Bei der 267. Montagsdemo gegen S21 stellt Architekt Peter Conradi fünf Forderungen an den neu zu wählenden Baubürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart vor.
Fünf Forderungen an den zu wählenden Baubürgermeister
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde des Kopfbahnhofs Stuttgart und liebe MitkämpferInnen gegen S 21,
Tom Adler, Linker Stadtrat im Stuttgarter Gemeinderat, und das Demo-Team haben mich gebeten, etwas zur Städtebaupolitik anlässlich der bevorstehenden Wahl eines neuen Baubürgermeisters im Stuttgarter Gemeinderat zu sagen. Das tue ich gerne, und ich freue mich, dass diese aktive und kompetente Bewegung gegen S 21 etwas zu unserer Stadt hören und sagen will, denn diese Bürgerbewegung ist ja ein großes Geschenk, eine Liebeserklärung für Stuttgart, und ich wünschte mir, der Oberbürgermeister, der Gemeinderat und die Stadtverwaltung würden uns als aktive BürgerInnen verstehen, die sich nicht nur für K 21 und gegen S 21, sondern für diese Stadt einsetzen. Sie sollten Briefe und Gesprächsanfragen, so wie sich das gehört, beantworten und das offene Gespräch mit uns suchen,
Vor der Sommerpause wird der Gemeinderat einen neuen Baubürgermeister wählen – bestellen heißt es in der Gemeindeordnung – und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dafür ein Vorschlagsrecht, weil die Grünen bisher in der Bürgermeisterrunde nicht entsprechend ihrer Stärke im Gemeinderat vertreten sind. Beides halte ich für unstrittig, und zu Personen will ich mich hier und sonst nicht äußern. Die Ausschreibung der Stelle im Stuttgarter Amtsblatt und im Staatsanzeiger ist leider dürftig; 12 nichtssagende Zeilen, für jeden Hausmeister einer Schule fällt der Stadt mehr ein. Nach der Festlegung der Grünen Ratsfraktion auf einen Bewerber vor der öffentlichen Ausschreibung hat man den Eindruck, ernsthafte Bewerbungen für diese Stelle seien gar nicht erwünscht. Das ist für Stuttgart ein Armutszeugnis.
Angesichts des bevorstehenden Wechsels im Amt des Baubürgermeisters wäre ein Nachdenken und Reden über die zukünftige Städtebau- und Umweltpolitik Stuttgarts notwendig. Im Gemeinderat wird das offensichtlich nicht so gesehen. Soll darüber erst nach der Wahl geredet werden? Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-PluS hat im vergangenen Jahr mit ihrer Tagung "Stuttgart für Alle" dazu immerhin einen ernsthaften Beitrag geliefert.
Es war ja nicht alles falsch und schlecht, was in den letzten Jahren in Stuttgart beschlossen und geplant wurde. Ich begrüße es ausdrücklich, dass unter OB Fritz Kuhn endlich der Verkauf stadteigener Grundstücke und Gebäude nicht mehr wie jahrzehntelang bisher nach dem Höchstpreis, sondern nach einem Konzeptverfahren verläuft, bei dem der Käufer einen Vorschlag für den Bau und für dessen Nutzung vorlegen muss. Bei der Entscheidung über den Verkauf soll das Konzept mit 70 Prozent, der Preis mit 30 Prozent bewertet werden. Das ist ein überfälliger Fortschritt.
Ich sehe eine erste wichtige Forderung darin, dass nicht immer vorrangig die großen anonymen Investoren zum Zuge kommen, die am kurzfristigen Gewinn interessiert sind und kein Interesse an unserer Stadt haben. Stuttgart braucht eine Vielfalt von Bauträgern, und deshalb sollen die Bebauungspläne auch kleinere Grundstücke für Stuttgarter Bauträger ausweisen. Ein Blick in Stuttgarter Stadtteile aus dem 19. Jahrhundert, zum Beispiel den Stuttgarter Westen und Osten, zeigt, was auch heute noch eine lebendige Stadt ausmacht: kleine Parzellen, dichte Bebauung, unten Läden und Büros, darüber Wohnungen. Nicht riesige Baugrundstücke für riesige Investoren und riesige Neubauten mit ein paar superteuren Wohnungen wie im Baugebiet A1, dem sogenannten Europaviertel – ist Europa wirklich so schlimm wie dieses Viertel? – sondern eine vitale Mischung von Arbeiten und Wohnen zu erschwinglichen Preisen und Mieten.
Stuttgart braucht, das ist mein zweiter Punkt, eine ressortübergreifende Planung für eine soziale Vielfalt, die städtebaulichen, sozialen, ökologischen und kulturellen Kriterien entspricht. Dazu müssen die Ressorts miteinander reden und planen. Es darf nicht sein, dass vor allem die Liegenschafts- und Finanzverwaltung der Stadt die Stadtentwicklung bestimmt! Wo kein Einvernehmen zwischen der Liegenschaftsverwaltung und der Stadt- und Sozialplanung erzielt werden kann, müssen der OB und der Gemeinderat entscheiden.
Drittens: Kleine korrekturfähige Projekte sind sinnvoller als riskante Großprojekte. Eine Wohnbebauung für 350 neue Wohnungen am Theaterhaus ist nicht so gut wie fünf Projekte von fünf Bauherren oder Baugenossenschaften für je 70 Wohnungen; das würde städtebaulich, architektonisch, sozial, ökologisch und kulturell interessanter als die Monostrukturen wie zum Beispiel die neue Killesbergbebauung für reiche Leute.
Viertens: Die Stadt soll sich bei neuen Baugebieten Vorkaufsrechte sichern und damit Einfluss auf die zukünftige Bebauung und Nutzung nehmen. Hannes Rockenbach und die Fraktion SÖS-Linke-PluS haben Recht, wenn sie verlangen, die Stadt solle Grundstücke nicht verkaufen, sondern stattdessen Erbbaurechte vergeben. Jeder Grundstücksverkauf durch den Finanzbürgermeister ist ein Geschäft zum Schaden der Stadt und zum Nutzen der Investoren, denen die steigenden Grundstückspreise zufallen.
Fünftens und zum Schluss: Stuttgart braucht beispielhafte Projekte, mit denen sich Stuttgarts Bürgerschaft identifizieren und auf die sie stolz sein kann, so wie zum Bespiel die Liederhalle von Rolf Gutbrod und der Fernsehturm von Fritz Leonhard, die Staatsgalerie von James Stirling und früher der inzwischen teilzerstörte Hauptbahnhof von Paul Bonatz.
Für uns ist Stuttgart nicht nur S21, wir sind auch an der Stadtentwicklung und Stadtplanung interessiert, und wollen uns da einmischen in den Bezirksbeiräten, in den Bürgervereinen, in den Parteien, in den Elternbeiräten und Kirchengemeinderäten, bei den ArchitektInnen für K 21, den Ingenieuren22 und den Juristen. Wir haben etwas zu sagen, und wir wollen mit vielen Anderen darüber diskutieren, wie Stuttgart zukünftig aussehen und wie wir in dieser Stadt leben wollen.