Do. 12. Juli 2012, 19:30 Uhr
Uni Stadtmitte, Keplerstraße 17, KII, Raum 17.17
Mit Dr. Annette Ohme-Reinicke
In ihrem Buch „Das große Unbehagen. Die Protestbewegung gegen Stuttgart 21: Aufbruch zu neuem bürgerlichen Selbstbewusstsein?“ geht Annette Ohme-Reinicke von der These aus, dass das abrupte Anwachsen der Proteste im Sommer 2010 auch in einem Leiden an der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Neoliberalismus begründet liegt. Diese Wirklichkeit war und ist gekennzeichnet von zunehmender Privatisierungen in den verschiedensten Bereichen und dem Entzug öffentlichen Raums sowie zunehmenden Leistungsanforderungen. Das neoliberal konditionierte „unternehmerische Selbst“ (Bröckling), das allenfalls im Internet unkontrollierte, nicht-marktvermittelte soziale Räume zu finden glaubte, artikulierte nun im öffentlichen Protest auf der Straße – nicht nur in Stuttgart – ein vorerst diffuses Unbehagen an der Gesellschaft. Die Aufforderung „Oben bleiben!“ mutet mitunter wie eine gegenseitige Aufmunterung an, nicht in der neoliberalen Betriebsamkeit
unterzugehen.
Protestbewegungen bringen zwar ins öffentliche Bewusstsein, dass in einer Gesellschaft etwas „nicht stimmt“ und fordern die Gesellschaft auf, über sich selbst nachzudenken. Damit sind Protestbewegungen aber nicht per se kritisch. Hier ist die Theorie gefragt. Gegenstand der kritischen Soziologie ist es seit je her, die Bedingungen zu reflektieren, unter denen gelingendes Leben möglich ist oder verhindert wird. So ist „Das große Unbehagen“ der Versuch eingreifenden Denkens aus der Perspektive Sozialer Bewegung heraus: eine „elitäre Anmaßung“ meint die FAZ; die „Analyse ... halte (ich) für voll und ganz richtig“, urteilt eine Miterfinderin der Montagsdemonstrationen.
Der Vortrag stellt das Buch vor und erläutert den zugrunde-
liegenden Begriff soziologischer Kritik.
Annette Ohme-Reinicke ist Soziologin und Lehbeauftragte am Institut für Philosophie an der Universität Stuttgart. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das Verhältnis sozialer Bewegungen zur Technik.
Veranstalter: AK kritisches Lernen