Rede von Steffen Siegel bei der 238. Montagsdemo

Steffen Siegel, Schutzgemeinschaft Filder, am 15.9.2014

Anhörung zum Filderabschnitt

Ich grüße Euch, liebe Freunde funktionierender Bahnhöfe!

Seit über 20 Jahren arbeiten Heerscharen von meist älteren Männern an einem Jahrhundertprojekt – ich nenne es lieber ein Jahrhundertschwachsinnsprojekt – faseln von Zukunft und haben es bis heute noch nicht geschafft, auch nur einigermaßen brauchbare Pläne vorzulegen; und es rostet nicht nur in den blauen Röhren! Neben einer Vielzahl von Planänderungsverfahren in diversen anderen Planabschnitten soll nun endlich für den Filderbereich 1.3 ab nächster Woche ein Erörterungsverfahren stattfinden. Vor langer langer Zeit, im Jahr 2002, hat die Bahn für diesen Filderabschnitt Pläne ans Eisenbahnbundesamt eingereicht, um ein Planfeststellungsverfahren einleiten zu dürfen. Mehrere vergebliche Anläufe führten in den folgenden Jahren immer zum gleichen Ergebnis seitens des EBA: „nicht genehmigungsfähig“. Ist das Unfähigkeit oder Überheblichkeit der Planer? Ich tippe auf beides.

Worum geht es auf den Fildern:

  1. Züge aus Ulm und aus Tübingen fahren über Wendlingen zum Flughafen; manche davon halten dort in einem fast 30 m tiefen Bahnhof unter der Messe und alle stürzen sich dann in einem fast 10 km langen Tunnel nach Stuttgart hinab.
  2. Züge aus Zürich, Singen (Gäubahnzüge) werden auf einer eigens in den Wald geschlagenen „Rohrer Kurve“ auf die vorhandenen S-Bahngleise gezwungen und donnern dann durch Leinfelden-Echterdingen zum Terminalbahnhof und in einer großen Schleife auch hinab in den Schlund nach Stuttgart.

Die Bahn blieb über die vielen Jahre nahezu unverändert bei ihren damaligen, nicht genehmigungsfähigen Plänen und wartete, bis schließlich ein Verkehrsminister aus Bayern kam und für den kritischsten Teil im Filderabschnitt eine windige, zeitlich begrenzte „Ausnahmegenehmigung“ mit ebenso windigen Einschränkungen aussprach. Diese Ramsauerei widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand sondern eben auch vielen gültigen Eisenbahnregeln. Es ist grob fahrlässig, auf reinen S-Bahngleisen zusätzlich Regional- und Fernzüge fahren zu lassen, mit zu engen Kurven, durch viel zu enge Tunnel, z.T. mit Gegenverkehr usw.

Warum aber ging man nach der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung durch Ramsauer 2010 damals nicht zügig ins Planfeststellungsverfahren? Wieder sind seither über 4 Jahre vergangen, wohl weil die Pläne durch und durch Murks sind und man anderswo erst neue Fakten schaffen wollte.

  • Es ist Unsinn, die Gäubahnen, statt sie in Vaihingen halten zu lassen, auf den Umweg über den Flughafen zu schicken - die wenigsten wollen fliegen.
  • Es ist Unsinn, z.B. einen ICE hinter einer S-Bahn, die dreimal halten muss, hinterherzockeln zu lassen.
  • Es ist Unsinn, durch den Mischverkehr die S-Bahnen noch mehr aus dem Takt zu bringen.
  • Es ist Unsinn, im Terminalbahnhof für die beiden Zugarten (Gäubahn bzw. S-Bahn) nur noch je eine Bahnsteigkante zur Verfügung zu stellen, mit Gegenverkehr. Im Stresstest wurde übrigens so getan, als gäbe es keinen Gegenverkehr.
  • Es ist Unsinn, die Züge aus Tübingen in Wendlingen ohne Halt über den Flughafen zu schicken, statt sie über Plochingen und Esslingen nach Stuttgart zu führen.
  • Es ist Unsinn, einen Tiefbahnhof unter der Messe zu bauen, auf Brandschutz und Sicherheit zu pfeifen, das Fliegen zu puschen, keine Passagierströme zu erheben, kein Notfallkonzept vorzuhalten, mehr Lärm und Erschütterung in Leinfelden-Echterdingen zu produzieren, Güterverkehr auf die Straße zu zwingen usw. usw. usw.

All dies und noch viel mehr ist nichts anderes als der Rückbau bestehender Infrastruktur und wirkt negativ kumulierend auf das Gesamtsystem. Die Fahrplanzwänge hier oben machen vernünftige Fahrpläne im Tunnel und unten im HBF nahezu unmöglich.

Der sogenannte „Filderdialog“ war ein kläglicher Versuch, hier noch was zu retten. Aber es lief nicht im Sinne der Macher: Bei jeder Abstimmung fiel die sogenannte Antragstrasse durch. Das zeigt, dass selbst eine miserable, trickreich beeinflusste Bürgerbeteiligung zu – von den Planern unerwarteten – Ergebnissen führen kann.

Am Ende wurde das Ganze dann vollends absurd, indem Kefer und Hermann nach Beendigung des Filderdialogs sagten: Ätsch, euer klarer Mehrheitsbeschluss, nämlich der Erhalt der Gäubahnführung auf der Panoramastrecke, gilt nichts, auch wenn es Heiner die Geißel gefordert hatte, wir wollen einen anderen Flughafenbahnhof. Aber nicht mal dies setzten sie um. Und so kehrten sie kurz drauf wieder auf die alte Antragstrasse zurück. Was für eine Gruppe unfähiger und doch auch raffinierter Menschen muss da dahinter stecken.

Man sollte meinen, dieses Schwachsinnsprojekt wischen wir beim Erörterungsverfahren mit unseren Fachleuten locker vom Tisch. Doch Vorsicht: Wir von der Schutzgemeinschaft Filder haben nun schon mit mehreren Planfeststellungsverfahren (Flughafen, Messe...) Erfahrung. Deshalb wenigstens dieser Hinweis: Das Regierungspräsidium wägt im Allgemeinen nicht ab, was die bessere von zwei Lösungen ist, es prüft im Wesentlichen, ob die beantragte Lösung rechtlich haltbar ist, allenfalls, ob die Vorgaben vollständig sind, ob Fehler auftreten, ob es (womöglich heilbare) Abwägungsdefizite gibt usw.

Wir müssen nachweisen, dass die Argumentation der Bahn z.B. zur Leistungsfähigkeit oder zum Mischverkehr oder zu den Lärmprognosen usw. fehlerhaft ist. Das RP protokolliert alle Aussagen der Bahn und der Gegner, fordert unter Umständen Nachbesserungen, geht dann damit in Klausur und gibt eine Empfehlung ans EBA. Das EBA ist letztendlich die Entscheidungsinstanz. Nochmal, für alle, die im Erörterungstermin auftreten wollen, es geht dem RP nur am Rande um wahr oder falsch und da könnte es sich mit Ministerpräsident Kretschmann zusammentun.

MP Kretschmann hat schon öfter mit nachdenklichem, schwäbischem Zungenschlag betont, dass in der Politik nicht die Wahrheit über die Lüge entscheidet, sondern die Mehrheit über Minderheiten. Das ist nun wahrlich nichts anderes als ein jammervoller Offenbarungseid. Die Wahrheit ist ein unvergleichlich viel höheres Gut als eine politische Mehrheit. Für die Wahrheit darf man in wirklich existenziellen Dingen keine Abstriche machen. Alles andere ist Kapitulation und Unterstützung der Lüge.

Jeder Häuslesbauer, der in seinen Bauanträgen die Entscheidungsgremien belügt, muss mit drastischen Strafen, ja mit dem Abriss seines Hauses rechnen. Bei S21 geht es um ganz andere Größenordnungen und hier soll gelten, dass, wenn eine Lüge eine Mehrheit gefunden hat, daran nicht mehr zu rütteln ist?
Mir scheint, dass der Einfluss der Politik bei S21 im Erörterungsverfahren nicht angemessen berücksichtigt wird: Eigentlich sollten bei der Erörterung neben der Bahn auch das EBA und die Landesregierung sitzen und ihren Unsinn begründen müssen.

Die Führung der Fernzüge über den Flughafen nannte der Bahnbevollmächtigte Fricke im Jahr 2011 einen „Schlenker“, den die Bahn so nicht beabsichtigt hätte, er sei vielmehr der Wunsch der damaligen Landesregierung (Teufel) gewesen, und die Bahn baue, was die Politik wolle. Da fragt man sich, was will die Politik heute? Die Bahn schiebt die Verantwortung auf die Politik und die Politik auf die Bahn. Schuld am Debakel sind beide.

Anders als bei den letzten Planänderungen werden wir hier in den letzten Tagen der Erörterung die Frage nach der Planrechtfertigung des Gesamtprojekts S21 stellen können. Auch wenn es für den Stuttgarter Hbf einen Planfeststellungsbeschluss gibt, so gibt es doch für diesen nicht erweiterungsfähigen, schiefen Sarkophag ganz gravierende Defizite. Wir können deutlich zeigen, dass der zur Prüfung anstehende Abschnitt 1.3 auf den Abschnitt 1.1 massiv negativ einwirkt, und wir können zeigen, dass die wesentlichen Gründe für S21 heute nicht mehr gelten, und wir wissen, dass eine belegte Kostenlüge und ein belegter Leistungsrückbau gesetzeswidrige Verhaltensweisen sind usw. Es wird also spannend.

Schlussbemerkung: Ich möchte euch ermuntern – es ist noch lange nicht zu spät, etwas zu tun. Stuttgart 21 ist so lange sinnvoll zu bekämpfen, wie der Kopfbahnhof und seine Zuleitungen funktionstüchtig bestehen, und dies ist notwendigerweise so lange der Fall, wie S21 und die Neubaustrecke noch nicht vollständig fertig gebaut sind. Erst dann, und nicht vorher, kann man auf einen Schlag vom bisherigen auf das „Neue“, viel schlechtere umschalten. Wenn beide Varianten noch gleichzeitig bestehen, ist immer noch die Kopfbahnhofvariante mit Abstand die bessere, völlig unabhängig davon, wieviel Geld schon versenkt wurde.

Offensichtlich wissen die älteren Herren wirklich nicht, was 6,8 Milliarden bedeuten. Wieder Mal einer meiner Vergleiche, um den Milliardenwahnsinn zu verdeutlichen: Wenn man 6,8 Milliarden Minuten in die Vergangenheit zurückgeht, landet man in der Jungsteinzeit!

Dieses Projekt ist eine Beleidigung für das aufgeklärte Menschengeschlecht!

Kommt zur Erörterung – im Allgemeinen darf jede/r sich äußern – aber denkt daran, es macht keinen Sinn, nur seinen Frust loszuwerden – es hilft allenfalls einem selbst: argumentiert inhaltlich und bitte unterstützt unsere Fachleute, lasst denen im Zweifel den Vortritt, und denkt gelassen daran, wen wir schon überlebt haben und wen wir noch hinter uns lassen werden. Hier nur eine kleine Auswahl: Rommel, Teufel, Dürr, Wissmann, Schuster, Oettinger, Mehdorn, Mappus, Gönner, Drexler, Ramsauer usw. usw., aber auch Kuhn und Dietrich und Schmiedel und Kretschmann und Schmid und Grube und Dobrindt usw. usw., die alle und noch viele mehr werden wir, wird der Widerstand überleben.

Wir sehen uns in den kommenden Wochen bei der Erörterung. Oben bleiben!

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2 Antworten zu Rede von Steffen Siegel bei der 238. Montagsdemo

  1. Pingback: Filderchaos |

  2. Lieber Steffen Siegel,
    als einer der mehr als 5.000 Einwender gegen S21 wünsche ich Ihnen die Eloquenz, die nötig ist, u n s e r e Position darzustellen.
    OBEN BLEIBEN
    Jobst Knoblauch

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