Rede von Siri Keil auf der Samstagsdemo am 15.6.2013
Recht auf Stadt
Das politisch-ökonomische Prinzip – das muss man einräumen – hat doch einen recht langen Atem – man hat es also mit langwierigen Prozessen zu tun. Die Kontinuität, die den Protest gegen S 21 ausmacht – ist also entscheidend.
Wenn wir die Uhr mal 30 Jahre zurückdrehen und einen Blick nach Hamburg werfen – auf einen Abend im November 1983 im Hamburger Überseeclub, dann haben wir da den damaligen SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, wie er mit seiner Rede vor den obersten Herren der Hansestadt die Tür für den Eintritt Hamburgs in das neoliberale Zeitalter aufstößt.
An diesem Abend ruft Klaus von Dohnanyi das Unternehmen Hamburg aus – und fordert eine „neue Standortpolitik“. Die wohlfahrtsstaatliche Stadt soll sich von nun an zur unternehmerischen Stadt wandeln. Die Standortpolitik wird zur Managementpolitik. Die Metropole muss ihre Anziehungskraft steigern, damit die Schöpfer der neuen Wissensindustrien und Dienstleistungen angelockt werden, und sich die Weltwirtschaftsunternehmen dieser Welt in der Stadt ansiedeln. Das alles dominierende Dogma: Wer im internationalen Wettbewerb mitmischen will, muss vor allem die Bedürfnisse der Businessclass bedienen.
Heute – aufs Jahr genau drei Jahrzehnte später – muss man sagen: Hamburg ist im Bedienen der Businessclass und im Wettrennen um Unternehmen und kreative Köpfe einigermaßen erfolgreich gewesen – und hat sich vor allem beim Ummodellieren der Stadt in eine gesichtslose globale Metropole redlich Mühe gegeben.
Der Elbstrand zwischen Altona und den Landungsbrücken ist mittlerweile mit trostlos aufgemotzten hochpreisigen Büropalästen zugebaut – der so genannten Perlenkette. Die Hafencity mit ihrer steril lebensfernen Architektur und ihren null Sozialwohnungen wächst und gedeiht. Der Sprung über die Elbe soll den ehemaligen Problemstadtteil Wilhelmsburg – spätestens mit dem diesjährigen Finale der Internationalen Bauausstellung – zu einem Wohlfühlquartier für Besserverdienende machen. Und die ehemals vernachlässigten Innenstadtviertel mit ihren Altbaubeständen sind mehr oder weniger durchgentrifiziert.
Und an der Elbphilharmonie wird neuerdings auch weitergebaut.
Durch den aktuellen Aufschlag, den Bürgermeister Scholz gewieft ausgehandelt hat – nämlich noch einmal 198 Millionen an öffentlichen Mitteln – sind wir mittlerweile offiziell bei 866 Millionen EURO. Und ob neue Verträge hin oder her – die Milliarde wird bestimmt auch noch voll.
Es ist schon bizarr, dass einer der beiden Stararchitekten – Pierre de Meuron – im aktuellen Spiegel-Interview mal wieder einräumt, dass die Kostensteigerungen maßgeblich durch juristische Auseinandersetzungen, Zeitverzögerungen und Baustillstand verursacht wurden.
Und da wäre man wieder beim politisch-ökonomischen Prinzip: Die Politik wollte auf Teufel komm raus einen Leuchtturm mit internationaler Strahlkraft und hat vor lauter Aufregung – aber wahrscheinlich eher in einer Mischung aus Inkompetenz und Machtgepokere – in einem halbfertigen Planungsstadium Verträge aufsetzen lassen, die so schlecht sind, dass jedem noch so trotteligen Baukonzern aufgefallen wäre, wie man daraus mit links Kapital schlagen kann. 866 Millionen an öffentlichen Mitteln – Steuergelder.
Aber es gibt auch diverse Gewinner bei der Sache: Der Baukonzern Hochtief wird sich mit Sicherheit über einen ordentlichen Batzen freuen können. Die Architekten gehen auch mit über 90 Millionen aus der Geschichte heraus.
Und die verantwortlichen Politiker – die sich in ihrem Selbstverständnis eben eher als Unternehmensmanager begreifen, und das soziale Maß deshalb vollständig aus den Augen verlieren – werden sich spätestens bei der Eröffnung gegenseitig auf die Schultern klopfen und mit hanseatisch geschwollener Brust verkünden, das Beste für die Stadt und die HamburgerInnen vollbracht zu haben.
Man hat es also auch hier mit dem waschechten politisch-ökonomischen Prinzip zu tun, mit einer undemokratischen, profitorientierten, destruktiven Stadtentwicklung.
Ein paar Fakten: Innerhalb der letzten 15 Jahre hat sich die Anzahl der Sozialwohnungen mehr als halbiert. Der Anteil der Wohnungen mit Sozialbindung am Gesamtwohnungsbestand ist in der Zeit von 26,1 auf 11,6 Prozent abgestürzt. Die Mieten sind in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent gestiegen. Bei dem größten städtischen Wohnungsbauunternehmen SAGA/GWG sogar um 30 Prozent. Für eine Mietwohnung in mittlerer Wohnlage zahlt man in Hamburg zwischen acht und 14 Euro. Die mittleren Einkommen sind im letzten Jahrzehnt aber nur um etwa ein Prozent gestiegen. Heutzutage geben Hamburgerinnen und Hamburger durchschnittlich 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Menschen mit geringerem Einkommen werden zusehends aus den innerstädtischen Stadtteilen, in denen sie seit Jahrzehnten leben und ihre sozialen Bezüge haben verdrängt. In Hamburg stehen 1,46 Millionen Quadratmeter Büroflächen leer.
Hamburg hat gewissermaßen eine Tradition von Auseinandersetzungen um stadtpolitische Entscheidungen. Denkt man an die Hafenstraße, die Rote Flora oder den Bauwagenplatz Bambule, der 2002 vom damaligen CDU-Schill-Senat geräumt wurde. Ein bisschen ebbte danach dieses Feld von konkreten Auseinandersetzungen um Freiräume ab.
Bis zum Jahr 2009, da wurde im September das Netzwerk RECHT AUF STADT gegründet. In einem Zeitraum, wo immer mehr stadtpolitische Konfliktfelder auftauchten. Im August war das Gängeviertel besetzt worden und hatte die Debatte um soziale Freiräume, den Erhalt historischer Gebäude und bezahlbare Arbeitsstätten für Kulturschaffende auf die öffentliche Tagesordnung gesetzt.
Als Kontrapunkt zur Gentrifizierung des Hamburger Schanzenviertels war das Centro Sociale als autonomer Stadtteiltreff gegründet worden.
In Hamburg Altona besetzten die Leute einen Park und campierten in den Bäumen, um den Bau der von Vattenfall geplanten Moorburgtrasse für eine neue Fernwärmeleitung zu stoppen.
Ein paar hundert Meter weiter in Altona organisierten sich Anwohner/-innen und Kulturschaffende, um die Ansiedelung der landesweit ersten IKEA-City-Filiale zu verhindern – was leider, leider nicht geklappt hat.
In Eimsbüttel wehrten sich die Leute gegen die Zerstörung der Bäume am Isebeckkanal, anderswo ging es um den Erhalt von Schrebergärten.
Bewohner/-innen von St. Pauli wehren sich an verschiedenen Stellen – zum Beispiel in der Bernhard-Nocht-Straße oder in den Esso-Häusern – gegen den Abriss ihrer bezahlbaren Wohnungen und gegen die Umwandlung in Eigentumsimmobilien.
Und aktuell geht es in Altona um Mitbestimmung bei dem gigantischen Stadtplanungsprojekt Neue Mitte Altona, bei dem der Senat der ECE im vergangenen Jahr den Zuschlag für den Bau von 1.200 Wohnungen gegeben hat.
Oder in Wilhelmsburg darum, die augenwischerischen Bürger-Beteiligungsverfahren der Internationalen Bauausstellung öffentlich zu machen.
Das sind nur einige Beispiele von Initiativen, die in den letzten vier Jahren entstanden sind. Vernetzt haben sie sich alle – mittlerweile rund 50 – unter der gemeinsamen Forderung RECHT AUF STADT. Kontinuierlich und immer mit einer thematischen Offenheit hat es in den letzten Jahren gemeinsame solidarische Aktionen, Demonstrationen, Besetzungen und Veranstaltungen gegeben.
Das hat dazu geführt, dass sich in der Stadt der Faktor RECHT AUF STADT ergeben hat – an dem die Politik nicht so einfach vorbeikommt – ein Geist mit dem jederzeit gerechnet werden muss, wenn es um städtische Umstrukturierungsmaßnahmen geht.
RECHT AUF STADT geht davon aus, dass die Stadt allen gehört, und dass auch das Recht, über die Gestaltung der Stadt mitzubestimmen, nicht erteilt wird, sondern allen zusteht, unabhängig von sozialer oder kultureller Zugehörigkeit.
Und damit wären wir auch in Stuttgart, in Berlin, in Frankfurt, Madrid, Buenos Aires und wo sonst noch. Es geht also um die Vernetzung und den gemeinsamen Kampf einer Menge unterschiedlicher Menschen gegen Großprojekte und Luxusbebauungen, gegen den Wahnsinn steigender Mieten, die Verdrängung von Menschen aus ihren Stadtteilen, die Privatisierung öffentlicher Räume – gegen Repression, Gentrifizierung und neoliberale Stadtentwicklungspolitik.
Und wenn man am Ende doch nochmal den Urvater des Gedankens RECHT AUF STADT – den Stadtsoziologen Henri Lefebvre – zitieren will, dann geht es um nicht weniger als um die kollektive Wiederaneignung des städtischen Raumes – weil er allen gehört.
Redetext als PDF - bei der Mahnwache in gedruckter Form erhältlich