordnung z.B. - wird nicht als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewertet.
Das übliche Procedere nach einer Demo
Nun zum konkreten Fall: Die Vorgeschichte zu dieser nun am Landgericht verhandelten „Tat“ ist eine Situation, wie sie fast jeden Montag nach der Montagsdemo zu erleben ist. Der Demozug durch die Stadt bzw. die Königstraße nach der Kundgebung endet meistens auf der Schillerstraße. Hier machen die VersammlungsteilnehmerInnen den Schwabenstreich, demonstrieren und zeigen ihre Plakate und Banner. Nachdem die Demo von dem Versammlungsleiter für beendet erklärt wurde, steht man noch für eine Weile auf der Fahrbahn, bis es der Polizei reicht und sie mittels ihrer Durchsagen die Versammlung auflöst. Die meisten VersammlungsteilnehmerInnen begeben sich dann auf die Gehwege, einige bleiben weiterhin stehen, um den Protest gegen S21 deutlich zu machen. Dies ist nun das Zeichen der bereitstehenden PolizistInnen, die auf der Straße Verbliebenen „mit einfachem Zwang“ von der Fahrbahn zu schieben. Jetzt kommt es darauf an, wie willig sich die Demonstranten von der Straße wegbewegen bzw. ob sie mit einer Art von passivem Widerstand zeigen, dass sie eben nicht so schnell „das Feld räumen wollen“.
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auf der Schillerstraße
Dies war der Fall von D. nach einer Montagsdemo am 3.2.2014. Wie der Polizei-Zeuge in der Verhandlung am Landgericht sagte, wird diese „kleine Demo“ nach der offiziellen Beendigung der Montagsdemo von der Polizei als Spontandemo anerkannt. Aber auch hier wird bald durch polizeiliche Durchsagen - Auflösung der Versammlung – der „Demo nach der Demo“ ein Ende gesetzt. Die dann noch auf der Straße Verbliebenen werden – durch persönliche Ansprache - gebeten wegzugehen oder eben mit dem Einsatz von einfachem Zwang „weggedrückt“. Nun kommt es darauf an, wie leicht sich der Demonstrant wegschieben lässt. Macht er es dem oder den Polizisten schwer, gilt das als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ und kann mit einer Anzeige verfolgt werden.
Im vorliegenden Fall: Nachdem D. – der zusammen mit anderen Demonstranten einen Banner gehalten hatte – von der Fahrbahn gedrängt bzw. geschoben worden war und der Verkehr wieder fließen konnte, wurden keinerlei Personalien aufgenommen. Erst Wochen später erhielt er den Strafbefehl. In der Verhandlung sagte der Polizist im Zeugenstand auf die Frage, warum er nicht gleich die Personalien erfragt habe, sondern zunächst eine Anzeige gegen Unbekannt gemacht habe und erst nach einem zweiten Vorfall mittels eines Videos D. habe identifizieren können: „Es ist nicht üblich, dass bei so einer Demo gleich die Personalien aufgenommen werden, da dann sofort eine Traube von Menschen kommt, die schreien; da ist es nicht möglich, eine Anzeige zu machen.“
Motivation: „Der Platz vor dem Bahnhof gehört uns“
In seiner Einlassung macht der Angeklagte die tiefere Motivation deutlich, warum er nach der offiziellen Demo länger auf der Straße geblieben war: „Es war eine Zeit, in der die Stadt und die S21-Gegner sich nicht einig waren, wo die Montagsdemos ihren Platz und ihr Recht haben. Wir S21-Gegner hatten Meinungsverschiedenheiten mit der Behörde. Wir sind von der großen Straße am Bahnhof verdrängt worden. Wir wollten uns aber nicht den Demo-Ort vor dem Bahnhof nehmen lassen und stattdessen auf dem Marktplatz oder dem Schlossplatz stehen. Auch ich wollte nahe am Bahnhof sein. Aber im Winter 2014 wurden die Kundgebungen vom Bahnhof wegverlegt und nur der Demozug ging zum Bahnhof. Hier sah ich aber meinen eigentlichen Demo-Ort. Wir wollten ja gesehen werden. Wir wollten nicht in die dunkle Lautenschlagerstraße, unser Protest sollte wahrgenommen werden. Ich hatte das Gefühl, wir sollten aus dem Blickfeld der Stadt verschwinden. Wir waren aber bemüht, uns lange zu zeigen.“
Frage von Rechtsbeistand Jänicke an den Polizeizeugen: „Haben Sie ein gewisses Verständnis, dass viele Teilnehmer der Demos sich so verhalten? Können Sie nachvollziehen, dass den Demonstranten der Klett-Platz als Demo-Ort genommen wurde und sie nun darauf beharrten?“ Polizeilicher Einsatzleiter:„Ja, aber …“ Er führt aus, dass er eine Verantwortung für alle Verkehrsteilnehmer habe und dass die Demostrecke eingehalten werden müsse, dass er eine Gesamtverantwortung habe, wenn Demoteilnehmer Verkehrsbereiche betreten. Durch das Stehen auf der Schillerstraße sei es zu einer starken Verkehrsbelastung auf der Heilbronner Straße gekommen; das musste die Polizei entlasten und deshalb schnell räumen.
Darauf der Angeklagte: „Herr W. begründet sein Verhalten damit, dass der Verkehr fließen muss. Ich sage aber, dass S21 den Verkehr mehr behindern wird als eine halbe Stunde Verkehrsstau wegen einer Demo. Ich sage das nur, um das Motiv meiner Handlung zu verdeutlichen.“ Der Vorsitzende Richter am LG, Müller, bestätigt: „Ihr Motiv liegt auf der Hand. Es gehört in den Bereich der allgemeinen politischen Aussagen.“
Die Aussagen des Angeklagten zum „Schieben“
Im Weiteren geht es um das Wegschieben des Angeklagten, was dann den Tatvorwurf einer Widerstandshandlung zur Folge hatte. Dazu der Angeklagte: „Nach dem Demozug wollte ich meinem Protest noch weiter Ausdruck geben. Ich stand mit anderen und dem Banner „Schluss mit Natur- und Stadtzerstörung“ auf dem Fußgängerüberweg und blieb bei Rot stehen. Als die Polizisten kamen, wurde ich angesprochen, dass ich weggehen soll. Wenn ich das nicht täte, würden sie mich schieben. Ich sagte, gut, dann schieben Sie mich. Es war für mich nicht ersichtlich, dass das Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist. Dann kamen drei Polizisten. Der Gewaltvorwurf kam für mich völlig überraschend. Ich hielt mit beiden Händen das Banner fest, ich konnte mit meinen Armen gar nicht Widerstand leisten. Der Gewaltvorwurf ist nicht ersichtlich. Man sieht in dem Video, dass ich mich nach vorne beuge und rückwärts gehe. Das ist eine Maßnahme zur Eigensicherung, kein Widerstand. Sonst wäre ich nach hinten umgefallen. Ich wurde über drei Verkehrsspuren geschoben, das hat ein paar Sekunden gedauert, schneller kann es nicht gehen.“
Die Zeugen sind im Saal
An dieser Stelle muss auf einen Umstand im Gerichtssaal hingewiesen werden, der – zumindest für den juristischen Laien - irritiert: Als der erste polizeiliche Zeuge in den Saal gerufen wird, sitzt dieser zur Überraschung bereits mit einem weiteren Polizeizeugen dort im Zuhörerraum. Dies ist zwar nicht ausdrücklich verboten, aber es besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass ein Zeuge seine Aussage der zuvor gehörten Einlassung des Angeklagten je nach Bedarf anpassen kann. Schwer begreiflich ist allerdings, dass dieser „Fauxpas“ ausgebildeten Polizisten unterläuft. Sie haben damit zwar keinen Revisionsgrund geliefert, doch kann dieses Verhalten eines Zeugen seine Glaubwürdigkeit mindern. Rechtsbeistand Jänicke formuliert den Tatbestand und lässt ins Gerichtsprotokoll aufnehmen, dass die beiden Polizeizeugen bei der Aussage des Angeklagten zugegen waren.
Erster Zeuge der Widerstandshandlung
Im Folgenden geht es um den Widerstand des Angeklagten. Als erster Zeuge führt Polizeihauptmeister P. aus: „Als ich begonnen habe, Herrn D. zu schieben, hat er sich mit dem Körper dagegengestemmt. Allein wär´s schwer gewesen ihn wegzuschieben. Zwei Kollegen kamen zur Hilfe.“ In der folgenden Zeugenbefragung geht es um Unterschiede in der Wahrnehmung.
Rechtsbeistand J.: „Wie lange dauerte es, um den Angeklagten zu schieben?“
Polizist: „Ein paar Sekunden“.
J.: Wie lange dauert es, ohne zu schieben von der Straße wegzugehen?
P.: „Ein paar Sekunden“.
J.: Was ist der Unterschied?“
P.: „Der Kraftaufwand.“
J.: Was wäre gewesen, wenn mein Mandant sich hätte fallen lassen?“
P.: Er hätte sich vielleicht verletzt.“
J: Wie lange hätte das gedauert?
P: Wahrscheinlich länger.
J: Warum ist es Ihrer Meinung nach Widerstand, wenn man sich schieben lässt?
P: Es kommt darauf an, wie man Gewalt definiert. Es war eine Gewalt gegen eine Maßnahme. Es war aktiver Widerstand.
J: Wenn Sie schieben müssen, ist das für Sie Widerstand gegen eine Gewaltanwendung der Polizei. Was ist, wenn mein Mandant sich aber hinsetzt und Sie müssen ihn wegtragen?
P: Hinsetzen ist okay. Dann wird er getragen und bekommt eine Rechnung. Aber keine Anzeige.
J: Sich hinsetzen ist also passiver Widerstand, sich schieben lassen ist aktiver Widerstand.
Nachdem sich alle Teilnehmer ein Video von der Situation vor Ort angesehen haben, erklärt der Angeklagte: „Man hat gesehen, dass ich die Vollstreckungsmaßnahme erduldet habe. Ich war bemüht, unter Kontrolle zu bleiben.“
Zweiter Zeuge der Widerstandshandlung
Die zweite Zeugin, POMin H., die zusammen mit ihrem Kollegen den Angeklagten von der Straße weggeschoben hatte, gehörte an jenem Tag zur „taktischen Einsatzgruppe“. Sie kann allerdings im Zeugenstand kaum etwas beitragen, da sie „keine detaillierte Erinnerung zu dem Vorgang habe“. Auf den Vorhalt des Rechtsbeistands, dass sie ja keine Anzeige gemacht habe, fragt sie zurück: „Was hat das mit der Sache zu tun?“ Worauf Jänicke meint: „Man kann sehr wohl die Frage stellen. Es könnten ja unterschiedliche Ansichten über Gewalt bestehen. Für den einen ist die Schwelle überschritten, der andere empfindet eine Handlung nicht als Gewalt.“ Und der Angeklagte D. stellt seine Frage ganz konkret an die Polizistin: „Haben Sie mein Verhalten als Gewalt erlebt?“ Worauf sie meint, sich nicht mehr erinnern zu können. Damit ist die Zeugin, die sich eigentlich gar nicht erinnern kann, entlassen und die Beweisaufnahme beendet.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwältin betont in ihrem Strafantrag, dass der Sachverhalt sich gezeigt habe wie in der ersten Instanz am Amtsgericht, d.h. keine neuen Erkenntnisse gewonnen wurden. Der Angeklagte habe Kraft aufgewendet, um die polizeiliche Maßnahme zu erschweren. Die Maßnahme sollte von Seiten der Polizei mittels ganz geringer Aufwendung von Zwang erfolgen, der Angeklagte habe sich aber dagegen gestemmt. Dies sei Widerstand, allerdings im unteren Rahmen. Obwohl der Angeklagte den Sachverhalt teilweise eingeräumt habe, habe er mangelnde Unrechtseinsicht gezeigt. Deshalb plädiere sie für 30 Tagessätze je 40 Euro.
Plädoyer des Rechtsbeistands
Rechtsbeistand Jänicke schildert in seinem Plädoyer zunächst die Situation Anfang 2014, als die Diskussion über den Standort der Montagsdemos sehr emotional geführt wurde. Nur so sei nachzuvollziehen, weshalb die Menschen am Ende des Demozuges auf der Schillerstraße bei Rot stehen geblieben seien. Hier gehe es nun um die Frage, ob sein Mandant sich den Vollstreckungsmaßnahmen der Beamten widersetzt habe. Die Rechtsprechung sei sich einig: Passiver Widerstand fällt nicht unter den § 113. Das heißt, hätte sich sein Mandant bei der ersten Berührung durch den Polizisten einfach fallen gelassen, hätte er nicht strafbar gehandelt im Sinne von § 113. Es hätte jedoch erheblich länger gedauert, ihn von der Straße wegzubekommen. Und weiter: „Während der Zeuge sagte, dass Herr D. in wenigen Sekunden von der Straße weggebracht wurde, hätte es bei einem Fallenlassen oder Hinsetzen sicher fünf, sechs oder noch mehr Minuten gedauert. Kann es sein, dass etwas, das schneller ging, mit 30 Tagessätzen bestraft wird? … Sehen wir uns das Strafrecht an. Der Strafzweck von § 113 ist, die Vollstreckungsbeamten in ihrer Ausübung des Berufs zu schützen. Ein Staat, der uns schützt, muss seine Polizisten schützen. Aber wovor? Nicht davor, dass der Dienst anstrengend ist. Und Polizeidienst ist auch ohne Herrn D. anstrengend. Aber der Bürger muss nicht vor der Polizei kuschen. Bei meinem Mandanten hatten die Polizisten drei Sekunden Mehraufwand. 30 Tagessätze à 40 Euro stehen in überhaupt keinem Verhältnis dazu. Das hieße mit Kanonen auf Spatzen zu schießen; das sollte sich das Gericht nicht zumuten. Die Schwelle zum aktiven Widerstand ist nicht eindeutig zu belegen. Nur wenn der Polizist sagt, es sei schwer gewesen, sehe ich das nicht als ausreichend für gewalttätigen Widerstand an. Ich fordere Freispruch für meinen Mandanten.“
Schlusswort des Angeklagten
„Für mich persönlich stellt sich die Frage nach Gewalt und Gewaltlosigkeit. Polizisten schieben mich von der Straße. Herr P. hat einen erhöhten Widerstand gespürt. Woran macht man fest, dass ich Gewalttäter, die Polizei die Gewaltopfer sind? Sitzen bleiben ist gewaltfrei, stehen bleiben ist Gewalt - das ist für mich schwer nachzuvollziehen. Ich habe mich bewusst für diese Form des Widerstands entschieden, ich habe mich nicht hingesetzt, sondern bin stehen geblieben und habe mich schieben lassen. Wie bei einer Sitzblockade sehe ich das als gewaltfrei an. Wenn ich aus einer Sitzblockade weggetragen werde, müssen die Polizisten auch Kraft aufwenden, mehr sogar als beim Schieben. Es freut mich aber, dass der Herr Richter meine Motivation verstanden hat.“
Das Urteil im Namen des Volkes
Der Angeklagte wird zu einer Strafe von 30 Tagessätzen je 40 Euro verurteilt, wie es auch die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Der Vorsitzende Richter am Landgericht Müller betont in seiner Begründung zunächst die ordnungsgemäße Handlungsweise der Polizei mit Versammlungsauflösung, mehrfachen Durchsagen und Androhung von einfachem Zwang im Falle der Räumung. Formell sei alles rechtmäßig. Erst dann habe die Polizei den Angeklagten weggeschoben. Widerstand erfordere keine aktive Gewalttätigkeit, auch das Beharren auf einen bestimmten Ort und somit gegen eine Maßnahme sei Gewalt. Der Angeklagte habe sich nicht aus Gleichgewichtsgründen gegen die Polizisten gestemmt, sondern um länger auf der Fahrbahn zu bleiben. Da der Angeklagte nicht vorbestraft sei, sehe er 30 Tagessätze als angemessen an. Die Möglichkeit zur Revision beim Oberlandesgericht sei gegeben.
Einschätzung des Angeklagten:
Der Angeklagte war in diesen Prozess gegangen mit der "Hoffnung, dass der Richter am Landgericht genauer hinschaut." Natürlich hätte er aus seiner Sicht und mit seinem Verständnis von "Gewalttätigkeit bzw. Gewaltfreiheit" einen Freispruch erhofft, da er nach wie vor nicht erkennt, dass er gewalttätig gehandelt haben soll. Doch kann er mit dem Urteil leben - wie er sagt -, da er seine Erwartungen an eine genauere Aufarbeitung der Vorgänge vor Ort, die Befragung von Zeugen und die Erörterung der juristischen Positionen erfüllt sieht.
(Bericht: Petra Brixel)