Rede von Heinz Pötzl, Kirchheimer gegen S21, auf der 177. Montagsdemo am 24.6.2013
Diese Rede müsste eigentlich jemand anders halten – jemand der viel kompetenter ist und dessen Wort mehr Gewicht hat. Einer, der diese Rede auch schon öfters in ähnlicher Form gehalten hat. Aber zum Thema Neubaustrecke Wendlingen-Ulm schweigt er – seit er Verkehrsminister ist.
Hier in aller Kürze das, was W. Hermann nicht mehr sagt:
1. Für ein Verkehrsprojekt dieser Größenordnung sind die wichtigsten und entscheidenden Fragen: Ist das Projekt ökologisch sinnvoll? Welchen Beitrag leistet es zu Klimaschutz und Energiewende? Ist es in der Lage, möglichst viel Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern?
Dazu ist festzustellen: Die geplante NBS muss 160 Meter höher über die Schwäbische Alb klettern als die jetzige Strecke mit der „Geislinger Steige“. Sie ist damit noch steiler als der bisher schon steilste Eisenbahnstreckenabschnitt in Europa. Zudem verläuft die Hälfte der Strecke in Tunnels, was einen zusätzlichen Energieverbrauch bedeutet. Trotz der Energierückspeisung beim Bremsen, verursachen die Züge einen Mehrverbrauch von ca. 7 Mio. Kilowattstunden pro Jahr. Das entspricht dem Energieverbrauch von etwa 2000 Haushalten. Aus gutem Grund liegt bisher von der Bahn deshalb auch keine Ökobilanz des Gesamtprojekts vor.
Das heißt: Die NBS als Hochgeschwindigkeitstrasse ist ein Energiefresser; sie ist ökologisch nicht sinnvoll, sondern unverantwortlich und behindert den Klimaschutz und die dringend notwendige Energiewende.
Die Aussagen bzgl. der Nutzung von Güterzügen auf der NBS sind reine Märchen. Ein Güterzug ist wegen der größeren Steigung nicht in der Lage, die NBS zu befahren. Die versprochenen sogenannten leichten Güterzüge gibt es bis heute nicht und wird es aus wirtschaftlichen Gründen auch nie geben. Dies wurde schon bei der Geißlerschen Schlichtung seitens der Bahn eingestanden und bemerkenswerterweise inzwischen auch von der EU-Kommission bestätigt. Das heißt: Die NBS wird überhaupt keinen Beitrag zur dringend notwendigen Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene liefern.
2. Mit den Güterzügen steht und fällt aber auch die Wirtschaftlichkeit der Strecke. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis ist bisher von der Bahn nur mit Mühe mit dem Faktor 1,2 in den wirtschaftlich positiven Bereich gerechnet worden. Kleiner als Faktor 1 wäre unwirtschaftlich. Ohne den versprochenen Güterverkehr auf der NBS aber sinkt der Faktor tatsächlich unter 1,0. Das heißt: Die NBS ist unwirtschaftlich!
Obwohl die NBS ein Projekt der Bundesrepublik Deutschland ist, steuert das Land Baden-Württemberg 950 Mio. € bei, eigentlich eine verfassungswidrige Mischfinanzierung. „Ohne dieses Sponsoring würde das Projekt sowieso nie gebaut“, so W. Hermann damals in der Schlichtung.
3. Ähnlich wie bei den Tunnelbauten für den unterirdischen Bahnhof in Stuttgart drohen erhebliche geologische Probleme in den Tiefen der Schwäbischen Alb:
- Hoher Gebirgsdruck
- Hohlräume im Karstgestein, teilweise stark wasserführend
- Hoher Wasserdruck in wasserführenden Schichten des Braunjura
- Geologische Bruchzonen
Das heißt: Große zusätzliche Risiken für Tunnelbau und Kosten.
4. Wie bei S21 sind die Kosten für die NBS schöngerechnet. Die ursprüngliche Kalkulation von 2,1 Milliarden € ist inzwischen offiziell schon auf 2,9 geklettert. Doch auch dieser Betrag ist unrealistisch: Das Planungsbüro Vieregg&Rößler rechnet mit 4,6 bis zu 10 Milliarden €.
Doch selbst die Finanzierung der 2,9 Milliarden ist nicht gesichert: Während die erste Bauphase vom Land finanziert wird, werden die Anteile des Bundes erst in den letzten 4 Jahren der veranschlagten Bauzeit fällig. Mit ca. 435 Millionen € pro Jahr wird der Großteil der Finanzmittel verbraucht, die eigentlich in diesem Zeitraum für den Ausbau des gesamten Schienennetzes aller 16 Bundesländer zur Verfügung stehen sollten.
Stuttgarter Zeitung: Damit ist abzusehen, dass dem Bund entweder für andere wichtige Schienenprojekte das Geld fehlen oder die ICE-Strecke später fertig wird…Ohne die ICE-Trasse jedoch kann der neue Bahnknoten mitsamt dem neuen unterirdischen Bahnhof nicht in Betrieb gehen.
5. Es gibt Alternativen: Für den Güterverkehr:
- Die Remstalbahn Richtung Aalen über Donauwörth nach Augsburg. Sie hat keine Steigungen und kostet wenig Trassengebühr. Sie wäre mit geringen Ausbauten sofort verfügbar.
- Für Züge, deren Ziel nicht Stuttgart ist, kann die Route Mannheim – Heilbronn – Augsburg ausgebaut werden.
Für den Personenverkehr kann die Bestandsstrecke optimiert werden: vor allem durch Vergrößerung der Kurvenradien. Durch die NBS soll die Fahrzeit Stuttgart-Ulm von 54 auf 28 Minuten verkürzt werden. Das ist mit der Ertüchtigung der Bestandsstrecke sicher nicht zu erreichen. Für die Pendler von Ulm nach Stuttgart wäre die neue Trasse tatsächlich ein Zeitgewinn.
Für die Gesamtheit des Personenverkehrs jedoch sind nicht nur die reinen Fahrtzeiten wichtig, sondern auch die Anschlüsse beim Umsteigen – also die Gesamtreisezeit: Um diese möglichst kurz zu halten, ist der Integrale Taktfahrplan notwendig. Um Ulm und Stuttgart zu einem „Knoten“ dieses Taktfahrplans machen zu können, müsste die derzeitige Fahrzeit von Stuttgart nach Ulm lediglich um 9 auf 45 Minuten verkürzt werden. Dies ist durch Optimierung der Bestandstrecke ohne Schwierigkeiten machbar. Fazit: Der Fahrzeitgewinn für die relativ wenigen Pendler Ulm-Stuttgart steht in keinem Verhältnis zu den angeführten nicht zu verantwortenden Nachteilen insgesamt.
Wir wissen nicht, ob das Projekt noch zu verhindern ist. Aber wir wissen dass S21 ohne die ICE-Neubaustrecke keinen Sinn macht. Und nach allem was wir wissen, ist davon auszugehen, dass die Bahn auf der Alb – genau wie in Stuttgart – ein Desaster anrichten wird – einen wahren Albtraum. Und wir wissen sicher, dass am Ende die Allgemeinheit für den Profit von wenigen bezahlen muss, und der Schutz unserer Ökosysteme auf der Strecke bleibt.
Wie bei anderen Großprojekten auch: Ob bei der geplanten Schnellbahntrasse im Val di Susa, der Untertunnelung von Florenz oder den Großflughäfen in Nantes oder Berlin.
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