Rede von Dr. Uwe Dreiss, Ingenieure 22

Rede von Dipl.-Ing. Prof. Dr. Uwe Dreiss, Ingenieure 22 für den Kopfbahnhof, auf der 129. Montagsdemo vor dem Hauptbahnhof in Stuttgart am 2. Juli 2012

Das Kernerviertel und das Grundwassermanagement

Die letzte Woche brachte zwei für uns wichtige Ereignisse:

Die erste Neuigkeit ist, dass bei der zweiten Sitzung des Filderdialogs am Freitag letzter Woche, die sog. Antragstrasse der Bahn für den Filderbereich abgelehnt wurde. Man darf gespannt sein, wie’s dort weitergeht. Aber das ist jetzt nicht mein Thema.

Die zweite Neuigkeit ist: Bei der Sitzung des Technischen Ausschusses des Gemeinderats am Dienstag letzter Woche wurde bekannt, dass es wegen der Erhöhung der Grundwassermenge, die für das Grundwassermanagement vor dem Bahnhofstunnel abgepumpt und hinter dem Tunnel wieder infiltriert werden soll, von 3,2 auf 6,8 Milliarden Liter und wegen einer dazu erforderlichen zweiten Anlage für das Grundwassermanagement zu einem neuen Planfeststellungsverfahren kommen wird. Das ist sicher auch das Ergebnis unserer ständigen Kritik an den Risiken des Grundwassermanagements für die Mineralquellen und für den Hang am Ameisenberg und dort insbesondere für das Kernerviertel, also den Bereich Kernerstraße, Werastraße, Urbanstraße, Gerokstraße und anschließend unter dem Fernsehturm hindurch bis die Fildern.

Die Gutachten, die angeblich belegen, dass Bauschäden durch Absenkung von Gebäuden nicht zu befürchten sind, sollen bei der öffentlichen Auslegung der Änderungspläne ebenfalls veröffentlicht werden. Die Erstellung solcher Gutachten, insbesondere zur Gefahr von Hangrutschungen am Ameisenberg, hatte die Stadt schon mit ihre Schreiben an das Eisenbahnbundesamt vom 27. Juli 2011 gefordert.

Folgende Fragen sind bei der anstehenden Prüfung des neuen Planfeststellungsantrages durch das Eisenbahnbundesamt zu klären:

  1. Die Gefahr von Hangabrutschungen am Ameisenberg. Diese könnten zwei Ursachen haben:
    1. Das Austrocknen eines trichterförmigen Bereichs um die Baustelle bis in den nahen Hang, also das Kernerviertel, durch das Abpumpen des Grundwassers, immerhin jetzt der doppelten Menge.
    2. Die Wieder-Infiltration des Wassers über die Infiltrationsbrunnen in der Urban-, Wera- und Kernerstraße.
  2. Die Gefahr von Hohlraumbildungen an den Hängen durch Auslaugung des Sulfatgesteins, diese verursacht durch den Fluss des abgesaugten wie auch des reinfiltrierten Wassers. Das kann zu Verkarstungen führen. Es kann zu Einbrüchen kommen.
  3. Die Gefahr einer Absenkung des Grundwasserpegels.
  4. Auswirkungen auf dieVegetation und ie Mineralquellen. In anderen Worten: Funktioniert das wirklich?

 

Eine weitere große Gefahr: Der an den Talkessel angrenzende Hang unter der Kernerstraße, Urbanstraße, Schützenplatz, Gerokstrasse, Sonnenbergstraße, usw. wird durch den Tunnel zu den Fildern und nach Untertürkheim unterfahren. Diese Röhren führen durch das Gesteinsmaterial Gipskeuper-Anhydrit, das bei Zufuhr von Wasser Gips bildet und sich um zwei Drittel seines Volumens ausdehnt, so z.B. wenn man beim Bau auf eine Wasserader trifft. Solche Adern gibt es. Das haben wir im Jahre 2009 bei einer Probebohrung oberhalb der Jugendherberge beim sog. Bohrloch 203 erlebt. Der dabei entstehende Druck kann sich nach oben fortpflanzen und in den Häusern Risse hervorrufen. Solche Quellungen hat es schon im Wagenburgtunnel, also in demselben Berg, gegeben. Wir sehen Risse in Staufen im Breisgau, dort verursacht durch Geothermiebohrungen. Vor ein paar Wochen in Zumhof bei Rudersberg.

Dies alles aufzuklären, hat jetzt die Bahn Gelegenheit. Alle die uns versprochen haben und versprechen, das Projekt kritisch zu begleiten, können und müssen sich jetzt einschalten.

Wir werden uns jedenfalls weiterhin intensiv mit diesen Fragen beschäftigen. Ganz besonders interessiert uns: Bei der Sitzung des Technischen Ausschusses des Gemeinderats am 26.6. erwähnte der Bahn-Gutachter, er habe „einen ganzen Leitzordner voll mit möglichen Unfallszenarien und Konzepten zu deren Behebung“. Dieser Ordner muss mit den ausgelegten Unterlagen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Und weiter die Fragen: Wer haftet für die Schäden? Die Bahn, die Baufirma, die Stadt, das Land? Auch noch in 50 Jahren? Werden die Betroffenen die Verursachung der eventuellen Schäden beweisen können?

Gegenwärtig erhalten die ersten Betroffenen, deren Grundstücke direkt unterfahren werden, Vertragsangebote, die das Einverständnis mit der Eintragung der sog. Unterfahrrechte in das Grundbuch zum Gegenstand haben. Rechtsgrundlage ist die Planfeststellung, die aber ja jetzt wieder geändert werden soll. Außerdem enthält das Vertragsangebot die Verpflichtung, gegen Geräuschimmissionen bei Bau und Betrieb keine Einwendungen zu erheben, ohne Einschränkungen oder Kontrollmöglicheiten das Recht aller vom Vorhabenträger beauftragten Personen, das Grundstück zu betreten, eine nur subsidiäre Haftung der Vorhabenträger. Dies alles gegen m.E. geringe Entschädigung, die die Wertminderung und die Gefährdung der Substanz, die Verminderung der Nutzung während Bau und Betrieb auch nicht im Ansatz berücksichtigt. Diese Bedingungen sind unakzeptabel.

Um den heutigen Zustand zu dokumentieren, beginnt die Bahn – ebenfalls die Landsiedlung GmbH, eine Tochter der LBBW, jetzt sog. Beweissicherungsverfahren. Die Probleme werden damit aber nicht gelöst. Nur der heutige Zustand wird „gesichert“. Kontrollieren Sie diese Arbeiten. Das kann später wichtig werden.

Die Betroffenen Eigentümer sollte sich in kleineren Gruppen zusammen tun, um zu besprechen, wie sie sich verhalten wollen. Ein Anfang ist bereits gemacht. Diskutieren Sie die Themen mit Ihren Nachbarn. Es ist leider so: Viele haben keine Ahnung und wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Für viele ist das Eigentum, das sie sich im Laufe ihres Lebens erarbeitet haben, und dessen Ertrag ihre Altersrente.

Es gibt noch eine Menge aktuelle Schwachpunkte, mit denen wir uns gründlich auseinander setzen müssen. Der nächste Referent wird darüber berichten. Die Auseinandersetzung nimmt wieder Fahrt auf. Wir müssen uns wieder anstrengen, damit wir, wenn der Staub sich gelegt haben wird, OBEN BLEIBEN!

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