Das hohe Gut der Öffentlichkeit
Stellen wir uns vor, es gäbe keine öffentliche Berichterstattung aus den Gerichtssälen. Das wäre dann wie im Mittelalter, wo zwischen Tathergang und Verurteilung ein Geheimprozess stattfindet, dessen Ergebnis der Öffentlichkeit präsentiert wird, das diese aber nicht aus eigener Anschauung nachvollziehen kann. „Das geht gar nicht“, sagen wir heute. Aber erst mit der französischen Revolution 1789 wird Öffentlichkeit in der Justiz hergestellt; und in den deutschen Staaten wird mit der Revolution 1848/49 die öffentliche Verhandlung in die Prozessordnung aufgenommen. Im Grundgesetz Artikel 5 (freie Meinung, Pressefreiheit) ist heute der fast uneingeschränkte Zugang zu Informationsquellen und die Berichterstattung darüber festgelegt: „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Öffentliche Kontrolle
Zum Rechtsstaatsprinzip gehört also die Öffentlichkeit bei Prozessen, wo die Transparenz staatlichen Handelns – hier in Form der Verhandlung – gewährleistet sein sollte. Dass im Gerichtssaal nur sehr eingeschränkt fotografiert und gefilmt werden darf und dass Verhandlungen nicht auditiv mitgeschnitten werden dürfen, mag nicht zur Vertrauensbildung in die Rechtsprechung beitragen, doch soll die Diskussion darüber an dieser Stelle nicht geführt werden. Immerhin gibt es durch die Präsenz der Zuschauer im Gerichtssaal und mittels Berichterstattung über das Verfahren (durch Mitschriften) eine gewisse öffentliche Kontrolle.
Das aufmerksame Publikum
Sicher hätten Richter und Staatsanwaltschaft in so manchen S21-Prozessen gern die kritische Öffentlichkeit ausgeschlossen. Ich will mir aber nicht ausmalen, wie ein Prozess verlaufen würde, wenn ein interessiertes, waches und kritisches Publikum nicht dabei wäre. Nach jedem Prozess wird diskutiert, denn fast jede Verhandlung entpuppt sich zu einer Lehrveranstaltung über Recht und Gerechtigkeit. Kenntnisse über das Rechtssystem werden geschaffen und erweitert; jede Verhandlung birgt einen Aha-Effekt und bringt den am juristischen Vorgehen interessierten Rechtslaien ein Stück weiter auf dem Weg zum Durchschauen des Rechtssystems.
Dank an die Rechtsversteher
Dankbar ist man für Moderatoren, die manch Unverständliches interpretieren und so können wir uns in der K21-Bewegung glücklich schätzen für einen Rechtsverständigen wie den ehem. Richter Dieter Reicherter und auch für den geduldigen Arbeitskreis Jura. Es ist sicher nicht einfach, der in Rechtsfragen einstmals unbedarften K21-Bewegung mit Geduld zu begegnen und immer wieder die Grundlagen juristischer Vorgehensweise und Entscheidungen zu analysieren und den Menschen verständlich zu machen.
Blick hinter die Kulissen des „Ehmannstraßen-Prozesses“
Durch den Besuch von Gerichtssälen und die Gerichtsberichterstattung ist es möglich, einen ganz kleinen Blick hinter die mit Roben verhangenen Kulissen des Gerichts zu werfen; immer unter der Prämisse, dass das Gesehene und Gehörte - also der reine Prozess – noch verdaut, analysiert und interpretiert werden muss. Dies soll an dem Beispiel des Prozesses vom 23. März 2015 – unter dem Namen „Ehmannstraße“ – versucht werden.
Bei dem Prozess (Bericht s. o.) ging es um angebliche Nötigung von Baufahrzeugen an der Stuttgarter Ehmannstraße am 25. Februar 2013. Aber es ging um weit mehr. Es ging auch um Schlamperei bei der Ermittlung am Tatort, um Schlamperei bei den nachfolgenden polizeilichen Recherchen, um die Bewertung der Ermittlungsergebnisse durch Staatsanwaltschaft und Richter, um viele unbeantwortete Fragen, um fehlende Zeugen, um selbstherrliche Prozessführung, um die Relevanz des Grundgesetzes und um persönliche Meinungen des Gerichts. Und es ging – wieder einmal - um die Glaubwürdigkeit der Stuttgarter Justiz. Nicht weniger als das.
Gefahr von Justizverdrossenheit
Welches Spiel wird hier gespielt? Geht es - auch - um Abschreckung? Geht es immer noch um den Häussler´schen Geist, der jede S21-Ermittlung mit einer Verurteilung enden lassen will? „Klappe zu, Fall erledigt, der Nächste bitte!“, steht in einem Kommentar der Stgt. Zeitung am 25.3.2015 zu der mangelhaften Aufklärung im Fall des Feuertods von Florian H. Auch auf den Fall „Ehmannstraße“ passt dieser Kommentar. Leider schaffen es die meisten S21-Verfahren, die so oder ähnlich verlaufen, nicht bis in die Medien. Justizminister Stickelberger scheint keine Ahnung zu haben von der Schlamperei bei Ermittlungen, die sich wie ein Geschwür auch durch die S21-Verfahren zieht. Eigentlich müssten im Justizministerium, bei der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlern alle Glocken schrillen. Das Image dieser Institutionen steht auf dem Spiel. Das zu verhindern, sollte Priorität im Justizapparat haben. Bürger mit Politik- und Politikerverdrossenheit gibt es inzwischen genug. Wenn sich dazu auch noch eine Justizverdrossenheit gesellt, ist es besonders schlimm. Denn Politiker kann man wählen und abwählen. Einem Justizapparat ist der Bürger jedoch gnadenlos ausgeliefert. In Anbetracht dieses Umstandes sollte die Justiz eigentlich besonders akkurat arbeiten. Denn Ermittlungspannen hat immer der Angeklagte auszubaden. Wie in diesem Fall.
Unabhängigkeit des Richters?
Vielleicht könnte man sich eine Analyse zu einzelnen Punkten des „Ehmannstraßen-Prozesses“ ersparen, wenn man sich die Worte des Richters in seiner Urteilsbegründung anhört, die da u.a. heißen: „Insgesamt halte ich Blockadeaktionen für sozialwidrig.“ Geht es um die Meinung des Richters? Wenn er mit einer vorgefassten Meinung, die dann offensichtlich die Basis für seine Verurteilung ist, in den Prozess geht – wie steht es dann mit der Unabhängigkeit? Wann fängt Befangenheit an? Kann ein Richter angesichts dieser Meinung einen Prozess führen, in dem es um Blockaden und Versammlungsrecht geht? Ist es dann nicht vermessen, auf korrekten Ermittlungen zu bestehen, auf in sich schlüssige Befragung von Zeugen und darauf, offensichtlichen Ungereimtheiten nachzugehen? Mahnt man mit der Unvoreingenommenheit nicht etwas an, das a priori ausgeschlossen ist, weil das Ergebnis, die Verurteilung, schon feststeht und die Prozessführung nur dazu dient, sich für diese Verurteilung die passenden Argumente zu holen? Einen nach rechtsstaatlichen Begriffen objektiven Prozess hätte der Richter in diesem Fall gar nicht gebrauchen können, da sich die Schuld der Angeklagten dadurch nicht hätte belegen lassen. Also musste der Prozess mit all seinen Schwächen durchgezogen werden. Und das auf die Gefahr hin, dass die Öffentlichkeit teilnimmt und dass auch medial darüber berichtet wird. Aber so etwas hält man heutzutage an Stuttgarter Gerichten aus, siehe Wasserwerferprozess.
Angebot von Einstellung nach StPO 153
Wir wollen nicht ungerecht sein. Ja, es gab in S21-Prozessen an Stuttgarter Gerichten Freisprüche (wenige) und vor allem auch Einstellungen. Es gibt tatsächlich Prozesse, wo Richter Ungereimtheiten erkennen und thematisieren, wo sie offen zugeben, dass am Tatort oder in der Ermittlung etwas schief gelaufen ist. Gerade im vergangenen Jahr haben das Stuttgarter Amtsgericht und auch das Landgericht in mehreren S21-Prozessen bewiesen, dass es sich durchaus lohnt, die Methoden der Versammlungsauflösung der Polizei zu hinterfragen. Verfahrenseinstellungen nach § 153 zeigen zumindest einen Zweifel des Gerichts an der Aufarbeitung der Vorgänge. Oder es wird die Geringfügigkeit des Vergehens erkannt. Oder es wird kein Interesse der Öffentlichkeit an der Aufarbeitung mehr gesehen. Alles Gründe, die berühmte Reißleine zu ziehen und eine Einstellung des Verfahrens nach StPO § 153 anzubieten.
Mögliche Gründe für § 153 an der „Ehmannstraße“
Auch in dem Fall „Ehmannstraße“ wären die Gründe für eine Einstellung auf der Hand gelegen: Unsaubere Ermittlungen und das fehlende Interesse der Öffentlichkeit, wegen einer nicht aufgelösten Versammlung von 15 Min. zu verhandeln, hätten gereicht. Immerhin beschäftigten sich eine Staatsanwältin, ein Richter, eine Schreiberin und vier Polizeizeugen über sechs Stunden mit einem Fall, der vor zwei Jahren von der Polizei als so unbedeutend angesehen worden war, dass sie nicht einmal die Daten des angeblich Geschädigten aufnahm. Ein Richter muss Ungereimtheiten sachlich abarbeiten (was noch einen weiteren Prozesstag erfordert hätte) oder - wenn er dies dem Gericht nicht antun will, weil eine lange Prozessdauer nicht im Verhältnis zu 15 Min. Versammlung steht, wenn weitere Zeugen mehr Klarheit und Wahrheit in das Verfahren bringen könnten, wenn er der Staatsanwaltschaft nicht die Akte zurück auf den Tisch legen und sie anweisen will, ordentlich zu ermitteln – wenn er das alles nicht will, bietet er eine Einstellung des Verfahrens nach StPO § 153 an. Der Paragraph 153 wird immer dann angewandt, wenn der Prozessaufwand (viele Zeugen, mehrere Tage) groß, die Beweisdecke dünn und das Interesse der Öffentlichkeit und der Nötigungsopfer gegen null ist (nicht einmal die angeblich Geschädigten haben eine Strafanzeige gestellt).
Warum wurden nur Polizisten als Zeugen geladen?
Wer öfter Gerichtsverhandlungen zum Thema „Nötigung“ beiwohnt, erlebt, dass immer Bagger- oder LKW-Fahrer als Zeugen vernommen werden. Was steckt dahinter, dass es diesmal nicht geschah? Wenn statt Zivilpersonen nur Polizisten geladen werden, so mag das möglicherweise an dem Glaubwürdigkeitsvorschuss liegen, den Polizeibeamte genießen. Polizeibeamte hätten bei Falschaussagen mit dienstlichen Konsequenzen zu rechnen. Da sie dies vermeiden wollen, bemühen sie sich eher um die Wahrheit. (Sagt man.) Deshalb haben sie eine höhere Glaubwürdigkeit. (Sagt man.) Außerdem: Warum wurde der Einsatzleiter samt seinem Protokoll nicht geladen? Immerhin koordinierte er den Einsatz und sollte für rechtsstaatliches Vorgehen vor Ort verantwortlich sein.
Eigene Ermittlungen
Bei S21-Verfahren am Amtsgericht bzw. Landgericht sitzen in der Regel 20 bis 50 oder mehr Zuschauer im Saal, die mit großem Interesse und wachsender Kompetenz den Verlauf von Verhandlungen begleiten. Selbstherrlichkeit des Gerichts und Fehlverhalten von Ermittlern wird registriert. Es wird online und offline berichtet und geschrieben. So ist der Imageverlust des Stuttgarter Amtsgerichts nicht zu übersehen. Wenn Zuhörer nach Hause gehen, eigene Recherchen anstellen und nach wenigen Minuten herausfinden, was Ermittler in zwei Jahren nicht geschafft haben (wollen), dann kann etwas nicht stimmen in der Justiz. Ich erwarte, dass von meinen Steuergeldern gut gearbeitet wird, ich erwarte, dass mein Vertrauen in die Justiz gerechtfertigt ist. Die Ermittlungsarbeit von Staatsanwaltschaften darf nicht unter dem Deckmäntelchen „Unabhängigkeit der Justiz“ zu einer unkontrollierbaren Nicht-Aufklärung führen, sondern sie sollte bestes Handwerk und Professionalität zeigen.
Faulheit, Nachlässigkeit, bloßes Vergessen oder Absicht?
Vor Gericht gilt das in StPO § 250 geregelte Unmittelbarkeitsprinzip, wo es heißt: „Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen“. Auf den Fall „Ehmannstraße“ bezogen: Zum Beweis der Tatsache, dass Bagger- und LKW-Fahrer genötigt wurden, hätte die Wahrnehmung beider in der HV gehört werden müssen. Immerhin ist die Angeklagte wegen Nötigung dieser beiden Personen verurteilt worden! Oder gab es an jenem Montagmorgen gar keine Nötigungsopfer, weil sie ja gearbeitet haben? Oder bestanden Gründe, diese Zeugen nicht vernehmen zu wollen? Ist es Faulheit oder bewusste Unterlassung gewesen, um die beiden Fahrer zu schützen? Das wäre ein Dienstvergehen. Es gab Beamte vor Ort (u.a. den Einsatzleiter), die zu allererst die Kennzeichen der genötigten Fahrzeuge, Namen der Fahrer, ihre Firma und andere Angaben in einem Protokoll hätten aufnehmen müssen. Dass dies nicht geschehen ist, macht stutzig. Im Prozess sagte der Sacharbeiter zu den fehlenden Daten des Baggerfahrers: „Sie waren nicht zu ermitteln.“ Ohne dabei zu erröten. Kein Robenträger (außer dem Anwalt) stutzt auch nur eine Sekunde; das Verfahren wird durchgewunken.
Die Häussler´sche Matrix ist das Gesetz vor Ort
OStA a.D. Häussler hat vor Jahr und Tag eine sogenannte „Matrix“ herausgegeben, die Kriterien enthält, nach denen Polizeibeamte vor Ort befähigt werden sollen, eine Versammlung zu beurteilen. Dieses „Geheimpapier“ konnte noch in keiner Verhandlung auf den Tisch gelegt werden und auch noch kein Richter fand es wichtig, mit Nachdruck dieses Papier als Beweismittel herbeizuschaffen. Alles, was man über die Matrix weiß, ist vom Hören-Sagen. Polizeibeamte vor Ort handeln jedoch nach dieser Matrix. Sie entscheiden, dass die meisten Versammlungen keine sind und so lösen sie eine – in ihren Augen - nicht existierende Versammlung natürlich nicht auf. Dieses Vorgehen wurde auch im Ehmannstraßen-Prozess durch die Verhandlungsweise und das Urteil legalisiert. Polizisten entscheiden vor Ort über das Grundrecht auf Versammlung und das Gericht bestätigt dieses!
StPO § 160 und § 244
Strafprozessordnung § 160 bezieht sich auf die Erforschung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft und in (2) die Pflicht, die auch zur Entlastung des Angeklagten dienenden Umstände zu ermitteln. Auf welche Weise ist dies bei der Angeklagten im Ehmannstraßen-Prozess geschehen?
StPO § 244 besagt: „Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme … auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.“ Der Richter entscheidet also über das Ausmaß der Erforschung der Wahrheit und beurteilt, was für seine Urteilsfindung von Bedeutung ist. Hier wird ein hohes Maß an Verantwortung in die Hände des Richters gelegt, der über den Umfang die Beweisaufnahme bestimmt. Wenn – wie in diesem Fall durch seine Aussage, dass er Blockadeaktionen für sozialwidrig halte, - die Möglichkeit zu unterstellen ist, dass er schon mit einem Urteil in den Gerichtssaal kam, dann ist die Verhandlung nur noch ein Puppentheaterstück gewesen.
Blockaden sind sozialwidrig
Hätte eine detaillierte Aufklärung des Sachverhalts unter Berücksichtigung des Versammlungsrechts zu einer anderen Urteilsfindung beigetragen? Ich glaube nicht, denn es stellte sich als völlig unerheblich heraus, ob es eine Versammlung war, ob die Zeugenaussagen untereinander übereinstimmten, ob der Tathergang richtig dargestellt wurde, ob Bagger- und LKW-Fahrer in ihren Fahrzeugen saßen, ob sie während der Blockade arbeiteten, ob Personalien ermittelt wurden. Aus Sicht des Richters war eigentlich alles egal. Wichtig war nur, dass die Angeklagte vor einem Bagger gesessen haben soll und wichtig war seine Meinung, dass Blockaden insgesamt sozialwidrig sind.
Was bleibt?
Was bleibt, ist Empörung. „Empört euch!,“ rief uns der verstorbene Philosoph Stéphane Hessel zu. Die beiden Bücher „Politische Justiz in unserem Land“ (Hrsg. Jörg Lang) und „Unerhört.Ungeklärt.Ungesühnt.“ (Bartle/Reicherter) sollten Pflichtlektüre für jeden sein, der im Stuttgarter Justizapparat arbeitet. Damit begriffen wird, dass die offensichtliche Bürgerverachtung durch die Justiz sehr wohl registriert wird. Es ist wichtig, Einäugigkeit der Stuttgarter Justiz immer wieder öffentlich zu machen, aber auch über gelungene Prozesse zu berichten. Damit Gerechtigkeit und Recht zueinander finden. Und damit die folgende Anekdote nicht mehr erzählt werden muss:
Der französische Politiker und Justizminister Aristide Briand (1862-1932) besucht eine Kunstausstellung in Paris und entdeckt ein Bild, auf dem zwei Frauen einander umarmen. Ihm wird erklärt, es handele sich dabei um die Gerechtigkeit und das Recht. Und weiter: „Die beiden umarmen sich so innig, weil sie sich so selten sehen.“
(Petra Brixel)
Auch ich habe den Prozess verfolgt, sehr ähnlich erlebt und ein paar Dinge anders, nämlich auf das Versammlungsrecht hin, akzentuiert:
„Stuttgarter Landrecht“ innovativ?
Je breiter der Protest, umso schmaler das Versammlungsrecht?
In einem der zahllosen Prozesse gegen GegnerInnen von S 21 in Stuttgart ging es am 23.3.15 um eine kurzzeitige (max. 20-minütige) Blockade eines Baggers, der am 25.2.2013 zu Baumfällarbeiten im Rosensteinpark eingesetzt war.
Nachdem mehrere MitblockiererInnen Strafbefehle akzeptiert hatten, blieb nur L. übrig, angeklagt wegen Nötigung mehrerer AutofahrerInnen, die auf der Ehmannstraße nicht zu ihrer Arbeit fahren konnten.
„Stuttgarter Landrecht“ – wie man es kennt
Für eine Verurteilung wegen Nötigung (§ 240 StGB) ist die Anwendung von Gewalt nachzuweisen. Bei friedlichen SitzblockiererInnen geht das – leider schon jahrelang – mit der Konstruktion der „2.Reihe-Rechtsprechung“: Das erste blockierte Fahrzeug hält nicht wegen Gewaltanwendung, sondern weil (nur) psychischer Druck angewendet wird. Führe dieses weiter, müsste es die auf der Straße Sitzenden überfahren. Die hinter diesem Fahrzeug Wartenden haben aber ein physisches Hindernis vor sich, sind also durch Gewalt genötigt.
So weit, so schlecht. Auch sonst galt „Stuttgarter Landrecht“: Ermittelt war nichts Entlastendes außer der Banalität, dass L. nicht vorbestraft ist und sich nicht gegen das Weggeführt-Werden gewehrt hatte, als Zeugen geladen waren ausschließlich PolizistInnen – u.a.m. Die ZuhörerInnen hatten nach Ansicht des Richters weder ein Recht, das Polizeivideo, das einzige in den Prozess eingeführte Beweismittel, aus der Nähe zu sehen (Beamer oder so etwas gebe im Amtsgericht nicht) noch hatten sie einen Anspruch darauf, dass die Zeugen so deutlich sprachen, dass sie auch von den Zuhörerstühlen aus zu verstehen waren. Alles keine Einschränkung der Öffentlichkeit des Verfahrens …
Dass keiner der Blockierten ermittelt und geladen wurde (außer einer Polizistin), dass ein Polizist, der mindestens heute beim Staatsschutz ist, mit der Polizeizeugin über Anzeigen wegen Nötigung E-Mail-Verkehr hatte, dass der Baggerfahrer angeblich nicht ermittelt werden konnte, obwohl auf dem Bagger die Telefonnummer seiner Firma stand, all das ließe sich mühelos erklären, wenn man annimmt, dass die Polizei sich eigens Mühe machte, einen Nötigungstatbestand erst herzustellen, dass der Baggerfahrer die Szene eilig verlassen haben könnte, weil ihm gewisse Papiere fehlten, und dass deshalb die Polizei ihn auch nicht ermitteln wollte (man will ja den an S 21 arbeitenden Firmen keine Scherereien machen); freilich ist richtig: Die leichteste Erklärung ist nicht immer die richtige.
Ein neuer Dreh?
Wichtiger ist etwas anderes:
In mehreren Verfahren gegen Projektgegner ging es darum, ob (a) eine Aktion eine politische Versammlung im Sinne des Art. 8 gewesen sei und ob (b) diese vor Anwendung unmittelbaren Zwangs formgerecht aufgelöst worden war.
Dieses Gericht umging diesen Problembereich. Zwar sprachen ZeugInnen und Richter von „Demonstranten“, die mit Schildern und Parolen ihre Meinung kund taten, und der Richter bestritt auch nicht, dass die Versammlung nicht aufgelöst wurde. Nur: Das sei ja auch völlig unerheblich.
Die Denkfigur ging so: Ort (wenig frequentierte Ecke im Park) und Zeit (früh morgens) seien ungeeignet für eine Versammlung zur Meinungskundgabe. Eine Wirkung sei so ja allenfalls indirekt über ein Medienecho zu erreichen. Im Kontext der Zeitgeschehens betrachtet, ergebe sich: Es hätten ja damals zahlreiche Kundgebungen zu 21 stattgefunden. Deshalb – die Frage der Verwerflichkeit sei ja immer am Einzelfall zu prüfen – trete hier die Inanspruchnahme von Art 5 und 8 GG um gegen das Projekt S 21 als Ganzes und gegen die Baumfällungen als Teil davon zu protestieren gegenüber der Absicht, die Baumfällungen zu verhindern, zurück; die Rechte Dritter (wie geplant ihre Arbeit auszuführen) seien beeinträchtigt worden, niemand dürfe andere (die angeblich Genötigten) zum Mittel für eine Meinungskundgabe machen.
Der 2. Teil der Argumentation ist nicht neu: Es geht ja immer wieder um das Demonstrationsrecht im Vergleich auf das Recht auf „Leichtigkeit des fließenden Verkehrs“, wie das Stuttgarter Ordnungsamt formuliert, oder Ähnliches. Neu ist mindestens mir der erste Teil, der verkürzt heißt: Je häufiger Demonstrationen zu einem Thema sind, desto enger sind die Grenzen der zulässigen Mittel zu ziehen, denn das Anliegen wird ja sowieso öffentlich vertreten, und umso weniger fallen Regelungen zum Schutz des Rechts auf Versammlung und Meinungsfreiheit ins Gewicht. Also:
Je breiter eine Protestbewegung geworden ist, umso weniger genießt sie den Schutz der Art. 5 und 8 GG
Das kann dann, wie hier, so weit gehen, dass nicht mehr geprüft werden müsste, ob den Bestimmungen des Versammlungsrechts noch entsprochen wurde.
Das wäre eine Tendenz, das Demonstrationsrecht auf das Schilder-Hochhalten und Reden-Halten auf Marktplätzen zu beschränken. Auf jeden Fall hieße es, dass Verfahren gegen Demonstrierende und zivilen Ungehorsam Praktizierende schneller und mit mehr Verurteilungen zu machen wären.
Konrad Nestle 2.4.2015
Deutschland ist ein demokratischer Rechtsstaat und das Grundgesetz bietet Rechtssicherheit, heißt es.
Unser System ist krank, denn die derzeitige Gesellschaftsform beruht auf der vorsintflutlichen Weltanschauung, dass Machtmissbrauch von Herrschenden verhindert wird, weil diese ja verpflichtet sind, sich an Verfassung, Gesetz und Recht zu halten (vgl. Prof. Dr. Ridder, http://www.gewaltenteilung.de/tag/demokratieprinzip). Es wird auch mit den Gesetzen, mit der Verfassung und dem Grundgesetz (mit Gottesbezug in der Präambel) wahrheitswidrig so getan, als wären Herrschende frei von Unterjochungsinteressen, Egoismus, Gruppensadismus usw.. In der DDR waren die Herrschenden von der Obrigkeit eingesetzt, in der BRD werden Herrschende von der Obrigkeit eingesetzt, außerdem kann sich dank der freien Marktwirtschaft jeder Betrüger selbst als Herrschender aufspielen. Ohne Beachtung von Verhaltensgesetzen gibt es keine Demokratie und keinen Rechtsstaat.
Das Verhaltensgesetz und seine Auswirkungen:
Mit Bürgerrechten werden keine Wahlen gewonnen- sie sind den Massen egal- https://politischernoob.wordpress.com/2009/08/25/sind-den-deutschen-ihre-buergerrechte-egal/. Macht verändert den Charakter, verführt zum Lügen und zum Sadismus- http://www.wiwo.de/erfolg/management/der-boss-effekt-was-macht-aus-den-menschen-macht/10261622.html/. „Man kann Machterfahrung als einen Vorgang beschreiben, bei dem jemand einem den Schädel öffnet und den Teil herausnimmt, der besonders wichtig für Empathie und sozial angemessenes Verhalten ist.“ (vgl. http://www.wissen57.de/die-macht-verandert-den-charakter-des-menschen.html). Zu Lügerei und Sadismus kommt der Egoismus und der Gruppenegoismus, auch als Kumpanei oder Kollegialtät bekannt. Nach der Verhaltensforschung umgeben sich Führungskräfte mit getreuen Gefährten und ächten ihre Kritiker, ohne auf die Funktionsfähigkeit des Unternehmens zu achten- http://www.quality.de/cms/index.php/forum/26-archiv-2003/4579-prozessmanagment-wer-koordiniert-die-prozessverantwortlichen?start=36.
Offensichtlich verfahren auch die verschiedenen politischen Parteien gleich verschiedenen Abteilungen eines einzelnen Unternehmens. Alle haben sie andere Schwerpunkte, jedoch alle arbeiten daran, das gleiche Produkt zu fertigen und zu vertreiben. Der oft geäußerte Vorwurf an die Politik, dass jeder “das Spiel mitspielen” muss, wenn er an die Macht kommen will, scheint mehr als bestätigt. Der Bevölkerung wird mit Lügen, Betrug und Heuchelei nur vorgemacht, die Obrigkeit würde für edle Werte einstehen und arbeiten- http://www.neopresse.com/politik/dach/kommentar-fragwuerdige-demokratische-prozesse. Rechtsmittel, Petitonen usw. sind Kritiken. Da Kritiker geächtet und Heuchler gefördert werden, müssen Rechtsmittel, Beschwerden, Petitionen usw. in aller Regel erfolglos sein, was jeder feststellen kann.
Gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen (nebst Justizministerien, Petitionsausschüssen etc.) fehlt wegen gewollter Verdrehungsabsicht der Tatsachen und der Rechtslage zumeist eine plausible Begründung, oft sogar die Sachbezogenheit. Dieses System ist darauf angelegt, Menschen zu zerstören (vgl. http://unschuldige.homepage.t-online.de/default.html).
Art. 20 GG / Grundgesetz spricht von drei Staatsgewalten, die es nicht gibt (=Lüge). Der Verfassungstext gehört zu der Welt der Ideen und Zielvorstellungen. Ihr gegenüber steht die reale Welt (von http://www.gewaltenteilung.de/idee).
Die Bundesregierung will Rechtsbrüche von BND und Verfassungsschutz legalisieren- http://www.pravda-tv.com/2015/03/bundesregierung-will-rechtsbrueche-von-bnd-und-verfassungsschutz-legalisieren/.
Was wir bekommen ist noch viel schlimmer als STASI und GESTAPO zusammen- https://www.youtube.com/watch?v=uOT1CkVyS18. Nazi-Methoden sind bereits üblich. Herr Mollath musste mehrmals miterleben, wie Mitgefangene gefoltert wurden. Keinen Hund dressiert man so, wie man sich dort anmaßt, mit Menschen umgehen zu dürfen; es ist die größte Schande seit der NAZI-Zeit (von http://www.nuernbergwiki.de/index.php/Gustl_Mollath_%28Brief_an_StVK_Regensburg%29).
Mit einer verschleiernden Rechtssprache kann von Herrschenden alles nach Belieben ausgelegt werden- http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2011/695/pdf/25_Kopp_EBook.pdf.
Dass Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen systemkonform sind und man keine Rechte bekommt, wird z.B. auch bestätigt unter http://www.odenwald-geschichten.de/?p=1740, http://www.odenwald-geschichten.de/?p=682, http://de.wikimannia.org/Rechtsbeugung, http://derhonigmannsagt.wordpress.com/tag/europaischer-gerichtshof-fur-menschenrechte/, http://web.wengert-gruppe.de/wengert_ag/news/2003/SteuerstrafverfinDeutschland.pdf usw.. Die „Bundesrepublik Deutschland“ ist kein Rechtsstaat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil festgestellt, dass die gegenwärtig nach dem deutschen Verfahrensrecht vorhandenen Möglichkeiten … keinen hinreichenden Rechtsbehelf … darstellen (https://behindertvertriebentessarz.wordpress.com/2015/03/26/die-bundesrepublik-deutschland-ist-kein-rechtsstaat/). Auch das Bundesverfassungsgericht bietet mit den Erfolgschancen von 0,2- 0,3% keinen hinreichenden Rechtsbehelf- http://www.amazon.de/Das-Recht-Verfassungsbeschwerde-R%C3%BCdiger-Zuck/dp/3406467237.
Die Sparer werden enteignet- http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/06/07/enteignung-die-deutschen-sparer-werden-wie-schafe-zur-schur-gefuehrt/ und den großen Reibach machen Banken, Banker, Bankster- http://www.information-manufaktur.de/der-grosse-reibach-banken-banker-bankster.
Der Menschheit wird sogar aus Profitgier Gift zugemutet- vgl. z.B. https://www.youtube.com/watch?v=ghGm51AobGw und https://www.youtube.com/watch?v=h3xNiZanYjI. Für den Pharmakonzernprofit müssen wir nutzlose giftige Medikamente fressen: http://www.youtube.com/watch?v=v-d4dEfBJRs.
Ein implantierter EU-Standard-Chip EPS soll den Personalausweis ersetzen- http://neue-weltpresse.de/2014/04/637-endlich-eu-standard-chip-eps-ersetzt-personalausweis und Das Bargeldverbot droht- http://www.neopresse.com/finanzsystem/das-bargeldverbot-droht-weg-in-die-knechtschaft/.
Den Rechtsstaat, der den Verfassern des Grundgesetzes vorgeschwebt hat, den haben wir nicht und wir entfernen uns immer weiter von diesem Ideal- http://www.hoerbuchkids.de/hu/mr/homepage/justiz/info.php?id=134 (Seite der Humanistischen Union). Es geht überall immer mehr in die Knechtschaft.
In den Parlamenten wäre ein wirksamer Gegenpol aus Nichtregierungsorganisationen notwendig, weil sich diese- meist ehrenamtlich- für Bürgerrechte einsetzen. Bürgergerichte wären auch notwendig. Eine Petition dazu kann z.Zt. gefunden werden unter https://www.change.org/p/bundesjustizminister-heiko-maas-strafbarkeit-von-rechtsbeugung-wiederherstellen-b%C3%BCrgergerichte-einf%C3%BChren.
PS: Weiterverbreitung und Verbesserungen erwünscht.
Hallo Frau Brixel,
vielen Dank für Ihre exzellente Berichterstattung und die treffende Analyse dazu. Thumbs up!
Erst einmal vielen Dank an Petra. Sie übernimmt eine wichtige „Funktion“ für die Herstellung von Transparenz, und transparenz ist die entscheidende Voraussetzung für jeden sinnvollen Akt direkter Demokratie. – Immer wieder erstaunlich ist die offensichtliche Ignoranz unserer Richter, von Ausnahmen abgesehen. Da muss wohl auch einiges an ihrer Ausbildung nicht stimmen. 1. Es gibt keinen „Straftatbestand“ der Instrumentalisierung eines anderen. 2. Ob unsere Demos effektiv sind opder nicht, geht den Richter nichts an. Das ist allein Sache der Versammelten.3. Es geht um Behinderung und nicht um Verhinderung.Gezielte Behinderung ist zwar Nötigung, aber Nötigungen, selbst solche mit Gewalt(!) sind laut § 240 StGB nur unter ganz bestimmtenb Bedingungen rechtswidrig, denn laut Bundesverfassungsgericht: Auch Sitzblockaden genießen den Schutz der Versammlungsfreiheit. Sie erfüllen unabhängig davon, ob sie als Anwendung von Gewalt im Sinn von § 240 StGB anzusehen sind, nicht den Tatbestand der Unfriedlichkeit im Sinn von Art. 8 Abs. 1 GG, der sie dem Schutzbereich dieses Grundrechts entziehen würde. Unfriedlich ist eine Versammlung vielmehr erst, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen stattfinden, nicht schon, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, seien diese auch gewollt und nicht nur in Kauf genommen (vgl. BVerfGE 73, 206 [248]).“