Rede von Jürgen Hugger, Parkschützer, bei der 135. Montagsdemo am 13.8.2012
Die Bahn hat bekanntlich ihr Grundwassermodell ‚verfeinert‘, so die offizielle Sprachregelung. Und dabei kam heraus, dass sie, um den geplanten Halbtiefkellerschrägbahnhof S21 überhaupt bauen zu können, weit mehr als die doppelte Menge Grundwasser abpumpen muss. Naiv, wer angesichts dieses desaströsen Ergebnisses von der Bahn erwartet hätte, dass sie ihr offensichtlich (immer noch) falsches Grundwassermodell in Frage stellt.
Bei der Falschheit der Berechnungen von Verfeinerung zu sprechen, entspringt der sprachlichen Märchenwelt der Bahn, die nichts mit unserer Realität zu tun hat. Genauso dreist hat die Bahn ihre Kostenrechnungen verfeinert, von Null über 2,8 auf inzwischen 4,5 Mrd. Euro – und natürlich wird es auch dabei nicht bleiben. Ebenso dreist ‚verfeinert‘ wurden ja auch die Angaben zur Leistungsfähigkeit. Wir müssen unter Verfeinerung wohl verstehen, dass die feinen Herren der Bahn sich zu fein sind, realistische Angaben zu ihrem zerstörerischen Tun zu liefern.
Jenseits aller Rhetorik hat die Bahn allen Grund, die völlig veränderte Planung für das Grundwassermanagement herunterzuspielen und so zu tun, als hätte sich nicht viel geändert – 6,8 Mrd. Liter statt 3,2, was ist das schon? Nun, man nennt das eine ‚wesentliche Planänderung‘, und eine solche ‚wesentliche Planänderung‘ muss zwingend durch ein neues Planfeststellungsverfahren genehmigt werden, zu dem dann auch eine neue Planrechtfertigung gehört. Eine Rechtfertigung des Kellerbahnhofs auf dem aktuellen Kenntnisstand, auch mit dem Wissen um die mangelnde Leistungsfähigkeit? Da dürften sich die grinsenden Bahnvorstände wohl schnell die Zähne ausbeißen.
Tatsächlich wurde vom SWR und von den Zeitungen ein neues Planfeststellungsverfahren gemeldet; widersprochen hat dem niemand. In Wirklichkeit aber spielen Bahn und Eisenbahnbundesamt auch hier wieder mit Begriffsverwirrung. Klammheimlich ist aus einem neuen Planfeststellungsverfahren ein Planänderungsverfahren geworden. Traurig, dass die Stadt, das Regierungspräsidium und das Umweltministerium bei dieser Posse mitspielen.
Worum geht es konkret? Planänderung heißt, dass die Bahn erst einmal weitermachen darf, wie sie will. Alles, was von der beantragten Änderung nicht ganz direkt betroffen ist, geht weiter wie gehabt. Eine neue Planfeststellung hingegen hieße: Baustopp, sofort, und zwar für alles! Denn „Gegenstand der Planfeststellung ist das Vorhaben als Ganzes, die einzelnen zur Realisierung des Vorhabens erforderlichen Maßnahmen sind nur als Teil des Gesamtvorhabens [...] zugelassen worden.“ So heißt es in einem Rechtsgutachten, das das Umweltministerium letztes Jahr erstellen ließ.
Dieses sogenannte Gaßner-Gutachtens ist spannend zu lesen und gut zu verstehen. Wir können es zwar auf der Website des baden-württembergischen Umweltministeriums finden und viele werden es nachlesen; nur erwecken gerade das Umweltministerium selbst, die Stadt Stuttgart, das Regierungspräsidium und das Eisenbahnbundesamt nicht den Eindruck, als ob sie es gelesen hätten. Denn sonst wüssten sie: „ […] handelt es sich um eine wesentliche Planänderung, reicht die ursprüngliche Planfeststellung nicht aus, um die zur Umsetzung des […] Vorhabens erforderlichen Baumaßnahmen zu legalisieren.“ Im Klartext heißt das: Die Bahn kann sich nicht mehr auf ein Baurecht aus der alten, inzwischen obsoleten Planfeststellung berufen.
Die folgenden beiden Punkte möchte ich noch festhalten:
1. Die drastische Erhöhung der Abpumpmengen ist keine kosmetische Änderung. Die Bahn sagt nicht: „Es wäre nett, wenn wir mehr Wasser abpumpen dürften“. Die Bahn sagt: „Wenn wir nicht viel mehr Grundwasser abpumpen, können wir Stuttgart 21 nicht bauen“!
Die Option, das planfestgestellte, genehmigte Bauvorhaben auszuführen, also den Tunnelbahnhof so zu bauen, wie es das viel zitierte Baurecht vorsieht, diese Option gibt es nicht! Die Bahn sagt in ihrem Antrag selbst, dass das, wofür sie ein Baurecht habe, nicht realisierbar sei. Und an dieser einen Stelle kann man der Bahn sicher glauben, dass es tatsächlich nicht geht.
Wenn man die Sache zu Ende denkt, heißt das: Wird die beantragte Änderung nicht genehmigt, so bleibt alles, was bis dahin ‚gebaut‘ ist, als Bauruine stehen, denn eine Fertigstellung ist nach aktuellem Genehmigungsstand nicht möglich; diese Erkenntnis haben Bahn und Experten inzwischen amtlich bestätigt.
Nun sind kreative Propagandisten und Minister ganz schnell dabei, zu erklären, irgendetwas würde der Bahn schon einfallen. Man würde dann halt unter Wasser betonieren oder das Grundwasser einfrieren oder die Baugrube fluten. Allerdings haben alle diese Ideen aus dem Zauberhut eines gemeinsam: Für sie gibt es keinerlei Planung, keinerlei Prüfung der Risiken und Nebenwirkungen, die mit diesen ‚Alternativverfahren‘ verbunden wären – und vor allem: Auch dafür hat die Bahn keine Genehmigung. Genauso wenig wie dafür, mal eben doppelt so viel Grundwasser abzupumpen.
2. Eine ‚wesentliche Planänderung‘ liegt – so heißt es – vor, wenn die Änderung erhebliche Auswirkungen auf sogenannte Schutzgüter Dritter oder der Allgemeinheit hat oder wenn durch die Änderung die Frage nach der Zulassungsfähigkeit des Vorhabens neu aufgeworfen wird. Auch das kann man im oben genannten Gutachten nachlesen.
Nun haben wir in der Rede vorher gehört, welch katastrophale Risiken das Kernerviertel durch dieses viele zusätzliche Wasser zu befürchten hat – Gebäudeschäden, Hangrutschungen. Also sind hier ‚Schutzgüter der Allgemeinheit‘ erheblich betroffen, also ist klar: Es geht um eine wesentliche Planänderung, die ein neues Planfeststellungsverfahren erfordert und bei der sich zudem die Frage aufdrängt, ob sie überhaupt zugelassen werden darf!
Im Gutachten ist übrigens eindeutig dargelegt, dass allein schon die möglichen Auswirkungen auf die Heil- und Mineralquellen die beantragte Erhöhung der Wassermengen zu einer wesentlichen Änderung machen: Auch hieraus ergibt sich, dass ein neues Planfeststellungsverfahren notwendig ist – und zwar unabhängig davon, ob man davon ausgeht, dass die Änderung am Ende genehmigt wird oder nicht!
Es stünde unseren Politikern gut an, endlich einmal die Bahn an ihre Projektförderpflicht zu erinnern. Und das heißt angesichts dieser Sachlage: Nicht noch mehr Geld in einer zukünftigen Bauruine vergraben, sondern zurück auf Los. Die Bahn muss ihr sinn- und hirnloses Gebuddel einstellen und stattdessen erst einmal sauber planen, sämtliche Risiken prüfen und bewerten und dann eine neue Planfeststellung beantragen.
Vielleicht erkennt die Politik aber auch, dass der Zug für sinnlose Großprojekte zur Bereicherung der Bahn AG (und anderer Großprofiteure) abgefahren ist. Vielleicht erkennt gar ein zukünftiger Oberbürgermeister, dass Stuttgart einen sehr guten Bahnhof hat, dass dieser Kopfbahnhof zukunftsweisend sein könnte und deshalb von der Bahn dringend renoviert werden muss. Dafür bekommen die Premium-Schwätzer von der Bahn jedes Jahr viele Millionen von uns; sie sollten gezwungen werden, dieses Geld dort zu investieren, wo es hingehört: Eben in die Instandhaltung und Modernisierung unseres Kopfbahnhofs.
Ich erinnere mich an eine Montagsdemo mit Dr. Roser, der damals Schuster zum Rücktritt aufforderte. Auch damals wurde ausgezeichnet argumentiert. Aber ich überlege, wie solche Reden zu addressieren sind: wer muss die Konsequenzen aus der Argumentation; welche Politiker konkret oder doch eher die Zuhörenden auf der Demo. Was sind realistische Konsequenzen, wie fordert man sie ein und bleibt dran?
Ich wage eine Prognose:
Der sog. Ministerpräsident von BW
wird der erste seiner Kategorie sein,
der sich morgens nicht mehr im Spiegel
betrachten kann. Und das ist auch gut so.
Liegt die Rede Verkehrsminister Winne Hermann und Umweltminister Franz Untersteller bereits zur Stellungnahme vor ?