Rede von Waldemar Grytz, stellvertretender Landesvorsitzender der Naturfreunde Baden-Württemberg, auf der 258. Montagsdemo am 2.2.2015
Liebe Freundinnen und Freunde,
am 2. Februar 2010, vor fünf Jahren, drückten gemeinsam mit Bahnchef Grube der damalige Ministerpräsident Oettinger (CDU) und der Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) auf einen Knopf, und ein Bagger hob den Prellbock 049 vor Hunderten von Gästen aus dem Gleis. Der Tag und diese Inszenierung gelten als offizieller Baustart des Projekts Stuttgart 21. Wer erinnert sich noch? Baubeginn für den bestgeplanten, leistungsstarken Durchgangsbahnhof sollte bereits 2001 sein, die Inbetriebnahme 2008!
Ramsauers Vorgänger Tiefensee war beim Start 2010 schon nicht mehr dabei. Als Oberbürgermeister in Leipzig hatte er erleben dürfen, wie man aus einem Kopfbahnhof einen attraktiven und zudem leistungsfähigen Kopfbahnhof macht. Seine Parteifreunde wollten sich mit diesem Modell nie ausführlich beschäftigen oder sich gar als Vertreter einer kostengünstigen Alternative profilieren. Nein: Profil, Lernfähigkeit und Bürgernähe gehören bekannterweise nicht zu den ersten Tugenden der württembergischen und schon gar nicht der Stuttgarter SPD. Dabei hatte es sogar bei einer Tagung der Konrad-Adenauer Stiftung überaus kritische Anmerkungen zu S21 gegeben.
An diesem 2. Februar 2010 protestierten die Gegner von S21 in und um den Bahnhof unter dem Motto: Ihr schafft nicht einen Prellbock ab, sondern die Demokratie! In welchem Umfang das Großprojekt S21 unter Umgehung und Beschädigung demokratischer Gepflogenheiten durchgeboxt wurde, sei hier noch einmal in Erinnerung gerufen:
Im April 1994 wurde das Projekt vorgestellt. Anfang Juni fand die Kommunalwahl statt und dies war die einzige Wahl, bei der die Bürger Stuttgarts über S21 hätten entscheiden können. Aufgrund der Kürze der Zeit (April bis Juni) und der Komplexität des Themas ein Unding. Danach wurde im November – ohne Prüfung von Alternativen – der Rahmenvertrag unterschrieben. Die Macher von S21 reiben sich noch heute die Hände, wie und mit welcher Schnelligkeit damals die Politik, die Öffentlichkeit und die Bürger über den Tisch gezogen wurden. In den folgenden 20 Jahren blieben die Bürger von jeder echten Mitwirkung ausgeschlossen. Zwischenzeitlich schien S21 sogar beerdigt, bis es auf Druck aus Baden-Württemberg und Bayern dann doch wieder aus der Versenkung geholt wurde.
Schon beim Abschluss der Finanzierungsvereinbarungen wurden alle Beteiligten – eingeschlossen die Abgeordneten des Landtags – über die schon bekannten Kosten von über 5 Mrd. € getäuscht. Alle stimmten im Glauben, S21 koste 4 Mrd. €, dem Projekt zu. Untersuchungen, wie die sma-Studie aus der Schweiz, die den Nutzen des Projekts in Frage stellten, wurden bis zur Unterzeichnung der Verträge und wichtiger parlamentarischer Entscheidungen unter Verschluss gehalten. Anschließend berief man als angeblich ‚unabhängigen‘ Gutachter im Planfeststellungsverfahren den Ideengeber und Befürworter des Projekts, den Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der Uni Stuttgart. Dieses Institut ist mit seinen Verflechtungen in diversen e.V.‘s, GmbH‘s und der Baden-Württemberg-Transportation das kalte Herz dieses Projekts. Unter seinem Dach finden sich alle Projektbefürworter von Bahn, Industrie und Politik vereint – verbandelt mit der Industrie und den weiteren Profiteuren jeder zukünftigen Kostensteigerung.
Der Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster gab (vor seiner Wiederwahl) sein Ehrenwort, bei höheren Kosten aus dem Projekt S21 auszusteigen. Er hat sich nach der Wahl nicht daran gehalten. Auch die
67 000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren, mit dem die Stadt zum Ausstieg gezwungen werden sollte, wurden dadurch wertlos, dass der OB zwei Tage vor Abgabe der Unterschriften Verträge mit der Bahn abschloss. Mit dem Grundstücksdeal über die Gleisfläche lief das Bürgerbegehren ins Leere. Was sicher kein Zufall, sondern Auftragsarbeit war.
Die Knopfdrückerkolonne sah sich am 2. Februar vor fünf Jahren mit Sprechchören der S21-Gegner konfrontiert, die – wenig fein, aber ziemlich treffsicher – die versammelten Nieten und Lobbyisten in Nadelstreifen und die Marionetten aus der Politik mit dem Sprechchor „Lügenpack“ konfrontierte. In diesen Kreisen ist man es natürlich nicht gewohnt, sich als Gesindel, also als eine Gruppe von Menschen beschimpfen zu lassen, die als asozial, verbrecherisch, als Pack eben, verachtet und abgelehnt wird. Ihre Empörung war groß und hält bis heute an und man erfand ein neues Feindbild für die Propaganda, die mit sachlicher Aufklärung nichts mehr zu tun hatte: den irrationalen, fortschrittsfeindlichen Wutbürger.
Gegen den holte im Laufe des Jahres 2010 die ehrenwerte Gesellschaft erst den Knüppel aus dem Sack und zauberte dann Heiner Geissler zur Beschwichtigung der aufgebrachten Bürgerinnen und Bürger aus dem Hut. Als am 30.9.2010 mit dem illegalen Polizeieinsatz gegen eine angemeldete und genehmigte Schülerdemo die Dinge aus dem Ruder liefen, erfand man die sogenannte Schlichtung. Statt der lange versäumten und verhinderten demokratischen Beteiligung durften Bürger ihre Argumente vorbringen; berücksichtigt wurden sie nicht – egal wie kompetent und sachkundig die Gegner ihre Argumente für K21 ins Feld führten. Geißler dankte fürs Gespräch und bekräftigte das Baurecht der Bahn.
Höhe- und vorläufigen Endpunkt bildete die Volksabstimmung im November 2011. Das Volk zwischen Bodensee und Wertheim durfte über die weitere finanzielle Beteiligung des Landes an S21 entscheiden. Seit 2009 war klar, dass sich der mit großem Aufwand nach außen kommunizierte Kostenrahmen nicht halten lässt. Er wurde immer wieder künstlich klein gerechnet und die Marketing-abteilungen der Projektbefürworter, Herr Drexler von der SPD und sein Nachfolger im sogenannten Kommunikationsbüro und die Stuttgarter Presse übernahmen gerne das Finanzierungsmärchen. Die Stuttgarter Zeitung druckte am 27. Januar 2015 eine rührselige Geschichte über den Prellbock 049, der immer noch seinen Dienst verrichte, während der mit Schmähungen gespickte einstige Bauzaun sogar den Weg ins warme Museum gefunden habe. Nein, das war mal wieder kein ärmliches Produkt aus der ‚Lügenpresse‘, das war wieder so ein Märchen aus der Yellow Press, die sich im Zweifelsfall doch immer auf die Seite der „gekrönten“ Häupter schlägt – journalistische Qualität und Vermittlung von Fakten sieht anders aus.
Worin liegt der bisherige Erfolg der Bewegung gegen S21? Wir haben einen Baustopp nicht durchsetzen können, wir haben aber Zehntausende dazu gebracht, sich zu engagieren, kompetent bessere Alternativen auf den Tisch zu legen. Das ist nicht genug, aber sehr viel mehr, als sich das kleine Häuflein, das sich zur ersten Montagsdemo gegen S21 traf, hätte erwarten können. Großprojekte dieser Art werden in Zukunft nicht mehr so einfach vom grünen Tisch aus durchzusetzen sein. Die Demokratiedefizite waren und sind zu offensichtlich und skandalös. Wir haben dazu beigetragen, der schwarzen Mamba Gönner und Mappus aus dem Amt zu helfen und einen Oberstaatsanwalt und Polizeipräsidenten in Zusammenhang mit dem Schwarzen Donnerstag in erhebliche Schwierigkeiten zu bringen. Mit dieser Bewegung wurden Initiativen im publizistischen Bereich wie Kontext und Flügel TV möglich. Wir haben gezeigt, dass die Kritik an politischen Fehlentscheidungen und an der Arroganz der politischen Klasse weder dumpf, ausländerfeindlich noch antidemokratisch sein muss. Im Gegensatz zu dem, was sich aktuell in manchen Städten montags auf den Straßen tummelt, werden wir weiterhin bunt, tolerant und kreativ sein. Und wir werden weiterhin genau hinsehen, wer sich mit jeder Million und Milliarde, die dieses Projekt mehr kostet, die Taschen füllt oder wer sich entlang der Gäubahnstrecke als Immobilienspekulant eine goldene Nase verdienen möchte.
Da werden wir dran bleiben! Und oben bleiben!