Rede von Dr. Bernhard Knierim, Bahn für Alle, auf der 308. Montagsdemo am 1.2.2016
Unterirdisch nicht nur in Stuttgart: Warum es bei der Bahn hakt
Liebe Mit-Demonstrantinnen und -Demonstranten, liebe Kämpferinnen und Kämpfer für eine bessere Bahn!
Seit Dezember tönt es durch alle Medien: Die Deutsche Bahn AG ist in einer erheblichen Schieflage – und damit ist nicht der wahrhaft unterirdische schiefe Bahnhof hier in Stuttgart gemeint.
Für das Geschäftsjahr 2015 werden hohe Verluste erwartet. Was ist da los, wo doch die immer weiter explodierenden Kosten von Stuttgart 21 bislang noch gar nicht in der Bilanz stehen?
Es kriselt fast überall im Konzern: Der Schienengüterverkehr läuft nicht rund, die ganze internationale Logistik ebenso wenig, im Fernverkehr laufen die Fahrgäste zu den Bussen über, und im Regionalverkehr gibt es auch keine so lukrativen Verträge mehr wie noch vor einigen Jahren.
Früher waren die Zeiten aus Sicht der DB AG besser: Besonders der Nahverkehrsvertrag hier in Baden-Württemberg – ausgehandelt von einem gewissen Stefan Mappus, damals Staatssekretär im Ministerium für Verkehr und Umwelt, war legendär: Baden-Württemberg zahlt bis heute die höchsten Preise für die ältesten Regionalzüge. Das war das Geschenk des Landes als Gegenleistung dafür, dass die DB AG Stuttgart 21 baut. Denn damals war schon klar, dass sich das Projekt nicht rechnet. Aber so funktioniert halt Politik: Eine Hand wäscht die andere, gezahlt wird’s aus den öffentlichen Kassen.
Ein weiteres Krisenthema der Bahn: Die Verschuldung. 1993 hieß es: Die Bundesbahn ist ein untragbares Haushaltsrisiko, sie hat fast 50 Milliarden DM an Schulden. Diese Schulden hatte die Bundesbahn in über vier Jahrzehnten verfehlter Verkehrspolitik angehäuft. Aber jetzt kommt die Deutsche Bahn AG – seit 1994 privatrechtlich organisiert: Heute hat sie schon über 18 Milliarden Euro Schulden, im Zuge der aktuellen Krise ist schon von 22 Milliarden die Rede.
Das heißt: Die ach so effiziente Deutsche Bahn AG hat gerade einmal halb so lange gebraucht, um den gleichen Schuldenberg anzuhäufen wie die ach so ineffiziente Bundesbahn! Und das, obwohl sie Milliarden von ererbtem Tafelsilber in Form von Immobilien und Grundstücken verscherbelt hat. Und auch diese Schulden sind letztlich Staatsschulden, denn die DB AG ist zu 100 Prozent im Bundesbesitz.
Aber jetzt hat die Deutsche Bahn gemeinsam mit den unvermeidlichen Beratern von McKinsey ein Programm zur Lösung der Krise entwickelt. Es heißt „Zukunft Bahn“ – und der Name ist schon die erste Lüge. Denn bei dem Programm geht es vor allem um Abbau:
- Der Güterverkehr soll massiv zusammengestrichen werden, viele Güterbahnhöfe sollen geschlossen werden und 2600 Jobs werden abgebaut. Wie war das nochmal mit der Verlagerung von Transporten auf die Schiene? So kann das wohl nichts werden.
- Aber dafür bekommt der Güterverkehr einen neuen Namen: Er heißt jetzt DB Cargo. Und jetzt dürfen wir alle raten, wie der Güterverkehr in den 1990ern hieß? DB Cargo, dann Railion, dann Schenker Rail, jetzt wieder DB Cargo. Das ist ein Förderprogramm für die Lackhersteller, aber kein Zukunftskonzept!
- Die nächste Maßnahme: Der Nachtzugverkehr wurde in den letzten Jahren schon massiv zusammengekürzt, obwohl es nach wie vor eine große Nachfrage gibt. Jetzt soll er noch in diesem Jahr ganz gestrichen werden. Da bleibt auf den meisten längeren Strecken als Alternative nur das Flugzeug. Wie war das nochmal mit den Klimazielen? Das ist definitiv die falsche Maßnahme dafür.
- Und jetzt festhalten, hier kommen die wirklichen Krisenlösungen zur Behebung von „Komfortstörungen“, wie Bahnchef Grube das nennt: Ab sofort sollen „nächtliche Standzeiten“ von Zügen zur Reparatur genutzt werden. „Werkstattkapazitäten“ werden jetzt „konsequent“ genutzt. Ein „Schlepplokdienst für liegen gebliebene Züge“ macht die Strecken schneller wieder frei, und es gibt in Zukunft Mitarbeiter, die sich „um die pünktliche Abfahrt von Zügen kümmern“.
Wenn das alles neu ist, dann ist das der eigentliche Skandal. Entschuldigung, Herr Grube, das sollten doch alles absolute Selbstverständlichkeiten sein! - Und das Beste am Schluss: Zur Abwechslung will die DB AG wieder einmal in eine neue Branche einsteigen, diesmal geht sie ins Paketgeschäft.
Da muss man doch fragen: Geht’s noch? Das Kerngeschäft Bahnverkehr wird immer weiter abgebaut und das bahnfremde Geschäft wird trotz der desolaten Situation noch weiter ausgebaut. Und das auch noch in einer Branche, wo der Konkurrenzkampf schon jetzt enorm ist?
Das muss man sich jetzt einmal klarmachen: In den 1990er privatisieren wir also zwei Staatskonzerne – Bahn und Post. Und zwei Jahrzehnte später machen sich die beiden überall gegenseitig Konkurrenz, versagen aber dafür im jeweiligen Kerngeschäft: Der Postbus gegen den Fernverkehr der Bahn, der DB-Paketdienst gegen die Postpakete, und beide wollen die weltgrößten Logistikunternehmen sein – die Post ist es sogar. Aber dafür fahren die Züge der DB nicht mehr zuverlässig, und die Briefe und Pakete der Post kommen auch nicht mehr verlässlich an. Das nennt sich dann: Fortschritt durch Privatisierung!
Genug gespottet, hier hinstellen und meckern kann jeder. Was sollte die Deutsche Bahn stattdessen tun, um die Krise zu bewältigen?
Wir von ‚Bahn für Alle‘ sagen: Die DB muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Wir brauchen eine andere Bahnpolitik, wir brauchen überhaupt wieder einmal eine Bahnpolitik. Und die Deutsche Bahn sollte einfach ihren Namen ernst nehmen statt „Global Player“ zu spielen.
Damit die Bahn eine Zukunft hat, muss sie all die in den letzten Jahren zugekauften Unternehmen, die nichts mit Bahnverkehr hier zu tun haben und die nur unnötige Risiken bedeuten, so schnell wie möglich verkaufen. Mit diesen Unternehmen verdient die Deutsche Bahn sowieso kein Geld, sondern das bekommt sie letztlich vom Bund. Das ganze weltweite Logistikgeschäft – inklusive Schiffstransporten und Luftfracht, der Busverkehr in ganz Europa, der seit ein paar Jahren unter der Marke „DB Arriva“ läuft, all das hat mit dem Bahnverkehr hier nichts zu tun. Wenn man das verkauft – und ich meine wirklich verkaufen, keine Teilprivatisierung mit neuen Risiken! – dann kann man sehr schnell 10 Milliarden Euro einnehmen und hätte die enorme Schuldenlast schon einmal halbiert.
Rüdiger Grube sollte sich damit übrigens auskennen, denn auch sein alter Arbeitgeber Daimler wollte einmal „Global Player“ spielen, ist damit krachend gescheitert und hat sich nur durch die Rückabwicklung gerettet.
Und dann muss sich die Bahn endlich wieder auf das „Brot-und-Butter-Geschäft“ konzentrieren, wie Rüdiger Grube es nennt. Das heißt: pünktliche und zuverlässige Züge, ein überschaubares Preissystem, und Bahnanschluss nicht nur in den Metropolen, sondern überall im Land. Und nicht zuletzt heißt das auch: Erhalt der Nachtzüge, damit man auch weiter auf Verbindungen quer durch Europa klimafreundlich und komfortabel reisen kann.
Und einen wichtigen Punkt habe ich mir ganz für den Schluss aufgehoben: Stuttgart 21 muss natürlich sofort gestoppt werden. Damit kann die Deutsche Bahn viele Milliarden sparen, denn das Geld wir an vielen anderen Stellen im Bahnnetz dringend benötigt! Und für den Bahnverkehr ist ein erneuerter Kopfbahnhof allemal die bessere Option.
In diesem Sinne gilt für die Deutsche Bahn generell und ganz besonders hier in Stuttgart: Oben bleiben!
Wenn es bei dem Projekt „Zukunft Bahn“ (in dem von Grube Selbstverständlichkeiten zum Besten gegeben werden) hauptsächlich um Abbau geht müsste das Projekt doch eher „Abbauoffensive“ heißen. Oder nicht?!
Das was Grube das „Brot und Butter Geschäft“ nennt, nämlich das Kerngeschäft, ist für die deutsche Bevölkerung (zumindest für den bahnfahrenden Teil) „Lachs und Sekt“. Mit solchen „Verdrehungen“ von Begriffen wird schon manipuliert.